Inhalt: Rolf (Dave Balko) möchte noch ein letztes Mal
mit seiner Freundin Susanne (Michaela Karger) schlafen, bevor er am nächsten
Tag seinen Wehrdienst bei der Bundeswehr in Frankfurt antreten muss. Leider
werden sie von ihrem Vater (Horst Richter) gestört, der gar nicht begeistert
von Rolf ist, und dessen Vater ebenfalls froh ist, dass sein Sohn für 15 Monate
aus dem Taunus-Städtchen verschwindet. Doch sie haben die Rechnung ohne Susanne
gemacht, die spontan entscheidet, nach Frankfurt zu ziehen, um in der Nähe
Rolfs zu bleiben – zu ihrem Onkel Ossi (Kurt Raab), der in einer festen
Beziehung mit Tonino (Gene Reed) in der Kaiserstraße lebt.
Dort entwickeln sich parallel dramatische Ereignisse. Von
Johnny Klewer (Hanno Pöschl) eingefädelt, verüben zwei seiner Männer einen
Bombenanschlag auf einen konkurrierenden Geschäftsmann. Es geht um die Macht in
der Drogen- und Bordell-Szene. Klewer ist für seine geschickte Anwerbung junger
Prostituierter bekannt. Erst gibt er sich charmant und großzügig, bis er die
verliebten Mädchen auf den Strich schickt. Auch die hübsche Susanne fällt ihm
sofort ins Auge…
Roger Fritz, Ende des 2. Weltkriegs knapp 9 Jahre alt,
wuchs als Mitglied der ersten Nachkriegs-Generation inmitten der sozialen
Veränderungen der 50er Jahre auf und erlebte intensiv die Phase früher
Jugendauflehnung und des Rock'n Roll, wie sie in dem nach einem Will Tremper
Drehbuch entstandenen Film "Die Halbstarken" (1956) thematisiert
wurde. Nicht zufällig verdankte er einer Bildreportage über diesen Film den
Start seiner Karriere als Schauspieler, denn die Nähe zum Zeitgeist zeichnete
auch seinen weiteren Fortgang als Drehbuchautor und Regisseur aus. Nachdem er
Luchino Visconti bei dessen Episode für "Boccaccio '70" (1962)
assistiert hatte, schuf er mit Filmen wie "Mädchen, Mädchen" (1967)
oder "Mädchen mit Gewalt" (1970) exemplarische Werke über die
entstehenden sozialen Konflikte auf Grund der fortschreitenden sexuellen
Liberalisierung und Emanzipationsbewegung.
Danach folgte ein Jahrzehnt mit TV-Arbeiten und intensiverer
Schauspiel-Tätigkeit bis Fritz parallel zu seinen Engagements unter der Regie
Rainer Werner Fassbinders ("Berlin Alexanderplatz" (1980), "Lili
Marleen" (1981)) noch einen letzten Kinofilm drehte - ausgerechnet eine
Produktion der "Lisa-Film", die ihren Erfolg seit Mitte der 60er
Jahre Exploitation-Filmen ("El caníbal" (Jungfrau unter Kannibalen,
1980)) oder Sex-Komödien ("Drei Schwedinnen in Oberbayern" (1977))
verdankte. Auch "Frankfurt Kaiserstraße" schien diese Erwartungen zu
erfüllen, denn keine Großstadt-Region hatte Anfang der 80er Jahre einen
schlechteren Ruf in Sachen Drogen-Kriminalität und Prostitution als Frankfurts
Bahnhofsviertel – genau der richtige Stoff für ein Publikum, dass nach
moralischen Abgründen gierte.
Entsprechend plakativ kommt der Film zur Sache. Nachdem
Hauptdarstellerin Michaela Karger, eine ganz dem damaligen Schönheitsideal
entsprechende junge Frau, in ihrer Rolle als noch nicht 18jährige Susanne in einer
Liebesszene mit ihrem Freund Rolf (Dave Balko) blank gezogen hatte, wird der
zentrale Handlungsort „Frankfurt Kaiserstraße“ mit einem perfiden
Bomben-Anschlag zwischen rivalisierenden Banden vorgestellt. Hanno Pöschl als
schmierig-schöner Zuhälter Johnny Klewer versucht auf diese Weise sein
Macht-Territorium auszubauen und verfügt selbstverständlich über die notwendigen
Aufreißer-Utensilien wie Cabriolet und ein feudales Liebesnest, um naive
Mädchen erst verliebt und dann zu Prostituierten zu machen. Die Story bemühte
sich gar nicht erst, irgendein Klischee auszulassen, sondern entwarf vor dem
Hintergrund von Bordellen, Nachtclubs und Sex-Shops einen anti-bürgerlichen Mix,
in denen Gewalt und wechselnde Sexual-Partner selbstverständlich zu sein scheinen.
Trotz dieser reißerischen Anlage, widerstand Roger Fritz der
naheliegenden Versuchung, die Vorurteile gegenüber den hier lebenden Menschen
zu bestätigen, sondern nahm sie ernst mit ihren alltäglichen Problemen. Damit
bewies er erneut Gespür für eine Zeit, deren liberale Anmutung täuschte. Zwar
hatten sich die sozialen Veränderungen in den 70er Jahren manifestiert, wurde
die Pornografie legalisiert und der Paragraf 1356 BGB modernisiert, der bis
1977 geregelt hatte, dass Frauen nur mit Erlaubnis des Ehemanns (oder Vaters)
eine Arbeit annehmen durften, aber in den Köpfen war das vielfach noch nicht
angekommen. Besonders der Kontrast Stadt/Land war nach wie vor groß, weshalb
Susannes spontane Entscheidung, ihr Elternhaus und damit ihren autoritären
Vater (Horst Richter) zu verlassen und zu ihrem schwulen Onkel Ossi (Kurt Raab)
nach Frankfurt zu ziehen, kein selbstverständlicher Schritt war. Sie will in
Rolfs Nähe sein, der dort seinen Wehrdienst antreten muss.
Auch dessen Ärger mit seinem Vater, als dieser erfährt, dass
er mit der Tochter des örtlichen Gasthofbesitzers eine intime Beziehung hat,
weshalb er Schwierigkeiten innerhalb der dörflichen Gemeinschaft befürchtet, beruhte
auf einer tief verankerten Doppelmoral, die Susannes Vater Sex mit seiner Angestellten erlaubte, die
Liebesbeziehung zwischen den beiden jungen Menschen aber untersagte. In der
Beschreibung dieses Konfliktpotentials, das sich mit Susannes Ankunft in der
ihr unbekannten Großstadt noch steigert, verzichtete Fritz auf Übertreibungen.
Zwar bekommt Rolf – nicht bereit, sich klaglos unterzuordnen - Probleme bei der Grundausbildung mit seinem
Zugführer, braucht Susanne einen Job und tauchen erste Missverständnisse
zwischen den Liebenden auf, die sich jeweiligen Versuchungen ausgesetzt sehen,
aber davon erzählt der Film mit einer nachvollziehbaren Normalität, die in
direktem Gegensatz zum hartgesottenen „Kaiserstraßen“-Klischee steht.
Susannes strenger Vater steckt seiner Tochter noch Geld zu,
bevor sie ihn in Richtung Frankfurt verlässt. Die Szenen bei der Bundeswehr
kommen trotz des geltungsbedürftigen Obergefreiten, Saufgelagen und Rolfs
kurzem Knastaufenthalt wegen unerlaubter Entfernung von der Truppe ohne die typischen
Militär-Extreme aus, sondern beschreiben das stimmige Bild einer Armee zwischen
autoritärer Vergangenheit und langsam durchdringender Demokratisierung. Obwohl
Rolf fremdgeht, hat die Liebesbeziehung zwischen ihm und Susanne noch eine
Chance, aber besonders der selbstbewussten, ihre Sexualpartner frei wählenden Chris
(Ute Zielinski) und dem schwulen Paar Tonino (Gene Reed) / Onkel Ossi begegnete
Fritz mit einer Selbstverständlichkeit und Sympathie, die keineswegs die
Meinung der damaligen Mehrheit widerspiegelte.
Vielleicht lässt sich darin der Grund finden, warum
„Frankfurt Kaiserstraße“ trotz der Sex-Szenen und seines Exploitation-Charakters
nie den Status eines „Party-Films“ erlangte und heute nahezu vergessen ist. Der
von Roger Fritz mit Laiendarstellern (für Michaela Karger, Ute Zielinski und
Rolf Belko blieben es die einzigen tragenden Rollen) und Kollegen aus dem
Fassbinder-Kreis (Kurt Raab, Hanno Pöschl, Isolde Barth) gedrehte Film passt in
kein Schema – reißerisch und plakativ aufgemacht, verbirgt sich dahinter ein
sensibler, über das Frankfurter Lokalkolorit hinausgehender Blick in die frühen
80er Jahre, verbunden mit einem hohen Maß an Toleranz für seine Figuren. Leider
wurde es Roger Fritz‘ letzte Regie-Arbeit.
Lief als Eröffnungsfilm des 1. Auswärtigen Sondergipfel des Hofbauer Kommando in Frankfurt/Main vom 07. bis 09.11.2014
Lief als Eröffnungsfilm des 1. Auswärtigen Sondergipfel des Hofbauer Kommando in Frankfurt/Main vom 07. bis 09.11.2014
"Frankfurt Kaiserstraße" Deutschland 1981, Regie: Roger Fritz, Drehbuch: Georg Ensor, Darsteller : Michaela Karger, Dave Balko, Hanno Pöschl, Kurt Raab, Ute Zielinski, Gene Reed, Laufzeit : 87 Minuten
weitere im Blog besprochene Filme von Roger Fritz:
weitere im Blog besprochene Filme von Roger Fritz:
"Mädchen mit Gewalt" (1970)