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Montag, 17. April 2017

Tunnel 28 (Escape from East Berlin) 1962 Robert Siodmak

Erika (Christine Kaufmann) am Grenzstreifen
Inhalt: Ost-Berlin 1962, wenige Monate nach dem Bau der Mauer - Kurt Schröder (Don Murray), Chauffeur des Grenzschutz-Offiziers Major Eckhardt (Carl Schell), lässt sich von dem Mechaniker Günther (Horst Jansen) mit einem Abschleppwagen von der Werkstatt nach Hause mitnehmen. Dass mit Günther etwas nicht stimmt, spürt Kurt sofort, bekommt aber kein Wort aus ihm heraus. Entsprechend überrascht reagiert er, als Günther – nachdem dieser ihn an seinem direkt an der Mauer gelegenen Haus abgesetzt hatte - mit vollem Tempo auf die Grenzanlagen losfährt, sich von den Schüssen der Grenzsoldaten nicht aufhalten lässt und die Mauer durchbricht. Doch er kommt nicht weit. Schwer verletzt steigt er aus dem Fahrerhaus, verfängt sich im Stacheldraht und wird von hinten erschossen. 

Kurt (Don Murray) gelingt es, die Grenzsoldaten zu täuschen
Als seine Schwester Erika (Christine Kaufmann) ihn am nächsten Morgen nicht in seinem Zimmer auffindet, sucht sie ihn zuerst in der Werkstatt, bevor sie zu Kurt fährt, der ihn als Letzter gesehen haben soll. Sie glaubt, dass Günther die Flucht in den Westen gelungen ist, weil Kurt nicht in der Lage ist, ihr vom Tod ihres Bruders zu berichten. Ohne zu zögern geht sie zur Grenze und will unter dem Stacheldraht hindurchklettern, als Kurt sie in letzter Sekunde zurückreißt. Die Grenzsoldaten nähern sich schon und Kurt täuscht ein heimliches Rendezvous mit Erika vor. Die Soldaten schicken sie zwar weg, glauben ihm aber – bis sie einen Stoffrest ihres Mantels im Stacheldraht entdecken... 


Zum Tod von Christine Kaufmann, am 28.03.2017 mit 72 Jahren gestorben 

Schon 1959 mit 14 Jahren wirkte Christine Kaufmann erstmals in einer italienischen Produktion mit. Nach einer Nebenrolle in "Vacanze d'inverno" übernahm sie in dem Sandalen-Film "Gli ultimi giorni di Pompei" (Die letzten Tage von Pompeji, 1959) ihre erste Hauptrolle. Mit "Totò, Fabrizi e i giovani d'oggi" (1960) und "Labbra rosse" (Rote Lippen - schlanke Beine, 1960) setzte die gebürtige Österreicherin ihre Karriere in Italien zügig fort. Während diese Filme außerhalb Italiens nur auf wenig Resonanz stießen, wurde die US-amerikanische / deutsche Co-Produktion "Stadt ohne Mitleid" (1961) zur endgültigen Initialzündung ihrer internationalen Karriere. In Folge davon spielte sie an der Seite von Jean-Paul Belmondo in "Un nommé La Rocca" (Ein Mann namens Rocca, 1961) und traf bei der Hollywood-Produktion "Taras Bulba" (1962) auf ihren späteren Mann Tony Curtis. Da war sie 17.

In Deutschland war sie zu dieser Zeit schon seit Jahren ein Star - ein Kinderstar. Nach ihrem Erfolg mit "Rosen-Resli" (1954) wurde sie zu einer festen Institution im Heimatfilm ("Wenn die Alpenrosen glüh'n", 1955), in Familienkomödien ("Witwer mit fünf Töchtern", 1957) oder seltener in Dramen wie "Mädchen in Uniform" (1958) in der Rolle einer jugendlichen Schülerin neben Romy Schneider und Lilly Palmer. Deutsche Filme, in denen sie junge erwachsene Frauen spielte, existieren dagegen nur wenige. In "Via mala" (1961) mimte sie als 16jährige zwar eine junge Mutter und Ehefrau eines Staatsanwalts, die Heimatfilm-Anklänge waren hier aber noch unübersehbar. Zeitgenössische Filme wie "Toller Hecht auf krummen Touren" (1961) und "90 Minuten nach Mitternacht" (1962), ihrem bis Ende der 60er Jahre letzten deutschen Kino-Film, sind dagegen nahezu vergessen. Das gilt auch für "Tunnel 28", der in seinem unmittelbaren Gegenwartsbezug eine Ausnahme in ihrem Werk war.


"Es gibt viele Gründe, die man anführen kann, warum man weggegangen ist. Das ist für mich ein riesiger Wartesaal geworden." (Deutschlandfunk, Kalenderblatt vom 24.01.2017)

Erika (mit Klaus Dahlen im Hintergrund) sucht ihren Bruder...
so ein Zeitzeuge über die Gründe, warum er nach dem Bau der Berliner Mauer am 13.08.1961 durch einen Tunnel vom Ostteil in den Westen geflohen war. Regisseur Robert Siodmak und der gebürtige Berliner Drehbuchautor Peter Berneis - Beide nach der Machtergreifung der Nationalsozialisten emigriert und nach erfolgreicher Hollywood-Karriere in den 50er Jahren wieder nach Deutschland zurückgekehrt - reagierten unmittelbar auf die damaligen Ereignisse, als eine Vielzahl an Menschen oft auch vergeblich versuchten, mit selbst gebauten Tunnelanlagen die abgeschottete und streng bewachte Grenze zu überwinden. Zum Vorbild nahmen sie sich die Flucht von 28 Menschen im Januar 1962 und holten mit Erwin Becker deren Initiator als technischen Berater ans Set, woran die Nähe des Films zum damaligen Zeitgeschehen deutlich wird.

...und glaubt, ihm wäre die Flucht in den Westen gelungen
Das galt auch für die Phase des „Kalten Kriegs“, die mit dem Mauerbau einen Höhepunkt erreichte. Entsprechend war von „Tunnel 28“ keine differenzierte Sichtweise auf die DDR zu erwarten, zumal der Film als Co-Produktion mit den US-Amerikanern entstanden war, was zu seltsamen Blüten führte. Statt Horst Buchholz übernahm mit Don Murray ein US-Schauspieler die männliche Hauptrolle und der sonst ausschließlich deutsche Cast drehte den Film in Englisch. Mit dem Ergebnis, dass die deutsche Fassung nachsynchronisiert wurde und die englischsprachige Version, die unter dem reißerischen Titel „Escape from East Berlin“ herauskam, klingt, als ob deutsche Schauspieler in Schulenglisch Sprachübungen absolvieren. Das Urteil des „Spiegel“ fiel vernichtend aus: 

„…erweist sich das Lichtspiel als unkünstlerisch und nicht frei von Peinlichkeiten. (…) Die Dialoge zwischen den Hauptdarstellern Don Murray und Christine Kaufmann könnten bundesministeriellen Ansprachen entnommen sein.“ 

Kurt mit seiner Geliebten (Christiane Maybach)...
Dabei ist der Story anzumerken, dass die Hauptfigur Kurt Schröder ambivalenter angelegt werden sollte. Als Chauffeur des Offiziers Major Eckhardt (Carl Schell) verfügt er über Privilegien und plant keineswegs die DDR zu verlassen. Gemeinsam mit seiner Mutter (Edith Schultze-Westrum), Schwester Ingeborg (Ingrid van Bergen), seinem kleinen Bruder Helmut (Ronald Dehne) und Onkel Albrecht (Bruno Fritz) bewohnt er ein noch von Kriegsschäden gezeichnetes Haus unmittelbar an der Mauer und hat es sich gut eingerichtet. Zudem pflegt er eine Liebesbeziehung mit der Ehefrau seines Chefs, Heidi (Christiane Maybach), und lässt auch sonst nichts anbrennen. Ob es am Einfluss der US-amerikanischen Co-Autoren lag, lässt sich nur noch schwer feststellen, aber leider deutete der Film diese Seite seines Charakters nur zu Beginn an und vertiefte sie nicht weiter.

...und handgreiflich bei der unwilligen "Bambi" (Anita Kupsch)
Stattdessen wird Kurt Schröder der Terror-Staat brachial vor Augen geführt. Erst wird er Zeuge des Todes von Günther Jürgens (Horst Janson), nachdem dieser mit seinem LKW in die Mauer gefahren und in Stacheldraht liegend von Grenzsoldaten hinterrücks erschossen worden war. Dann gelingt es ihm im letzten Augenblick dessen Schwester Erika (Christine Kaufmann) von einer unüberlegten Aktion an der Grenze abgehalten. Weil Kurt es nicht wagte, ihr von Günthers Tod zu berichten, glaubt sie, ihm wäre die Flucht in den Westen gelungen und will ihm folgen. Er reißt sie am Stacheldraht zurück und täuscht gegenüber den Grenzsoldaten ein Liebesabenteuer mit ihr vor. Doch der Bluff gelingt nur kurz, denn sie entdecken einen Stoffrest ihres Mantels im Stacheldraht und verfolgen sie bis zu Kurts Haus. Dort hatte er sie in der Nische eines Zimmers ohne Fußboden versteckt, weshalb selbst der Spürhund nicht weiter kommt. Die Soldaten geben ihre Suche auf, aber dass sie Schröder danach nicht auf die Wache mitnehmen, war unrealistisch. Schließlich hatten sie ihn zusammen mit der Flüchtigen angetroffen.

Kurt erläutert seinen Fluchtplan, will selbst aber nicht mit
Trotz dieser spontanen Hilfe für Erika, die ihn unmittelbar ins Gefängnis hätte bringen können, weigert sich Schröder weiter, ihr und seinen Familienangehörigen bei einer Flucht zu helfen. Um plötzlich angesichts der unglücklichen jungen Frau doch einen konkreten Plan für einen Fluchttunnel zu fassen, mit dessen Umsetzung er sofort beginnt. Allerdings nicht ohne im nächsten Satz hinzuzufügen, dass er selbst in der DDR bleiben will. Diese inkonsequent und konstruiert wirkende Charakterisierung – von Don Murray zudem zu amerikanisch lässig verkörpert - verdeutlichte den damaligen Zwiespalt in der Drehbuchgestaltung. Als einzige Figur des Films ohne eindeutige Haltung sollte Kurt den durchschnittlichen Mitläufer personifizieren, der auf Grund der realen Ereignisse umzudenken beginnt. Gleichzeitig war er für die „Heldenrolle“ vorgesehen und musste mutig handeln. Deshalb durfte er als Identifikationsfigur keine zu große Nähe zur Ideologie des Staates aufweisen.

Erikas Vater (Kurt Waitzmann) weist seine Frau (Helma Seitz) zurecht
Bei dessen Vertretern handelt es sich in „Tunnel 28“ entweder um gnadenlose Grenzsoldaten, die sofort mit der Kalaschnikow bei der Hand sind, oder über sogenannte „100 Prozentige“ wie Erikas Vater (Kurt Waitzmann), der seiner Frau (Helma Seitz) den Kirchgang verbieten will und die Flucht am Ende fast zum Scheitern bringt. Der interessanten Frage, wieso ausgerechnet seine Kinder ihr Leben riskieren, um aus dem von ihm geliebten Staat zu entkommen, ging der Film nicht weiter nach. Für Zwischentöne gab es 1962 keinen Spielraum, vor Plattitüden scheute sich der Film dagegen weniger. Die üblichen Verweise auf fehlende Seife und Nylonstrümpfe, ausfallenden Strom oder Wasser in der „Planwirtschaft“ durften nicht fehlen. „Tunnel 28“ gilt heute als erste filmische Reaktion auf den Mauerbau, verhalf dem Film aber nicht zum Erfolg. Trotz der noch Jahrzehnte andauernden Phase des „Kalten Krieges“ spielte der Film auch im aufkommenden Fernsehzeitalter keine Rolle. Zu reißbrettartig gerieten die Dialoge und zu offensichtlich war der propagandistische Hintergrund.

Diese Nähe zum politischen Zeitgeist verstellt den Blick auf einen Thriller, der in seiner überwiegenden Beschränkung auf Schröders Haus und der Grenzanlage in dessen Vorgarten klaustrophobische Züge annimmt. Während die Hausgemeinschaft, verstärkt um immer mehr Mitwisser, die sich der Flucht anschließen wollen, in einer von Dunkelheit und Verfall geprägten Umgebung durch die Erde graben, zieht sich der Ring der Verfolger zu. Sieht man von der Nachlässigkeit um Erikas Versteck zu Beginn ab, handeln die Grenzsoldaten mit professioneller Intensität. Kein fremdartiges Geräusch, kein seltsames Verhalten entgeht ihrer Aufmerksamkeit. Mehrfach stehen die Tunnelbauer davor, entdeckt zu werden, bis die Soldaten, alarmiert von Erikas Vater, von allen Seiten gleichzeitig in das Haus eindringen. Robert Siodmaks düstere, kaum Tageslicht zulassende Inszenierung erinnert an seine „Film noir“ – Phase der 40er Jahre („The dark mirror“ (Der schwarze Spiegel, 1946)) und vermittelte stimmig die Atmosphäre diktatorischer Machtausübung und das generelle Gefühl des Ausgeliefertseins. Der Erklärungen mit erhobenem Zeigefinger hätte es nicht bedurft. 

"Tunnel 28Deutschland, USA 1962, Regie: Robert SiodmakDrehbuch: Peter Berneis, Gabrielle Upton, Millard Lampell, Darsteller : Christine Kaufmann, Don Murray, Werner Klemperer, Carl Schell, Ingrid van Bergen, Edith Schultze-Westrum, Bruno Fritz, Horst Janson, Anita Kupsch, Helma Seitz, Kurt Waitzmann, Christiane Maybach, Klaus DahlenLaufzeit : 89 Minuten

Sonntag, 5. Juni 2016

Freddy und die Melodie der Nacht (1960) Wolfgang Schleif

Freddy (Freddy Quinn) kümmert sich um Inge (Heidi Brühl)...
Inhalt: Wie jeden Abend tritt Freddy (Freddy Quinn) seinen Job als Taxi-Fahrer an, der seine Kunden durchs nächtliche Berlin transportiert. Zu seinen ersten Fahrgästen gehören Karl (Peter Carsten) und Willy (Harry Engel), die am Tempelhofer Flughafen in sein Taxi steigen. Freddy ahnt nicht, dass sie einen Überfall auf einen Geldtransport begangen hatten, ohne Beute zu machen. Ihre Flucht aus Berlin (West) per Flugzeug scheiterte an 50 Mark, weshalb sie das fehlende Geld dringend auftreiben wollen. Als sie mitbekommen, wie Freddy seinem Kollegen Paul (Werner Stock) 50 Mark für eine Tankfüllung gibt, wechseln sie mit dessen Einverständnis das Taxi.

...Karl (Peter Carsten) und Willy (Harry Engel) sind erst später dran
Die scheinbar lukrative Fahrt wird für den Familienvater Paul schnell zum Alptraum, denn Karl schießt rücksichtslos auf ihn. Mit den 50 Mark fliehen die beiden Männer und lassen den Schwerverletzten zurück. Inzwischen kümmert sich Freddy um Direktor Wendlandt (Hans Nielsen), der auf der Suche nach frivoler Unterhaltung im Berliner Nachtleben ist. Zuerst musste Freddy die Blumenverkäuferin Inge (Heidi Brühl) aus dessen Fängen befreien, aber der Mittfünfziger erweist sich zunehmend als sympathische Frohnatur…


Coolness war 1960 noch kein stehender Begriff für einen souveränen Charakter, der nie die Nerven verliert. Und Freddy Quinn, der Schlagersänger und "Junge von St.Pauli", gehört aus heutiger Sicht kaum zu den üblichen Verdächtigen dieser Spezies, aber genau das war er in seinen Rollen - cool bis zum Abwinken. In "Freddy und die Melodie der Nacht" spielte er einen Taxifahrer in Berlin (West), der immer weiß was zu tun ist und immer die richtigen Worte findet. Egal ob er einen reichen Unternehmer (Hans Nielsen) zu den einschlägigen Etablissements der Stadt kutschiert, seinem Kollegen - Typ kinderreicher Familienvater – eine lukrative Fahrt überlässt, auf dem Polterabend seines Chefs die Unterhaltungs-Kanone gibt, für die Imbissverkäuferin Frau Bremer (Grethe Weiser) ein paar charmante Worte übrig hat oder Jagd auf Verbrecher macht.

Selbstverständlich weiß er auch Inge (Heidi Brühl) zu umgarnen, die als Blumenmädchen nachts Geld für ihr Studium verdient und Anmache gewohnt ist. Sie lässt sonst Jeden abblitzen, nur Freddy findet den Zugang zu ihr - dabei jederzeit den gebotenen Anstand wahrend. Mühelos kombinierte Quinn den Typus "idealer Schwiegersohn" mit dem Typus "einsamer Wolf", zu dem er zu Beginn des Films hochstilisiert wird, wenn er in Lederjacke seinem nächtlichen Gewerbe nachgeht und das Lied "Melodie der Nacht" zum Besten gibt:


"Melodie der Nacht, wenn die Dunkelheit erwacht,
zieh' ich durch die große Stadt,
einsam hallt mein Schritt, es geht Niemand mit mir mit,
durch die menschenleeren Straßen,
so bin ich allein und frage mich, gibt`s ein Herz, das mich vermisst,
und wo ist der Mensch, der zu mir hält, der genau wie ich einsam ist?
Melodie der Nacht, du hast Freud' und Leid gebracht, doch die Nacht, sie wird vergeh‘n,
Melodie der Nacht, wenn ein neuer Tag erwacht, wird dein Klang im Wind verweh'n"

Direktor Wendlandt (Hans Nielsen) schlägt ein wenig über die Strenge...
Drehbuchautor und Liedtexter Aldo von Pinelli, seit "Schlagerparade" (1953) eine Institution im deutschen Schlagerfilm, hatte wieder ganze Arbeit geleistet und kein Klischee ausgelassen. Gemeinsam mit Gustav Kampendonk und Regisseur Wolfgang Schleif war er seit "Freddy, die Gitarre und das Meer" (1959) für den Aufstieg Quinns zum Superstar verantwortlich. Im Schlagerfilm "Die große Chance" (1957) nach Von Pinellis Drehbuch spielte Quinn noch eine Nebenrolle, "Freddy und die Melodie der Nacht" wurde nach "Freddy unter fremden Sternen" (1959) dann schon sein dritter Film als Hauptdarsteller innerhalb eines Jahres - immer gemeinsam mit dem Kreativ-Trio.

...und Mutter Brehmer (Grethe Weiser) sorgt für nächtliches Wohlbefinden
Das ließ auch sonst keinen Zweifel am Charakter der übrigen Rollen, die streng auf Linie gebürstet wurden. Hans Nielsen als Direktor Wendlandt spielte einen Kapitalisten mit menschlichem Anstrich, der nach langer Ehe hin und wieder ein wenig Ablenkung sucht. Natürlich ganz im Verständnis-Modus für männliche Schwächen – angetrunken, leicht über die Strenge schlagend, aber auch spendabel und selbstironisch. Im Stil eines großen Bruders sorgt Freddy dafür, dass er am Ende wohlbehalten nach Hause kommt. Auch Grethe Weiser als Würstchenverkäuferin mit Berliner Schnauze ist hier in ihrem Element. Immer herzlich direkt gegenüber ihrer Kundschaft, nur Sohn Willy (Harry Engel) kann bei ihr machen was er will – ihm kann sie nicht böse sein.

„Der Junge ist kein schlechter Kerl, nur zu verwöhnt“

Kai Fischer als promiskuitive Anka...
Keine typischen Worte eines Altvorderen, sondern von Inge, der Idealverkörperung einer tüchtigen jungen Frau. Hübsch, aber dezent gekleidet, nachts für ihr Sprachen-Studium arbeitend, aber moralisch integer bei Mutter Bremer zur Untermiete wohnend. Heidi Brühl gegenüber steht Kai Fischer in ihrer gewohnten Rolle als „billiges Flittchen“ (Zitat Mutter Bremer). Optisch sexuell herausfordernd, lässt sich Anka (Kai Fischer) gerne von den Männern aushalten, ohne sich festzulegen. Der schwache Willy ist für sie ein willkommenes Opfer – bei Freddy hätte sie keine Chance. Das gilt auch für Willys Freund Karl Bachmann (Peter Carsten), ein Krimineller, der keine Skrupel kennt, Frauen zu schlagen und auf Wehrlose zu schießen. Mit Willy zusammen hat er einen Geldtransport überfallen, musste aber ohne Beute abziehen. Jetzt fehlt ihnen das Geld, um aus dem Berliner Westen in die Bundesrepublik zu fliehen.

...und Erotik im Berliner Nachtleben
An dieser Figuren-Konstellation wird die Nähe des Films zum damals populären „Moral-Film“ deutlich, mit dem die Jugend vor den Gefahren einer sich verändernden Sozialisation gewarnt werden sollte. Anka, Willy und Karl stehen für die negativen Auswirkungen loser Moral- und egoistischer Konsumvorstellungen, Inge für die gewünschte Rolle einer zukünftigen Hausfrau und Mutter. Und Freddy ist „der Fels in der Brandung“, ein Mann, der immer zwischen Gut und Böse unterscheiden kann, dabei auch mal ein Auge zudrückend. Gesanglich blieb er zurückhaltend. Wie der gesamte Film, dessen Musiknummern sich - anders als im „Schlagerfilm“ üblich - stimmig ins Geschehen integrierten. Das Hauptgewicht lag auf zwei professionellen Tanznummern, die im Zusammenhang mit Freddys Tour durch die Berliner Nacht-Clubs gezeigt wurden. Hier durfte es hemmungslos erotisch zugehen, damit nicht nur Direktor Wendlandt auf seine Kosten kam.

Geschuldet war diese frivole Seite auch dem Bild Berlins als verruchte Großstadt zwischen Kriminalität und Verlockung. Der Heimatfilm-Charakter, den Quinns Filme im Kontrast zu seinem weltmännischen Auftreten (Motto „in der Heimat ist’s am schönsten“) sonst auszeichneten, blieb wie die Sehenswürdigkeiten der Stadt oder deren politische Teilung fast vollständig ausgeblendet. Betont wurde dagegen die fehlende Sperrstunde. Berlin hat nie geschlossen – die Wurst bei Mutter Brehmer nachts um 2 ist genauso selbstverständlich wie die geöffnete Kneipe am frühen Morgen. Zwischendurch geht Freddy auch aufs Polizeirevier und macht eine Aussage über die zwei Verbrecher. Anzusehen ist den Protagonisten die nächtliche Stunde nicht, müde wirkt hier Niemand, viel mehr wurde die Handlung einfach in die Dunkelheit verlegt.

Will man von Handlung reden, denn eine echte Story existiert hier nicht. Einzig die beiden Kriminellen Karl und Willy sorgen für etwas Dynamik, aber ihr Verhalten ist an Unlogik schwer zu übertreffen. Da ihnen Geld für die Flucht per Flugzeug aus dem Westteil Berlins fehlt, überfallen sie Freddys Taxi-Kollegen, nachdem sie mit angesehen hatten, dass er von Freddy 50 Mark für eine Tankfüllung erhalten hatte. Blöderweise hatte Karl das Ersatzmagazin seiner Waffe zuvor in Freddys Taxi verloren, weshalb sie sich in den folgenden Stunden auf dessen Spur setzen, um das mögliche Beweisstück gegen sie wiederzubekommen. Nicht nur das sie sich dabei ungeschickt und zögerlich verhalten, sie hatten inzwischen so viele Indizien hinterlassen, dass es darauf gar nicht angekommen wäre – sie verlieren nur unnötig Zeit.

Eine Rolle spielte das nicht, denn „Freddy und die Melodie der Nacht“ erinnert in seiner Ziellosigkeit, dem Aufnehmen unterschiedlicher Handlungselemente, ohne sie zu Ende bringen zu müssen, an die parallel aufkommende „Nouvelle vague“. Von Pinelli, Kampendonk und Schleif kombinierten Schlagerfilm, Großstadt-Drama, Moralfilm, Liebes- und Kriminalgeschichte zu einem Mix, der den einzelnen Bestandteilen wieder ihr Gewicht nahm. In seiner auf Relativierungen verzichtenden Tragik ist der Film zudem von einer überraschenden Konsequenz. Das Bild der zurückgelassenen Grethe Weiser brennt sich in die Erinnerung und widerspricht Freddys Liedtext – der Klang der Nacht verweht nicht beim Tagesanbruch.

"Freddy und die Melodie der Nacht" Deutschland 1960, Regie: Wolfgang Schleif, Drehbuch: Aldo von Pinelli, Gustav Kampendonk, Darsteller : Freddy Quinn, Heidi Brühl, Grethe Weiser, Peter Carsten, Kai Fischer, Harry Engel, Hans Nielsen, Werner Stock, Laufzeit : 89 Minuten 

weitere im Blog besprochene Filme von Wolfgang Schleif: 

"Freddy, die Gitarre und das Meer" (1959) 
"Freddy unter fremden Sternen" (1959)

Freitag, 23. Oktober 2015

Die Nichten der Frau Oberst (1968) Erwin C.Dietrich

Inhalt: „Frau Oberst“ Clarissa (Kai Fischer), junge Witwe eines Offiziers, verbringt die Nacht mit Alexander (Heiner Hitz), der ihr am nächsten Morgen seine Liebe schwört und sie heiraten will. Amüsiert über so viel Begeisterung macht sie ihm schnell klar, worum es ihr wirklich geht und stellt ihm ihre zwei Nichten Florentine (Tamara Baroni) und Julia (Heidrun Hankammer) vor. Diese sind nach ihrem Geschmack zu sehr aneinander interessiert, weshalb sie sie schnell an den Mann bringen will. Florentine gefällt Alexander mehr als die scheinbar nur für ihre Pferde schwärmende Julia und er heiratet sie.

Doch auch für Julia hat „Frau Oberst“ schon einen Plan. Der Lebemann und Frauenheld Gaston (Claus Tinney) scheint ihr geeignet, Julia auf andere Gedanken zu bringen, aber nicht ohne ihn zuvor selbst eine Nacht für sich zu haben. Auch Gaston will sie sogleich am nächsten Morgen heiraten, soll sich aber um die zweite Nichte kümmern. Keineswegs ohne Erfolg, aber Julia verlangt zuerst geheiratet zu werden, bevor sie mit ihm ins Bett geht…


"Die Nichten der Frau Oberst hat vermutlich nicht nur mich und meine Zukunft verändert, sondern auch Diejenige der ganzen deutschen Kinowelt..." (Zitat Erwin C.Dietrich, E-Mail Interview 01/2015)

Klappte es im Bett bei "Frau Oberst" (Kai Fischer) noch wunderbar...
Diese von Erwin C. Dietrich in unterschiedlichen Publikationen zuvor schon in ähnlicher Form gemachte Aussage, lässt sich an Hand eindeutiger Fakten belegen. Dietrich selbst, der als Produzent begonnen hatte, um zunehmend als Drehbuchautor und Regisseur stärker in den Entstehungsprozess seiner Filme einzugreifen, kämpfte seit Jahren um das Überleben seiner Verleih- und Produktionsfirma. Seit seinem Einstieg ins Erotik-Genre mit "Schwarzer Markt der Liebe" (1966) hatte er weitere fünf erotische Filme herausgebracht - zuletzt "Hinterhöfe der Liebe" (1968) unter eigener Regie -, aber ein durchschlagender Erfolg wollte sich nicht einstellen. Immerhin hatte sich inzwischen ein festes Team herausgebildet, bestehend aus dem Kameramann Peter Baumgartner ("St.Pauli - zwischen Nacht und Morgen", 1967), dessen Onkel Walter Baumgartner als Filmkomponist ("...und noch nicht sechzehn", 1968) und den männlichen Darstellern Peter Capra ("Unruhige Töchter", 1968) und Claus Tinney ("Schwarzer Markt der Liebe").

...ging für Alexander (Heiner Hinz) bei Florentine (Tamara Baroni) nichts mehr.
Mit ihnen nahm Dietrich auch "Die Nichten der Frau Oberst" in Angriff, ergänzt durch attraktive Darstellerinnen, die bereit waren sich nackt vor der Kamera zu zeigen - 1968 alles andere als eine Selbstverständlichkeit. Entsprechend häufig war Dietrich auf Newcomerinnen angewiesen, die erst Erfahrungen als Schauspielerinnen in größeren Rollen sammeln mussten - teils mit Erfolg (Rosemarie Heinikel ("...und noch nicht sechzehn"), Ingrid Steeger ("Ich, ein Groupie", 1970)), teils ohne große Nachwirkungen. Das traf auch auf Heidrun Hankammer und die damalige italienische "Skandalnudel" Tamara Baroni in den Nichten-Rollen zu, die über ihr hübsches Äußeres hinaus nur wenig überzeugen konnten. Dafür hatte Dietrich mit Kai Fischer eine so erfahrene ("...denn das Weib ist schwach" (1961)) wie erotische Schauspielerin für die Rolle der Frau Oberst engagieren können, die sich aber entgegen ihrer früheren Aussage bei den Dreharbeiten nicht mehr ausziehen wollte.

Weder Tropfen...
Neben der Regie kümmerte sich Erwin C. Dietrich auch selbst um das Drehbuch, so dass sich das Gesamtpaket kaum von seinen Vorgängern unterschied. Trotzdem wurde „Die Nichten der Frau Oberst“ zum erfolgreichsten Film des Jahres 1968, der die kommerzielle Basis nicht nur für Dietrichs zukünftige Filmproduktionen schuf, sondern generell zum Durchbruch für den erotischen Unterhaltungsfilm im prüden Deutschland wurde. Der Anfang 1968 in die Kinos gekommene Oswald-Kolle-Film „Das Wunder des Lebens“ (Regie Franz-Josef Gottlieb) musste sich mit seiner dokumentarisch-aufklärerischen Schwarz-Weiß-Optik noch vom verpönten Sex-Film abgrenzen. Trotzdem verzeichnete er schon hohe Besucherzahlen, konnte aber mit Dietrichs Film nicht mithalten, obwohl dieser schlechte Kritiken erhielt:

„Film ist größte Scheiße des Jahrhunderts! Zurückziehen!“

...noch Kneippkur helfen
telegrafierte der Düsseldorfer Avis-Filialleiter Koschella (Quelle „Mädchen, Machos und Moneten“, Eppenberger/Stapfer) an Dietrich, kurz nachdem der Film in die Kinos gekommen war. Doch dann nahmen die Kartenverkäufe in einem Ausmaß zu, der auch für die Beteiligten überraschend kam – der Versuch einer Erklärung:


Die Nichten kommen

Seine Frau amüsiert sich derweil woanders
Im Gegensatz zu seinen ersten Erotik-Produktionen legte Dietrich seinen neuen Film massenkompatibler an und verzichtete sowohl auf exploitive Elemente, als auch einen zu starken Bezug zur Gegenwart. Spielte Bénazérafs avantgardistischer „St.Pauli – zwischen Nacht und Morgen“ im Unterwelt-Milieu, spitzte die Story um „Unruhige Töchter“ die sich verändernden Geschlechterrollen zu und war „…und noch nicht sechzehn“ ein Konglomerat aus Crime, sexueller Revolution und frivolem Gesang, erging sich „Die Nichten der Frau Oberst“ in langen Einblendungen einer sonnenüberfluteten mediterranen Landschaft. Eine prächtige Villa und schön eingerichtete Räume gaben den Hintergrund für ein luxuriöses Landleben, das genügend Zeit für lange Ausritte, ein erfrischendes Seebad oder das obligatorische Liebesleben beließ – entsprechend sparsam und ruhig blieb der Erzählfluss.

Die Naturaufnahmen erinnern an "Tanja - die Nackte von der Teufelsinsel" (1967)
Die so erzeugte Wirkung auf das damalige Publikum ist nicht zu unterschätzen. Nacktheit und sexueller Lust wurden die Direktheit und damit das Anrüchige genommen, einzig Frau Oberst (Kai Fischer) als erfahrene Witwe darf es ein wenig krachen lassen. Die Zurückhaltung in der erotischen Inszenierung lässt sich gut an einer späten Szene ablesen, die von Florentines (Tamara Baroni) Betrug an ihrem Ehemann Alexander (Heiner Hitz) erzählt. Während Alexander in Kur verweilt, vertreibt sich seine Frau mit einem Schönling die Zeit an südlichen Gestaden. In langsamem Rhythmus wechselt der Film die Perspektive zwischen den Eheleuten, bis Alexander, der seine Frau überraschend besuchen wollte, sie aus Entfernung beim Liebesspiel am Strand beobachtet – und ohne Einzugreifen wieder davon geht. Trotz der aktuellen Optik, der modischen Kleidung und zeitgeistigen Sprache, haftete dem Film etwas Altmodisches an, schien er sich nicht zwischen 19. und 20. Jahrhundert entscheiden zu können. Genauer - zwischen Maupassants Erzählung und einer modernen Interpretation des Stoffs.

„Dietrichs Recherchen ergaben, dass der echte Maupassant eine Erzählung mit diesem Titel nie verfasst hatte, das beworbene Buch demnach das Werk eines neueren Ghostwriters sein musste, der das Buch dem bekannten französischen Romancier unterschob.“ (Quelle „Mädchen, Machos und Moneten“, Eppenberger/Stapfer)

Gaston (Claus Tinney) lässt sich von "Frau Oberst" nicht mehr überreden...
Ein Irrtum, denn Guy de Maupassant veröffentlichte „Les Cousines de la Colonelle“ 1886 gemeinsam mit anderen Geschichten, weshalb er nicht als originärer Romantitel existiert. Ob die in einer Illustrierten auf Deutsch veröffentlichte Erzählung, auf die der Regisseur damals aufmerksam wurde, frei umgesetzt wurde oder ob Dietrich sich die Ausgangssituation selbst erdachte, entzieht sich meiner Kenntnis. Zumindest die überall im Internet verbreitete Inhaltsangabe des Maupassant-Romans ist falsch und ein Beispiel für die unkritische Übernahme nicht selbst recherchierter Texte. Anders als im Film, in dem die Tante die beiden Schwestern beim gemeinsamen Liebesspiel erwischt, sind Florentine und Julia bei Maupassant zu Beginn noch sexuell unerfahren. Sie werden von ihrer über 60jährigen Tante nicht an den Mann gebracht, um voneinander abzulassen, sondern um sie für die Zukunft abzusichern – dabei penibel auf Etikette und Moral achtend.

...verzockt erst sein Geld beim Roulette...
Nach der Vermählung von Florentine mit dem viel älteren, aber sehr wohlhabenden Georges beschreibt Maupassant ihre sexuelle Erweckung so erotisch wie einfühlsam. Florentine, die nichts vom männlichen Geschlecht weiß, begreift zuerst nicht, dass sie noch gar nicht entjungfert wurde, weil ihr Mann Erektionsstörungen hatte. Hier zeigen sich erste Parallelen zu Dietrichs Drehbuch. Dieser verjüngte zwar die Tante und ließ sie zuerst mit den für ihre Nichten gedachten Männern schlafen, aber die weitere Entwicklung entsprach Maupassants Vorlage. Die Rolle des Georges nimmt hier Alexander Monty (Heiner Hitz) ein, der sich als junger Mann mit den Problemen des viel Älteren herumschlagen muss. Schon die spontane Hochzeit der beiden jungen Leute - selbstverständlich vor dem ersten Geschlechtsverkehr - wirkt im Umfeld der promiskuitiven Tante wie ein Stilbruch. Erst recht fehlt den Erektionsstörungen, den vom Arzt dagegen verschriebenen Tropfen und der wegen lebensgefährlicher Überanstrengung verordneten sechswöchigen Kur die Glaubwürdigkeit - nachdem es zuvor bei Tantchen bestens geklappt hatte.

...um dann die reiche Erbin Wilhelmine (Britt Lindberg) zu heiraten
Auch Claus Tinney als Gaston wandelte auf Maupassants Spuren. Er bändelt mit Julia (Heidrun Hankammer) an, kann sie aber nicht heiraten, weil ihn sonst seine Tante Martha von Stein (Elfriede Volker) enterbt, auf deren finanzielle Unterstützung er angewiesen ist. Diese vom französischen Romancier schlüssig entwickelte Konstellation um einen Playboy und Lebemann, bleibt im Film oberflächlich. Beliebig setzte Dietrich einzelne Story-Elemente zusammen, darunter auch eine Szene, in der Gaston viel Geld beim Roulette verliert, ohne dessen Spielsucht zu erwähnen. Anders als die Julia bei Maupassant, die sich trotz des drohenden Ehrverlusts auf ihren Geliebten einlässt, erweist sich die Julia im Film als prüder. Sie beharrt auf ein Ehegelübde vor dem Geschlechtsverkehr und bringt Gaston damit zur Weißglut. Selbst dessen sehr direkte „Überredungsversuche“ helfen ihm nicht weiter, weshalb er seine Bemühungen um sie wieder einstellt. Die Absicht hinter dieser wenig romantischen Änderung gegenüber Maupassant liegt auf der Hand. Dass Gaston, als er seine Tante überreden will, ihn von seinem Versprechen loszusagen, die reiche Erbin Wilhelmine (Britt Lindberg) kennenlernt, verführt und sogleich heiratet, bedeutete im Roman einen Vertrauensbruch gegenüber Julia. Seine Liebesschwüre erwiesen sich als leer. Diese Verlogenheit fehlt in der Verfilmung.

Da bleiben Julia (Heidrun Hankammar) und Florentine lieber unter sich
Die Konsequenz ist im Film wie im Buch letztlich dieselbe. Julia und Florentine sind wieder ohne Männer vereint. Bei Guy de Maupassant kam es aber erst jetzt, zu Beginn des zweiten Teils der Erzählung, zu einer sexuellen Interaktion - selbstverständlich ohne die empörte Reaktion der sonst so tolerant daher kommenden Tante. Obwohl Dietrich mit der jungen, sexuell aktiven „Frau Oberst“ und der angedeuteten lesbischen Beziehung ihrer Nichten, einen sexploitiven Aufreißer wählte, ist sein in der Gegenwart der später 60er Jahre spielender Film verklemmter als die literarische Vorlage aus dem 19.Jahrhundert. Brach dort Maupassant bewusst mit den moralischen Standards seiner Zeit, ist der Verfilmung die Anpassung an die konservative Haltung in der damaligen BRD deutlich anzumerken. Dass Dietrich auch anders konnte, ist in den kurzen Szenen mit dem lüsternen Priester (Peter Capra) und der Vergewaltigung durch den Stallknecht zu erkennen, die an seine früheren Filme erinnern. In „Die Nichten der Frau Oberst“ wählte er aber den Mittelweg zwischen klassischer Erotik und sanften Soft-Sex-Bildern bei möglichst geringen Provokationen vorherrschender Moralvorstellungen – und traf damit voll den Zeitgeschmack.

"Die Nichten der Frau Oberst" Deutschland, Italien 1968, Regie: Erwin C.Dietrich, Drehbuch: Erwin C.Dietrich, Claude Martin, Guy de Maupassant (Roman), Darsteller : Kai Fischer, Heidrun Hankammer, Tamara Baroni, Claus Tinney, Peter Capra, Giuseppe Cardillo, Heiner Hitz, Britt Lindberg, Laufzeit : 90 Minuten

weitere im Blog besprochene Filme von Erwin C.Dietrich:

Mittwoch, 8. Oktober 2014

...denn das Weib ist schwach (1961) Wolfgang Glück

Inhalt: Seitdem Kovacz (Karl-Otto Alberty) wieder aus dem Gefängnis entlassen wurde, befindet sich Jolly Gebhardt (Helmut Schmid) auf der Flucht vor dessen Männern. Als Anwalt hatte er eine große Geldsumme anvertraut bekommen, die er zur Aufrechterhaltung seines aufwändigen Lebensstils unterschlagen hatte. Zwar kann er mit seinem schnellen Jaguar kurzzeitig entkommen, aber er weiß, dass er keine Ruhe haben wird, bevor er das Geld nicht zurückzahlt.

Einzig sein gewohnter Erfolg bei Frauen könnte ihm noch helfen. Er hatte den Aufenthaltsort von Hanna Schäferkamp (Sonja Ziemann) in einer Erbschaftsangelegenheit ausfindig gemacht, von der er zu profitieren hofft. Unter einem Vorwand begibt er sich an ihren Arbeitsplatz, um mit ihr anzubändeln, aber sie, die nichts von ihrem Millionenerbe weiß, weist ihn ab. Auch Lissy (Kai Fischer), seine Geliebte, reagiert nicht begeistert, als sie von seinen Bemühungen um Hanna erfährt, unterstützt ihn aber, als sie seine Beweggründe erfährt. Dank ihrer Hilfe gelingt es ihm, das Vertrauen Hannas zu gewinnen…


Der Titel des Films "...denn das Weib ist schwach" könnte den Eindruck erwecken, die Männer hätten hier alles im Griff. Doch das täuscht. Jolly Gebhardt (Helmut Schmid) - Rechtsanwalt, Frauentyp und Jaguar-Fahrer - hat die Kontrolle über sein nach außen hin luxuriöses Leben längst verloren. Zwar kann er Kovaczs (Karl-Otto Alberty) Handlanger Vigulla (Werner Peters) noch einmal entkommen, der das Geld zurückfordert, das er unterschlagen hatte, als sein Mandant im Gefängnis saß, aber Gebhardt weiß, dass ihn die skrupellosen Verbrecher nicht in Ruhe lassen werden. Krampfhaft sucht er nach einer Lösung, die keine Erlösung bringen wird. Die Blues-Stimme von Ottilie Patterson, begleitet von der Chris Barber Jazzband, die während seiner rasenden Fahrt durch West-Berlin erklingt, lässt daran von Beginn an keinen Zweifel.

Nur schnelles Geld kann ihn aus seiner Situation retten, aber der Wunsch nach Reichtum bleibt in Wolfgang Glücks letztem Kinofilm (vor seiner langen Fernseh-Karriere) ein Versprechen, das schon die Bilder nicht einlösen. West-Berlin ist vom Krieg gezeichnet - trostlose Miethäuser, auf Schrottplätzen spielende Kinder, brache Gleisanlagen und die Ruinen früherer Industriegebäude bilden den Hintergrund einer Story, in der Hanna Schäferkamp (Sonja Ziemann), eine geschiedene, allein erziehende kleine Angestellte, zur personifizierten Hoffnung für Gebhardt wird, ohne es selbst zu ahnen. Als Anwalt sollte er ihren Aufenthaltsort ausfindig machen, da ihr ein in Kanada verstorbener Onkel ein Millionen-Erbe vermacht hatte, aber er behält seine Informationen noch zurück, um sich an sie heranzumachen. Überzeugt von seiner Wirkung auf Frauen, hofft er als ihr zukünftiger Ehemann an ihr Geld zu kommen.

Helmut Schmid gelang es, dieser Figur trotz ihres Egoismus und der skrupellosen Vorgehensweise dank der stets spürbaren Tragik Sympathien zu verleihen, die auch seinen Erfolg bei Frauen verständlich werden lässt. Über der gesamten Handlung verblieb - nicht zuletzt dank der Jazz-Musik - eine schwermütige Stimmung, die keinen Wirtschaftswunder-Optimismus mehr ausstrahlte, auch wenn sich die Beziehung zwischen Hanna und Jolly äußerlich nach typischen Mustern entwickelte. Natürlich verliebt er sich in die hübsche Frau, doch die Autoren Wolfgang Steinhardt und Hans Nicklisch nutzten die Romanvorlage "Post aus Ottawa" von Bruno Hampel für den Entwurf einer Nachkriegsgesellschaft, die sich auf der Suche nach dem persönlichen Glück verloren hat - Sex und Intrige sind zu adäquaten Mitteln geworden, ohne dass der Film ins Moralisieren verfällt.

Steinhardts Stil, der auch das Drehbuch zu Max Pécas' parallel erschienenen "De quoi tu te mêles Daniela!" (Zarte Haut in schwarzer Seide, 1961) verfasste, deutete früh auf die Erwin C.Dietrich Produktionen "St.Pauli zwischen Nacht und Morgen" (1967) und "Unruhige Töchter" (1967) hin, die ebenfalls auf Basis seiner Drehbücher entstanden und damit seinen Einfluss auf den deutschen Erotik-Film dokumentieren. Co-Autor Hans Nicklisch wiederum hatte in seinem Drehbuch zu "Geheimaktion schwarze Kapelle" (1959) sein Händchen für desillusionierte Lebensentwürfe bewiesen. Auch Regisseur Wolfgang Glück hatte sich nach einem kurzen Ausflug ins Heimatfilm-Genre („Der Pfarrer von St.Michael“ 1957) der sich verändernden 50er Jahre-Sozialisation zugewendet („Gefährdete Mädchen“, 1958) und verpflichtete nach „Mädchen für die Mambo-Bar“ (1959) erneut Kai Fischer in ihrer angestammten Rolle als laszive Geliebte.

Obwohl sie dem Anwalt entscheidend dabei hilft, die etwas spröde und von den Männern enttäuschte Hanna zu verführen, befindet sie sich dank ihrer offenen sexuellen Ausstrahlung von Beginn an in der schlechteren Position als dessen mögliche Ehefrau. Lissy (Kai Fischer) kommt für Gebhardt nicht über einen netten Zeitvertreib hinaus, während die anständige Hanna sein Herz gewinnt. In dieser Hinsicht entsprach die Handlung zwar den gewohnten moralischen Konzessionen, aber Glück und Steinhardt verzichteten darüber hinaus auf jede Idealisierung. Auch Hanna schläft schon nach dem ersten gemeinsamen Abend mit Gebhardt und seine Versuche, die Sympathien ihrer Tochter zu gewinnen, fruchten nur bei ihrer Mutter – die Kleine kann er nicht überzeugen.

Der Titel „…denn das Weib ist schwach“ erweist sich am Ende als bittere Ironie, denn der smarte, von Schmid gewohnt körperlich agil gespielte Jolly Gebhardt scheitert letztlich an dem Kind und der von ihm zurückgewiesenen Geliebten. Ein wunderbarer, melancholischer Abgesang inmitten eines vom Krieg verwundeten Berlins auf die behaupteten Ideale der 50er Jahre.









"...denn das Weib ist schwach" Deutschland 1961, Regie: Wolfgang Glück, Drehbuch: Wolfgang Steinhardt, Hans Nicklisch, Bruno Hampel (Roman), Darsteller : Sonja Ziemann, Helmut Schmid, Kai Fischer, Werner Peters, Karl-Otto AlbertyLaufzeit : 84 Minuten