Inhalt: Terje Wiggen (Heinrich George) arbeitet als Lotse in
einem kleinen Hafen, der zur baltischen Insel Moon gehört. Obwohl er glücklich
mit Antje (Erika Helmke) verheiratet ist, träumt er davon, erneut die Meere zu
bereisen, denn das Leben an Land langweilt ihn. Als er erfährt, dass der
Steuermann auf einem Handelsschiff ausgefallen ist, heuert er dort spontan für
ein Jahr an. Selbst als ihm seine Frau mitteilt, dass sie schwanger ist, hält
ihn das nicht davon ab, an Bord zu gehen.
Schnell verschafft er sich Respekt als erfahrener Seemann,
der auch in Notlagen immer weiß, was zu tun ist. Doch die anhaltende Flaute,
die den Zweimaster von den Handelslinien abtreibt, bringt auch ihn in
Schwierigkeiten. Zwar zerstört er die verfaulten Wasservorräte, kann aber nicht
verhindern, dass der Kapitän (Hans Mierendorff) an Pest erkrankt. Da sich die restliche Crew
weigert, mit anzufassen, sorgt er allein für dessen Seebegräbnis. Aus Angst,
ebenfalls an der Pest zu sterben, verlassen die Seeleute heimlich das Schiff
mit dem Rettungsboot und lassen Terje allein zurück. Als plötzlich ein Sturm
aufkommt, gerät er in Seenot…
Die Geschichte des Seemanns Terje Wiggen (Heinrich George)
basiert auf der Ballade „Terje Vigen“ von Henrik Ibsen, die 1809 während der
napoleonischen Kriege spielt, als englische Schiffe die norwegische Küste
blockierten und damit jeden Nachschub an Nahrung unterbanden. Terje Vigen
versucht mit einem Ruderboot die Blockade zu durchbrechen, um seine Frau und
die kleine Tochter zu versorgen, wird aber auf dem Rückweg von einem englischen
Schiff aufgebracht und von dessen Kapitän nach England in Kriegsgefangenschaft
geschickt. Erst fünf Jahre später kehrt er zurück und erfährt, dass Frau und
Kind verhungert sind. Als erneut Jahre später ein Schiff vor der Küste in
Seenot gerät, geht Vigen als Lotse an Bord und trifft dort den Kapitän wieder,
der ihn damals gnadenlos daran hinderte, Nahrung für seine Familie zu besorgen.
Bebend vor Zorn will Vigen Rache nehmen und den englischen Lord und die Seinen
ihrem Schicksal überlassen, aber er besinnt sich eines Anderen, rettet sie und
findet seinen inneren Frieden.
Das Drehbuch zu „Das Meer ruft“ versetzte die Handlung auf
die baltische Insel Moon zum Zeitpunkt des Beginns des 1.Weltkriegs 1914. Terje
Wiggen gehört zum deutschsprachigen Teil der russischen Bevölkerung und muss
mit ansehen, dass die deutsche Marine den Seeweg blockiert und damit seine Frau
Antje (Erika Helmke) und seine neu geborene Tochter vom Hungertod bedroht
werden. Während Wiggens vergeblicher Rettungsversuch und die Folgen daraus zum
zentralen Bestandteil der Ballade Ibsens gehören, nimmt dieser Handlungsverlauf
im Film erst die zweite Hälfte ein. „Das Meer ruft“ beginnt mit einem Terje
Wiggen, der sich als Lotse an Land langweilt und gegen den Willen seiner Frau
die erste Gelegenheit ergreift, als Steuermann auf einem Handelsschiff für ein
Jahr anzuheuern. Die Szene, in der er ihr zuerst verspricht, doch bei ihr an
Land zu bleiben, nachdem er von ihrer Schwangerschaft erfuhr, um im nächsten
Moment in See zu stechen, lässt expressiv deutlich werden, welche Sucht das
Meer auf Terje ausübt.
Bei Ibsen kommt diese Szene nicht vor, ebenso wenig die
kommenden dramatischen Ereignisse um den Zwei-Master, der in eine Flaute gerät.
Zudem legte George die Figur seinem Typus entsprechend ernst und schwer an,
während Ibsen dem Charakter auch eine gewisse Leichtigkeit verlieh:
„Ich sah ihn einmal einen Morgengang;
er lag im Hafen mit Fisch;
Sein Haar war weiß, doch lacht‘ er und sang
und war wie ein Jüngling frisch“
Im Hinblick auf den Zwiespalt zwischen der Verantwortung für
seine Lieben und der Sehnsucht nach dem Meer kam der Film der literarischen
Vorlage dagegen sehr nah:
„Das Festland unter sich hielt er kaum aus.
Nein, da war doch besser zu bauen sein Haus
auf der großen, wogenden See!
Ein Jahr darauf hatte Terje gefreit; –
Das kam, eh’s einer gedacht.
Und manche meinten, es sei ihm leid,
dass er sich sesshaft gemacht.
So lebte er denn unter eigenem Dach
einen Winter in Saus und Braus.
Hell blitzten die Scheiben vorm saubern Gemach
mit weißen Gardinen und Blumen im Fach
in dem kleinen, weinroten Haus.
Als Eis und Winter vorm Tauwind wich
versuchte er wieder sein Glück“
Erst als Terje Wiggen seine Tochter nach seiner erneuten
Rückkehr erblickt, beginnt er in Ibsens Ballade, sich endlich auf das
Familienleben einzulassen. So einfach machte es „Das Meer ruft“ seinem
Protagonisten nicht, denn der Film schickte Terje Wiggen erst durch die Hölle,
bevor er geläutert zu seiner Frau und der inzwischen geborenen Tochter
zurückkehrt. Die sehr spannend erzählte und großartig fotografierte erst Hälfte
des Films verfolgte aber noch ein weiteres Ziel. Sie betonte Terjens Stärke und
Zuverlässigkeit, der im Gegensatz zur restlichen Crew keinen Moment daran denkt,
das Schiff und die Ladung im Stich zu lassen, auch nicht, nachdem der Kapitän
an der Pest gestorben war, weil er verfaultes Wasser getrunken hatte. Eine
Schwäche, die sich Terje Wiggen nicht zugestanden hätte. Im Gegenteil zerstört
er sämtliche Wasservorräte und bringt damit die restliche Besatzung weiter
gegen sich auf.
Diese Heldenhaftigkeit nimmt seiner Entscheidung, seine
schwangere Frau alleine zurückzulassen, im Auge des Betrachters zwar die Härte,
verlieh ihr aber auch etwas Fanatisches. Es erstaunt entsprechend wenig, dass
er sofort zur Tat greift, als die Schiffs-Blockade das Leben seiner Familie
bedroht. Mehrere Tage rudert er über das Meer, um Nahrung vom Festland zu
holen. Auch in Ibsens Ballade greift der Protagonist zu dieser Lösung, aber
Terje wagte diesen Schritt nur gemeinsam mit seinem liebsten Verbündeten, dem
Meer:
„Wie? War ihm ein Freund denn nicht, alt und treu,
sein großes, wogendes Meer ?“
Heinrich George verkörperte dagegen einen Mann, der stur und
ohne Andere daran zu beteiligen, seine Ziele verfolgt. Wie brüchig und trotz
der Rettungstat auch egoistisch seine Vorgehensweise war, lassen die
Konsequenzen erkennen, die im Film anders als in Ibsens Ballade ausfallen. Dort
erfährt Terje, nachdem er aus fünfjähriger Gefangenschaft zurückkam, dass Frau
und Tochter verhungert sind, im Film stirbt die Ehefrau dagegen nur zwei Monate
vor seiner Rückkehr, ohne dass die Todesursache genauer benannt wird, während
die Tochter als Adoptivkind bei einer Freundin aufwächst und ihren Vater nicht
mehr erkennt. Der Unterschied ist eklatant, denn in der literarischen Vorlage
wird Terjes verzweifelter Rettungsversuch im Nachhinein legitimiert, während
der Protagonist im Film seine Frau erneut im Stich ließ.
Er hätte ihr mehr helfen können, wenn er bei ihr geblieben
wäre. Auf Grund der tragischen Umstände erwächst dem Protagonisten daraus kein
Vorwurf, aber der Film lässt die Ambivalenz hinter seinem äußerlichen Verhalten
zu und zeigt die wahre Heldenhaftigkeit im Verzeihen. Entsprechend sind
Georges abschließende, unnachahmlich nebenbei gesprochene Worte zu verstehen,
die er gegenüber dem Kapitän äußert, nachdem er auf seine Rache verzichtet
hatte:
„…und nun seh‘ auch ich klar!“
Besser lässt sich der Bruch mit seinen inneren Dämonen nicht
ausdrücken und weiter weg von der auf Hass und Vergeltung aufbauenden Ideologie
der NS-Zeit konnte die Verfilmung der Ibsen-Ballade nicht sein.
"Das Meer ruft" Deutschland 1933, Regie: Hans Hinrich, Drehbuch: Josef Pelz von Felinau, Helmut Brandis, Hans Klaehr, Henrik Ibsen (Ballade), Darsteller : Heinrich George, Erika Helmke, Hans Mierendorff, Ludwik Andersen, Albert Florath, Laufzeit : 80 Minuten
Danke für die Filmvorstellung, ein seltener Film, leider nur im Ausland zubekommen.
AntwortenLöschenDas Lied dazu: http://erinnerungsort.de/als-wir-von-carravals-kamen--28der-brave-peter-29-_382.html