Montag, 17. April 2017

Tunnel 28 (Escape from East Berlin) 1962 Robert Siodmak

Erika (Christine Kaufmann) am Grenzstreifen
Inhalt: Ost-Berlin 1962, wenige Monate nach dem Bau der Mauer - Kurt Schröder (Don Murray), Chauffeur des Grenzschutz-Offiziers Major Eckhardt (Carl Schell), lässt sich von dem Mechaniker Günther (Horst Jansen) mit einem Abschleppwagen von der Werkstatt nach Hause mitnehmen. Dass mit Günther etwas nicht stimmt, spürt Kurt sofort, bekommt aber kein Wort aus ihm heraus. Entsprechend überrascht reagiert er, als Günther – nachdem dieser ihn an seinem direkt an der Mauer gelegenen Haus abgesetzt hatte - mit vollem Tempo auf die Grenzanlagen losfährt, sich von den Schüssen der Grenzsoldaten nicht aufhalten lässt und die Mauer durchbricht. Doch er kommt nicht weit. Schwer verletzt steigt er aus dem Fahrerhaus, verfängt sich im Stacheldraht und wird von hinten erschossen. 

Kurt (Don Murray) gelingt es, die Grenzsoldaten zu täuschen
Als seine Schwester Erika (Christine Kaufmann) ihn am nächsten Morgen nicht in seinem Zimmer auffindet, sucht sie ihn zuerst in der Werkstatt, bevor sie zu Kurt fährt, der ihn als Letzter gesehen haben soll. Sie glaubt, dass Günther die Flucht in den Westen gelungen ist, weil Kurt nicht in der Lage ist, ihr vom Tod ihres Bruders zu berichten. Ohne zu zögern geht sie zur Grenze und will unter dem Stacheldraht hindurchklettern, als Kurt sie in letzter Sekunde zurückreißt. Die Grenzsoldaten nähern sich schon und Kurt täuscht ein heimliches Rendezvous mit Erika vor. Die Soldaten schicken sie zwar weg, glauben ihm aber – bis sie einen Stoffrest ihres Mantels im Stacheldraht entdecken... 


Zum Tod von Christine Kaufmann, am 28.03.2017 mit 72 Jahren gestorben 

Schon 1959 mit 14 Jahren wirkte Christine Kaufmann erstmals in einer italienischen Produktion mit. Nach einer Nebenrolle in "Vacanze d'inverno" übernahm sie in dem Sandalen-Film "Gli ultimi giorni di Pompei" (Die letzten Tage von Pompeji, 1959) ihre erste Hauptrolle. Mit "Totò, Fabrizi e i giovani d'oggi" (1960) und "Labbra rosse" (Rote Lippen - schlanke Beine, 1960) setzte die gebürtige Österreicherin ihre Karriere in Italien zügig fort. Während diese Filme außerhalb Italiens nur auf wenig Resonanz stießen, wurde die US-amerikanische / deutsche Co-Produktion "Stadt ohne Mitleid" (1961) zur endgültigen Initialzündung ihrer internationalen Karriere. In Folge davon spielte sie an der Seite von Jean-Paul Belmondo in "Un nommé La Rocca" (Ein Mann namens Rocca, 1961) und traf bei der Hollywood-Produktion "Taras Bulba" (1962) auf ihren späteren Mann Tony Curtis. Da war sie 17.

In Deutschland war sie zu dieser Zeit schon seit Jahren ein Star - ein Kinderstar. Nach ihrem Erfolg mit "Rosen-Resli" (1954) wurde sie zu einer festen Institution im Heimatfilm ("Wenn die Alpenrosen glüh'n", 1955), in Familienkomödien ("Witwer mit fünf Töchtern", 1957) oder seltener in Dramen wie "Mädchen in Uniform" (1958) in der Rolle einer jugendlichen Schülerin neben Romy Schneider und Lilly Palmer. Deutsche Filme, in denen sie junge erwachsene Frauen spielte, existieren dagegen nur wenige. In "Via mala" (1961) mimte sie als 16jährige zwar eine junge Mutter und Ehefrau eines Staatsanwalts, die Heimatfilm-Anklänge waren hier aber noch unübersehbar. Zeitgenössische Filme wie "Toller Hecht auf krummen Touren" (1961) und "90 Minuten nach Mitternacht" (1962), ihrem bis Ende der 60er Jahre letzten deutschen Kino-Film, sind dagegen nahezu vergessen. Das gilt auch für "Tunnel 28", der in seinem unmittelbaren Gegenwartsbezug eine Ausnahme in ihrem Werk war.


"Es gibt viele Gründe, die man anführen kann, warum man weggegangen ist. Das ist für mich ein riesiger Wartesaal geworden." (Deutschlandfunk, Kalenderblatt vom 24.01.2017)

Erika (mit Klaus Dahlen im Hintergrund) sucht ihren Bruder...
so ein Zeitzeuge über die Gründe, warum er nach dem Bau der Berliner Mauer am 13.08.1961 durch einen Tunnel vom Ostteil in den Westen geflohen war. Regisseur Robert Siodmak und der gebürtige Berliner Drehbuchautor Peter Berneis - Beide nach der Machtergreifung der Nationalsozialisten emigriert und nach erfolgreicher Hollywood-Karriere in den 50er Jahren wieder nach Deutschland zurückgekehrt - reagierten unmittelbar auf die damaligen Ereignisse, als eine Vielzahl an Menschen oft auch vergeblich versuchten, mit selbst gebauten Tunnelanlagen die abgeschottete und streng bewachte Grenze zu überwinden. Zum Vorbild nahmen sie sich die Flucht von 28 Menschen im Januar 1962 und holten mit Erwin Becker deren Initiator als technischen Berater ans Set, woran die Nähe des Films zum damaligen Zeitgeschehen deutlich wird.

...und glaubt, ihm wäre die Flucht in den Westen gelungen
Das galt auch für die Phase des „Kalten Kriegs“, die mit dem Mauerbau einen Höhepunkt erreichte. Entsprechend war von „Tunnel 28“ keine differenzierte Sichtweise auf die DDR zu erwarten, zumal der Film als Co-Produktion mit den US-Amerikanern entstanden war, was zu seltsamen Blüten führte. Statt Horst Buchholz übernahm mit Don Murray ein US-Schauspieler die männliche Hauptrolle und der sonst ausschließlich deutsche Cast drehte den Film in Englisch. Mit dem Ergebnis, dass die deutsche Fassung nachsynchronisiert wurde und die englischsprachige Version, die unter dem reißerischen Titel „Escape from East Berlin“ herauskam, klingt, als ob deutsche Schauspieler in Schulenglisch Sprachübungen absolvieren. Das Urteil des „Spiegel“ fiel vernichtend aus: 

„…erweist sich das Lichtspiel als unkünstlerisch und nicht frei von Peinlichkeiten. (…) Die Dialoge zwischen den Hauptdarstellern Don Murray und Christine Kaufmann könnten bundesministeriellen Ansprachen entnommen sein.“ 

Kurt mit seiner Geliebten (Christiane Maybach)...
Dabei ist der Story anzumerken, dass die Hauptfigur Kurt Schröder ambivalenter angelegt werden sollte. Als Chauffeur des Offiziers Major Eckhardt (Carl Schell) verfügt er über Privilegien und plant keineswegs die DDR zu verlassen. Gemeinsam mit seiner Mutter (Edith Schultze-Westrum), Schwester Ingeborg (Ingrid van Bergen), seinem kleinen Bruder Helmut (Ronald Dehne) und Onkel Albrecht (Bruno Fritz) bewohnt er ein noch von Kriegsschäden gezeichnetes Haus unmittelbar an der Mauer und hat es sich gut eingerichtet. Zudem pflegt er eine Liebesbeziehung mit der Ehefrau seines Chefs, Heidi (Christiane Maybach), und lässt auch sonst nichts anbrennen. Ob es am Einfluss der US-amerikanischen Co-Autoren lag, lässt sich nur noch schwer feststellen, aber leider deutete der Film diese Seite seines Charakters nur zu Beginn an und vertiefte sie nicht weiter.

...und handgreiflich bei der unwilligen "Bambi" (Anita Kupsch)
Stattdessen wird Kurt Schröder der Terror-Staat brachial vor Augen geführt. Erst wird er Zeuge des Todes von Günther Jürgens (Horst Janson), nachdem dieser mit seinem LKW in die Mauer gefahren und in Stacheldraht liegend von Grenzsoldaten hinterrücks erschossen worden war. Dann gelingt es ihm im letzten Augenblick dessen Schwester Erika (Christine Kaufmann) von einer unüberlegten Aktion an der Grenze abgehalten. Weil Kurt es nicht wagte, ihr von Günthers Tod zu berichten, glaubt sie, ihm wäre die Flucht in den Westen gelungen und will ihm folgen. Er reißt sie am Stacheldraht zurück und täuscht gegenüber den Grenzsoldaten ein Liebesabenteuer mit ihr vor. Doch der Bluff gelingt nur kurz, denn sie entdecken einen Stoffrest ihres Mantels im Stacheldraht und verfolgen sie bis zu Kurts Haus. Dort hatte er sie in der Nische eines Zimmers ohne Fußboden versteckt, weshalb selbst der Spürhund nicht weiter kommt. Die Soldaten geben ihre Suche auf, aber dass sie Schröder danach nicht auf die Wache mitnehmen, war unrealistisch. Schließlich hatten sie ihn zusammen mit der Flüchtigen angetroffen.

Kurt erläutert seinen Fluchtplan, will selbst aber nicht mit
Trotz dieser spontanen Hilfe für Erika, die ihn unmittelbar ins Gefängnis hätte bringen können, weigert sich Schröder weiter, ihr und seinen Familienangehörigen bei einer Flucht zu helfen. Um plötzlich angesichts der unglücklichen jungen Frau doch einen konkreten Plan für einen Fluchttunnel zu fassen, mit dessen Umsetzung er sofort beginnt. Allerdings nicht ohne im nächsten Satz hinzuzufügen, dass er selbst in der DDR bleiben will. Diese inkonsequent und konstruiert wirkende Charakterisierung – von Don Murray zudem zu amerikanisch lässig verkörpert - verdeutlichte den damaligen Zwiespalt in der Drehbuchgestaltung. Als einzige Figur des Films ohne eindeutige Haltung sollte Kurt den durchschnittlichen Mitläufer personifizieren, der auf Grund der realen Ereignisse umzudenken beginnt. Gleichzeitig war er für die „Heldenrolle“ vorgesehen und musste mutig handeln. Deshalb durfte er als Identifikationsfigur keine zu große Nähe zur Ideologie des Staates aufweisen.

Erikas Vater (Kurt Waitzmann) weist seine Frau (Helma Seitz) zurecht
Bei dessen Vertretern handelt es sich in „Tunnel 28“ entweder um gnadenlose Grenzsoldaten, die sofort mit der Kalaschnikow bei der Hand sind, oder über sogenannte „100 Prozentige“ wie Erikas Vater (Kurt Waitzmann), der seiner Frau (Helma Seitz) den Kirchgang verbieten will und die Flucht am Ende fast zum Scheitern bringt. Der interessanten Frage, wieso ausgerechnet seine Kinder ihr Leben riskieren, um aus dem von ihm geliebten Staat zu entkommen, ging der Film nicht weiter nach. Für Zwischentöne gab es 1962 keinen Spielraum, vor Plattitüden scheute sich der Film dagegen weniger. Die üblichen Verweise auf fehlende Seife und Nylonstrümpfe, ausfallenden Strom oder Wasser in der „Planwirtschaft“ durften nicht fehlen. „Tunnel 28“ gilt heute als erste filmische Reaktion auf den Mauerbau, verhalf dem Film aber nicht zum Erfolg. Trotz der noch Jahrzehnte andauernden Phase des „Kalten Krieges“ spielte der Film auch im aufkommenden Fernsehzeitalter keine Rolle. Zu reißbrettartig gerieten die Dialoge und zu offensichtlich war der propagandistische Hintergrund.

Diese Nähe zum politischen Zeitgeist verstellt den Blick auf einen Thriller, der in seiner überwiegenden Beschränkung auf Schröders Haus und der Grenzanlage in dessen Vorgarten klaustrophobische Züge annimmt. Während die Hausgemeinschaft, verstärkt um immer mehr Mitwisser, die sich der Flucht anschließen wollen, in einer von Dunkelheit und Verfall geprägten Umgebung durch die Erde graben, zieht sich der Ring der Verfolger zu. Sieht man von der Nachlässigkeit um Erikas Versteck zu Beginn ab, handeln die Grenzsoldaten mit professioneller Intensität. Kein fremdartiges Geräusch, kein seltsames Verhalten entgeht ihrer Aufmerksamkeit. Mehrfach stehen die Tunnelbauer davor, entdeckt zu werden, bis die Soldaten, alarmiert von Erikas Vater, von allen Seiten gleichzeitig in das Haus eindringen. Robert Siodmaks düstere, kaum Tageslicht zulassende Inszenierung erinnert an seine „Film noir“ – Phase der 40er Jahre („The dark mirror“ (Der schwarze Spiegel, 1946)) und vermittelte stimmig die Atmosphäre diktatorischer Machtausübung und das generelle Gefühl des Ausgeliefertseins. Der Erklärungen mit erhobenem Zeigefinger hätte es nicht bedurft. 

"Tunnel 28Deutschland, USA 1962, Regie: Robert SiodmakDrehbuch: Peter Berneis, Gabrielle Upton, Millard Lampell, Darsteller : Christine Kaufmann, Don Murray, Werner Klemperer, Carl Schell, Ingrid van Bergen, Edith Schultze-Westrum, Bruno Fritz, Horst Janson, Anita Kupsch, Helma Seitz, Kurt Waitzmann, Christiane Maybach, Klaus DahlenLaufzeit : 89 Minuten

Donnerstag, 23. März 2017

Weg in die Freiheit (1952) Alfred Weidenmann


Auf Hahnöversand
Inhalt: In „Weg in die Freiheit“ wird ein reformpädagogisches Konzept für jugendliche Straftäter dokumentiert, das diesen die Eingliederung nach der Haftzeit erleichtern soll. Auf der Elbinsel Hahnöversand - in der Nähe der Großstadt Hamburg gelegen, aber ein in sich abgeschlossener, überschaubarer Raum – entstanden schon in den 20er Jahren die geeigneten Gebäude für die in drei Stufen vorgenommene Erziehungsmethodik: der Zellentrakt, ein Wohngebäude mit Aufsicht und eine unbewachte Wohnanlage. Mit korrektem Verhalten und konstruktiver Mitarbeit können sich die jungen Männer die Erleichterung ihrer Haft von der Gefängniszelle bis zum Freigänger auf der Insel verdienen… 


Von "Junge Adler" (1944) bis "Weg in die Freiheit" (1952) 

Auf Grund seiner Rolle in der Hitlerjugend, die in dem Propagandafilm "Junge Adler" gipfelte, erhielt Regisseur Alfred Weidenmann - wie sein Drehbuchautor und Compagnon Herbert Reinecker - nach dem Ende des Nationalsozialismus keine Aufträge. Mit "Weg in die Freiheit" und drei weiteren Kurzfilmen stiegen sie 1952 wieder ins Filmgeschäft ein. Vordergründig scheinen beide Werke wenig miteinander zu tun zu haben. Hier der abendfüllende Unterhaltungsfilm, der im Krieg letzte Reserven mobilisieren sollte, dort ein dokumentarischer Kurzfilm über Resozialisierung im Strafvollzug. Tatsächlich drängt sich der Vergleich auf. In beiden Filmen stehen männliche Jugendliche im Mittelpunkt und ihre Position in der Gesellschaft - jeweils von großer politischer Anerkennung begleitet. "Junge Adler" lief zum 10jährigen Jubiläum der Filmabteilung der Hitlerjugend vor hohen NSDAP-Funktionären, "Weg in die Freiheit" wurde 1953 als "Kulturfilm" mit dem deutschen Filmpreis ausgezeichnet. 

Am 24.03.2017 gab es die seltene Gelegenheit "Weg in die Freiheit" als Vorfilm von "Die große Versuchung" (1952) im Berliner Zeughaus Kino zu sehen. Als Teil der Reihe "Zu den Verhältnissen", die noch mit drei weiteren Schwerpunkten über das deutsche Nachkriegskino bis Ende 2017 fortgesetzt wird - sehr empfehlenswert. 


Zuchthaus
In Reih' und Glied marschieren die Männer in Richtung Baracke, aber es handelt sich nicht um eine Militäreinheit, sondern um Strafgefangene auf dem Weg zum Haupttrakt des Gefängnisses. Ihre Gesichter sind ernst, ihr Blick nach unten gerichtet. Es sind Bilder aus der noch jungen BRD im Jahr 1952 und sie ähneln den Aufnahmen, die Regisseur Alfred Weidenmann wenige Jahre zuvor in "Junge Adler" (1944) auf die Leinwand brachte. Junge Männer, die in militärischer Formation zu ihrer Arbeit als Lehrlinge eines Flugzeugwerks schritten - nur das ihre Gesichter Freude und Begeisterung ausdrückten. Entstanden war "Junge Adler" zum 10jährigen Jubiläum des Filmschaffens der Propagandaabteilung der Hitler-Jugend, in der Weidenmann und sein Drehbuch-Autor Herbert Reinecker führende Positionen eingenommen hatten. "Weg in die Freiheit" wurde auf Veranlassung des "Institut für Film und Bild in Wissenschaft und Unterricht" (FWU) produziert, das sich 1950 neu gegründet hatte. Mit der Zielsetzung „…die freie Volksbildung und die Jugendpflege zu fördern und damit der Allgemeinbildung zu dienen.“

Jugendstrafanstalt Hahnöversand
In den acht Jahren zwischen beiden Filmen hatte Weidenmann nur wenig gedreht. Der noch in der Phase des Nationalsozialismus begonnene "Die Schenke zur ewigen Liebe" wurde nicht mehr fertiggestellt. Nach Kriegsende geriet der Regisseur in russische Gefangenschaft und erhielt nach seiner Rückkehr auf Grund seiner NSDAP-Vergangenheit keine neuen Regie-Aufträge. Erst die FWU, für die er parallel drei weitere "Kulturfilme" schuf, ermöglichte ihm und seinem Compagnon Herbert Reinecker, dem es nach dem Krieg ähnlich ergangen war, wieder ins Filmgeschäft einzusteigen. Ende 1953 kam ihr nach "Junge Adler" erster gemeinsamer Langfilm „Ich und du“ in die deutschen Kinos – erneut mit Hardy Krüger in der Hauptrolle – und im folgenden Jahr „Canaris“ (1954) über den langjährigen Chef der „deutschen Abwehr“, der im März 1945 als Vaterlands-Verräter hingerichtet worden war. Einer der ersten westdeutschen Filme, die sich unmittelbar mit der jüngsten Vergangenheit beschäftigten.

Stufe 1: der Zellentrakt
„Weg in die Freiheit“ dokumentierte dagegen ein aktuelles Thema. Für die Auseinandersetzung mit der Resozialisierung von straffällig gewordenen Jugendlichen erhielt er 1953 das „Filmband in Silber“ für einen „Film, der das soziale Problem besonders eindrucksvoll behandelt“. Herbert Reinecker wurde mit dem gleichen Preis für sein Drehbuch ausgezeichnet, das den Weg der Wiedereingliederung in die Gesellschaft am Beispiel der Jugendvollzugsanstalt Hahnöversand, die auf einer Elbinsel unweit von Hamburg gelegen ist, nachzeichnete. Auf Grund der abgeschlossenen Lage ließ sich an diesem Ort ein pädagogischer Dreistufenplan umsetzen. Den jugendlichen Straftätern wird ausgehend von der traditionellen Verwahrung in einer Zelle ermöglicht, ihre Haftbedingungen durch Engagement und Einordnung zu verbessern. Über eine betreute Wohnanlage mit einem Aufseher, der jederzeit ein offenes Ohr für die jungen Männer hat, führt der Weg - begleitet von Schule und Berufsausbildung - zum Freigang auf der Insel und einer selbstverwalteten Unterkunft ohne Aufsicht.

Stufe 2: Betreuer im kontrollierten Wohnbereich
Der den Film aus dem Off begleitende Kommentator betonte, dass er diese Form der Resozialisierung nicht für „übliche Kriminelle“ geeignet hielt, sondern nur für Jugendliche, die ein wenig vom Pfad der Tugend abgekommen waren. Beispielhaft wurden junge Männer ins Bild gesetzt, deren Verfehlungen auf die Versuchungen der sich in der Nachkriegszeit schnell wandelnden Gesellschaft zurückgeführt wurde. Sie haben noch eine Chance verdient, für die sie hart arbeiten und sich unterordnen müssen. Ihre ernsten Gesichter sind von Demut und Zurückhaltung geprägt, Fehlverhalten wird mit der Zurücknahme von Privilegien bestraft. Die Inszenierung, die Weidenmann wählte, hätte aus "Junge Adler" stammen können. Gruppen junger Männer bei der Ausbildung in der Werkstatt, beim gemeinsamen Einsatz auf dem Feld oder bei sportlicher Betätigung. Wiederholt wechselt die Kamera in eine Totale, die den Einzelnen angesichts einer beeindruckenden Natur unwichtig erscheinen lässt. Nicht das Individuum zählt, sondern die Eingliederung in die Gemeinschaft.

Sieben Jahre waren seit dem Ende des Nationalsozialismus vergangen, die Diktatur war der Demokratie gewichen, aber an der Haltung der Gesellschaft gegenüber Kriminellen hatte sich wenig geändert. Reineckers Schilderung einer reformpädagogischen Idee, deren Anfänge auf die 20er Jahre während der Weimarer Republik zurückgingen, ist die Notwendigkeit zur Relativierung auf Grund des vorherrschenden Misstrauens anzumerken. Die Nationalsozialisten hatten das Experiment auf Hahnöversand nach ihrer Machtergreifung zugunsten traditioneller Methoden beendet. Einzig Drill und Strenge galten als probate Mittel. Die jungen Kriminellen, denen sich Weidenmann und Reinecker hier widmeten, hätten in "Junge Adler" keine Chance auf eine Teilnahme gehabt – dort galt die Begeisterung und Eingliederung in die Gruppe als ideologische Voraussetzung.

"Weg in die Freiheit"
Von Ideologie war hier nicht mehr die Rede, aber das klar definierte Regeln zu erfüllen waren, stand außer Frage. Grundlegend geändert hat sich daran bis heute nichts, aber die große Ernsthaftigkeit, mit der die Voraussetzungen für eine zweite Chance in „Weg in die Freiheit“ dokumentiert wurde, vermittelte den spröden Charme eines von Arbeit bestimmten Lebens. Trotzdem war Reineckers gedanklicher Ansatz für die Entstehungszeit progressiv, ist der Unterschied zu "Junge Adler" signifikant. Der Staat und damit dessen Kontrolle blieben im Nationalsozialismus immer gegenwärtig, hier dagegen bedeutete die Freiheit, in die der jugendliche Straftäter nach seiner Zeit auf Hahnöversand entlassen wurde, ein Vertrauensbeweis in dessen eigenständiges Handeln. 

"Weg in die Freiheit" Deutschland 1952Regie: Alfred Weidenmann, Drehbuch: Herbert Reinecker, Laufzeit : 16 Minuten 

weitere im Blog besprochene Filme von Alfred Weidenmann: 

"Junge Adler" (1944) 
"Der Stern von Afrika" (1957) 
"An heiligen Wassern" (1960)

Samstag, 11. März 2017

Freddy unter fremden Sternen (1959) Wolfgang Schleif


Freddy und Stefan (Christian Malachet) haben es nach Kanada geschafft
Inhalt: Am Hafen von Toronto versucht Freddy Ullmann (Freddy Quinn) den 10jährigen Waisenjungen Stefan (Christian Malachet) mit ins Land zu nehmen, aber das wird ihm von der kanadischen Einreisebehörde verweigert. Doch Stefan, der ohne Papiere als blinder Passagier mit Freddy von Hamburg per Schiff über den Ozean gekommen war, weiß sich zu helfen und schlüpft durch die Beine eines Grenzpolizisten. Gemeinsam besuchen sie die Niagara-Fälle, bevor sie sich zu der alten Holzhütte begeben, die Freddy von seinem Onkel geerbt hat. Diese erweist sich nur noch als zerfallene Ruine inmitten eines riesigen Grundstücks, aber Freddy und Stefan beginnen sofort tatkräftig mit dem Wiederaufbau. 

Henry O'Brien (Gustav Knuth) versucht vergeblich, Freddy zu beeinflussen
Es dauert nicht lange, bis auch die Nachbarn auf die Neuankömmlinge aufmerksam werden. Manuela (Vera Tschechowa), verwöhnte Tochter des reichen Großgrundbesitzers Henry O’Brien (Gustav Knuth), begegnet Freddy erstmals, als dieser mit dem Ruderboot über den See kommt und berichtet ihrem Vater, der den jungen Mann gleich darauf zu sich einlädt. Doch seine Gastfreundschaft ist nicht ohne Hintergedanken, denn O‘Brien steht kurz vor dem Ruin. Er hatte sich verspekuliert und die Bank droht ihm seinen Besitz zu pfänden. Einzig die Kupfervorkommnisse auf Freddys Grundstück könnten ihn noch retten, weshalb er versucht, ihm das Grundstück für wenig Geld abzukaufen. Doch Freddy denkt nicht daran, es herzugeben… 


Unter fremden Sternen

Es kommt der Tag, da will man in die Fremde.
Dort wo man lebt, scheint alles viel zu klein.
Es kommt der Tag, da zieht man in die Fremde,
und fragt nicht lang, wie wird die Zukunft sein.
Fährt ein weißes Schiff nach Hongkong,
hab‘ ich Sehnsucht nach der Ferne.
Aber dann in weiter Ferne,
hab‘ ich Sehnsucht nach zu Haus.
Und ich sag zu Wind und Wolken:
"Nehmt mich mit. Ich tausche gerne
all die vielen fremden Länder
gegen eine Heimfahrt aus!"
 








Freddy singt "Unter fremden Sternen", die aber...
Aldo von Pinellis Text zum Titelsong "Unter fremden Sternen" traf die Botschaft des Films so genau, dass die Handlung damit obsolet gewesen wäre, aber dann hätte das Publikum nicht nur auf einen singenden Freddy Quinn verzichten müssen, sondern auch auf einen, der Action kann. Quinn betätigte sich als Holzfäller, hoch zu Ross, beim Sprung in reißende Fluten und als Lebensretter aus einem brennenden Haus. Nebenbei gewinnt er noch einen Wettbewerb im Schießen. Auch wenn dieser nicht im Bild zu sehen ist, hätte Niemand an diesem Ergebnis gezweifelt. Auf einen Mann wie Freddy Ullmann hatte Kanada nur gewartet. Und die Frauen ganz besonders.

...gar nicht so fremdartig daher kommen
Nach dem großen Erfolg mit "Freddy, die Gitarre und das Meer" (1959) setzte sich Texter und Autor Aldo von Pinelli - gemeinsam mit Co-Autor Gustav Kampendonk und Regisseur Wolfgang Schleif - sofort an dessen Fortsetzung, um das von ihnen entworfene Profil eines bodenständigen Mannes, der mit der Gitarre unter dem Arm und einem Lied auf den Lippen den Widrigkeiten des Lebens gelassen begegnet, weiter zu schärfen. Dabei kamen ihnen die im Gegensatz zum Erstling deutlich großzügiger vorhandenen Produktionsmittel entgegen. Gedreht wurde in Technicolor, zum Cast gehörten mit Gustav Knuth und Dieter Eppler bekannte Namen, dazu mit Vera Tschechowa, Helga Sommerfeld und Hannelore Elsner eine Schar junger vielversprechender Darstellerinnen und als Drehorte standen Toronto, die Niagara-Fälle und das weitläufige Panorama der kanadischen Landschaft statt der engen Gassen St.Paulis im Brennpunkt.

Stefan wird mit Gugelhupf verwöhnt...
Von dort hatte sich Freddy auf den Weg „unter fremde Sterne“ gemacht, aber sieht man von der Skyline Torontos und ein paar einsamen Elchen ab, hielt sich das Nordamerika-Feeling in engen Grenzen. Der Handlungsort mit weitläufigen Seen, dichten Wäldern und schneebedeckten Bergen im Hintergrund unterschied sich nur gering von der Alpenlandschaft im Heimatfilm, Sprachgrenzen existierten nicht und die Menschen vor Ort pflegten vertraute Gebräuche. Trotz kleiner Anfangs-Schwierigkeiten gilt Freddy hier keinen Moment als „Fremder“. Im Gegenteil sorgt er bei einer Geburtstags-Feier als „Hillbilly“-Sänger für folkloristische Stimmung. Klar, dass ihn auch der Händler Miller (Benno Sterzenbach) und der Großgrundbesitzer O’Brien (Gustav Knuth), zwei alteingesessen Platzhirsche, sofort respektieren. Kanada hat hier die Anmutung eines Deutschlands mit kostümierten Cowboys und Western-Kulissen, weshalb Freddys tatsächliche Heimat erst gar nicht thematisiert wurde.

...und Freddy von den Frauen
„Freddy unter fremden Sternen“ entstand für ein Publikum, das die Vorgeschichte kannte. Selbst die Anwesenheit eines 10jährigen Jungen an der Seite eines knapp 30jährigen Mannes, der in Kanada einwandert, warf keinerlei Fragen auf. Wie selbstverständlich wird Stefan als Freddys kleiner Freund angesehen, von der Damenwelt mit Gugelhupf und Pudding gemästet und darf zu allen Gelegenheiten seine altklugen Kommentare abgeben. Dass Christian Malachet als einziges Überbleibsel aus "Freddy, die Gitarre und das Meer" erneut zur Besetzung gehörte, war neben der Handlungskontinuität seiner Funktion als Störenfried zu verdanken. Die Macher um Aldo von Pinelli trieben in „Freddy unter fremden Sternen“ dessen Schlag bei Frauen auf die Spitze. Neben Millers vier Töchtern, von denen sich vor allem Ellen (Helga Sommerfeld) ins Zeug legte – Hannelore Elsner in ihrer ersten Filmrolle betrachtete die Balz-Rituale eher spöttisch -, trat besonders Manuela (Vera Tschechowa) im Auftrag ihres Vaters O’Brien als Verführerin auf den Plan und sorgte sogar beim coolen Freddy für weiche Knie.

Wenn Freddy für folkloristische Einlagen sorgt, ...
Hinter Manuelas Ambitionen steht ein fieser Plan, denn ihr Daddy ist von der Pleite bedroht, weshalb er billig an Freddys Grundstück herankommen muss, unter dessen Oberfläche sich wertvolle Kupfervorkommen befinden. Zuerst schickte er seinen Verwalter Ted O’Connor (Dieter Eppler) und dessen Helfershelfer vor, um das „Greenhorn“ unter Druck zu setzen, aber so ließ sich Freddy erwartungsgemäß nicht aus der Ruhe bringen. Erst Manuela verfügt über die notwendigen Mittel, wird aber dank Stefans Eingreifen am Austausch konkreter Zärtlichkeiten gehindert. Als Grund muss Susi aus "Freddy, die Gitarre und das Meer" herhalten, die in Deutschland angeblich auf ihn wartet, obwohl keine Rückkehr eingeplant war. Ursprünglich sollte sie nachkommen, sobald Freddy eine Existenz in Kanada aufgebaut hätte, aber das erwähnt nicht einmal mehr der penetrante Stefan.

...betrachtet ihn auch Manuela (Vera Tschechowa) mit anderen Augen
Von Pinelli, Kampendonk und Schleif standen vor einem Dilemma. Einerseits war von Beginn an klar, dass ihr Star am Ende wieder in die Heimat zurückkehrt, andererseits sollte „Freddy unter fremden Sternen“ ein Wohlfühl-Film und kein Auswanderer-Drama werden. Nicht nur der alte O’Brien wird reumütig und beichtet Freddy von seinen finanziellen Schwierigkeiten, auch die gar nicht mehr eingebildete Manuela entdeckt ihre wahren Gefühle für den singenden Helden, der ihrem Vater das Leben gerettet hatte. Selbst die kanadische Polizei agiert ähnlich konstruktiv wie die deutsche im Vorgängerfilm und überführt Ted als den wahren Übeltäter, worauf sich Alle einigen können. Welchen Grund hätte Freddy also gehabt, die gar nicht so fremden Sterne wieder zu verlassen? - Dafür musste erneut Stefan in die Bresche springen, der wegen fehlender Einwanderungspapiere von der Polizei nach Deutschland zurückgeschickt werden soll. Als sein Freund kann Freddy ihn nicht im Stich lassen und begleitet ihn.

Abschlussbild mit Planwagen und Gitarre
Eine mehr als dünne Drehbuchwendung, die keiner näheren Betrachtung standhält. Wie hätte Freddy reagiert, wenn es Stefan zu Beginn des Films nicht gelungen wäre, am Hafen bei der Passkontrolle an den Beamten vorbei zu schlüpfen? – War es nicht viel zu riskant, ihn als blinden Passagier mit nach Kanada zu nehmen? – Jetzt, nachdem sich alles gefügt und O’Brien einen fairen Preis für Freddys Grundstück gezahlt hatte, geht es mit den Taschen voller Geld nach Deutschland zurück. Und prompt denkt Freddy wieder an Susi und die beiden Ossenkamps in Hamburg-St.Pauli, aber es bedarf schon sehr der 50er Jahre-Brille, um das angesichts der süßen Manuela und der schneebedeckten Wipfel im Hintergrund als Happy-End zu begreifen. Nicht ohne Grund endete "Freddy unter fremden Sternen" mit den beiden Protagonisten auf dem Bock eines Planwagens und Freddys Griff zur Gitarre - die im Titelsong beschworene "Heimfahrt" sparte man lieber aus. 

"Freddy unter fremden Sternen" Deutschland 1959, Regie: Wolfgang Schleif, Drehbuch: Aldo von Pinelli, Gustav Kampendonk, Darsteller : Freddy Quinn, Gustav Knuth, Vera Tschechowa, Dieter Eppler, Christian Machalet, Benno Sterzenbach, Helga Sommerfeld, Hannelore Elsner, Laufzeit : 92 Minuten 

weitere im Blog besprochene Filme von Wolfgang Schleif: 

"Freddy, die Gitarre und das Meer" (1959) 
"Freddy und die Melodie der Nacht" (1960)