Mittwoch, 19. November 2014

Frankfurt Kaiserstraße (1981) Roger Fritz

Inhalt: Rolf (Dave Balko) möchte noch ein letztes Mal mit seiner Freundin Susanne (Michaela Karger) schlafen, bevor er am nächsten Tag seinen Wehrdienst bei der Bundeswehr in Frankfurt antreten muss. Leider werden sie von ihrem Vater (Horst Richter) gestört, der gar nicht begeistert von Rolf ist, und dessen Vater ebenfalls froh ist, dass sein Sohn für 15 Monate aus dem Taunus-Städtchen verschwindet. Doch sie haben die Rechnung ohne Susanne gemacht, die spontan entscheidet, nach Frankfurt zu ziehen, um in der Nähe Rolfs zu bleiben – zu ihrem Onkel Ossi (Kurt Raab), der in einer festen Beziehung mit Tonino (Gene Reed) in der Kaiserstraße lebt.

Dort entwickeln sich parallel dramatische Ereignisse. Von Johnny Klewer (Hanno Pöschl) eingefädelt, verüben zwei seiner Männer einen Bombenanschlag auf einen konkurrierenden Geschäftsmann. Es geht um die Macht in der Drogen- und Bordell-Szene. Klewer ist für seine geschickte Anwerbung junger Prostituierter bekannt. Erst gibt er sich charmant und großzügig, bis er die verliebten Mädchen auf den Strich schickt. Auch die hübsche Susanne fällt ihm sofort ins Auge…


Roger Fritz, Ende des 2. Weltkriegs knapp 9 Jahre alt, wuchs als Mitglied der ersten Nachkriegs-Generation inmitten der sozialen Veränderungen der 50er Jahre auf und erlebte intensiv die Phase früher Jugendauflehnung und des Rock'n Roll, wie sie in dem nach einem Will Tremper Drehbuch entstandenen Film "Die Halbstarken" (1956) thematisiert wurde. Nicht zufällig verdankte er einer Bildreportage über diesen Film den Start seiner Karriere als Schauspieler, denn die Nähe zum Zeitgeist zeichnete auch seinen weiteren Fortgang als Drehbuchautor und Regisseur aus. Nachdem er Luchino Visconti bei dessen Episode für "Boccaccio '70" (1962) assistiert hatte, schuf er mit Filmen wie "Mädchen, Mädchen" (1967) oder "Mädchen mit Gewalt" (1970) exemplarische Werke über die entstehenden sozialen Konflikte auf Grund der fortschreitenden sexuellen Liberalisierung und Emanzipationsbewegung.

Danach folgte ein Jahrzehnt mit TV-Arbeiten und intensiverer Schauspiel-Tätigkeit bis Fritz parallel zu seinen Engagements unter der Regie Rainer Werner Fassbinders ("Berlin Alexanderplatz" (1980), "Lili Marleen" (1981)) noch einen letzten Kinofilm drehte - ausgerechnet eine Produktion der "Lisa-Film", die ihren Erfolg seit Mitte der 60er Jahre Exploitation-Filmen ("El caníbal" (Jungfrau unter Kannibalen, 1980)) oder Sex-Komödien ("Drei Schwedinnen in Oberbayern" (1977)) verdankte. Auch "Frankfurt Kaiserstraße" schien diese Erwartungen zu erfüllen, denn keine Großstadt-Region hatte Anfang der 80er Jahre einen schlechteren Ruf in Sachen Drogen-Kriminalität und Prostitution als Frankfurts Bahnhofsviertel – genau der richtige Stoff für ein Publikum, dass nach moralischen Abgründen gierte.

Entsprechend plakativ kommt der Film zur Sache. Nachdem Hauptdarstellerin Michaela Karger, eine ganz dem damaligen Schönheitsideal entsprechende junge Frau, in ihrer Rolle als noch nicht 18jährige Susanne in einer Liebesszene mit ihrem Freund Rolf (Dave Balko) blank gezogen hatte, wird der zentrale Handlungsort „Frankfurt Kaiserstraße“ mit einem perfiden Bomben-Anschlag zwischen rivalisierenden Banden vorgestellt. Hanno Pöschl als schmierig-schöner Zuhälter Johnny Klewer versucht auf diese Weise sein Macht-Territorium auszubauen und verfügt selbstverständlich über die notwendigen Aufreißer-Utensilien wie Cabriolet und ein feudales Liebesnest, um naive Mädchen erst verliebt und dann zu Prostituierten zu machen. Die Story bemühte sich gar nicht erst, irgendein Klischee auszulassen, sondern entwarf vor dem Hintergrund von Bordellen, Nachtclubs und Sex-Shops einen anti-bürgerlichen Mix, in denen Gewalt und wechselnde Sexual-Partner selbstverständlich zu sein scheinen.

Trotz dieser reißerischen Anlage, widerstand Roger Fritz der naheliegenden Versuchung, die Vorurteile gegenüber den hier lebenden Menschen zu bestätigen, sondern nahm sie ernst mit ihren alltäglichen Problemen. Damit bewies er erneut Gespür für eine Zeit, deren liberale Anmutung täuschte. Zwar hatten sich die sozialen Veränderungen in den 70er Jahren manifestiert, wurde die Pornografie legalisiert und der Paragraf 1356 BGB modernisiert, der bis 1977 geregelt hatte, dass Frauen nur mit Erlaubnis des Ehemanns (oder Vaters) eine Arbeit annehmen durften, aber in den Köpfen war das vielfach noch nicht angekommen. Besonders der Kontrast Stadt/Land war nach wie vor groß, weshalb Susannes spontane Entscheidung, ihr Elternhaus und damit ihren autoritären Vater (Horst Richter) zu verlassen und zu ihrem schwulen Onkel Ossi (Kurt Raab) nach Frankfurt zu ziehen, kein selbstverständlicher Schritt war. Sie will in Rolfs Nähe sein, der dort seinen Wehrdienst antreten muss.

Auch dessen Ärger mit seinem Vater, als dieser erfährt, dass er mit der Tochter des örtlichen Gasthofbesitzers eine intime Beziehung hat, weshalb er Schwierigkeiten innerhalb der dörflichen Gemeinschaft befürchtet, beruhte auf einer tief verankerten Doppelmoral, die Susannes Vater Sex  mit seiner Angestellten erlaubte, die Liebesbeziehung zwischen den beiden jungen Menschen aber untersagte. In der Beschreibung dieses Konfliktpotentials, das sich mit Susannes Ankunft in der ihr unbekannten Großstadt noch steigert, verzichtete Fritz auf Übertreibungen. Zwar bekommt Rolf – nicht bereit, sich klaglos unterzuordnen -  Probleme bei der Grundausbildung mit seinem Zugführer, braucht Susanne einen Job und tauchen erste Missverständnisse zwischen den Liebenden auf, die sich jeweiligen Versuchungen ausgesetzt sehen, aber davon erzählt der Film mit einer nachvollziehbaren Normalität, die in direktem Gegensatz zum hartgesottenen „Kaiserstraßen“-Klischee steht.

Susannes strenger Vater steckt seiner Tochter noch Geld zu, bevor sie ihn in Richtung Frankfurt verlässt. Die Szenen bei der Bundeswehr kommen trotz des geltungsbedürftigen Obergefreiten, Saufgelagen und Rolfs kurzem Knastaufenthalt wegen unerlaubter Entfernung von der Truppe ohne die typischen Militär-Extreme aus, sondern beschreiben das stimmige Bild einer Armee zwischen autoritärer Vergangenheit und langsam durchdringender Demokratisierung. Obwohl Rolf fremdgeht, hat die Liebesbeziehung zwischen ihm und Susanne noch eine Chance, aber besonders der selbstbewussten, ihre Sexualpartner frei wählenden Chris (Ute Zielinski) und dem schwulen Paar Tonino (Gene Reed) / Onkel Ossi begegnete Fritz mit einer Selbstverständlichkeit und Sympathie, die keineswegs die Meinung der damaligen Mehrheit widerspiegelte.

Vielleicht lässt sich darin der Grund finden, warum „Frankfurt Kaiserstraße“ trotz der Sex-Szenen und seines Exploitation-Charakters nie den Status eines „Party-Films“ erlangte und heute nahezu vergessen ist. Der von Roger Fritz mit Laiendarstellern (für Michaela Karger, Ute Zielinski und Rolf Belko blieben es die einzigen tragenden Rollen) und Kollegen aus dem Fassbinder-Kreis (Kurt Raab, Hanno Pöschl, Isolde Barth) gedrehte Film passt in kein Schema – reißerisch und plakativ aufgemacht, verbirgt sich dahinter ein sensibler, über das Frankfurter Lokalkolorit hinausgehender Blick in die frühen 80er Jahre, verbunden mit einem hohen Maß an Toleranz für seine Figuren. Leider wurde es Roger Fritz‘ letzte Regie-Arbeit.

Lief als Eröffnungsfilm des 1. Auswärtigen Sondergipfel des Hofbauer Kommando in Frankfurt/Main vom 07. bis 09.11.2014

"Frankfurt Kaiserstraße" Deutschland 1981, Regie: Roger Fritz, Drehbuch: Georg EnsorDarsteller : Michaela Karger, Dave Balko, Hanno Pöschl, Kurt Raab, Ute Zielinski, Gene ReedLaufzeit : 87 Minuten

weitere im Blog besprochene Filme von Roger Fritz:

Freitag, 14. November 2014

Tanja - die Nackte von der Teufelsinsel (1967) Julius Hofherr

Inhalt: Bei ihrem Versuch, mit ihrem Auto weiter in ein Waldgebiet hinein zu fahren wird Tanja (Anne Famos) von einem Jäger (Gregor Uhlberg) aufgehalten. Nachdem sie ihr Fahrzeug abgestellt hat, lässt er es sich nicht nehmen, der jungen Biologie-Studentin, die mit ihrem Fotoapparat die Tierwelt dokumentieren möchte, die schönsten Einblicke in diesen Landstrich zu zeigen. Leider kann er sich ihr nur kurz widmen, da er am nächsten Tag zu einer Weiterbildung muss - nicht aber, ohne sie auf eine kleine Bergsee-Insel hinzuweisen, deren Natur noch unberührt ist. Dass diese den Namen „Teufels-Insel“ trägt, hält Tanja für einen Scherz.

Mit einem Ruderboot gelangt sie zum anderen Ufer, um ein paar Tage allein in der freien Natur zu verbringen. Begeistert von der Tier- und Pflanzenwelt der Insel, entledigt sie sich bald aller Kleidung und begibt sich auf Entdeckungstour…


Nur einmal kurz zu Beginn des Films zeigen sich die Spuren der Zivilisation, als Tanja (Anne Famos) von dem Jäger (Gregor Uhlberg) gebeten wird, nicht weiter mit ihrem Auto in den Wald hinein zu fahren. Die junge Biologiestudentin folgt dem erfahrenen Waidmann und lässt sich von ihm die hiesige Tierwelt zeigen, die sie mit ihrer Kamera dokumentieren möchte. Offensichtlich ungern lässt er die hübsche Blondine allein, um an einer Weiterbildung teilzunehmen, aber nicht ohne ihr noch einen Tipp zu geben. Inmitten eines Bergsees befindet sich eine menschenleere Insel, genannt „Die Teufelsinsel“, mit einer unberührten Fauna und Flora – ideal für die Beobachtung der Natur. Nur mit leichtem Gepäck versehen wechselt Tanja zum anderen Ufer, schläft in einem kleinen Zelt und wird zunehmend eins mit ihrer Umgebung. Erst noch notdürftig mit einem Bikini aus geflochtenen Gräsern bekleidet, entledigt sie sich bald jeden Ballasts und wird Teil der Natur.

Der Filmtitel suggeriert Erotik und Suspense, aber das täuscht. Viel mehr geschieht nicht in "Tanja - die Nackte von der Teufelsinsel", dessen intensive Tier- und Landschaftsaufnahmen zur Entschleunigung einer knapp über 60 Minuten andauernden Handlung beitragen, in der die schöne Nackte mit derselben Unschuld betrachtet wird wie die unberührte Natur. Außer in einer kurzen Episode mit zwei jungen Frauen, die Tanja mit Proviant versorgen und sich sogleich unverkrampft ihrer natürlichen Lebensweise anschließen, bleiben Dialoge sparsam – begleitet wird die Handlung nur von gelegentlichen an Wilhelm Busch erinnernden Schüttelreimen aus dem Off, die ein wenig unfreiwillige Komik verbreiten.

Trotz der geschickten Montage des Schwarz-Weiß-Films lässt sich nicht übersehen, dass er aus zwei unabhängig gedrehten Teilen zusammengesetzt wurde. Die Spielhandlung um Tanja dient als Leitfaden für die dokumentarischen Tieraufnahmen, deren Bandbreite weit über die Fauna einer kleinen Bergsee-Insel hinausgeht – einmal erklettert Tanja sogar Felsgestein, um Gemsen zu beobachten. Gedreht wurden die Tanja-Szenen offensichtlich am Ufer eines Sees, aber die Insel als Handlungsort hatte - neben der Legende um einen angeblich hier hausenden Teufel - die Funktion, die Abgeschiedenheit Tanjas von ihrer Außenwelt noch zu betonen. Herausgekommen ist ein Film, der sich in seiner Mischung aus Naturdokumentation und Nacktaufnahmen unter Verzicht auf jede Handlungszuspitzung jeder Einordnung entzieht und doch ein Abbild der soziokulturellen Veränderungen nach dem Krieg wurde.

Die Faktenlage ist dünn. Von Regisseur, Drehbuchautor und Kameramann in Personalunion Julius Hofherr lässt sich kein anderes Werk finden, Tanja-Darstellerin Anne Famos spielte noch eine Nebenrolle in Schott-Schöbingers "Andrea - ein Blatt im Wind" (1968) und über die übrigen Darsteller, von denen nur der als Jäger agierende Gregor Uhlberg namentlich aufgeführt wurde, ist nichts bekannt. Die Spur führt zu Produzent Hubert Schonger, der auch als Regisseur und Drehbuchautor schon auf ein sehr umfangreiches Oevre zurücksehen konnte, in dessen Mittelpunkt Naturaufnahmen, Märchen- und Heimatfilme standen. Schon 1923 gründete er die Produktionsgesellschaft „Naturfilm Hubert Schonger“, unter deren Ägide in den 20er und frühen 30er Jahren eine große Anzahl Natur- und Kulturfilme („Storch in Not“, 1927), aber auch Sportfilme („Die deutschen Leichtathleten rüsten zur Olympiade“, 1928) und Auftragsarbeiten für die NSDAP entstanden („Hakenkreuz am Stahlhelm“, 1933). Wahrscheinlich stammen große Teile der Tieraufnahmen in „Tanja – die Nackte von der Teufelsinsel“ aus diesem Fundus, wofür auch die teilweise sehr grobkörnigen Aufnahmen sprechen.

Ab Mitte der 30er Jahre konzentrierte sich Schonger zunehmend auf Märchenfilme (Schneeweißchen und Rosenrot“ 1938), bevor er mit „Bergkristall“ (1949, Regie Harald Reinl), einen der ersten Heimatfilme nach dem Krieg produzierte, bei dem er auch am Drehbuch mitwirkte. Neben den Märchenfilmen folgten weitere Heimatfilme („Hubertusjagd“ 1959), aber die neugegründete „Schlongerfilm GmbH“ förderte auch junge Regisseure wie Peter Fleischmann, Marran Gosov und Klaus Lemke, die zu den Protagonisten des „Neuen deutschen Kinos“ gehören. Kurz vor „Tanja – die Nackte von der Teufelsinsel“ produzierte er Lemkes Kurzfilm „Henker Tom“ (1966) mit Werner Enke in der Hauptrolle, der wenig später Berühmtheit in dem Schwabing-Film „Zur Sache Schätzchen“ (1968) erlangen sollte. Parallel drehte Marran Gosov den 20minüter „Pfeiffer“ (1967) mit Marthe Keller, bevor er ein Jahr später die erotische Komödie „Engelchen – oder die Jungfrau von Bamberg“ (1968) herausbrachte.

Offensichtlich stand Schonger dem jungen deutschen Kino nah, aber mehr noch setzte „Tanja - die Nackte von der Teufelsinsel“ die inhaltliche Linie zwei seiner eigenen Regie-Arbeiten fort. Schon der in der Schweiz entstandene „Paradies auf Erden“ (1950, auch bekannt als „Das nackte Paradies“) und „Paradies ohne Sünde“ (1963) nach einem Drehbuch Peter Fleischmanns kombinierten die Schönheit der Natur mit dem Wunsch nach einem freien, ungezwungenen Leben. Das „Paradies“ verstand sich als ein Ort natürlicher Nacktheit wie er auch in „Das verbotene Paradies“ (1958) über die Entstehung der Freikörperkultur thematisiert wurde. Dieser spielerische, die parallele Hippie-Bewegung zitierende Charakter zeichnet auch „Tanja - die Nackte von der Teufelsinsel“ aus, der trotz des für seine Entstehungszeit hohen Anteils an Nacktaufnahmen keinen Voyeurismus bediente, sondern beinahe märchenhafte Züge annahm.

"Tanja - die Nackte von der Teufelsinsel" Deutschland 1967, Regie: Julius Hofherr, Drehbuch: Julius Hofherr, Darsteller : Anne Famos, Gregor UhlbergLaufzeit : 63 Minuten

Lief am dritten Tag des 1. Auswärtigen Sondergipfel des Hofbauer Kommando in Frankfurt/Main vom 07. bis 09.11.2014

Dienstag, 11. November 2014

Tausend Takte Übermut (1965) Ernst Hofbauer

Die Männer (Thomas Alder und Kurt Liederer) haben einen Plan
Inhalt: Die Plattenfirma „Melodia“ steht kurz vor der Pleite, da sie nicht über genug Zugpferde verfügt, die Umsatzzahlen versprechen. Deshalb sollen Firmenanwalt Dr. Peter Hold (Kurt Liederer) und Manfred Reiner (Thomas Alder) an die italienische Adria-Küste fahren, wo die so erfolgreiche, wie exzentrische Sängerin Sherry Davis (Hannelore Auer), begleitet von ihrer Privatsekretärin gerade ihren Urlaub verbringt, verbunden mit einigen Gesangs-Auftritten. Manfred Reiner soll seinen Erfolg bei Frauen auch bei der vor kurzem geschiedenen Sherry wirken lassen, um sie als Ehefrau fest an die „Melodia“ zu binden. Dafür hat er einen psychologisch ausgefeilten Plan geschmiedet, den er am Urlaubsort angekommen sogleich in die Tat umsetzt. Er will die eitle Sherry mit Missachtung strafen, wodurch er sich ihre Aufmerksamkeit verspricht.

Das Objekt ihrer Begierde (Hannelore Auer)
Doch er ist nicht der Einzige, der etwas im Schilde führt. Michaela Andreas (Margitta Scherr) checkt als glamouröse Erscheinung im Hotel ein, um den Vater ihres Verlobten (Gus Backus), ihren Chef Robert Hilman (Harry Hardt), von sich zu überzeugen, denn dieser ist gegen ihre Verbindung, da er sie für eine „graue Maus“ hält. Er ahnt nicht, dass sie weiß, dass er inkognito in seinem eigenen Hotel als Gast nach dem Rechten sehen will…







Schlagerfilm goes Erotikfilm - das langsame Ende eines Genres

Vater (Harry Hardt) und Sohn (Gus Backus) sind unterschiedlicher Meinung
Ernst Hofbauers zweiter Schlagerfilm "Tausend Takte Übermut" blieb nach "Ferien in St.Tropez" (1964) nicht nur sein letzter Ausflug in die seit den frühen 50er Jahren populären Kino-Filme um aktuelle Gesangsstars und Sternchen, sondern wurde einer der letzten Vertreter dieses aussterbenden Genres, das vor der tagesaktuelleren Fernseh-Konkurrenz kapitulierte. Auch für Vivi Bach, mit mehr als zehn Schlagerfilmen seit ihrem Debüt in "Gitarren klingen leise durch die Nacht" (1960) die wichtigste Protagonistin der Spät-Phase des Genres, leitete "Tausend Takte Übermut" das Ende ihrer Kino-Karriere ein. In "Komm mit zur blauen Adria" (1966), einem ähnlich konzipierten Schlagerfilm, der wenig später ebenfalls nach einem Drehbuch Thomas Billians entstand, hatte sie nur noch einen Gastauftritt - eine ohne Zusammenhang zur eigentlichen Handlung hinein geschnittene, früher gedrehte Gesangsszene.

Manfred Schnelldorfer als singender Taxifahrer
Parallel zu „Tausend Takte Übermut“ produzierte Dr. Karl-Heinz Busse noch „Ich kauf‘ lieber einen Tirolerhut“ (1965), der nur drei Wochen später in den deutschen Kinos anlief. Billian hatte neben dem Drehbuch auch die Regie übernommen, assistiert von Gündisch, aber trotz Gus Backus, Hannelore Auer und Manfred Schnelldorfer auf dem Höhepunkt seiner kurzen Karriere als Schlagersänger konnte der Niedergang nicht mehr aufgehalten werden, wurde diese Produktion auch die letzte für Busse, der als Drehbuchautor im Heimatfilm begonnen hatte („Die Fischerin vom Bodensee“, 1956), bevor er zwischen 1962 und 1965 noch sechs späte Musikfilme beisteuerte. Ernst Hofbauer setzte seine Regie-Tätigkeit stattdessen bei „Die Liebesquelle“(1966) fort - mit Hans-Jürgen Bäumler in der Hauptrolle, der Schnelldorfer nicht nur als Eiskunstlauf-Star ablöste. Damit bewies Hofbauer früh Weitsicht, denn trotz der Heimatfilm-Komödien-Attitüde, machte der Film aus seiner sexuellen Ausrichtung kein Geheimnis mehr, setzte ausführlich auf Nuditäten und gab ihm die Gelegenheit, die erotischen Anspielungen seiner Schlagerfilme zu konkretisieren.

Der Geschäftsführer (Fritz Benscher) verfolgt eigene Interessen
In den 50er Jahren wurde noch versucht, den sexuellen Subtext des Musikfilms mit seinen leicht geschürzten Sängerinnen und Tänzerinnen mit möglichst tugendhaftem Verhalten der Protagonisten zu deckeln. Inzwischen durfte das Genre dank der fortschreitenden Liberalisierung mehr wagen - eine Konsequenz, die die seltsamsten Blüten trieb, denn so sehr es die Frauen und Männer zwischendurch krachen ließen, zuletzt hatte alles wieder seine schönste „Pärchen“-Ordnung. In dieser Hinsicht bildet auch „Tausend Takte Übermut“ keine Ausnahme, aber bis am Ende jedes Töpfchen sein Deckelchen findet, verzichtete Hofbauer anders als noch in „Ferien in St.Tropez“ auf familiäre Elemente und ließ keinen Zweifel daran, worum es tatsächlich geht – um Sex.

Vater und Sohn mit der begehrten Michaela (Margitta Scherr)
Zwar wurde die Handlung erneut an Mittelmeer-Gestaden angesiedelt – diesmal geben die italienische Adria und Venedig den stimmigen Hintergrund ab – aber Urlaub macht hier keiner der Protagonisten. Als Anlass der Story dient die drohende Pleite der Plattenfirma „Melodia“, weshalb Manfred Reiner (Thomas Alder), begleitet von seinem Freund und Anwalt Dr. Peter Hold (Kurt Liederer), mit dem Auftrag nach Italien geschickt wird, die glamouröse Sängerin Sherry Davis (Hannelore Auer) zu verführen, damit sie einen Vertrag bei seiner Firma unterschreibt. Während Reiner seine vermeintlich erfolgsversprechende Strategie bei der exzentrischen Sängerin anwendet, will Industriellen-Sohn Frank (Gus Backus) seinem Vater Robert Hilman (Harry Hardt) seine Braut schmackhaft machen. Dem präsidialen Hilman ist die in seiner Firma arbeitende, ihm persönlich unbekannte Sekretärin Michaela Andreas (Margitta Scherr) als Schwiegertochter zu wenig vorzeigbar, aber ihr gelingt es mühelos, den an die Adria gereisten Senior vom Gegenteil zu überzeugen.

Gunter Phillip (noch) in seinem Element
Auch sein Aufenthalt kommt nicht ohne Hintergedanken aus, denn er will inkognito als Gast die Qualitäten seines Hotelpersonals überprüfen, die sich als äußerst dürftig erweist, da der Geschäftsführer Theodor Rassel (Fritz Benscher) und sein Portier Pizzanini (Fritz Korn) vor allem an ihrer persönlichen Bereicherung interessiert sind. Größtenteils verbringt Hilman aber seine Zeit mit der reizvollen Michaela, was seinen Sohn später zu der Bemerkung verleitet, warum er sie nicht gleich selbst heiratet. Nicht ganz unbegründet, denn zwischen dem Alten und der jungen Frau knistert es deutlich mehr als zwischen dem geplanten Liebespaar. Leider kommt es nicht zu dieser Konsequenz, ebenso wie Gunther Phillip in gewohnter Aufschneider-Rolle nicht den drei Mädels frönen darf, die ihm generös von der Hotelleitung zur Verfügung gestellt wurden. Bevor er zum Zuge kommt taucht seine Ehefrau (Edith Hancke) auf, die den Möchtegern-Casanova brachial zur Räson bringt.

Vivi Bach als witzige Telefonistin
Doch diese Konzessionen lassen nicht übersehen, mit welcher Ironie Billian und Hofbauer an den Filmstoff herangingen, bekannte Verwechslungs-Komödienelemente zitierten – Gunther Phillip wagte sogar den Jerry-Lewis-Sprung – und den italienischen Schlagersänger Peppino di Capri mit Besen als Arbeiter auf dem Hoteldach inszenierten, was heute noch lässig wirkt. Besonders Vivi Bach, in „Holiday in St.Tropez“ gewohnt seriöser Mittelpunkt des irren Geschehens, bewies hier ihr komödiantisches Talent und persiflierte ihre Rolle als blonder Blickfang. Selbstverständlich kommt am Ende auch sie wieder unter die Haube, ebenso wie das geschiedene Schlagerpaar Hannelore Auer und Rex Gildo als „Rick Tanner“ wieder zusammenfindet, aber diesen am Ende im Minuten-Takt verabreichten Happy-Ends fehlt jede Ernsthaftigkeit, um das zuvorige frivole Treiben noch zu kaschieren.

"Tausend Takte Übermut" Deutschland 1965, Regie: Ernst Hofbauer, Drehbuch: Hans Bilian, Max Rottmann, Darsteller : Vivi Bach, Hannelore Auer, Thomas Alder, Kurt Liederer, Rex Gildo, Gunther Phillip, Harry Hardt, Fritz Benscher, Gus Backus, Edith Hancke, Margitta Scherr, Adi BerberLaufzeit : 93 Minuten

Lief am ersten Abend des 1. Auswärtigen Sondergipfel des Hofbauer Kommando in Frankfurt/Main vom 07. bis 09.11.2014

weitere im Blog besprochene Filme von Ernst Hofbauer:

"Holiday in St.Tropez" (1964)
"Schwarzer Markt der Liebe" (1966)
"Schulmädchen-Report - Was Eltern nicht für möglich halten" (1970)