Sonntag, 30. Juni 2013

Der Fischer vom Heiligensee (1955) Hans H. König

Inhalt: Stefan Staudacher (Helmuth Schneider) kommt nach Jahren der Ausbildung zum Forst-Ingenieur wieder in seine Heimat zurück, um die Stelle als Verwalter auf dem Gut der Baronin von Velden (Lil Dagover) anzutreten, die der verstorbene Baron für ihn vorgesehen hatte. Doch nach dessen Tod hatte sich einiges verändert, denn Wolfgang von Döring (Albert Lieven), der Neffe der Baronin, hatte diese Aufgabe übernommen, weshalb er die Ankunft Staudachers als Kritik an seinen Fähigkeiten ansieht. Doch die Baronin kann ihn beruhigen und versichert ihm, dass er weiter die finanzielle Verantwortung trägt und der junge Mann mit ihm zusammenarbeiten soll.

Für Staudacher stellt sich diese Konstellation als schwierig heraus, da sich Von Döring jede Einmischung in seine Angelegenheiten verbietet. Er ahnt nicht, dass Von Döring kein Interesse daran hat, dass Jemand in die Bücher sieht, da er heimlich Geld für sich abzweigt, um Gilchert (Siegfried Lowitz) zu bezahlen, der ihn erpresst, weil er allein für einen von ihnen begangenen Betrug im Gefängnis gesessen hatte. Auch die Annäherung Staudachers an die Baronesse Sabine (Edith Mill) durchkreuzt seine Pläne, da er sich eine Heirat mit ihr erhofft, um endgültig Zugriff auf das Vermögen der Familie Von Velden zu bekommen…


Mitte der 50er Jahre befand sich der Heimatfilm in seiner Hochphase und die Standards, die wirtschaftlichen Erfolg an der Kinokasse versprachen, hatten sich entsprechend bewährt. Die Schönheit einer unberührten Landschaft, die das Publikum von den im Krieg zerstörten Städten ablenken sollte, gab den Hintergrund für die nach den immer gleichen Regeln entworfenen Geschichten, in deren Mittelpunkt meist ein Liebespaar stand, dass auf Grund von Standesdünkeln oder moralischer Entrüstung der örtlichen Bewohner nicht zusammen kommen durfte. Dabei vertraten die Heimatfilme einen scheinbar modernen, gegen die herrschende Meinung gerichteten Standpunkt, da sie die Liebe der zwei attraktiven Protagonisten herauf beschworen, aber in der Regel fanden sich am Ende - selbstverständlich nach einer gewissen dramatischen Zuspitzung - begütigende Situationen, die sowohl das Happy-End ermöglichten, als auch eine konservative Haltung bestätigten, mit der sich der Großteil der Zuschauer identifizieren konnte.

Regisseur Heinz H.König, dessen erster zu pessimistisch angelegten Heimatfilm "Rosen blühen auf dem Heidegrab" (1952) kein großer Erfolg wurde, hielt sich in "Der Fischer vom Heiligensee" an diese Kriterien, weshalb sein zweiter Film mit Hauptdarstellerin Edith Mill, der damaligen Frau seines Bruders, aus heutiger Sicht als typischer Vertreter des Genres angesehen wird. Doch dieser Eindruck täuscht, denn die Zusammenarbeit mit Drehbuchautor Johannes Kai, der später noch in "Heiße Ernte" (1956) und "Jägerblut" (1957) an Königs Seite mitwirkte, unterscheidet sich in wesentlichen Details von den überwiegend konventionellen Ablegern des Genres, die dem Film zwar nicht die Vorhersehbarkeit nahmen, aber fast vollständig auf reaktionäres Gedankengut und die damals propagierten konservativen Geschlechterrollen verzichtete.

Neben dem außergewöhnlichen Fakt, dass es hier die Frau ist - Baronesse Sabine von Velden (Edith Mill) - die gesellschaftlich über dem Forst-Ingenieur Stefan Staudacher (Helmuth Schneider) steht, der nur der Sohn des ortsansässigen Fischers (Heinrich Gretel) ist und seine Ausbildung Sabines verstorbenem Vater verdankt, sind es besonders die Darsteller Lil Dagover, Albert Lieven und Siegfried Lowitz, die hier den Unterschied ausmachen. Lil Dagover als Sabines Mutter Baronin Hermine von Velden ist jederzeit souverän in ihrem Standesdünkel, dabei angemessen und selbstbewusst auftretend. Sie vertraut ihrem Neffen Wolfgang von Döring (Albert Lieven), der das Gut nach dem Tod ihres Mannes verwaltet, ohne zu ahnen, dass er sie hintergeht, um seinen früheren Kompagnon Gilchert (Siegfried Lowitz) auszubezahlen, der für ein von ihnen gemeinsam begangenes Betrugsdelikt ins Gefängnis gegangen war.

Diese Gut-Böse-Konstellation ist zwar klischeehaft angelegt, weshalb jedem Betrachter klar sein dürfte, dass Von Döring bei Sabine als Mann keine Chance gegen den anständigen und tüchtigen Stefan Staudacher hat, aber Albert Lieffens Spiel verliert in seinem immer verzweifelter werdenden Versuch, gegenüber seiner Tante das Gesicht zu wahren, nie die Contenance, während Siegfried Lowitz geradezu aufreizend lässig die Rolle des Erpressers übernimmt, der keine groben Mittel anwendet, sondern mit gewählten Worten Druck ausübt. Heinz H.König inszenierte diese Konstellation straff und mit fast vollständigem Verzicht auf den sonst typischen Altherren-Humor (nur Beppo Brem darf einmal kurz alkoholisch über die Stränge schlagen), herzige Kinder und folkloristische Einlagen, die nur bei dem abschließenden Happy-End einen Moment lang ins Bild gerückt werden. Der Landschaft widmet er einige beeindruckende Kameraeinstellungen, aber sein Augenmerk liegt auf den Protagonisten, die jederzeit nachvollziehbar und ohne die für den Heimatfilm typischen Übertreibungen agieren – selbst die vorhersehbare Liebesgeschichte fällt innerhalb des Gesamtkontextes nicht unangenehm ins Gewicht.

Stattdessen entwickelt König geschickt eine Dramatik, die zwangläufig auf die Katastrophe zuläuft, und erinnert damit in seinen besten Momenten an die Melodramen Douglas Sirks. Auch wenn dem Ende die Konzession an den Heimatfilm anzumerken ist, benötigt der Film keine zusätzlichen Beschönigungen und relativiert nicht, dass der Sohn des Fischers die Baronesse heiratet – ein überraschender Moment der Moderne im deutschen Heimatfilm.

"Der Fischer vom Heiligensee" Deutschland 1955, Regie: Hans H. König, Drehbuch: Johannes Kai, Darsteller : Edith Mill, Lil Dagover, Helmuth Schneider, Albert Lieven, Siegfried Lowitz, Anneliese Kaplan, Heinrich Gretler, Beppo BremLaufzeit : 87 Minuten 

weitere im Blog besprochene Filme von Hans H. König:

"Heiße Ernte" (1956)
"Jägerblut" (1957)

Dienstag, 25. Juni 2013

Die Brücke (1959) Bernhard Wicki

Inhalt: April 1945 - die 16jährigen Jungen der Schulklasse eines kleinen Ortes hoffen, dass sie noch zur Wehrmacht eingezogen werden, um Deutschland zum Sieg zu verhelfen. Zwar haben auch sie die alltäglichen Probleme Jugendlicher mit Eltern oder der ersten Liebe, aber vorherrschend bleibt ihre Begeisterung für einen Krieg, dessen Verlauf sie genau verfolgen, dabei jedes Wort der nationalsozialistischen Propaganda aufsaugend. Ihr Lehrer hatte diese Sichtweise lange Zeit unterstützt, sie aber angesichts der immer näher kommenden us-amerikanischen Armee inzwischen aufgegeben.

Doch seine Einsicht kommt zu spät. Voller Begeisterung folgen die Jungen dem Einzugsbefehl, obwohl die Erwachsenen ihre Rekrutierung für sinnlos halten. Dank der Einflussnahme ihres Lehrers und der Einsicht der Wehrmachts-Offiziere kommen sie nicht an die Front, sondern erhalten einen Wachposten an einer strategisch unwichtig scheinenden Brücke…



"Die Brücke" war nicht nur Bernhard Wickis erster abendfüllender Spielfilm, er gilt zudem als der erste deutsche Anti-Kriegsfilm, der das unmenschliche System des Nationalsozialismus ungeschönt wieder gegeben hat. "Die Brücke" wurde mit Preisen überhäuft bis hin zu einem "Golden Globe Award" und der Nominierung für den "Oscar" als bester fremdsprachiger Film - eine Vielzahl an Auszeichnungen, wie sie bis heute kaum ein anderer deutscher Film aufzuweisen hat, weshalb es nicht erstaunt, dass "Die Brücke" als einziger deutscher Film der Nachkriegszeit in den Filmkanon zur Schulbildung aufgenommen wurde. Angesichts seiner Entstehungszeit, Ende der 50er Jahre, als die damals populären Kriegsfilme noch den anständigen, nur unter einem mörderischen Regime leidenden Wehrmachtssoldaten in den Mittelpunkt stellten, erstaunt der allgemeine Konsens, den "Die Brücke" national wie international erfuhr, der dem Film einen bis heute andauernden Bekanntheitsgrad zusicherte.

Die Entstehung von "Die Brücke" hat eine längere Vorgeschichte, auch wenn die Story auf dem autobiografischen Roman von Gregor Dorfmeister basiert, der diesen 1958 unter dem Pseudonym Manfred Gregor veröffentlichte. Bernhard Wicki, in St.Pölten bei Wien geborener Schweizer Staatsbürger, wuchs zeitweise in Deutschland auf und machte sein Abitur in Bad Warmbrunn, Schlesien, bevor er später nach Berlin ging. Dort wurde er 1939 wegen seiner Mitgliedschaft bei der "Bündischen Jugend" verhaftet und war mehrere Monate im KZ Sachsenhausen inhaftiert. Nach seiner Entlassung arbeitete er erst in Österreich, später wieder in Deutschland als Theaterschauspieler, bevor er Anfang 1945 mit seiner Frau Agnes Fink das Land verließ und in die Schweiz übersiedelte. Ab 1950 gehörte er zum Ensemble des bayrischen Staatsschauspiels in München, von wo aus er seine Filmkarriere begann.

Die Begegnung mit Helmut Käutner wurde zum entscheidenden Schritt in Richtung einer engagierten kritischen Auseinandersetzung mit der Zeit des Nationalsozialismus. In Käutners 1954 entstandenem Film "Die letzte Brücke", der konsequent am Beispiel jugoslawischer Partisanen und einer deutschen Ärztin den Wahnsinn des Krieges demaskierte, spielte Wicki seine erste Hauptrolle. „Die letzte Brücke“ erfuhr internationale Anerkennung, kam für die Deutschen aber zu früh und ist heute fast vergessen. In "Die Zürcher Verlobung" (1957) spielte er ein weiteres Mal unter Käutner, bei dessen Film "Monpti" (1957) er als Regie-Assistent erstmals hinter der Kamera stand. Zuvor hatte er eine Rolle in Laslo Benedeks Film "Kinder, Mütter und ein General" (1955) übernommen, der früh die gleiche Thematik einer verführten Jugend behandelte, die kurz vor dem Ende des Krieges sinnlos geopfert wurde. Doch obwohl der Film ebenfalls den "Golden Globe Award" als bester fremdsprachiger Film gewann, ist er heute nahezu unbekannt. Ähnliches gilt für "Unruhige Nacht", der mit Bernhard Wicki als Priester unter der Regie des ehemaligen Widerstandskämpfers Falk Harnack 1958 entstand und die letzte Nacht eines Soldaten vor seiner Abordnung nach Stalingrad beschreibt.

Angesichts der engagierten und die Zeit des Nationalsozialismus kritisch betrachtenden Werke, an denen allein Bernhard Wicki beteiligt war, stellt sich die Frage, warum "Die Brücke" heute eine so singuläre Bedeutung besitzt und quasi als erster Anti-Kriegsfilm gilt? - Wickis an den expressiven Schwarz-Weiß-Bildern der Stummfilmzeit orientierte Optik, verleiht dem Ort des Geschehens eine karge, grobkörnige Anmutung, der Storyaufbau erfolgt zügig und ist klar strukturiert in drei Teile gegliedert - das Leben der Jugendlichen als Vorgeschichte, ihre Musterung und Stationierung an der Brücke, das eskalierende Gefecht - wodurch der beabsichtigte dokumentarische Charakter entstehen konnte. Mit dieser gestalterischen Konsequenz entfernte sich Wicki vom typischen deutschen Nachkriegskino, womit er dem allgemeinen Konsens eher widersprach, zumal in einer Phase, in der die Bereitschaft zur selbstkritischen Analyse noch kaum vorhanden war – Helmut Käutners „Der Rest ist Schweigen“ (1959) und Wolfgang Staudtes „Kirmes“ (1960) scheiterten bei Publikum wie Kritik grandios.

Entscheidend für den Erfolg des Films ist die konsequent aus dem Blickwinkel der 16jährigen Jungen erzählte Story, mit der Wicki Angriffspunkte vermied. Typisch war der Vorwurf einer klischeehaften Darstellung von Nationalsozialisten oder mangelnde Authentizität der realen Hintergründe, klassische Totschlagargumente, mit denen jeder kritische Ansatz zunichte gemacht werden konnte. Auch in „Die Brücke“ gibt es einen NSDAP-Bürgermeister, der seine Frau angeblich in Sicherheit bringt, um sich mit seiner Geliebten amüsieren zu können, so wie ein Vater eine Liebesbeziehung mit der jungen Angestellten seines Friseurladens hat, in die sein Sohn heimlich verliebt ist. Doch das bleiben kleine Geschichten am Rande, immer aus der Sicht der Jungen erzählt. Dagegen widmet sich Wicki ausführlich der Jugendliebe zwischen Klaus (Volker Lechtenbrink) und Franziska (Cordula Trantow), die ihren Höhepunkt hat, als sich Franziska beim Abschied einen Kuss erhofft, Klaus aber nur seine ihr zuvor geschenkte Uhr zurückhaben möchte, die er bei seinem soldatischen Einsatz angeblich benötigt. Der leere Blick des Mädchens, wenn er - sie kaum noch beachtend – mit kindlich wirkender Begeisterung seiner Mutter von dem Einzugsbefehl am Telefon berichtet, bleibt in Erinnerung - eine Szene, auf die sich Alle einigen können.

„Die Brücke“ vermischte typische Verhaltensweisen pubertärer junger Männer und die ihnen von einem mörderischen Regime anerzogenen Begriffe von Ehre und Vaterland, um die Ausbeutung auch der Jüngsten für eine sinnlose Sache zu verdeutlichen – doch den Hintergrund einer Gesellschaft, die diese Haltung erst ermöglichte, beleuchtete er nicht. Im Gegenteil reagieren die Erwachsenen fassungslos auf die Einberufungsbefehle der Jungen, die fast losgelöst von der sonst vorherrschenden Meinung voller Hoffnung in den Kampf ziehen. Auch die Soldaten, allen voran Heilmann (Günter Pfitzmann), halten nichts von dem Einsatz der „Volksfront“, mit der die Nationalsozialisten die Rekrutierung alter Menschen und Jugendlicher rechtfertigten, und versuchen die Jungen vor ihrem eigenen Eifer zu schützen. Neben dem diktatorischen System steht einzig der Lehrer, der seinen Schülern den selbst zerstörerischen Corps-Geist eintrichterte, als Schuldiger dar, hat seinen Fehler aber inzwischen eingesehen und versucht noch, die Jungen zu retten. Die tragischen Ereignisse, die zum Tod fast aller Jugendlicher führen, wirken wie eine Verkettung unglücklicher Umstände, gespeist aus Misstrauen und falschem Gehorsam, aber auch normalem männlichen Imponiergehabe, etwa wenn der Jüngste von ihnen bei einem Fliegerangriff stehen bleibt, weil ihn seine Kameraden zuvor in einer ungefährlichen Situation, bei der er sofort zu Boden gegangen war, ausgelacht hatten. 

Bernhard Wickis Film hat den Vorteil einer hohen Identifikation mit den jugendlichen Darstellern um Fritz Wepper, Folker Bohnet oder Michael Hinz - für fast Jeden von ihnen wurde „Die Brücke“ der Startschuss einer langen Karriere - weshalb die schonungslosen Bilder der verzweifelten und tödlich verwundeten Jungen ihre Wirkung bis heute nicht verloren haben. Das ihre Erziehung und Verblendung nur in einem Umfeld geschehen konnte, welches diesen Geist generell transportierte, lässt der Film hingegen weg, womit er ähnliche Kompromisse einging wie beinahe alle kritischen Filme dieser Phase - dank der Konzentration auf die Jugendlichen, fällt die oberflächliche Gestaltung der Erwachsenen nur weniger ins Gewicht. Für seine Entstehungszeit, aber auch wegen seiner Zugänglichkeit für ein junges Publikum, bleibt „Die Brücke“ ein wichtiger Beitrag des deutschen Films, sein singulärer Charakter steht dagegen signifikant für die Schwierigkeiten einer Vergangenheitsbewältigung, die sich hier auf einen gemeinsamen Nenner einigen konnte.

"Die Brücke" Deutschland 1959, Regie: Bernhard Wicki, Drehbuch: Michael Mansfeld, Karl-Wilhelm Vivier, Bernhard Wicki, Manfred Gregor (Roman), Darsteller : Fritz Wepper, Folker Bohnet, Michael Hinz, Volker Lechtenbrink, Günter Pfitzmann, Cordula Trantow, Siegfried Schürenberg, Laufzeit : 98 Minuten

Montag, 24. Juni 2013

Von "08/15" bis "Die Brücke" - deutsche Kriegfilme der 50er Jahre


Der deutsche Kriegsfilm 1954 - 1960

Neben dem Heimatfilm wurde das Genre des Kriegsfilms zu einer der wenigen Konstanten im westdeutschen Kino der 50er Jahre. Der Erfolg der "08/15" - Trilogie 1954 / 55 nach Hans Hellmut Kirsts Romanvorlage verdeutlichte das allgemeine Bedürfnis nach einer Thematik, von der noch wenige Jahre zuvor fast jeder Deutsche unmittelbar betroffen war. Weniger eine kritische Auseinandersetzung stand im Vordergrund, als die Beschäftigung mit einer Zeit, deren Folgen den damaligen Alltag konkret bestimmten - sei es in praktischer Hinsicht des Wiederaufbaus oder des Verlustes geliebter Menschen. Es erstaunt entsprechend wenig, dass die Schuldfrage nicht komplex betrachtet wurde, sondern der damaligen nationalsozialistischen Führungselite und deren direkten Handlangern zugeschoben wurde, während der einfache Soldat als Opfer galt.

Angesichts der Gepflogenheit, Katastrophen oder andere extreme Ereignisse möglichst kurzfristig filmisch umzusetzen, überrascht es nicht, dass der Kriegsfilm zu einem bestimmenden Genre dieser Zeit wurde, aber entgegen heutiger Vorurteile gingen die Produzenten und Regisseure behutsam dabei vor. "08/15" war nicht der erste Film, der sich mit dem Krieg auseinandersetzte. Mit "Beiderseits der Rollbahn" war schon 1953 ein Dokumentarfilm entstanden, der 1955 eine Fortsetzung erfuhr, darüber hinaus aber fast unbekannt blieb. Dagegen erhielt die österreichisch / jugoslawische Co-Produktion "Die letzte Brücke" von 1954 unter Regisseur Helmut Käutner eine Vielzahl von Preisen, steht aber als einer der ersten kritischen Bestandsaufnahmen dieser Zeit nicht nur deutlich im Schatten des 1959 entstandenen Anti-Kriegsfilms "Die Brücke" von Bernhard Wicki, sondern ist insgesamt in Vergessenheit geraten. Dabei lässt sich die Linie von "Die Brücke" zu Käutners Film leicht zurück verfolgen, denn der Schweizer Bernhard Wicki, der 1939 einige Monate im KZ Sachsenhausen inhaftiert war, spielte in "Die letzte Brücke" die Hauptrolle, wie in weiteren Kriegsfilmen wie in "Es geschah am 20.Juli" (1955), in dem er unter G.W.Pabst den Widerstandskämpfer Graf von Stauffenberg verkörperte. Käutner war es auch, bei dessen Film "Monpti" (1957) er begonnen hatte, als Regieassistent hinter der Kamera zu arbeiten.

Sieht man von der Identifikationsfigur des Gefreiten Asch (Joachim Fuchsberger) aus "08/15" einmal ab, der in "08/15 - Zweiter Teil" auch in konkrete Kampfhandlungen verwickelt wurde, widmeten sich die frühen Kriegsfilme neben diversen komödiantischen Ausflügen ("Der Frontgockel" 1955), vor allem realen Persönlichkeiten wie "Canaris" (1954), "Graf von Stauffenberg" in zwei Filmen (neben dem genannten noch "Der 20.Juli" von Falk Harnack) und dem Generalluftzeugmeister der Wehrmacht Ernst Udet in "Des Teufels General" (1955). Auch "Der letzte Akt" (1955), der die letzten Tage Adolf Hitlers im Führerbunker beschrieb, gab sich einen historischen Hintergrund, vermied aber ebenfalls eine komplexe Betrachtungsweise.

Erst 1957 begannen die Kriegsfilme damit, ausführliche Kampfhandlungen zu zeigen und stärkten so den Action-Charakter. Zwar betonten die im Mittelpunkt stehenden Soldaten nach wie vor die Sinnlosigkeit des Krieges, ließen aber keinen Zweifel an ihren Fähigkeiten als tapfere Kämpfer wie in "U47 - Kapitänleutnant Priem" oder "Die grünen Teufel vom Monte Cassino", in denen Joachim Fuchsberger erneut zur Waffe griff. Parallel entstanden nach wie vor auch kritische Filme wie Harnacks "Unruhige Nacht" von 1958, so wie sich die Verfilmungen nach den von Heinz G.Konsalik verfassten Romanen "Der Arzt von Stalingrad" (1958) und "Strafbataillon 999" (1960) mit berüchtigten Themen befassten, dabei aber immer die Rolle des aufrechten Wehrmachtsangehörigen betonten, der unter intriganten Vorgesetzten und den verblendeten Nationalsozialisten litt. Wickis "Die Brücke" beendete 1959 diese Phase im deutschen Kino, auch wenn in den folgenden Jahren noch vereinzelt Kriegsfilme wie "Division Brandenburg" oder "Fabrik der Offiziere" gedreht wurden, mit denen Harald Phillip und Frank Wisbar an frühere Erfolge anknüpfen wollten. Doch das Genre hatte seinen Zenit bereits überschritten.


   Jahr  /  Film  -------------------   Regisseur  /  Darsteller

1954:  "Die letzte Brücke" Helmut Käutner / Bernhard Wicki, Maria Schell
           "Canaris" Alfred Weidenmann / O.E.Hasse, Barbara Rütting, Adrian Hoven
           "08/15" Paul May / Joachim Fuchsberger, Eva Maria Scholz
           "Unternehmen Edelweiß" Heinz Paul / Joachim Mock, Albert Hehn
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1955:  "08/15 - Zweiter Teil" Paul May / Joachim Fuchsberger, O.E.Hasse
          "08/15 - In der Heimat" Paul May / Joachim Fuchsberger, O.E.Hasse
          "Der Frontgockel" Ferdinand Dörfler / Peter Pasetti, Günter Lüders
          "Der Hauptmann und sein Held" Max Nosseck / Ernst Schröder, Wolfgang Müller
          "Der letzte AktGeorg Wilhelm Pabst / Albin Skoda, Oskar Werner
          "Es geschah am 20. Juli" Georg Wilhelm Pabst / Bernhard Wicki, Carl Wery
          "Der 20. Juli" Falk Harnack / Wolfgang Preiss, Annemarie Düringer
          "So war der deutsche Landser" Albert Baumeister / Dokumentation  
          "Des Teufels General" Helmut Käutner / Curd Jürgens, Marianne Koch, Eva Ingeborg Scholz
          "Unternehmen Schlafsack" Arthur Maria Rabenalt / Eva Ingeborg Scholz, Karlheinz Böhm
          "Urlaub auf Ehrenwort" Wolfgang Liebeneiner / Claus Biederstädt, Eva Ingeborg Scholz   
   


















   
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1957: "Der Stern von Afrika" Alfred Weidenmann / Joachim Hansen, Hansjörg Felmy, Marianne Koch
          "Der Fuchs von Paris" Paul May / Martin Held, Marianne Koch, Hardy Krüger
          "Haie und kleine Fische" Frank Wisbar / Hansjörg Felmy, Wolfgang Preiss
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1958: "Unruhige Nacht" Falk Harnack / Bernhard Wicki, Hansjörg Felmy
          "U47 - Kapitänleutnant Priem" Harald Reinl / Joachim Fuchsberger, Dieter Eppler
          "Die Kanonen-Serenade" Wolfgang Staudte / Vittorio De Sica, Heinz Reinke
          "Hunde, wollt ihr ewig leben?"Frank Wisbar / Joachim Hansen, Wilhelm Borchert
          "Die grünen Teufel vom Monte Cassino" Harald Reinl / Joachim Fuchsberger, Dieter Eppler
          "Er ging an meiner Seite..." Peter Pewas, Kurt Konradi, Wilhelm Borchert
          "Blitzmädels an die Front" Werner Klingler / Eva Ingeborg Scholz, Klausjürgen Wussow
          "Der Arzt von Stalingrad" Géza von Radvániy / O.E.Hasse, Eva Bartok
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1959"Geheimaktion schwarze Kapelle" Ralph Habib / Peter Van Eyck, Werner Peters
          "Kriegsgericht" Kurt Meisel / Karlheinz Böhm
          "Nacht fiel über Gotenhafen" Frank Wisbar / Sonja Ziemann, Gunnar Möller
          "Rommel ruft Kairo" Wolfgang Schleif / Adrain Hoven, Peter Van Eyck
          "Die Brücke" Bernhard Wicki / Volker Bohnet, Fritz Wepper, Günter Pfitzmann
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1960:  "Strafbataillon 999" Harald Phillip / Sonja Ziemann, Werner Peters
           "Division Brandenburg" Harald Phillip / Peter Van Eyck, Werner Peters
           "Fabrik der Offiziere" Frank Wisbar / Volker Bohnet, Helmut Griem, Horst Lange
                

Sonntag, 23. Juni 2013

Der Berg ruft! (1938) Luis Trenker

Inhalt: Jean Antoine Carell (Luis Trenker) ist ein erfahrener und leidenschaftlicher Bergsteiger, der seine Zeit am liebsten allein in den Bergen verbringt, weit ab von den Auswirkungen eines Bergsteiger-Tourismus, der die Gefahren am Berg nicht richtig einzuschätzen weiß. Getrieben wird er von dem Gedanken, als Erster das Matterhorn zu besteigen, weshalb er ständig auf der Suche nach der richtigen Route ist. Von den italienischen Landsleuten seines Heimatortes wird er deshalb als lebensmüder Spinner verspottet - selbst Felicitas (Heidemarie Hatheyer) darf er nicht heiraten, da ihr Vater die Verbindung zwischen ihnen ablehnt.

Das ändert sich, als bekannt wird, dass Carell gemeinsam mit dem von ihm geschätzten englischen Bergsteiger Whymper (Herbert Dirmoser) einen Weg von Zermatt aus gehen will, da diese Strecke realistisch erscheint. Das hätte aber zur Folge, dass damit die Schweiz das Ausgangsland zur Erstbesteigung wäre, was die Italiener verhindern wollen. Sie zwingen Carell dazu, mit einem italienischen Team von Italien aus den Versuch zu starten, und untergraben dafür das Vertrauensverhältnis zwischen Carell und Whymper…


Angesicht der Entstehungszeit 1938 und des heroisch klingenden Filmtitels ließe sich "Der Berg ruft!" leicht als typisches Propagandawerk einordnen, zumal Luis Trenker, der zusammen mit Fritz Lang die "Nationalsozialistische Betriebsorganisation Abt.Regie" gründete (von Fritz Lang immer bestritten), hier Regie führte und die Hauptrolle übernahm. Während der Stummfilmzeit hatte der Südtiroler Bergsteiger Trenker mit der damaligen Schauspielerin Leni Riefenstahl zusammengearbeitet („Der heilige Berg“, 1926) und 1930 in „Der Sohn der weißen Berge“ erstmals die Regie übernommen. Später war er von Südtirol nach Berlin gezogen war, um von hier aus seine Arbeiten zu organisieren. Allerdings ist diese Betrachtungsweise zu oberflächlich, denn Luis Trenker bestand immer auf eine eigene künstlerische Verantwortung, verbat sich den Einfluss der Nationalsozialisten und wurde deshalb später als "deutschfeindlich" eingestuft und mit einem Berufsverbot belegt.1940 kehrte er deshalb nach Italien zurück, wo zu diesem Zeitpunkt noch die Faschisten unter Mussolini regierten. Nicht ohne Grund hatte Trenker nach dem Ende des zweiten Weltkrieges Probleme wieder Fuß zu fassen, da er als Opportunist galt, der zuvor zu lange "mit den Wölfen geheult" hatte.

Bei "Der Berg ruft!", bei dem es sich um ein Remake des 1928 entstandenen Stummfilms „Der Kampf ums Matterhorn“ handelt, in dem Trenker auch schon die Hauptrolle spielte, hatte er noch unbeschränkte Arbeitsbefugnis, was dem Film in seiner Gratwanderung zwischen einer von Leni Riefenstahl beeinflussten Ästhetik und einer eigenständigen Story anzumerken ist. In grandiosen Aufnahmen von dem Furcht einflößenden Berg, vermittelt sich die Überlegenheit der Natur, aber auch der Reiz, die Herausforderung anzunehmen – zumindest für einen echten Kerl. Die optische Inszenierung der Menschen verfolgt dagegen eindeutige Wertungen. Während Luis Trenkers kerniges Antlitz häufig von Unten im Gegenlicht aufgenommen ist, was ihm einen überlegenen Charakter verleiht, sieht die Kamera auf seinen „Freund“, der hier die lächerliche Figur abgibt, nur gut ausgeleuchtet von oben. Jeder Typus – die strenge Mutter, Großstadtmenschen, Frauen generell oder andere Bergsteiger – werden von der Kamera gemäß ihrer Qualifikation oder Bedeutung wertend eingefangen. Trotz dieser fragwürdigen Gestaltung bleibt der Eindruck einer atmosphärisch dichten Ästhetik, die das Leben in den kleinen kargen Bergdörfern am Fuße eines alles überragenden Berges authentisch wiedergibt.

Erfüllte Trenker mit seiner Bildsprache die Erwartungen der nationalsozialistischen Propaganda an einen „heroisch“ wirkenden Film, lässt sich an der Story, die sich an der wahren Begebenheit der Erstbesteigung des "Matterhorn" im Jahr 1865 orientierte, besonders hinsichtlich der Gestaltung der Charaktere erkennen, warum Trenker bald Probleme mit Göbbels Ministerium bekommen sollte. „Der Berg ruft!“ lässt deutlich werden, dass Leistungssport und der damit verbundene Patriotismus keine Erfindung der Neuzeit sind. Die Erstbesteigung eines wichtigen Berges war von höchster nationaler Bedeutung, bei der es nicht nur darum ging, wer den Berg zuerst bestieg, sondern in diesem Fall auch von welcher Seite, da sich das Matterhorn genau auf der Grenze zwischen Italien und der Schweiz befindet. Damit sind auch entsprechende finanzielle Interessen verbunden. So will das schweizerische Zermatt den Ort als touristisches Ziel vermarkten, von dem aus die Erstbesteigung gelang. Entsprechend stark wird von Seiten der verschiedenen Interessenten Druck auf die Berg-Spezialisten ausgeübt, von denen verlangt wird, dass sie sich der nationalen Sache unterordnen sollen, obwohl sie von der Bevölkerung als Spinner und lebensmüde "Freaks" angesehen werden. Ihr einziger Nutzen liegt darin, der Nation Ehre zu machen, was sie zu „Stars“ werden lässt, die, falls ihnen ihr riskantes Vorhaben nicht gelingt, genauso schnell wieder fallen gelassen werden – in dieser konkreten Beschreibung von Patriotismus und Starkult ist „Der Berg ruft“ von erstaunlich kritischer Konsequenz.

Der von Luis Trenker gespielte italienische Bergsteiger Carrel ist davon getrieben, einen geeigneten Weg auf das Matterhorn zu finden. Innerhalb seines Heimatdorfes wird er deshalb verachtet, als Nichtsnutz verspottet und auch als zukünftiger Schwiegersohn abgelehnt, denn der Vater von Felicitas (Heidemarie Hatheyer) verbietet ihr die Beziehung mit ihm. Zudem interessieren ihn keine nationalen Interessen, weshalb er sich mit dem einzigen von ihm respektierten Bergsteiger, dem Engländer Whymper (Herbert Dirmoser), verabredet, gemeinsam auf das Matterhorn zu klettern – zudem noch von der Schweiz aus, da die Besteigung von hier machbarer erscheint. Doch damit hat Carrel die Rechnung ohne seine Landsleute gemacht. Dieselben, die ihn soeben noch beschimpften, wollen ihn nun zwingen, für Italien in den Wettkampf einzusteigen – selbstverständlich von Italien aus mit einem italienischen Team. Dafür versuchen sie die Freundschaft zwischen Carrel und Whymper zu zerstören.

Trenker lässt dank seiner Bildgestaltung keinen Zweifel daran, welche Charaktere er für anständig hält. Dazu gehören nicht die patriotischen, staatsgläubigen Durchschnittsbürger oder die Honoratioren, sondern die von der Masse verachteten Individualisten - eine Aussage, die der nationalsozialistischen Propaganda widersprach. Doch Trenkers Haltung ist eindeutig - für ihn sind die gestählten, der Natur verbundenen Bergliebhaber, die wahren Größen. Sein Film wurde ein Loblied auf den Individualismus und die innere Konsequenz des Einzelgängers, hier am Archetypus des einsamen Bergsteigers erzählt, während die sonstige Bevölkerung als hasserfüllter, nationalistischer Pöbel sehr negativ geschildert wird. So hat sich ein in grandiosen schwarz - weiß Bildern gefilmtes Bergdrama mit einem alles überragenden, Furcht einflößenden Berg im Zentrum des Geschehens seine Faszination bis heute bewahrt.

"Der Berg ruft!" Deutschland 1938, Regie: Luis Trenker, Drehbuch: Luis Trenker, Hans Sassmann, Richard Billinger, Carl Haensel (Roman), Darsteller : Luis Trenker, Herbert Dirmoser, Heidemarie Hatheyer, Lucie Höflich, Umberto Sacripante, Laufzeit : 95 Minuten 

weitere im Blog besprochene Filme von Luis Trenker: 

"Von der Liebe besiegt" (1956)

Montag, 17. Juni 2013

Kirmes (1960) Wolfgang Staudte

Inhalt: Als Arbeiter die Grube für den Stützpfeiler eines Karussells ausheben, das für die Kirmes in einem kleinen Ort in der Eifel aufgebaut werden soll, finden sie ein Skelett, gemeinsam mit einem Stahlhelm und einem Gewehr. Da es sich offensichtlich um einen gefallenen Soldaten des 2.Weltkriegs handelt, erlahmt das Interesse der Schaulustigen schnell, aber im Haus der Mertens, wohin die Überreste erst einmal gebracht werden, herrscht helle Aufregung. Martha Mertens (Manja Behrens) begreift sofort, dass es sich nur um ihren Sohn Robert (Götz George) handeln kann, auch wenn ihr Mann Paul (Hans Mahnke) versucht, ihr diese Ansicht auszureden. Als sie darauf beharrt, macht ihr der Bürgermeister Georg Hölchert (Wolfgang Reichmann) klar, was es bedeutet, wenn bekannt würde, dass Robert mitten im Ort lag. Sein Andenken und das seiner Familie wären besudelt, denn er gelte dann als Deserteur und Vaterlandsverräter.

Diese wurden 1945 mitten im Ort standrechtlich erschossen. Während die US-Armee nur noch wenige Kilometer entfernt weiter voranschreitet, wird der Befehl Himmlers vorgelesen, Jeden sofort zu erschießen, der einem Deserteur hilft. Zudem gilt das Todesurteil für einen Vaterlandsverräter auch für dessen gesamte Familie. Während ihre kleine Tochter diese Anweisungen fröhlich nachplappert, macht sich Martha Mertens Sorgen um ihren Sohn Robert, von dem sie schon längere Zeit nichts mehr gehört hatte. Sie ahnt nicht, dass er sich in unmittelbarer Nähe in ihrem Haus versteckt hält, nachdem er aus der Armee geflohen war…


Die Filme "Der Rest ist Schweigen" (1959) und "Kirmes" (1960) nehmen im deutschen Nachkriegsfilm bis Mitte der 60er Jahre einen Sonderstatus ein, da sie von ihren Regisseuren Helmut Käutner und Wolfgang Staudte selbst produziert wurden, die 1958 gemeinsam mit dem Regisseur und Produzenten Harald Braun die "Freie Film Produktion" gegründet hatten, um unbeeinflusst von politischen und wirtschaftlichen Gesichtspunkten Dritter ihre selbst verfassten Drehbücher umsetzen zu können. Es blieb bei diesen zwei Filmen - vielleicht dem frühen Tod Harald Brauns 1960 geschuldet - die beim Publikum und der Kritik scheiterten und in Vergessenheit gerieten, obwohl viele ihrer sonstigen Filme bis heute populär geblieben sind.

Besonders für Wolfgang Staudte bedeutete diese Konstellation endlich die Möglichkeit, seine kritische Auseinandersetzung mit der Zeit des Nationalsozialismus nach seinen Vorstellungen fortzusetzen. Für seinen 1959 herausgebrachten Film "Rosen für den Staatsanwalt" hatte er erstmals,  seitdem er nicht mehr für die DEFA drehte (unter anderen "Die Mörder sind unter uns" (1946)), auch in der Bundesrepublik Deutschland eine positive Resonanz bei Publikum und Kritik erfahren, nahm den ihm zuerkannten Bundesfilmpreis aber nicht an - ein offensichtliches Bekenntnis dafür, dass ihm die kritische Relevanz des Films zu gering war. Verglichen mit dem bis heute anerkanntesten Anti-Kriegsfilm deutscher Produktion "Die Brücke" (1959) von Bernhard Wicki, der eine Vielzahl von Preisen erhielt, und dem trotz seiner Thematik sehr unterhaltsamen "Rosen für den Staatsanwalt" wird deutlich, warum "Kirmes" keine Chance hatte - Wolfgang Staudte verzichtete darin auf jede Distanz zum sogenannten "Durchschnittsbürger".

Stand in "Rosen für den Staatsanwalt" die Judikative im Mittelpunkt, deren Vertreter zum großen Teil unmittelbar vom nationalsozialistischen Regime in den demokratischen Rechtsstaat überwechselten, ohne das ihr früheres Handeln in Frage gestellt wurde - eine Phase, die erst jetzt offiziell aufgearbeitet wird und deren Ergebnis Staudtes damalige Kritik weit in den Schatten stellt - und betrachtete "Die Brücke" den nationalsozialistischen Wahnsinns, kurz vor dem Kriegsende noch ihre Jüngsten sinnlos in den Tod zu schicken, ohne die Verantwortung Aller dafür aufzuzeigen, verdeutlicht "Kirmes" am Mikrokosmos eines Dorfes in der Eifel den generellen Opportunismus jedes Einzelnen, der nicht nur ein unmenschliches Regime am Leben erhielt, sondern unfähig war, die Lehren daraus zu ziehen.

Bevor Staudte zu den Ereignissen in der Vergangenheit, kurz vor dem Ende des Krieges, wechselt, beschreibt er die Feststimmung in der Gegenwart, anlässlich der jährlichen Kirmes in dem kleinen Eifelort. Die typisch penetrante Ausgelassenheit wird kurz unterbrochen, als bei den Erdarbeiten für das Fundament eines Karussells ein Skelett mit Stahlhelm und Gewehr gefunden wird, aber die Attraktionen des Jahrmarkts ziehen die Aufmerksamkeit schnell wieder auf sich. Nur im Haus von Martha (Manja Behrens) und Paul Mertens (Hans Mahnke) herrscht Aufregung, denn Martha ist sofort klar, dass es sich bei dem Toten nur um ihren Sohn Robert (Götz George) handeln kann. Die Anwesenden – darunter der Bürgermeister Georg Hölchert (Wolfgang Reichmann), der Pfarrer (Fritz Schmiedel) und der Gastwirt Balthausen (Benno Hoffmann) – widersprechen ihr zuerst, aber als sie darauf beharrt und ihn anständig begraben lassen will, schwenken sie um und ändern ihre Argumentation. Roberts Name steht auf dem Denkmal für die Gefallenen des Krieges, aber wenn es bekannt werden würde, dass er hier im Ort gestorben ist, wäre sein Andenken als Deserteur besudelt.

Wolfgang Staudte hätte die etwa 10minütige Sequenz auch an das Ende des Films stellen können, um die Konsequenzen aus dem damaligen Handeln im Ungewissen zu lassen, aber ihm war nicht an einem Spannungsaufbau gelegen, sondern an der Sichtweise der Bürger der demokratischen Bundesrepublik Deutschland auf die kaum 15 Jahre zurückliegende Zeit der Diktatur. Die Protagonisten der Eingangsszene spielten auch die Hauptrollen während der letzten Kriegstage und ihre Reaktion auf den Skelettfund lassen sich bei den von Staudte geschilderten Ereignissen um den gerade 18jährigen Robert, der desertiert war, um in seinem Heimatdorf Unterschlupf zu suchen, nicht mehr ausblenden. Zu offensichtlich wird es, dass sich Niemand einer Schuld bewusst ist und dass Roberts Fahnenflucht nach wie vor als Vaterlandsverrat bewertet wird, gleichbedeutend damit, dass die damalige Entscheidung der NSDAP, auch die Jüngsten noch in einen aussichtslosen Kampf zu schicken, nicht verurteilt wird. Dass der jetzige Bürgermeister Hölchert damals schon als NSDAP – Ortsgruppenleiter fungierte, betont nicht allein die Unbelehrbarkeit der Bewohner, sondern ist signifikant für den reibungslosen Übergang nach dem Krieg, der keine echte Zäsur brachte.

Wie nah „Kirmes“ damit der Realität kam, lässt sich an der vehementen Ablehnung des Films erkennen, die Staudte von Seiten der Kritik und des Publikums entgegen schlug, und die dem Ansehen des Films einen bis heute bleibenden Schaden zufügte. Auffällig an den geäußerten Kritikpunkten ist, dass diese nicht auf die Kernaussage des Films eingehen, sondern nur Randaspekte benennen: die angeblich überzeichnete Figur des NSDAP-Manns, das eingeschränkte Umfeld einer dörflichen Gemeinschaft oder den konventionellen Storyaufbau. Tatsächlich legte Staudte sehr viel Wert darauf, Einseitigkeiten zu vermeiden. Sogar die extrem angelegte Figur des jovialen Hölchert, der nach außen hin die Ideale Adolf Hitlers predigt, angesichts der vorrückenden US-Armee aber vorsichtshalber Akten verbrennt und NS-Zeichen beseitigt, verhält sich wie ein typischer Machtmensch, der seinen Einfluss missbraucht. Gewalt wendet er nur dezent an. Seine Fähigkeit wider besseren Wissens auch die negativsten Situationen noch schön zu reden, privilegiert ihn geradezu für dieses Amt - Reichmanns Darstellung haftet weder etwas satirisches, noch übertriebenes an.

Auch die übrigen Protagonisten reagieren menschlich nachvollziehbar, wollen Robert sogar beistehen, verlieren aber den Mut angesichts eines Regimes, das Jedem mit der Todesstrafe droht, der einem Deserteur hilft, dabei auch die jeweilige Familie mit in die Sippenhaftung einschließend. Sehr gut wird Staudtes differenzierter Blick an der Figur des Pfarrers deutlich, der Robert zuerst vier Tage Asyl gewährt, bis er ihn von Ängsten übermannt wieder wegschickt. Als in der Kapelle Teile der Uniform Roberts gefunden werden, gerät er in Verdacht und wird brutal von der SS verhört, verrät den Flüchtigen aber nicht. Götz George spielte den Deserteur mit jungenhafter Attitüde, der es nicht mehr aushält, als Soldat zu kämpfen. Er will einfach nur nach Hause, ohne dabei politische oder soldatische Reden zu schwingen. Staudte gönnt ihm noch einen schönen Moment, als er mit der hübschen Annette (Juliette Mayniel), einer zwangsverpflichteten französischen Arbeiterin, eine Nacht verbringt, aber sie verrät ihn sofort, als sie unter Druck gerät. „Kirmes“ idealisiert und verteufelt Niemanden, sondern entwirft ein tödliches Geflecht aus Angst und Egoismus, dass selbst eine kleine, von den großen politischen Ereignissen unberührte Dorf-Gemeinschaft – auch die US-Armee zieht sofort weiter, weshalb die evakuierten Bewohner schnell wieder in ihre Häuser zurückkehren können – dazu bringt, einen aus ihrer Mitte in den Tod zu treiben.

Robert wird nicht gefasst oder ausgeliefert, sondern erschießt sich selbst, weil er den inneren Konflikt seiner Familie nicht mehr aushält – und wird in einem Bombenkrater mit seinen Utensilien entsorgt, um jeden Verdacht zu vermeiden. So schrecklich diese Ereignisse sind, so vermittelt „Kirmes“ doch Verständnis für die Reaktionen der Dorfbewohner und erhebt sich nicht über sie. Einzig die Figur des Ortsgruppenleiters Hölchert als willfähriger Vertreter eines mörderischen Regimes verdient keine Nachsicht. Der wahre Schrecken zeigt sich erst in der Gegenwart, nicht allein durch die Wahl dieses Mannes zum Bürgermeister, dessen pragmatischer Umgang mit den neuen Verhältnissen signifikant für die generelle Haltung dieser Zeit ist, sondern auf Grund der Weigerung, sich mit einer Phase auseinander zu setzen, die Jeden dazu bringen konnte, gegen seine inneren Überzeugungen zu handeln. Wolfgang Staudte ging es nicht um eine nachträgliche Verurteilung, sondern um das Verhalten in der Gegenwart. Lieber wird ein 18jähriger Junge nach wie vor als Verräter betrachtet, als sich der Auswirkungen und Folgen eines diktatorischen Regimes bewusst zu werden.

Von diesem Vorwurf konnte sich 1960, als „Kirmes“ in die Kinos kam, kaum Jemand freisprechen, zu konkret vertrat Staudte seine Meinung und zu genau traf er damit den Nerv, dabei konsequent auf unterhaltende und damit abschwächende Elemente in seinem Film verzichtend. An der grundsätzlichen Aussage des Films hat sich bis heute nichts geändert, auch wenn der zeitliche Abstand den Blick darauf erleichtert, weshalb es an der Zeit wäre, „Kirmes“ wieder einem größeren Publikum zugänglich werden zu lassen, jenseits von kleinlichen Kritikpunkten.

"Kirmes" Deutschland 1960, Regie: Wolfgang Staudte, Drehbuch: Wolfgang Staudte, Darsteller : Götz George, Juliette Mayniel, Manja Behrens, Hans Mahnke, Wolfgang Reichmann, Fritz Schmiedel, Benno Hoffmann, Laufzeit : 96 Minuten

weitere im Blog besprochene Filme von Wolfgang Staudte:

Mittwoch, 12. Juni 2013

Der grüne Bogenschütze (1961) Jürgen Roland

Inhalt: Julius Savini (Harry Wüstenhagen) veranstaltet Führungen für interessierte Touristen in der Villa seines Chefs Abel Bellamy (Gert Fröbe), um sein Gehalt ein wenig aufzubessern. Der schwerreiche Amerikaner weilt derweil in den USA und ahnt nichts von der Nebenbeschäftigung seines Sekretärs, wird aber durch das Missgeschick eines Besuchers darauf aufmerksam gemacht. Ein etwas zu neugieriger Mann entdeckt eine Geheimtür, die sich mit dem Arm einer Bogenschützen-Statue öffnen lässt, was ihm einen grünen Pfeil einbringt, der sich tödlich in seinen Rücken bohrt.

Wieder zurück in London reagiert Bellamy sehr erbost darauf, dass Savini fremde Menschen in sein Haus ließ. Zudem war ihm der Ermordete nicht unbekannt, dem es dank des grünen Bogenschützen nicht gelang, das Geheimnis zu entdecken, dass sich hinter der Tür verbirgt. Diese führt zu einer versteckten Wohnung im Kellergeschoss, in der Bellamy eine alte Frau gefangen hält. Entsprechend nervös reagiert er, als er erfährt, dass er neue Nachbarn hat. Ein Mr.Howett (Hans Epskamp) ist in die Villa gegenüber eingezogen, gemeinsam mit seiner Adoptivtochter Valery (Karin Dor), eine geborene Bellamy…


Wie geplant kam beim vierten Edgar Wallace-Film der Rialto Filmgesellschaft wieder Regisseur Jürgen Roland an die Reihe, erneut mit Drehbuchautor Wolfgang Menge und Hauptdarsteller Klausjürgen Wussow an seiner Seite. Doch diese Planmäßigkeit täuscht, denn "Der grüne Bogenschütze" wurde ihr letzter Wallace - Film, eine von Jürgen Roland frühzeitig getroffene Entscheidung, die der Umsetzung deutlich anzumerken ist. Angesichts der großen Zahl späterer Edgar-Wallace-Filme, die häufig unfreiwillig komisch oder bewusst überzeichnet wurden, ist es in Vergessenheit geraten, dass "Der grüne Bogenschütze" die für Edgar Wallace-Krimis typischen Eigenarten schon zu einem frühen Zeitpunkt ins Extreme steigerte.

Die Käuzchen schreien sich die Seele aus dem Leib und die Nebelmaschinen laufen am Limit, wenn Valerie Howett (Karin Dor) nachts ein Boot besteigt, um die finster gelegene alte Villa des reichen Abel Bellamy (Gert Fröbe) zu besuchen - mehr waberndes England-Feeling ist kaum möglich. Allein Gert Fröbe ist die Ansicht des Films wert, so dick trägt er als schwergewichtiger Amerikaner auf, der eine alte Frau (Hela Gruel) in einer geheimen Wohnung im Keller seines Hauses festhält und auch sonst vor keiner kriminellen Missetat zurückschreckt. Wann hat es im Wallace-Film je einen charismatischeren Bösewicht gegeben, der seine Gesinnung keinen Moment verbirgt und alle Menschen wie Dienstboten behandelt, dessen tatsächlichen Pläne aber im Unklaren bleiben ?

Autor Wolfgang Menge gab sich in seiner Überarbeitung des ursprünglich von Wolfgang Schnitzler verfassten Drehbuchs die größte Mühe, die Verwirrung auf die Spitze zu treiben. Puzzleartig reiht er Szene an Szene und führt eine Vielzahl an Personen ein, ohne erzählerische Stringenz zu entwickeln. Im Gegenteil, wird die Story immer undurchsichtiger, desto mehr Fakten aufgedeckt werden - eine ironische Überspitzung der typischen Wallace-Eigenart, am Ende die unwahrscheinlichste Lösung zu präsentieren. Der als Basis dienende Kriminalroman "The green archer", den Edgar Wallace 1923 veröffentlichte, ist wesentlich nachvollziehbarer erzählt und rechtfertigte auch den Titel "Der grüne Bogenschütze", der im Film dagegen nur eine untergeordnete Rolle spielte. Seine abschließende Enttarnung wird fast nebensächlich abgehandelt - ein klarer Verstoß gegen die Erwartungshaltung des Publikums und signifikant für die Intention der Macher.

Sowohl die "Stahlnetz" - Fernsehserie (1958 - 1968), als auch der wenige Jahre später entstandene "Polizeirevier Davidswache" (1964) lassen in ihrer sachlichen, der Realität verpflichteten Inszenierung deutlich werden, warum Jürgen Roland und Wolfgang Menge mit dem Wallace-Universum nicht warm werden konnten. Schufen sie mit "Der rote Kreis" (1960) noch einen Zwitter zwischen strukturiertem Kriminalfilm und Wallace-Elementen, der im Gesamtwerk einen seriösen Eindruck hinterlässt, sollte "Der grüne Bogenschütze" zur großen Abschiedssause werden. Aus heutiger Sicht schwer vorstellbar, vermittelte diese vierte Wallace-Verfilmung innerhalb von weniger als zwei Jahren schon einen inflationären Charakter - gut aus Eddie Arents am Ende geäußerten Worten herauszuhören, der den plötzlich von außen kommenden Lärm damit erklärt, dass dort schon der nächste Wallace-Film entsteht. Für Arent das richtige Stichwort, denn er blieb der Serie treu, spielte aber in "Der grüne Bogenschütze" erstmals konsequent die Witzfigur, nachdem er in "Die Bande des Schreckens" (1960) schon Tendenzen in diese Richtung gezeigt hatte.

Für Klausjürgen Wussow als Inspector Featherstone blieb es dagegen der letzte Auftritt in einem Wallace-Streifen. Gegen seinen Machismo kam nicht einmal Joachim Fuchsberger an, denn die Verbindung zur schönen Valerie stellt er letztlich dadurch her, dass er ihre Mutter schon als seine Schwiegermutter betrachtet - Widerspruch zwecklos. Nicht einmal der Austausch von Zärtlichkeiten war noch notwendig, womit Roland die Geschlechter-Klischees der Reinl-Verfilmungen gelungen persiflierte, letztlich aber die Erwartungshaltungen des Publikums erneut nicht erfüllte.

Entsprechend hinterlässt "Der grüne Bogenschütze" im Wallace-Universum einen zwiespältigen Eindruck - dank des besonders schaurig finsteren Settings und der von Fröbe und Arent verkörperten Figuren, verbreitet der Film bestes Wallace-Feeling, welches die verwirrende Handlung mit ihren unerwarteten Brüchen dagegen nicht befriedigt. Erkennt man darin den Stilwillen seiner Macher, wird "Der grüne Bogenschütze" zu einer gelungenen Umsetzung, die sich selbst nicht ernst nimmt und die damaligen Klischees ironisch bricht - innerhalb des Wallace-Universums eine Ausnahme.

"Der grüne Bogenschütze" Deutschland 1961, Regie: Jürgen Roland, Drehbuch: Wolfgang Menge, Wolfgang Schnitzler, Edgar Wallace (Roman), Darsteller : Klausjürgen Wussow, Karin Dor, Gert Fröbe, Wolfgang Völz, Eddie Arent, Harry WüstenhagenLaufzeit : 89 Minuten

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Dienstag, 11. Juni 2013

Duell in den Wolken (The tarnished angels, 1957) Douglas Sirk


Inhalt: New Orleans, Mitte der 30er Jahre während der Karnevalszeit. Nicht nur die Mardi Gras Umzüge ziehen die Menschen an, sondern auch die verwegenen Kunstflieger in ihren kleinen und wendigen Maschinen. Der Journalist Burke Devlin (Rock Hudson) lernt dort die Familie Shumann kennen, als er dem neunjährigen Jack Shumann (Christopher Olsen) zu Hilfe kommt. Er ist der Sohn des ehemaligen Weltkrieg-Flieger-As Roger Shumann (Robert Stack), der sein Dasein als Flieger bei Wettrennen fristet, und LaVerne Shumann (Dorothy Malone), die mit gewagten Stunts auftritt.

Devlin hilft der in Geldknappheit steckenden Familie und deren Mechaniker Jiggs (Jack Carson), in dem er sie in seiner Wohnung schlafen lässt. Nachts erfährt er von LaVerne viel über deren Leben und will einen Zeitungsartikel über die Menschen schreiben, die immer am Rand des Todes leben. Doch sein Redakteur hält nichts von den "Zigeunern" und schmeißt Devlin, als dieser deshalb wütend reagiert, raus. Als er daraufhin wieder zu dem Veranstaltungsgelände, kommt er noch rechtzeitig zu dem Wettfliegen und wird Zeuge eines tödlichen Unfalls...


"The Party's next door! - And that's the way it's always been!"

Angesichts der blonden Schönheit, die diese Worte mit einem Glas Bourbon in der Hand spricht, möchte man an Ironie glauben, aber Douglas Sirk erzählt hier nach William Faulkner's Roman "Pylon" eine Geschichte der Gegensätze. Und bewies mit "The Tarnished Angels", wie virtuos er in der Lage ist, ein überzeugendes menschliches Drama aufzubauen. Zwei Jahre zuvor drehte er mit den selben Hauptdarstellern (nur Lauren Bacall fehlte diesmal) "Written in the Wind", dessen bonbonfarbene Buntheit die darunter verborgene Tragik nur langsam zum Vorschein kommen ließ - die Schwarz-Weiß Bilder in "The Tarnished Angels" lassen dagegen keine Illusionen mehr entstehen. Dabei böten sich bunte Farben erneut an, denn Sirk erzählt seine Geschichte während der Karnevalszeit in New Orleans. Die Menschen auf den Straßen und in ihren Wohnungen feiern mit fantasievollen Maskierungen, während parallel eine große Flugschau stattfindet - ein buntes Spektakel mit Jahrmarkt, Stunts und Flugzeug-Rennen um eine von Pylonen abgesteckte Strecke.

Schon die ersten Bilder inmitten der Zuckerwatten und Karussell-Fröhlichkeit, lassen den Gegensatz zu den tatsächlichen Empfindungen der Menschen deutlich werden, weshalb Sirk nur wenige Elemente benötigt, um den Betrachter mit den Protagonisten vertraut zu machen. Burk Devlin (Rock Hudson), Journalist einer ansässigen Zeitung, schlendert über das Jahrmarktgelände und kommt einem Jungen zu Hilfe, der von einem Mechaniker damit geärgert wird, dass er in Frage stellt, wer sein Vater ist. Dabei handelt es sich bei Jack Shumann (Christopher Olsen) eindeutig um den Sohn von LaVerne (Dorothy Malone) und Roger Shumann (Robert Stack). Doch angesichts der blonden Schönheit LaVerne, die auch bei Devlin sofort Begehrlichkeiten weckt, sind Verdächtigungen dieser Art schnell ausgesprochen. Besonders wenn man weiß, dass der Mechaniker Jiggs (Jack Carson) immer mit der Familie Shumann von Flugschau zu Flugschau reist.

Douglas Sirk entwirft hier ein Gebilde gegenseitiger Abhängigkeiten, deren tatsächliche Tragweite sich erst zum Schluss herausstellt. Jeder Glamour, der sich auf Grund der Flugzeuge, des abenteuerlichen Ambientes mit seinen Heldengeschichten und der schönen Ehefrau ergeben könnte, wird schon beim ersten Blick in Roger Shumann’s mürrisches Gesicht vertrieben. Ganz abgesehen davon, dass die Familie in Geldnöten steckt und nicht weiß, wie sie ihre Unterkunft bezahlen soll. Devlin hilft ihnen und lädt sie dazu ein, in seiner Wohnung unterzukommen.

Devlin selbst macht trotz aller scheinbaren Entspanntheit auch keinen frischen Eindruck und es ist erstaunlich, wie zerknautscht und fast depressiv Rock Hudson hier gegen sein übliches Image spielt. Die Gespräche, die sich zunehmend zwischen ihm und LaVerne entwickeln, haben von Beginn an den Charakter der Begegnung zweier Menschen, die nach Liebe und Anerkennung dürsten, Trotzdem lässt Sirk keinen Zweifel daran, dass hier keine romantische Geschichte erzählt wird. LaVerne leidet unter der ablehnenden Haltung ihres Ehemannes, der kaum einmal mit ihr spricht, während Devlin, der Ablenkung im Alkohol sucht, sich in seinem intellektuellen Anspruch unterfordert und von der Umgebung nicht anerkannt fühlt. Durch das nächtliche Gespräch mit LaVerne noch zusätzlich aufgeheizt, will er eine Reportage über die Familie schreiben, aber sein Redakteur lehnt die „Zigeuner“, wie er sie nennt, ab. Verletzt und wütend attackiert Devlin ihn und wird rausgeschmissen.

Zurückgekehrt zu der Flugschau, wird er Zeuge eines Wettkampfes zwischen Roger Shumann und einem jungen Flieger, der von Matt Ord (Robert Middleton) ein Flugzeug gestellt bekommt. Matt Ord ist ein wohlhabender Geschäftsmann Ende Fünfzig, der mit den Flugwettbewerben Geld verdient, ohne selbst sein Leben zu riskieren, und wird von Shumann entsprechend abgelehnt. Zudem hat er ein Auge auf LaVerne geworfen. Entgegen der sonst nah an die Personen herangehenden Kamera, inszeniert Sirk die Flugkämpfe als beeindruckendes optisches Spektakel, deren Spannung regelrecht greifbar wird. Die Flugzeuge, die in möglichst engen Kehren um die Pylone fliegen, berühren sich beinahe, und es überrascht nicht, dass tödlichen Unfälle keine Ausnahme sind. So auch diesmal, als dem jungen Flieger bei einem Crash mit Shumann ein Flügel seiner Propellermaschine abbricht. Er stürzt ab, während Shumann sein brennendes Flugzeug noch landen und sich retten kann.

Die Art wie Sirk hier den Tod inszeniert, ist typisch für seine Filme - er nimmt ihn ernst, betont gleichzeitig aber dessen Beiläufigkeit. Als später Männer den Sarg aus einer Halle tragen, sieht man im Vordergrund einen Propeller starten. Trotz des Unglücks macht sich Shumann sofort auf die Suche nach einer Ersatzmaschine, um am nächsten Tag wieder mitfliegen zu können. Doch das einzige zur Verfügung stehende Flugzeug gehört Matt Ord und hat einen kaputten Motor. Shumann drängt seinen Mechaniker Jiggs, diesen zu reparieren, und fordert seine Frau dazu auf, Matt Ord dazu zu überreden, ihm die Maschine zur Verfügung zu stellen, wohl wissend, dass sie ihm dafür schöne Augen machen muss.

Sirks Meisterschaft lag in der geschickten Zuspitzung der Emotionen, die geradezu zwingend auf eine vulkanartige Eruption hinführte, hier aber geht er noch einen Schritt weiter. Nach zwei Dritteln der Laufzeit kommt es zu einer Katastrophe, die normalerweise das Ende eines Films bedeutet hätte oder zu einer Lösung hätte führen müssen. Doch Sirk setzt seinen Film zwar fort, verzichtet aber abrupt auf die sich bisher steigernde Dramatik und verfällt in einen fast emotionslosen Gleichklang. Damit verändern sich auch die Gewichtungen zwischen den einzelnen Personen. Lag Sirks Augenmerk lange Zeit auf Devlin und LaVerne, während Robert Stack als wortkarger und meist unfreundlicher Pilot im Hintergrund agierte, zeigt sich jetzt dessen Bedeutung für das innere Gefüge. Anders als üblich hatte die Katastrophe keine reinigende Wirkung, sondern lässt erst die innere Leere der Beteiligten deutlich werden. Das Ende verspricht zwar ein wenig Hoffnung auf Veränderung, aber davon abgesehen hinterlässt „The Tarnished Angels“ nur verlorene Seelen.

"The tarnished angels" USA 1957, Regie: Douglas Sirk, Drehbuch: George Zuckerman, William Faulkner (Roman), Darsteller : Rock Hudson, Dorothy Malone, Robert Stack, Jack Carson, Robert Middleton, Laufzeit : 87 Minuten

weitere im Blog besprochene Filme von Detlef Sierck / Douglas Sirk:

"Zu neuen Ufern" (1937)
"La Habanera" (1937)
"Magnificent obsession" (Die wunderbare Macht, 1954)
"All that heaven allows" (Was der Himmel erlaubt, 1955)