Montag, 26. Oktober 2015

Die Nichten der Frau Oberst (1980) Erwin C.Dietrich

Inhalt: „Frau Oberst“ Yanne (Karine Gambier), junge Witwe eines Offiziers, sorgt sich um ihre hübschen Nichten Florentine (Pascale Vital) und Julia (Brigitte Lahaie), die sich mehr miteinander vergnügen als mit Männern. Dabei steht Stallknecht Erik (Eric Falk) immer zur Verfügung und Florentine wird heftig von Simon (Mike Montana) umworben, der sie heiraten möchte. Selbstverständlich will sich die Angebetete vorher von dessen Qualitäten als Liebhaber überzeugen.

Auch für Julia hat Frau Oberst schon einen geeigneten zukünftigen Ehemann im Blick, einen Maler, den sie zuerst selbst ausprobieren will. Als sie sich in seiner Nähe über einen Maiskolben hermacht, braucht er nicht lange, um sie mit etwas Geeigneterem zu beglücken, womit er seine Prüfung schon bestanden hat. Auch auf dem von ihr geleiteten Gutshof kommt Bewegung in die Beziehungs-Konstellationen, nur „Frau Oberst“ scheint ihr Witwendasein noch allein fristen zu müssen…


Das "Nichten" - Double von 1968 und 1980 wirkt angesichts der selben Hintermänner Erwin C.Dietrich, Peter und Walter Baumgartner, sowie der Romanvorlage von Guy de Maupassant wie Original und Remake - oder wie der zweite Versuch, die Kuh nochmal zu melken. Eine oberflächliche Betrachtungsweise, denn die beiden Versionen stehen für den Anfang und das Ende der Karriere von Erwin C.Dietrich als Regisseur und mit Abstrichen auch als Drehbuchautor und Produzent. 

Und damit des Mannes, der den deutschsprachigen Sex-Film nicht nur prägte, sondern mehr als jeder Andere über die gesamte Phase von Mitte der 60er Jahre bis zu den frühen 80er Jahren intensiv begleitete - und damit alle Bewegungen des jungen, unmittelbar auf die soziokulturellen Veränderungen reagierenden Genres miterlebte. Der Vergleich beider Versionen gibt dank der ähnlichen Voraussetzungen einen Einblick in dessen rasante Entwicklung vom Aufstieg bis zum einsetzenden Niedergang.


Erbost unterbricht "Frau Oberst" (Karine Gambier) ..
Seit "Die Nichten der Frau Oberst" 1968 zum Publikumsrenner geworden waren, hatte es Erwin C.Dietrich wiederholt verstanden, Erfolgsformeln am Kinomarkt zu nutzen. "Mein Bett ist meine Burg" nannte sich der 1969 erschienene 2.Teil über die Nichten, in dem er zuvor nicht genutzte Szenen verarbeitete, und mit "Weiße Haut auf schwarzem Markt" (1969) sowie "Schwarzer Nerz auf zarter Haut" (1970) setzte er auf die Erinnerung des Publikums an seine frühe Produktion "Schwarzer Markt der Liebe" (1966). Zu einem Zeitpunkt, als Pornografie in Deutschland noch nicht legalisiert war, wandelte Dietrich die US-Porno-Filme "The devil in Miss Jones" und "Whatever happened to Miss September?" von 1973 in eine Softcore-Variante für den deutschen Markt. Obwohl beide Filme kaum Parallelen zu ihren berühmt-berüchtigten Vorbildern aufwiesen, spielten deren Titel "Der Teufel in Miss Jonas" (1974) und "Was geschah wirklich mit Miss Jonas?" (1974) unmissverständlich darauf an. Und liefen ebenso erfolgreich in den Kinos wie Dietrichs diverse Mädchen-Filme, die es von "Mädchen mit offenen Lippen" (1972) bis "Mädchen im Nachtverkehr" (1976) auf acht Ausgaben brachten.

...die Vergnügungen ihrer Nichten 
Von 1979 bis 1983 folgten noch drei Filme über "Sechs Schwedinnen". Was läge da näher, als auch den 1980 gedrehten "Die Nichten der Frau Oberst" in diese Reihe einzuordnen? - Eine Betrachtungsweise, die auslässt, dass Dietrich zwar gerne mit ähnlich klingenden Titeln jonglierte, keinen Film aber konkret wiederholte. Zudem gelten 12 Jahre im Film-Business als großer zeitlicher Abstand, um sich an einen früheren Erfolg anzuhängen, im noch jungen Erotik-Genre umfassten sie eine ganze Epoche. Entsprechend stehen die beiden "Nichten" - Filme für nicht weniger als für den Anfang und das Ende einer Phase in Deutschland, die ausgehend von der Liberalisierung der 60er Jahre einen Boom erlebte, der ab der Legalisierung der Pornografie Mitte der 70er wieder abebbte und in den frühen 80er Jahren ausklang. Die 68er Verfilmung des Guy de Maupassant-Romans sorgte dank des großen Publikumszuspruchs für die notwendige Akzeptanz am deutschen Kino-Markt und die 80er Variante gehörte zu den letzten Softcore-Filmen unter Dietrich, dessen Karriere als Regisseur größtenteils zwischen diesen beiden Fixpunkten stattfand.

Julia (Brigitte Lahaie) und Florentine (Pascale Vital) begeben sich auf die Suche...
Die Unterscheidung Soft-/Hardcore ist eine Erfindung der späten 70er Jahre, denn als der erste "Nichten"-Film herauskam, konnte von Hardcore noch keine Rede sein. Mitte der 70er Jahre hatte auch Dietrich mit zwei Fassungen seiner Filme experimentiert, war aber während der Zusammenarbeit mit Jesùs Franco (siehe "Die 70er Jahre Erotik-Connection") wieder von den expliziten Darstellungen abgekommen und pflegte in seinen letzten Regie-Arbeiten eine rein auf das weibliche Geschlecht konzentrierte Sichtweise, die nur sanft die Grenze zur Pornografie streifte. Geschlechtsakt und männliche Attribute wurden nur angedeutet, während die dem Hardcore-Bereich entstammende Riege attraktiver Darstellerinnen unverkrampft vor der Kamera agierte. Allen voran Brigitte Lahaie, die in Dietrichs letzten Filmen zu seiner festen Größe wurde.

...nach Männern, doch die Dorfjugend erkennt ihre Chancen nicht
"Die Nichten der Frau Oberst" wirkt aus heutiger Sicht wie ein letzter Versuch, das nicht explizite erotische Genre noch über die Zeit zu retten. Dietrich kombinierte ausgiebige Nacktdarstellungen mit langen Einblendungen des historischen Anwesens und der landschaftlichen Umgebung, die Story selbst auf ein Minimum reduzierend. Damit befand er sich auf der Höhe der Zeit, denn auch der Hardcore-Film hatte die Hochphase des Story-Tellings schon überschritten, mit dem er in den 70er Jahren versuchte, explizite Darstellungen mit einer schlüssigen Handlung zu verbinden, um die Akzeptanz beim bürgerlichen Publikum zu erhöhen. Mit dem beginnenden Siegeszug des Videos und dem gleichzeitigen Sterben der großen Pornofilm-Kinos verschwand diese Absicht zunehmend zugunsten möglichst umfangreicher Darstellungen sexueller Interaktionen.

Da sind Simon (Mike Montana) und...
In Dietrichs Film halten sich die Damen entsprechend kaum mit hochgeschlossener Kleidung auf, sondern tragen nur das nötigste, dessen sie sich möglichst schnell entledigen können. Selbst beim Reiten ist Florentine-Darstellerin Pascale Vital fast nackt, überwindet bemerkenswert gut den Hindernis-Parcours und springt auch mit Stöckelschuhen elegant vom Pferd. In der Inszenierung der attraktiven Frauen liegt die Stärke des Films, gewohnt gekonnt von Kameramann Peter Baumgartner umgesetzt und mit Walter Baumgartners Filmmusik unterlegt, dem eine eingängige, die luftige Liebeswelt auf dem Land betonende Melodie gelang. Leider auch die einzigen Vorzüge eines Films, der sich in seiner 90minütigen Laufzeit zunehmend wiederholt, in dem er die Damen und größtenteils aus Bediensteten bestehenden Herren nach immer gleichem Muster in allen Variationen kombinierte.

...Erik (Eric Falk) von anderem Kaliber
Dass die 80er Variante moderner wirkt als der 68er Erstling scheint zwingend, liegt aber nicht nur an den ausgiebigeren Nacktaufnahmen, sondern dass sich seitdem nicht mehr viel im Softcore-Genre getan hat. Der reine Erotik-Film spielt in der deutschen Kinolandschaft seit den frühen 80er Jahren keine Rolle mehr. „Die Nichten der Frau Oberst“ markierten schon das Ende einer Entwicklung, die sich rasant von den stark reglementierten Filmen der 60er Jahre über die Report-Filme und krachledernen Sex-Komödien bis zur selbstzweckhaften Darstellung sexueller Handlungen bewegt hatte - bei gleichzeitigem Verlust erzählerischer Qualitäten. Der Verweis auf Guy de Maupassant ist hier nur noch Marketing, denn außer den weiblichen Vornamen und der für ihre Nichten sorgenden Tante blieb nichts mehr von der 1886 erschienenen Romanvorlage „Le cousine de collonelle“ übrig.

Doch vor der Verehelichung bedarf es noch des Urteils der Frau Oberst...
Dietrichs Drehbuch zur 68er Version hatte sich noch an Maupassant orientiert (siehe meine Analyse zu „Die Nichten der Frau Oberst“ (1968)), sein aktualisiertes Drehbuch basierte dagegen nur noch auf den damals schon gegenüber dem Roman vorgenommenen Änderungen. Sowohl die verjüngte, sexuell aktive Frau Oberst als auch deren promiskuitive Nichten kommen in Maupassants Roman nicht vor. Der französische Autor beschrieb sensibel die ersten erotischen Erfahrungen der beiden Schwestern innerhalb einer stark von Etiketten geprägten Gesellschaft. Ihre homoerotische Sexualität, die für Dietrich jeweils zum Auslöser seiner Filmhandlung wurde, findet erst zu Beginn des zweiten Teils statt, nachdem ihre Beziehungen zu ihren jeweils ersten Männern aus unterschiedlichen Gründen endeten. Maupassant begegnete ihrer lesbischen Liebe mit Sympathie, während Dietrich – ganz der Moral von 1968 verpflichtet – ihre empört reagierende Tante dazwischen gehen ließ.

...die auch gerne mit der Marquise (France Lomay) anbändelt
Wer nun glaubt, 1980 hätte sich dieses Ansinnen angesichts der inzwischen eingetretenen sexuellen Freizügigkeit geändert, irrt. Sex zwischen Frauen ist in „Die Nichten der Frau Oberst“ zwar an der Tagesordnung, aber nur zum voyeuristischen Vergnügen männlicher Zuschauer. Deren Selbstverständnis wird gar nicht erst in Frage gestellt, denn auch die bisher ausschließlich weiblichen Sinnenfreuden zugetane Marquise (France Lomay) wird am Ende von einem Mann „bekehrt“ – in dieser Hinsicht hatte sich bis 1980 nichts bewegt, blieb auch die zweite Nichten-Verfilmung im Vergleich zu Guy de Maupassants aus dem 19.Jahrhundert stammenden Roman rückständig.

"Die Nichten der Frau Oberst" Schweiz 1980, Regie: Erwin C.Dietrich, Drehbuch: Erwin C.Dietrich, Christine Lembach, Guy de Maupassant (Roman), Darsteller : Karine Gambier, Brigitte Lahaie, Pascale Vital, Eric Falk, Will Stoer, Mike Montana, France Lomay, Laufzeit : 90 Minuten

weitere im Blog besprochene Filme von Erwin C.Dietrich:

Freitag, 23. Oktober 2015

Die Nichten der Frau Oberst (1968) Erwin C.Dietrich

Inhalt: „Frau Oberst“ Clarissa (Kai Fischer), junge Witwe eines Offiziers, verbringt die Nacht mit Alexander (Heiner Hitz), der ihr am nächsten Morgen seine Liebe schwört und sie heiraten will. Amüsiert über so viel Begeisterung macht sie ihm schnell klar, worum es ihr wirklich geht und stellt ihm ihre zwei Nichten Florentine (Tamara Baroni) und Julia (Heidrun Hankammer) vor. Diese sind nach ihrem Geschmack zu sehr aneinander interessiert, weshalb sie sie schnell an den Mann bringen will. Florentine gefällt Alexander mehr als die scheinbar nur für ihre Pferde schwärmende Julia und er heiratet sie.

Doch auch für Julia hat „Frau Oberst“ schon einen Plan. Der Lebemann und Frauenheld Gaston (Claus Tinney) scheint ihr geeignet, Julia auf andere Gedanken zu bringen, aber nicht ohne ihn zuvor selbst eine Nacht für sich zu haben. Auch Gaston will sie sogleich am nächsten Morgen heiraten, soll sich aber um die zweite Nichte kümmern. Keineswegs ohne Erfolg, aber Julia verlangt zuerst geheiratet zu werden, bevor sie mit ihm ins Bett geht…


"Die Nichten der Frau Oberst hat vermutlich nicht nur mich und meine Zukunft verändert, sondern auch Diejenige der ganzen deutschen Kinowelt..." (Zitat Erwin C.Dietrich, E-Mail Interview 01/2015)

Klappte es im Bett bei "Frau Oberst" (Kai Fischer) noch wunderbar...
Diese von Erwin C. Dietrich in unterschiedlichen Publikationen zuvor schon in ähnlicher Form gemachte Aussage, lässt sich an Hand eindeutiger Fakten belegen. Dietrich selbst, der als Produzent begonnen hatte, um zunehmend als Drehbuchautor und Regisseur stärker in den Entstehungsprozess seiner Filme einzugreifen, kämpfte seit Jahren um das Überleben seiner Verleih- und Produktionsfirma. Seit seinem Einstieg ins Erotik-Genre mit "Schwarzer Markt der Liebe" (1966) hatte er weitere fünf erotische Filme herausgebracht - zuletzt "Hinterhöfe der Liebe" (1968) unter eigener Regie -, aber ein durchschlagender Erfolg wollte sich nicht einstellen. Immerhin hatte sich inzwischen ein festes Team herausgebildet, bestehend aus dem Kameramann Peter Baumgartner ("St.Pauli - zwischen Nacht und Morgen", 1967), dessen Onkel Walter Baumgartner als Filmkomponist ("...und noch nicht sechzehn", 1968) und den männlichen Darstellern Peter Capra ("Unruhige Töchter", 1968) und Claus Tinney ("Schwarzer Markt der Liebe").

...ging für Alexander (Heiner Hinz) bei Florentine (Tamara Baroni) nichts mehr.
Mit ihnen nahm Dietrich auch "Die Nichten der Frau Oberst" in Angriff, ergänzt durch attraktive Darstellerinnen, die bereit waren sich nackt vor der Kamera zu zeigen - 1968 alles andere als eine Selbstverständlichkeit. Entsprechend häufig war Dietrich auf Newcomerinnen angewiesen, die erst Erfahrungen als Schauspielerinnen in größeren Rollen sammeln mussten - teils mit Erfolg (Rosemarie Heinikel ("...und noch nicht sechzehn"), Ingrid Steeger ("Ich, ein Groupie", 1970)), teils ohne große Nachwirkungen. Das traf auch auf Heidrun Hankammer und die damalige italienische "Skandalnudel" Tamara Baroni in den Nichten-Rollen zu, die über ihr hübsches Äußeres hinaus nur wenig überzeugen konnten. Dafür hatte Dietrich mit Kai Fischer eine so erfahrene ("...denn das Weib ist schwach" (1961)) wie erotische Schauspielerin für die Rolle der Frau Oberst engagieren können, die sich aber entgegen ihrer früheren Aussage bei den Dreharbeiten nicht mehr ausziehen wollte.

Weder Tropfen...
Neben der Regie kümmerte sich Erwin C. Dietrich auch selbst um das Drehbuch, so dass sich das Gesamtpaket kaum von seinen Vorgängern unterschied. Trotzdem wurde „Die Nichten der Frau Oberst“ zum erfolgreichsten Film des Jahres 1968, der die kommerzielle Basis nicht nur für Dietrichs zukünftige Filmproduktionen schuf, sondern generell zum Durchbruch für den erotischen Unterhaltungsfilm im prüden Deutschland wurde. Der Anfang 1968 in die Kinos gekommene Oswald-Kolle-Film „Das Wunder des Lebens“ (Regie Franz-Josef Gottlieb) musste sich mit seiner dokumentarisch-aufklärerischen Schwarz-Weiß-Optik noch vom verpönten Sex-Film abgrenzen. Trotzdem verzeichnete er schon hohe Besucherzahlen, konnte aber mit Dietrichs Film nicht mithalten, obwohl dieser schlechte Kritiken erhielt:

„Film ist größte Scheiße des Jahrhunderts! Zurückziehen!“

...noch Kneippkur helfen
telegrafierte der Düsseldorfer Avis-Filialleiter Koschella (Quelle „Mädchen, Machos und Moneten“, Eppenberger/Stapfer) an Dietrich, kurz nachdem der Film in die Kinos gekommen war. Doch dann nahmen die Kartenverkäufe in einem Ausmaß zu, der auch für die Beteiligten überraschend kam – der Versuch einer Erklärung:


Die Nichten kommen

Seine Frau amüsiert sich derweil woanders
Im Gegensatz zu seinen ersten Erotik-Produktionen legte Dietrich seinen neuen Film massenkompatibler an und verzichtete sowohl auf exploitive Elemente, als auch einen zu starken Bezug zur Gegenwart. Spielte Bénazérafs avantgardistischer „St.Pauli – zwischen Nacht und Morgen“ im Unterwelt-Milieu, spitzte die Story um „Unruhige Töchter“ die sich verändernden Geschlechterrollen zu und war „…und noch nicht sechzehn“ ein Konglomerat aus Crime, sexueller Revolution und frivolem Gesang, erging sich „Die Nichten der Frau Oberst“ in langen Einblendungen einer sonnenüberfluteten mediterranen Landschaft. Eine prächtige Villa und schön eingerichtete Räume gaben den Hintergrund für ein luxuriöses Landleben, das genügend Zeit für lange Ausritte, ein erfrischendes Seebad oder das obligatorische Liebesleben beließ – entsprechend sparsam und ruhig blieb der Erzählfluss.

Die Naturaufnahmen erinnern an "Tanja - die Nackte von der Teufelsinsel" (1967)
Die so erzeugte Wirkung auf das damalige Publikum ist nicht zu unterschätzen. Nacktheit und sexueller Lust wurden die Direktheit und damit das Anrüchige genommen, einzig Frau Oberst (Kai Fischer) als erfahrene Witwe darf es ein wenig krachen lassen. Die Zurückhaltung in der erotischen Inszenierung lässt sich gut an einer späten Szene ablesen, die von Florentines (Tamara Baroni) Betrug an ihrem Ehemann Alexander (Heiner Hitz) erzählt. Während Alexander in Kur verweilt, vertreibt sich seine Frau mit einem Schönling die Zeit an südlichen Gestaden. In langsamem Rhythmus wechselt der Film die Perspektive zwischen den Eheleuten, bis Alexander, der seine Frau überraschend besuchen wollte, sie aus Entfernung beim Liebesspiel am Strand beobachtet – und ohne Einzugreifen wieder davon geht. Trotz der aktuellen Optik, der modischen Kleidung und zeitgeistigen Sprache, haftete dem Film etwas Altmodisches an, schien er sich nicht zwischen 19. und 20. Jahrhundert entscheiden zu können. Genauer - zwischen Maupassants Erzählung und einer modernen Interpretation des Stoffs.

„Dietrichs Recherchen ergaben, dass der echte Maupassant eine Erzählung mit diesem Titel nie verfasst hatte, das beworbene Buch demnach das Werk eines neueren Ghostwriters sein musste, der das Buch dem bekannten französischen Romancier unterschob.“ (Quelle „Mädchen, Machos und Moneten“, Eppenberger/Stapfer)

Gaston (Claus Tinney) lässt sich von "Frau Oberst" nicht mehr überreden...
Ein Irrtum, denn Guy de Maupassant veröffentlichte „Les Cousines de la Colonelle“ 1886 gemeinsam mit anderen Geschichten, weshalb er nicht als originärer Romantitel existiert. Ob die in einer Illustrierten auf Deutsch veröffentlichte Erzählung, auf die der Regisseur damals aufmerksam wurde, frei umgesetzt wurde oder ob Dietrich sich die Ausgangssituation selbst erdachte, entzieht sich meiner Kenntnis. Zumindest die überall im Internet verbreitete Inhaltsangabe des Maupassant-Romans ist falsch und ein Beispiel für die unkritische Übernahme nicht selbst recherchierter Texte. Anders als im Film, in dem die Tante die beiden Schwestern beim gemeinsamen Liebesspiel erwischt, sind Florentine und Julia bei Maupassant zu Beginn noch sexuell unerfahren. Sie werden von ihrer über 60jährigen Tante nicht an den Mann gebracht, um voneinander abzulassen, sondern um sie für die Zukunft abzusichern – dabei penibel auf Etikette und Moral achtend.

...verzockt erst sein Geld beim Roulette...
Nach der Vermählung von Florentine mit dem viel älteren, aber sehr wohlhabenden Georges beschreibt Maupassant ihre sexuelle Erweckung so erotisch wie einfühlsam. Florentine, die nichts vom männlichen Geschlecht weiß, begreift zuerst nicht, dass sie noch gar nicht entjungfert wurde, weil ihr Mann Erektionsstörungen hatte. Hier zeigen sich erste Parallelen zu Dietrichs Drehbuch. Dieser verjüngte zwar die Tante und ließ sie zuerst mit den für ihre Nichten gedachten Männern schlafen, aber die weitere Entwicklung entsprach Maupassants Vorlage. Die Rolle des Georges nimmt hier Alexander Monty (Heiner Hitz) ein, der sich als junger Mann mit den Problemen des viel Älteren herumschlagen muss. Schon die spontane Hochzeit der beiden jungen Leute - selbstverständlich vor dem ersten Geschlechtsverkehr - wirkt im Umfeld der promiskuitiven Tante wie ein Stilbruch. Erst recht fehlt den Erektionsstörungen, den vom Arzt dagegen verschriebenen Tropfen und der wegen lebensgefährlicher Überanstrengung verordneten sechswöchigen Kur die Glaubwürdigkeit - nachdem es zuvor bei Tantchen bestens geklappt hatte.

...um dann die reiche Erbin Wilhelmine (Britt Lindberg) zu heiraten
Auch Claus Tinney als Gaston wandelte auf Maupassants Spuren. Er bändelt mit Julia (Heidrun Hankammer) an, kann sie aber nicht heiraten, weil ihn sonst seine Tante Martha von Stein (Elfriede Volker) enterbt, auf deren finanzielle Unterstützung er angewiesen ist. Diese vom französischen Romancier schlüssig entwickelte Konstellation um einen Playboy und Lebemann, bleibt im Film oberflächlich. Beliebig setzte Dietrich einzelne Story-Elemente zusammen, darunter auch eine Szene, in der Gaston viel Geld beim Roulette verliert, ohne dessen Spielsucht zu erwähnen. Anders als die Julia bei Maupassant, die sich trotz des drohenden Ehrverlusts auf ihren Geliebten einlässt, erweist sich die Julia im Film als prüder. Sie beharrt auf ein Ehegelübde vor dem Geschlechtsverkehr und bringt Gaston damit zur Weißglut. Selbst dessen sehr direkte „Überredungsversuche“ helfen ihm nicht weiter, weshalb er seine Bemühungen um sie wieder einstellt. Die Absicht hinter dieser wenig romantischen Änderung gegenüber Maupassant liegt auf der Hand. Dass Gaston, als er seine Tante überreden will, ihn von seinem Versprechen loszusagen, die reiche Erbin Wilhelmine (Britt Lindberg) kennenlernt, verführt und sogleich heiratet, bedeutete im Roman einen Vertrauensbruch gegenüber Julia. Seine Liebesschwüre erwiesen sich als leer. Diese Verlogenheit fehlt in der Verfilmung.

Da bleiben Julia (Heidrun Hankammar) und Florentine lieber unter sich
Die Konsequenz ist im Film wie im Buch letztlich dieselbe. Julia und Florentine sind wieder ohne Männer vereint. Bei Guy de Maupassant kam es aber erst jetzt, zu Beginn des zweiten Teils der Erzählung, zu einer sexuellen Interaktion - selbstverständlich ohne die empörte Reaktion der sonst so tolerant daher kommenden Tante. Obwohl Dietrich mit der jungen, sexuell aktiven „Frau Oberst“ und der angedeuteten lesbischen Beziehung ihrer Nichten, einen sexploitiven Aufreißer wählte, ist sein in der Gegenwart der später 60er Jahre spielender Film verklemmter als die literarische Vorlage aus dem 19.Jahrhundert. Brach dort Maupassant bewusst mit den moralischen Standards seiner Zeit, ist der Verfilmung die Anpassung an die konservative Haltung in der damaligen BRD deutlich anzumerken. Dass Dietrich auch anders konnte, ist in den kurzen Szenen mit dem lüsternen Priester (Peter Capra) und der Vergewaltigung durch den Stallknecht zu erkennen, die an seine früheren Filme erinnern. In „Die Nichten der Frau Oberst“ wählte er aber den Mittelweg zwischen klassischer Erotik und sanften Soft-Sex-Bildern bei möglichst geringen Provokationen vorherrschender Moralvorstellungen – und traf damit voll den Zeitgeschmack.

"Die Nichten der Frau Oberst" Deutschland, Italien 1968, Regie: Erwin C.Dietrich, Drehbuch: Erwin C.Dietrich, Claude Martin, Guy de Maupassant (Roman), Darsteller : Kai Fischer, Heidrun Hankammer, Tamara Baroni, Claus Tinney, Peter Capra, Giuseppe Cardillo, Heiner Hitz, Britt Lindberg, Laufzeit : 90 Minuten

weitere im Blog besprochene Filme von Erwin C.Dietrich:

Montag, 12. Oktober 2015

Auf der Reeperbahn nachts um halb eins (1969) Rolf Olsen

Hannes (Curd Jürgens) kommt nach acht Jahren wieder frei
Inhalt: Der nächtliche Einbruch in eine Apotheke im Stadtteil St.Pauli endet tödlich für den Besitzer, aber von den Tätern, die ihre Beute an einen anonym bleibenden Kontaktmann weiter reichen, fehlt jede Spur. Das organisierte Verbrechen hat längst die Reeperbahn im Griff. Auch für Pit Pitter Pittjes (Heinz Reincke), der ein altmodisches Hippodrom betreibt, sind Schutzgelderpressungen Alltag, aber mehr noch hat er Probleme mit dem Gerichtsvollzieher, der ihm auch noch seine Pferde pfänden will. In Zeiten, in denen nur noch Sex zählt, hat sein Etablissement längst ausgedient.

Hannes und sein bester Freund Pitter (Heinz Reincke)
Währenddessen wird sein alter Freund Hannes (Curd Jürgens) nach acht Jahren aus dem Gefängnis entlassen. Sein erster Weg führt ihn gezwungenermaßen zum Kommissariat, wo ihn Kriminalrat Norbert Krause (Konrad Georg) empfängt, um ihn davor zu warnen, das Gesetz in eigene Hände zu nehmen. Denn Hannes beteuert nach wie vor seine Unschuld und will beweisen, dass ein Anderer seine damalige Geliebte ermordet hat. Nur so hat er eine Chance, seinen Ruf wiederherzustellen und damit sein Kapitänspatent zurückzuerhalten. Doch nach acht Jahren hat sich die Welt draußen stark verändert…

Nach zwei St.Pauli-Filmen wagte sich Rolf Olsen 1969 an einen Klassiker: "Auf der Reeperbahn nachts um halb eins"  von 1954 mit den großen Stars Hans Albers und Heinz Rühmann in den Hauptrollen. Damals eine gleichwertige Besetzung gewichtete Olsen seine freie Interpretation wieder in Richtung des erfahrenen Seemanns "Hannes" - eine idealtypische Rolle für seinen favorisierten Hauptdarsteller Curd Jürgens.

Offensichtlich hatten die Macher der DVD zu Olsens Film nur das Original gesehen. Anders ist der Hüllentext "Hannes ist bis vor kurzem zur See gefahren, doch die Wehmut verschlägt ihn zurück nach St.Pauli, wo er sich zur Ruhe setzen will" nicht zu verstehen, der exakt den Inhalt des 54er Films wiedergibt. Auch das Cover-Foto, dass zwei Sekunden vor dem Filmende aufgenommen wurde, zeugt von wenig Kenntnis über Olsens Film. Nichtsdestotrotz eine lohnenswerte Anschaffung.







Hannes trifft eine alte Bekannte (Birke Bruck)
Ein Jahr nach "Der Arzt von St.Pauli" (1968) holte sich Regisseur Rolf Olsen erneut Curd Jürgens ans Set, um mit ihm einen weiteren St.Pauli-Film zu drehen. Diesmal sollte der charismatische Schauspieler in besonders große Fußstapfen treten, denn Olsen plante ein Remake des 1954 erschienenen „Auf der Reeperbahn nachts um halb eins“. Darin hatte das Hamburger Urgestein Hans Albers die Rolle des „Hannes“ gespielt, seine eigene Rolle als „Singender Seemann“ aus dem Helmut-Käutner-Film „Große Freiheit Nr.7“ (1944) zitierend, der den titelgebenden Schlager berühmt gemacht hatte. Albers zur Seite stand Heinz Rühmann als sein bester Freund Pittes, bei Olsen eine Rolle für Heinz Reincke, der neben Curd Jürgens zur Stammbesetzung der St.Pauli-Filme zählte. Doch während die Rollen der Filmstars Rühmann und Albers in der 54er Version gleichwertig angelegt waren, stand Reincke erwartungsgemäß im Schatten von Curd Jürgens, auf den die gesamte Handlung zugeschnitten wurde.

Hannes und Pitter: singend durch die Nacht auf der Reeperbahn
Diese unterschiedliche Gewichtung lässt schon erkennen, dass Rolf Olsen das Remake sehr frei interpretierte. In den Credits seines Films tauchten die Autoren der 54er Version konsequenterweise nicht auf - verantwortlich für das Drehbuch war allein der Regisseur, der der Handlung seinen gewohnten „Sex and Crime“- Stempel aufdrückte. Zudem war Curd Jürgens anders als Hans Albers kein großer Sänger, sollte aber ein paar der klassischen Reeperbahn-Schlager intonieren, was Olsen in einer zentralen Szene unterbrachte: Hannes (Curd Jürgens) und Pit Pitter (Heinz Reincke) streifen eine Nacht lang über die Reeperbahn, immer ein Lied auf den Lippen. Eine Parallele zum Albers/Rühmann-Film, in dem die beiden Protagonisten ebenfalls mit einer gemeinsamen Nacht auf der Reeperbahn ihr Wiedersehen feierten, aber interessanter sind die Unterschiede, die viel über die soziokulturelle Entwicklung der BRD in den voraus gegangenen 15 Jahren aussagen.

Der Kriminalrat (Konrad Georg) warnt Hannes
Hannes Rückkehr nach acht Jahren ist hier nicht der Seefahrt geschuldet, sondern einer langjährigen Gefängnisstrafe, die der frühere Kapitän wegen des Mordes an seiner Geliebten ableisten musste. Entsprechend desillusioniert spielte Jürgens einen Mann, der seine Unschuld beweisen will, um seinen Ruf wieder herzustellen – die einzige Chance, sein Kapitänspatent wieder zurück zu erhalten. Im Gegensatz zum gut gelaunt vom Schiff kommenden Hans Albers wird der Hannes der späten 60er sogleich mit Schutzgelderpressung, Mord und den kriminellen Machenschaften des nach außen hin ehrenwert auftretenden Geschäftsmanns Lauritz (Fritz Tillmann) konfrontiert, dessen Ehefrau es war, die Hannes angeblich tötete. Gegenüber dem hier von Olsen entfalteten Moloch wirkt die aufgesetzte Kriminalhandlung des Originals wie Sozialromantik, auch wenn der Regisseur hinsichtlich der Gewaltdarstellungen im Vergleich zu seinem „Der Arzt von St.Pauli“ zurückhaltender blieb.

Schutzgelderpresser (Karl-Otto Alberty und Erik Schumann) bei Pitter
Die Rettung des verschuldeten und aus der Mode geratenen Reeperbahn-Etablissements von Freund Pit, die im Rühmann/Albers-Film noch im Mittelpunkt stand, spielte hier dagegen kaum noch eine Rolle. Zwar zitierte Olsen die Szenen mit den falschen Etiketten für den Billigwein und die Rettung der Dressurpferde vor dem Schlachthaus, aber an eine Zukunft mit neuer Einrichtung und modernem Show-Programm glaubte hier Niemand mehr. Um die Finanzierung dafür zu übernehmen, fehlte Hannes - anders als seinem potenten Vorgänger - auch schlicht das nötige Kleingeld. Während der 54er Film einen ungebremsten Optimismus ausstrahlte, der soziale Schranken und finanzielle Schwierigkeiten mühelos überwand, entfaltete Olsen einen pessimistischen Blick auf eine dekadente und egoistische Gesellschaft – und nutzte diesen Hintergrund wie in „Der Arzt von St.Pauli“ für den Kampf des Einzelgängers gegen alle Widrigkeiten.

Hannes ist von Antje (Jutta D'Arcy) begeistert
Die Reeperbahn gab dafür den so faszinierenden, wie verkommenen Handlungsort ab, während sie dem sonst braven Geschehen im 50er Jahre Original einen Hauch von Unmoral verlieh. Die damals gewagte Konstellation um Pits Tochter Antje (Jutta D’Arcy) wurde von Olsen konkreter und authentischer angepackt. Hannes ist ihr leiblicher Vater, erfuhr aber nie davon, da Pit seine schwangere Freundin während er auf See war heiratete, um das Kind zu legitimieren. Antjes Mutter war früh verstorben, aber anders als seinem Vorgänger Heinz Rühmann wurde Reincke keine Pseudo-Ehefrau zur Seite gestellt, die die hausfraulichen Pflichten erledigte, ohne dem liebenden Vater Emotionen abzuringen. Den Job übernahm hier Cousine Martha, gewohnt resolut von Heidi Kabel gespielt. Auch stand noch kein zukünftiger Schwiegersohn aus reichem Haus parat, sondern verliebt sich Antje in ihren eigenen, höchst charmanten Vater.

Gemeinsam auf Helgoland kommen sie sich näher
Da Pit sich nicht überwinden kann, seinem Freund die Wahrheit zu sagen, kommt es wie im Original zum gemeinsamen Ausflug von Antje und Hannes nach Helgoland. Nur ein Zufall verhindert, dass sie sich küssen. Ein Wagnis, dass der 50er Jahre Film nicht einging. Die Fahrt nach Helgoland diente im Original nur dem Zweck, der Tochter und ihrem Verehrer ein paar gemeinsame Stunden zu verschaffen, heimlich von Hannes am unwilligen Schwiegervater vorbei organisiert. Nur ein Missverständnis brachte Pit dazu, seinen Freund über seine Vaterschaft aufzuklären – bei Olsen ist er dazu gezwungen. Auch die Konsequenzen daraus sind im Nachfolger ehrlicher. Kein künstlich dramatisierter Konflikt trennt die Freunde, da Hannes Pits Beweggründe versteht.

Die feine Gesellschaft um Unternehmer Lauritz (Fritz Tillmann)
Die Souveränität des alles beherrschenden Curd Jürgens bleibt das bestimmende Element in Olsens Film, der viel anreißt, aber wenig vertieft. Die privaten Szenen um die Tochter (Diana Körner) des kriminellen Unternehmers Lausitz nehmen leider zu wenig Raum ein im aktionistischen Geschehen. Ihre Empörung über Hannes - für sie der verurteilte Mörder ihrer Mutter - ihr Verhältnis zum Vater, die Party in dessen Villa oder ihre angedeutete Liebesbeziehung zu Till Schippmann (Fritz Wepper) bleiben Momentaufnahmen, höchstens für kurze Nacktszenen geeignet. Wepper, an beiden vorherigen unter der Regie Olsens entstandenen St.Pauli-Filmen beteiligt, wird hier zum reinen Stichwortgeber, ohne seiner Rolle eigene Konturen geben zu können. Das gilt auch für die Vielzahl an Schlägern und gedungenen Mördern, die hier die Leinwand bevölkern – selbst prägnante Darsteller wie Erik Schumann und Karl-Otto Alberty konnten sich nur wenig profilieren.

Nebenfiguren: Till (Fritz Wepper) und Unternehmertochter (Diana Körner)
Entscheidend für die Wirkung des Films war das nicht, worin sich beide Versionen von „Auf der Reeperbahn nachts um halb eins“ wieder gleichen. Zwar hatte sich die Reeperbahn seit Mitte der 50er Jahre parallel zur allgemeinen Liberalisierung in Westdeutschland verändert, aber sie behielt als Ort der Extreme weiterhin die Hoheit über das Handeln der hier lebenden Menschen. Am Ende verlässt Hannes wie zuvor in „Große Freiheit Nr.7“ und der 54er Version wieder diesen Ort der Sehnsucht, um aufs Meer zurückzukehren. Doch diesmal ohne das schwermütige Gefühl des Scheiterns an Land, sondern voller Vorfreude auf die Seefahrt – und begleitet von Pitter. Das wäre Heinz Rühmann in seiner Rolle damals nicht eingefallen.

"Auf der Reeperbahn nachts um halb eins" Deutschland 1969, Regie: Rolf Olsen, Drehbuch: Rolf Olsen, Darsteller : Curd Jürgens, Horst Naumann, Heinz Reincke, Fritz Wepper, Jutta D'Arcy, Diana Körner, Fritz Tillmann, Erik Schumann, Christiane Rücker, Hans-Otto Alberty, Konrad Georg, Laufzeit : 98 Minuten

weitere im Blog besprochene Filme von Rolf Olsen:

Sonntag, 11. Oktober 2015

Auf der Reeperbahn nachts um halb eins (1954) Wolfgang Liebeneiner

Die alten Freunde Pittes (Heinz Rühmann) und Hannes (Hans Albers)
Inhalt: Hannes (Hans Albers) kommt an Bord eines Schiffes der Handelsmarine nach acht Jahren auf See wieder in seine Heimatstadt Hamburg zurück. Er will endgültig an Land bleiben und freut sich auf das Wiedersehen mit seinem alten Freund Pittes (Heinz Rühmann), der auf der Reeperbahn das „Hippodrom“ betreibt, ein Vergnügungslokal mit Pferdedressur-Vorführungen. Schon auf dem Weg dorthin erfährt er, dass sich das Etablissement inzwischen „Galopp-Diele“ nennt, nicht die einzige Veränderung der letzten Jahre, wie Hannes schnell feststellen muss.

Pittes mit Louise (Fita Benkhoff)
Der Geschmack der Besucher der Reeperbahn hat sich erheblich gewandelt, weshalb die „Galopp-Diele“ inzwischen ein tristes Dasein mit nur noch wenigen Gästen führt. Auch Hannes Animierkünste – er schnappt sich ein Akkordeon und gibt ein paar Lieder zum Besten – können nur kurz für Abhilfe sorgen. Doch es gibt auch erfreuliches festzustellen, denn Anni (Helga Franck), die Tochter seines Freundes, ist inzwischen zu einer hübschen jungen Frau herangewachsen, und wäre genau die richtige Wahl für den alten Frauenhelden, um endlich sesshaft zu werden. Er ahnt nicht, zu welchen Komplikationen das führt…

"Auf der Reeperbahn nachts um halb eins" wurde der dritte und letzte gemeinsame Film der großen Stars Hans Albers und Heinz Rühmann. Dass man damit nach dem Krieg wieder an alte Erfolge anknüpfen wollte, lag nah - nicht ohne Grund nannte man den Film nach dem Schlager, den Hans Albers in "Große Freiheit Nr.7" (1944) so trefflich sang und bis heute zu anhaltendem Ruhm verhalf. Albers gesamte Rolle lehnte sich an seinen 1944 im Käutner-Film gespielten Charakter an, nur weniger tíefgründig und ambivalent angelegt. Erneut konnte das Hamburger Urgestein unter dem Namen "Hannes" seinen Charme und seine Gesangsstimme spielen lassen. 

Rühmanns solide Rolle war dagegen frei erfunden und kam an den Esprit seines Partners nicht heran. Zumindest zur Entstehungszeit des Films, denn die Filmgeschichte änderte die damalige Gewichtung. Während der 1960 gestorbene Albers langsam in Vergessenheit geriet, mehrte Rühmann noch jahrzehntelang seinen Ruhm als Schauspieler. Die DVD-Veröffentlichungen des Films werben heute nur noch mit seinem Namen. Das änderte aber nichts an der Wirkung ihrer damaligen Rollen. Rolf Olsen besetzte in seinem gleichnamigen Remake von 1969 die Rolle des "Hannes" nicht ohne Grund mit Curd Jürgens, einem nicht weniger charismatischen Darsteller als Albers.


"Tausend Mädchen müssen her!" - "Tausend nackte Mädchen müssen her!" - "Aber nur schöne!“ – „Und die such‘ ich aus!"

Die schaumgebadete Marion (Sybil Werden)
Kein Dialog aus einem Erotik-Film der späten 60er Jahre, sondern von zwei der populärsten deutschen Filmstars - Heinz Rühmann und Hans Albers. 1954, zu einem Zeitpunkt, in dem noch strenge moralische Standards galten, konnte ein solches Gespräch nur vor dem Hintergrund der Reeperbahn stattfinden, der berühmt-berüchtigten "sündigsten Meile der Welt". Für den gebürtigen Hamburger Hans Albers vertrautes Terrain, das er schon in "Große Freiheit Nr.7" (1944) betrat, in dem er als "Singender Seemann" auf der Bühne stand und den aus den 20er Jahren stammenden Schlager "Auf der Reeperbahn nachts um halb eins" zu andauernder Berühmtheit brachte. Nicht zufällig wurde dieser zum Namensgeber für einen erneuten St.Pauli-Film, in dem Albers wieder als "Hannes" seinen Charme, seine Sangeskunst und nicht zuletzt seine Schlagfertigkeit spielen lassen konnte.

"Große Freiheit" St.Pauli 1954
Doch anders als unter Helmut Käutners Regie im kurz vor dem Kriegsende entstandenen Vorgänger war Albers hier nicht der alles beherrschende Star, sondern bekam noch Heinz Rühmann zur Seite gestellt. Eine zuvor nur in "Bomben auf Cassino" (1931) und "Der Mann, der Sherlock Holmes war" (1937) praktizierte Kombination, die hier dem Versuch der beiden Mimen geschuldet war, ihre nach dem Kriegsende ins Stocken geratenen Karrieren wieder in Schwung zu bringen – eine Kalkulation, die aufging. Für Hans Albers blieben die 50er Jahre bis zu seinem Tod 1960 auf gleichbleibend gutem Niveau und für den elf Jahre jüngeren Heinz Rühmann, der im Jahr zuvor schon mit „Briefträger Müller“ (1953) aus dem Loch der Nachkriegsjahre herausgekommen war, bedeutete „Auf der Reeperbahn nachts um halb eins“ eine weitere Forcierung seiner kommenden Erfolgsjahre (siehe dazu das „Heinz-Rühmann Porträt“). Eine Kalkulation, die auch der Story anzumerken war, die sich nicht nur bei „Große Freiheit Nr.7“ bediente, sondern ganz auf die Charaktere seiner beiden Hauptdarsteller zugeschnitten war.

Hannes will in Hamburg sesshaft werden
Hannes Wedderkamp (Hans Albers) kehrt nach acht Jahren auf See wieder nach St.Pauli zurück, um endlich sesshaft zu werden. Sein Weg führt ihn auf die Reeperbahn ins „Hippodrom“, das sein bester Freund Pittes Breuer (Heinz Rühmann) seit vielen Jahren leitet, inzwischen aber in „Galopp-Diele“ umbenannt wurde. Doch auch der zeitgemäßere Name half nicht, denn mit Pferdekunststückchen lassen sich auf der Reeperbahn der 50er Jahre keine Gäste mehr anlocken, so sehr sich Pittes auch als Animateur bemüht – einzig „Sex sells“. Statt Umsatz lauert nur der Gerichtsvollzieher, der die geliebten Pferde zur Schlachtbank führen will. Dagegen kann auch Hannes nichts ausrichten, auch wenn er sich wie einst das Schifferklavier schnappt, um mit schmissigen Liedern das Publikum anzulocken. Mit seinen Auftritten sorgte er in „Große Freiheit Nr.7“ noch für Furore, hier will Hannes seinem Freund das notwendige Geld leihen, um mit neuer Einrichtung eine moderne Revue auf die Beine stellen zu können.

Pittes mit Tochter Anni (Helga Franck)
Die vorhersehbare Story lebt vom Gegensatz Albers/Rühmann. Hannes und Pittes sind vor vielen Jahren gemeinsam zur See gefahren, auch wenn davon in der Gegenwart nur noch wenig zu spüren ist. Während Albers gewohnt überzeugend den Weltenbummler gab, der gegenüber jeder Frau seinen Charme spielen lässt, verkörperte Rühmann den soliden Familienvater, dem nach dem frühen Tod seiner Frau vor allem das Wohlergehen seiner inzwischen erwachsenen Tochter Anni (Helga Franck) am Herzen liegt. Mit Louise (Fita Benkhoff) lebt noch eine gleichaltrige Frau in Pittes‘ Haushalt, deren Charakter komplett konstruiert wirkt. Beider Verhalten entsprach ganz dem Klischee eines alten Ehepaars – sie kontrolliert ihn, er sucht sich Freiräume, körperliche Nähe Fehlanzeige – ohne aber verheiratet zu sein, da Pittes dazu keine Lust verspürt. Der Gedanke dahinter lag nah, denn keine weitere Person durfte das emotionale Dreieck Pittes, Hannes und Tochter Anni stören, das hier für die Dramatik sorgen sollte.

Hannes kümmert sich um das Liebespaar Anni und Jürgen (Jürgen Graf)
Denn wie sich schnell herausstellt ist Anni die leibliche Tochter von Hannes. Während der Hallodri auf den Weltmeeren unterwegs war, hatte der brave Pittes dessen schwangere Freundin geheiratet, um das Kind zu legitimieren. Pittes, der nur für sein Adoptivkind lebt, hat Angst, seinem alten Freund die Wahrheit zu sagen, da er befürchtet, dass er sie ihm daraufhin wegnimmt. Ihm bleibt aber nichts anderes übrig, als er den Eindruck bekommt, dass der Frauenheld ausgerechnet Anni als Zukünftige ins Auge fasst. Wie zu erwarten kommt es zum Bruch zwischen den Freunden, aber nichts daran wirkt authentisch. Hannes betont zwar wiederholt, dass Annis Mutter seine einzige große Liebe war. Trotzdem hatte es ihn damals nicht gestört, dass sein bester Freund Pittes sie in seiner Abwesenheit geheiratet hatte, ohne dass er die nachvollziehbaren Gründe dafür kannte.

Pittes gerät in Schwierigkeiten
An einem echten Konflikt war die zwischen Komödie und leichtem Drama angelegte Story nicht interessiert, wie auch an den weiteren dramaturgischen Elementen deutlich wird. Die Gefahr einer Beziehung von Anni zu Hannes wird nicht ernsthaft erwogen, da die junge Frau ihren Chef (Jürgen Graf) liebt, Sohn des reichen Reeders Brandstetter (Gustav Knuth). Dieser steht der aus seiner Sicht nicht standesgemäßen Verbindung ablehnend gegenüber – eine Haltung die angesichts des sympathischen Gustav Knuth kaum Bestand haben durfte. Noch aufgesetzter wirkt die Kriminalstory um ein paar lichtscheue Gesellen (darunter Wolfgang Neuss als wenig tough auftretender Bandit), die verbotenerweise Ladung aus gesunkenen Kriegsschiffen stehlen wollen. Vielleicht konnte man Mitte der 50er Jahre noch etwas Thrill mit dem Modell eines versunkenen U-Boots und einer brennenden Zündschnur erzeugen, aber darüber hinaus hatte die Chose nur den Zweck, die Freunde wieder miteinander zu versöhnen.

Spaß auf der Reeperbahn
Wirklich von Bedeutung war das nicht, entscheidend blieb der Handlungsort St.Pauli Reeperbahn sowohl als klar definierte Heimat, als auch als außergewöhnlich freizügiger Lebensraum. Helmut Käutner setzte sich in „Große Freiheit Nr.7“ über die damals verordnete Moral hinweg, beschrieb Prostitution und außerehelichen Geschlechtsverkehr als Normalität in einem ernsthaften Kontext. Regisseur Wolfgang Liebeneiner, während der NSDAP-Diktatur eng mit dem Propaganda-Ministerium verbunden („Die Entlassung“, 1942), nach 1945 auch Verfechter engagierter („Liebe ‘47“, 1949) und satirischer Filme („1.April 2000“, 1950), verlieh „Auf der Reeperbahn nachts um halb eins“ mehr einen komödiantischen Gestus, nutzte aber auch den moralischen Freiraum. Nicht in jeder Hinsicht – Anni ist ein Vorbild an anständiger Tochter und abschließend heiratet Pittes auch die geduldige Louise – aber so weit, dass der Spaß und die Lebenslust immer im Vordergrund bleiben. Rühmann und Knuth lassen es in den „Bumslokalen“ richtig krachen und Hannes teilt zeitweise das Bett mit der Tänzerin Marion (Sybil Werden). Für Hannes natürlich keine dauerhafte Beziehung, denn die hat er nur mit dem Meer – darin ähnelte Liebeneiners Film wieder dem Käutnerschen Vorbild.

"Auf der Reeperbahn nachts um halb eins" Deutschland 1954, Regie: Wolfgang Liebeneiner, Drehbuch: Gustav Kampendonck, Curt J.Braun, Darsteller : Hans Albers, Heinz Rühmann, Fita Benkhoff, Gustav Knuth, Helga Franck, Sybil Werden, Wolfgang Neuss, Wolfgang Müller, Laufzeit : 106 Minuten

weitere im Blog besprochene Filme von Wolfgang Liebeneiner: