Auf Hahnöversand |
Von "Junge Adler" (1944) bis "Weg in die Freiheit" (1952)
Auf Grund seiner Rolle in der Hitlerjugend, die in dem Propagandafilm "Junge Adler" gipfelte, erhielt Regisseur Alfred Weidenmann - wie sein Drehbuchautor und Compagnon Herbert Reinecker - nach dem Ende des Nationalsozialismus keine Aufträge. Mit "Weg in die Freiheit" und drei weiteren Kurzfilmen stiegen sie 1952 wieder ins Filmgeschäft ein. Vordergründig scheinen beide Werke wenig miteinander zu tun zu haben. Hier der abendfüllende Unterhaltungsfilm, der im Krieg letzte Reserven mobilisieren sollte, dort ein dokumentarischer Kurzfilm über Resozialisierung im Strafvollzug. Tatsächlich drängt sich der Vergleich auf. In beiden Filmen stehen männliche Jugendliche im Mittelpunkt und ihre Position in der Gesellschaft - jeweils von großer politischer Anerkennung begleitet. "Junge Adler" lief zum 10jährigen Jubiläum der Filmabteilung der Hitlerjugend vor hohen NSDAP-Funktionären, "Weg in die Freiheit" wurde 1953 als "Kulturfilm" mit dem deutschen Filmpreis ausgezeichnet.
Am 24.03.2017 gab es die seltene Gelegenheit "Weg in die Freiheit" als Vorfilm von "Die große Versuchung" (1952) im Berliner Zeughaus Kino zu sehen. Als Teil der Reihe "Zu den Verhältnissen", die noch mit drei weiteren Schwerpunkten über das deutsche Nachkriegskino bis Ende 2017 fortgesetzt wird - sehr empfehlenswert.
Zuchthaus |
In Reih' und Glied marschieren die Männer in Richtung Baracke,
aber es handelt sich nicht um eine Militäreinheit, sondern um Strafgefangene
auf dem Weg zum Haupttrakt des Gefängnisses. Ihre Gesichter sind ernst, ihr
Blick nach unten gerichtet. Es sind Bilder aus der noch jungen BRD im Jahr 1952
und sie ähneln den Aufnahmen, die Regisseur Alfred Weidenmann wenige Jahre
zuvor in "Junge Adler" (1944) auf die Leinwand brachte. Junge Männer,
die in militärischer Formation zu ihrer Arbeit als Lehrlinge eines
Flugzeugwerks schritten - nur das ihre Gesichter Freude und Begeisterung
ausdrückten. Entstanden war "Junge Adler" zum 10jährigen Jubiläum des
Filmschaffens der Propagandaabteilung der Hitler-Jugend, in der Weidenmann und
sein Drehbuch-Autor Herbert Reinecker führende Positionen eingenommen hatten.
"Weg in die Freiheit" wurde auf Veranlassung des "Institut für
Film und Bild in Wissenschaft und Unterricht" (FWU) produziert, das sich
1950 neu gegründet hatte. Mit der Zielsetzung „…die freie Volksbildung und die
Jugendpflege zu fördern und damit der Allgemeinbildung zu dienen.“
Jugendstrafanstalt Hahnöversand |
In den acht Jahren zwischen beiden Filmen hatte Weidenmann
nur wenig gedreht. Der noch in der Phase des Nationalsozialismus begonnene
"Die Schenke zur ewigen Liebe" wurde nicht mehr fertiggestellt. Nach
Kriegsende geriet der Regisseur in russische Gefangenschaft und erhielt nach
seiner Rückkehr auf Grund seiner NSDAP-Vergangenheit keine neuen Regie-Aufträge.
Erst die FWU, für die er parallel drei weitere "Kulturfilme" schuf,
ermöglichte ihm und seinem Compagnon Herbert Reinecker, dem es nach dem Krieg
ähnlich ergangen war, wieder ins Filmgeschäft einzusteigen. Ende 1953 kam ihr nach "Junge Adler" erster gemeinsamer Langfilm „Ich und du“ in die deutschen Kinos –
erneut mit Hardy Krüger in der Hauptrolle – und im folgenden Jahr „Canaris“
(1954) über den langjährigen Chef der „deutschen Abwehr“, der im März 1945 als
Vaterlands-Verräter hingerichtet worden war. Einer der ersten westdeutschen Filme,
die sich unmittelbar mit der jüngsten Vergangenheit beschäftigten.
Stufe 1: der Zellentrakt |
„Weg in die Freiheit“ dokumentierte dagegen ein aktuelles Thema.
Für die Auseinandersetzung mit der Resozialisierung von straffällig gewordenen
Jugendlichen erhielt er 1953 das „Filmband in Silber“ für einen „Film, der das
soziale Problem besonders eindrucksvoll behandelt“. Herbert Reinecker wurde mit
dem gleichen Preis für sein Drehbuch ausgezeichnet, das den Weg der Wiedereingliederung
in die Gesellschaft am Beispiel der Jugendvollzugsanstalt Hahnöversand, die auf
einer Elbinsel unweit von Hamburg gelegen ist, nachzeichnete. Auf Grund der
abgeschlossenen Lage ließ sich an diesem Ort ein pädagogischer Dreistufenplan umsetzen.
Den jugendlichen Straftätern wird ausgehend von der traditionellen Verwahrung
in einer Zelle ermöglicht, ihre Haftbedingungen durch Engagement und Einordnung
zu verbessern. Über eine betreute Wohnanlage mit einem Aufseher, der jederzeit
ein offenes Ohr für die jungen Männer hat, führt der Weg - begleitet von Schule
und Berufsausbildung - zum Freigang auf der Insel und einer selbstverwalteten
Unterkunft ohne Aufsicht.
Stufe 2: Betreuer im kontrollierten Wohnbereich |
Der den Film aus dem Off begleitende Kommentator betonte,
dass er diese Form der Resozialisierung nicht für „übliche Kriminelle“ geeignet
hielt, sondern nur für Jugendliche, die ein wenig vom Pfad der Tugend
abgekommen waren. Beispielhaft wurden junge Männer ins Bild gesetzt, deren
Verfehlungen auf die Versuchungen der sich in der Nachkriegszeit schnell
wandelnden Gesellschaft zurückgeführt wurde. Sie haben noch eine Chance
verdient, für die sie hart arbeiten und sich unterordnen müssen. Ihre ernsten Gesichter
sind von Demut und Zurückhaltung geprägt, Fehlverhalten wird mit der
Zurücknahme von Privilegien bestraft. Die Inszenierung, die Weidenmann wählte, hätte
aus "Junge Adler" stammen können. Gruppen junger Männer bei der Ausbildung in
der Werkstatt, beim gemeinsamen Einsatz auf dem Feld oder bei sportlicher
Betätigung. Wiederholt wechselt die Kamera in eine Totale, die den Einzelnen angesichts
einer beeindruckenden Natur unwichtig erscheinen lässt. Nicht das Individuum
zählt, sondern die Eingliederung in die Gemeinschaft.
Sieben Jahre waren seit dem Ende des Nationalsozialismus
vergangen, die Diktatur war der Demokratie gewichen, aber an der Haltung der
Gesellschaft gegenüber Kriminellen hatte sich wenig geändert. Reineckers
Schilderung einer reformpädagogischen Idee, deren Anfänge auf die 20er Jahre
während der Weimarer Republik zurückgingen, ist die Notwendigkeit zur Relativierung
auf Grund des vorherrschenden Misstrauens anzumerken. Die Nationalsozialisten
hatten das Experiment auf Hahnöversand nach ihrer Machtergreifung zugunsten
traditioneller Methoden beendet. Einzig Drill und Strenge galten als probate
Mittel. Die jungen Kriminellen, denen sich Weidenmann und Reinecker hier
widmeten, hätten in "Junge Adler" keine Chance auf eine Teilnahme gehabt – dort
galt die Begeisterung und Eingliederung in die Gruppe als ideologische Voraussetzung.
"Weg in die Freiheit" |
"Weg in die Freiheit" Deutschland 1952, Regie: Alfred Weidenmann, Drehbuch: Herbert Reinecker, Laufzeit : 16 Minuten
weitere im Blog besprochene Filme von Alfred Weidenmann:
"Junge Adler" (1944)
"Der Stern von Afrika" (1957)
"An heiligen Wassern" (1960)