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Freitag, 26. Dezember 2014

Die Beine von Dolores (1957) Géza von Cziffra

Udo Jürgens im Duett mit Christa Williams
Inhalt: Nachdem der exzentrische Star des notorisch klammen Revue-Theaters „Pigalle“ das Weite gesucht hatte, erhält die begabte Tänzerin Dolores (Germaine Damar) deren Rolle in einer neu geplanten Produktion, die spontan in „Die Beine der Dolores“ umbenannt wird. Zwar vermutet die Chefin (Ruth Stephan) des Revue-Theaters persönliche Vorlieben ihres Geliebten und Choreografen (Ralf Wolter) dahinter, aber die finanziell angespannte Situation lässt ihr keine Wahl, da sich der Geschäftsmann Theobald Schreyer (Theo Lingen) mit der zugesagten Unterstützung Zeit lässt.

Dolores hat derweil ganz andere Probleme, denn ihrer Mutter (Grethe Weiser) hatte sie nie anvertraut, dass sie sich zur Tänzerin ausbilden ließ, sondern im Glauben gelassen, sie hätte einen „anständigen“ Beruf gelernt. Das neue Engagement zwingt sie aber, erst spät abends nach Hause zu kommen, was der vorsichtigen Mama nicht passt, weshalb sie behauptet, in der Klinik des Psychiaters Dr.Lorenz (Claus Biederstaedt) als Krankenschwester in der Spätschicht zu arbeiten. Dolores hatte Dr.Lorenz gerade erst kennengelernt, weshalb sie spontan diese Notlüge wählte, aber als sich ihre Mutter zur Klinik des Nervenarztes begibt, der nichts von dem Konstrukt weiß, droht das Kartenhaus zusammenzubrechen…


In Erinnerung an Udo Jürgens, gestorben am 21. Dezember 2014

Udo Jürgens in "...und du mein Schatz bleibst hier" in seinem Element am Klavier
Die Wahl des Tanz- und Schlagerfilms "Die Beine von Dolores" scheint vordergründig ungeeignet als Andenken an einen über Jahrzehnte erfolgreichen und beliebten Musiker, dessen Name erst spät in den Credits auftaucht und der hier nur zweimal als Partner von Christa Williams auftrat, deren Schlager "Onkel Tom" er im Duett mit ihr intonierte - eine typische, mit leicht exotischen Rhythmen Internationalität vortäuschende 50er Jahre Komposition, die schnell in Vergessenheit geriet. Tatsächlich verdankten viele Künstler dem seit den frühen 50er Jahren aufkommenden Schlagerfilm ("Schlagerparade", 1953) ihren Karrierestart, denn bevor sich das Fernsehen in Deutschland Anfang der 60er Jahre als Massenmedium durchsetzte, waren ihre Auftritte im Rahmen einer austauschbaren Komödienhandlung eine erste Möglichkeit, sich einem großen Publikum vorzustellen.

In "Unsere tollen Nichten" gehörte er schon zum festen Ensemble-Stamm
Für Christa Williams - ebenfalls erstmals in "Die Beine von Dolores" auf der Kinoleinwand zu sehen - wurde der Film zu einer unmittelbaren Initialzündung. Noch im selben Jahr trat sie erneut als Sängerin in "Nachts im grünen Kakadu" (1957) in Erscheinung. Weitere ähnlich geartete Rollen sollten folgen, bis sie in "Das habe ich in Paris gelernt" (1960) sogar in einer Hauptrolle an der Seite von Chris Howland besetzt wurde. 1959 war ihr erfolgreichstes Jahr - zusammen mit Gitta Lind landete sie mit "My Happiness (Immer will ich treu dir sein)" auf Platz 3 der deutschen Charts und vertrat die Schweiz beim "Grand Prix Eurovision de la Chanson Européenne", dem heutigen "Eurovision Song Contest", wo sie immerhin Vierte wurde. Für andere Gesangs-Stars wie René Carol, der die erste deutsche "Goldene Schallplatte" nach dem 2.Weltkrieg für "Rote Rosen, rote Lippen, roter Wein" (1952) erhielt, der zum Vorbild für den gleichnamigen, im folgenden Jahr herausgekommenen Film wurde, oder für die erfahrene US-Amerikanerin Olive Moorefield bedeuteten ihre Auftritte in "Die Beine von Dolores" dagegen schon Routine.

Die musikalischen Szenen durften erotisch angehaucht sein...
Auch die uncreditierten Renée Franke, seit Ende der 40er Jahre erfolgreich, und der damals schon sehr populäre Peter Alexander konnten auf eine Vielzahl von Film-Engagements verweisen, aber für Udo Jürgens blieb die Angelegenheit zäh - nicht zuletzt auch, weil der Christa Williams-Schlager untypisch für seinen Stil war. Zwar wurde er ein Jahr später in einer Nebenrolle in „Lilli, ein Mädchen aus der Großstadt“ (1958) besetzt, aber den Film-Durchbruch schaffte er erst mit "...und du mein Schatz bleibst hier" (1961), in dem er seine erste Hit-Single „Jenny“ von 1960 interpretieren durfte. Am Klavier sitzend verkörperte Udo Jürgens als Mitglied einer Studenten-Jazzband schon einen lässigen, modernen Stil, der kaum gegensätzlicher zu seinem ersten Auftritt in „Die Beine von Dolores“ hätte ausfallen können. Begleitet wurde er dabei von Gus Backus an der Gitarre, mit dem er gemeinsam in den folgenden Jahren die Rolf Olsen-Trilogie über die „Tollen Tanten“ nicht nur musikalisch prägen sollte („Unsere tollen Tanten“ (1961), „Unsere tollen Nichten“ (1963) und „Unsere tollen Tanten in der Südsee“ (1964)). Für den Sänger der Beginn seiner produktivsten Phase als Schauspieler, die für ihn aber im Gegensatz zu vielen Protagonisten des Schlagerfilms, die nach dem Ende der Ära, Mitte der 60er Jahre, vollständig aus dem Fokus des Publikums verschwanden, zu keiner Sackgasse werden sollte.

...ebenso der Dress-Code der jungen Damen (in der Mitte Germaine Damar)...
Dagegen befand sich Germaine Damar, eine begabte Tänzerin aus Luxemburg, 1957 auf dem Höhepunkt ihrer Karriere. Seit „Tanzende Sterne“ (1952) war sie zu einem großen Star im deutschen 50er Jahre Musik- und Komödienfilm („Die Drei von der Tankstelle“ (1955)) aufgestiegen und drehte allein unter Regisseur Géza von Cziffra sieben Filme, von denen ihr gemeinsamer Vierter „Die Beine von Dolores“ Damars größter Erfolg wurde. Wie gewohnt war weniger ihr schauspielerisches Vermögen als die titelgebenden Beine gefragt, die sie gekonnt einsetzte. Der Filmtitel zitierte einen Schlager von Gerhard Wendland aus dem Jahr 1951, der wiederholt angespielt wurde und auch als Name für die Revue herhalten musste, um die sich die Story dreht. Dolores Martens (Germaine Damar) wurde in der Hauptrolle besetzt, wovon ihre gestrenge Mutter (Grethe Weiser), die glaubt, ihre Tochter hätte einen „anständigen“ Beruf gelernt, aber nichts wissen darf. In ihrer Not hatte Dolores behauptet, in der Klinik des Psychiaters Dr. Hans Lorenz (Claus Biederstaedt) als Krankenschwester zu arbeiten, wovon der in sie verliebte Arzt aber nichts weiß. Als die resolute Mama überraschend in der Nervenklinik auftaucht, um einem der dortigen Ärzte dessen Tasche zurückzubringen, die tatsächlich dem Choreografen der Show (Ralf Wolter) gehört, droht die Situation zu eskalieren.

...doch darüber hinaus ging es züchtig zu.
Bis in die Nebenrollen verfügt der Film über eine damals sehr populäre Besetzung. Neben dem männlichen Co-Star Claus Biederstaedt - in den 50er Jahren nahezu omnipräsent als Schwiegermutters Liebling - sorgten Grethe Weiser, Bum Krüger, Theo Lingen, Ralf Wolter, Ruth Stephan und Gunther Phillip für die notwendige Abwechslung zwischen den Musiknummern, die erstaunlich aufwändig choreografiert und in Szene gesetzt wurden. Deren teils anzüglichen Witze ließen den Widerspruch zwischen Erotik á la Paris und den biederen 50er Jahre-Moralvorstellungen, die gewahrt bleiben mussten, noch deutlicher werden. Während auf der Tanzfläche die leicht gekleideten Damen die Beine schwangen und „Olala – c’est la vie!“ erklang, musste Grethe Weiser als fürsorgliche Mutter alles dafür tun, dass der gute Ruf ihrer Tochter gewahrt blieb, weshalb Claus Biederstaedt als zukünftiger Ehemann im weißen Doktor-Kittel geradezu zwingend zur Verfügung stand. Auf die Nachfrage der gewagt gekleideten Bedienung, warum er so gut gelaunt auf die Abfuhr von Dolores reagiert hätte, antwortet er: „Ich freu' mich, dass sie mit mir nicht gleich am ersten Abend ausgeht!“ – eine Aussage mit Signalwirkung, die beispielhaft für den Charakter des Schlagerfilms der 50er Jahre steht, dessen sexueller Subtext häufig mit möglichst viel Anstandsgeplänkel kaschiert werden musste.

Weniger Hemmungen bewies Géza von Cziffra dagegen beim Verfassen des Drehbuchs, dessen Witz sich an den gängigen Vorurteilen bediente. Besonders die Szene in der Nervenklinik, in der Mutter Martens ohne viel Federlesens von den an ihrem Verstand zweifelnden Doktoren in eine Gummizelle gesperrt wird - Gunter Phillip verkörperte „seinen“ Psychiater mit Kinnbart und Gesichtszuckungen - erfüllten alle Erwartungen an eine „Irrenanstalt“. Auch die Slapstick-Einlagen mit Theo Lingen und einer schwergewichtigen dunkelhäutigen Sängerin, denen der Boden beim Tanzen unter den Füßen weggezogen wird, so dass sie in einem Trampolin herumzappeln, geben ein deutliches Zeichen damaligen Humorverständnisses. Einzig Grethe Weiser mit ihrer resoluten Art ist es zu verdanken, dass diese Momente nur wenig in Erinnerung bleiben. Weder verliert sie die Contenance, als sie in der Gummizelle landet, noch lässt sie sich aus der Ruhe bringen, als herauskommt, dass sowohl ihre Tochter, als auch ihr Ehemann in dem Revue-Theater beschäftigt sind. Souverän behält sie die Meinungshoheit und lässt daran deutlich werden, dass die Story sowieso nur eine Funktion hatte – als oberflächlich unterhaltende Rahmenhandlung für eine Vielzahl von Gesangs- und Tanznummern, die die damaligen Stars auch ins rechte Bild rückten, darunter erstmals auch Udo Jürgens.

"Die Beine von Dolores" Deutschland 1957, Regie: Géza von Cziffra, Drehbuch: Géza von Cziffra, Gustav Kampendonk, Darsteller : Germaine Damar, Claus Biederstaedt, Grethe Weiser, Ralf Wolter, Ruth Stephan, Theo Lingen, Gunther Phillip, Bum Krüger, Udo Jürgens, René CarolLaufzeit : 99 Minuten

 weitere im Blog besprochene Filme von Géza von Cziffra:

"Banditen der Autobahn" (1955)

Mittwoch, 16. Oktober 2013

Tonio Kröger (1964) Rolf Thiele

Inhalt: Tonio Kröger (Jean-Claude Brialy), inzwischen ein erfolgreicher Schriftsteller, ist von Deutschland nach Italien gezogen, um dort zu schreiben. Doch seine Erinnerungen schweifen immer wieder ab in seine Vergangenheit. Als Junge (Mathieu Carrière) war er mit seinem Klassenkameraden Hans Hansen (Thomas Thomsen), einem hübschen, blonden Knaben befreundet, den er versucht für Schillers „Don Carlos“ zu begeistern, dessen Lieblingsstelle er für Hans zitiert. Dieser verspricht ihm zwar, „Don Carlos“ zu lesen, aber insgeheim weiß Tonio, dass er nie wirklich mit ihm befreundet sein wird – zu unterschiedlich sind der vergeistigte Junge, dessen Schulleistungen sehr zu wünschen lassen, und der allseits beliebte, sportliche und in der Schule erfolgreiche Hans.

Tonio, zunehmend mit sich im Widerstreit zwischen dem eigenen künstlerischen Anspruch und dem Wunsch, ein Teil der großen Masse sein zu wollen, begibt sich nach München zu seiner langjährigen Freundin, der russischen Künstlerin Lisaweta Iwanowna (Nadja Tiller), um sich mit ihr intellektuell auseinanderzusetzen. Doch es hält ihn nicht lange und es zieht in weiter nach Dänemark, ein Weg, der ihn wieder in seine Heimatstadt Lübeck zurückführt…


Die Verfilmung der 1903 von Thomas Mann herausgegebenen Erzählung "Tonio Kröger" erfüllte jede Voraussetzung an eine authentische und intellektuell stimmige Umsetzung. Die autobiographische Züge aufweisende Schilderung eines jungen aufstrebenden Schriftstellers, der sich zerrissen fühlt zwischen seinem Künstlerdasein, das ihn zum Einzelgänger werden ließ, und der Sehnsucht nach einem Leben ohne innere Zweifel, eingebettet in die bürgerliche Gemeinschaft, wurde von Erika Mann - der Tochter des Autors und selbst Schriftstellerin - in eine Drehbuchform gewandelt. Gemeinsam mit Ennio Flaiano, einem der bedeutendsten Autoren der 50er und 60er Jahre, der an fast allen Filmen Federico Fellinis beteiligt war. Nach "Tonio Kröger" verfasste er mit Erika Mann noch das Drehbuch zu Rolf Thieles folgendem Film "Wälsungenblut" (1965), erneut nach einer Novelle Thomas Manns. Beide Drehbücher entstanden zwischen seinen Arbeiten zu Fellinis Filmen "Otto e mezzo" (Achteinhalb, 1963) und "Giulietta degli spiriti" (Julia und die Geister, 1965).

Die Darstellerriege liest sich ähnlich exquisit. Jean-Claude Brialy, der 1961 in Jean-Luc Godards "Une femme est une femme" (Eine Frau ist eine Frau) neben Jean-Paul Belmondo spielte, gehörte zu den renommiertesten jungen französischen Darstellern seiner Zeit, und ist als erwachsener Tonio Kröger ebenso eine Idealbesetzung wie Mathieu Carrière als junger Tonio. Neben dem Protagonisten, dessen persönliche Sicht auf die Menschen, die Orte seines Verweilens - Siena, München, seine Heimatstadt Lübeck (in der Novelle neutraler als Stadt an der Ostsee benannt, von Erika Mann im Drehbuch konkretisiert) bis zur dänischen Küste - und auf das Leben schlechthin im Mittelpunkt steht, kommen alle übrigen Beteiligten über kurze Berührungspunkte nicht hinaus. Trotzdem wurden die Nebenrollen mit Gert Fröbe, Theo Lingen, Rudolf Forster, Günther Lüders, Beppo Brem, Walter Giller und nicht zuletzt dessen Frau Nadja Tiller, Thieles bevorzugter Darstellerin, ausgezeichnet besetzt.

Zudem gelang es den beiden Drehbuchautoren, den Geist der Erzählung beizubehalten, sie gleichzeitig aber filmisch zu straffen. Tonios Gedanken werden in der etwas altmodisch klingenden, wunderbar malerischen Sprache des Autors wörtlich zitiert, während der lineare Aufbau der Erzählung in eine dynamischere Form gebracht wurde. Der Beginn des Films in Italien, dem Herkunftsland seiner Mutter, der er auch seinen Vornamen zu verdanken hat, für den er in Deutschland gehänselt wurde (Tonio ist die Kurzform von Antonio), ist frei erfunden - in Manns Novelle zieht Tonio nach dem Tod seines Vaters und der Wiederverheiratung seiner Mutter nach München. Thiele nutzte dessen Aufenthalt in Siena, um Konstellationen zu erzeugen, die bei dem Protagonisten Erinnerungen an seine Jugend in Lübeck wecken, die der Film in Rückblenden erzählt. Besonders prägend war für Tonio die Begegnung mit seinem Klassenkameraden Hans Hansen (Thomas Thomsen) und der blonden Inge (Rosemarie Lücke) aus seinem Tanzkurs (großartig Theo Lingen als affektierter, frankophiler Tanzlehrer), die für ihn den gesunden, hübschen, blauäugigen Idealtypus darstellten. Er bemühte sich um eine Freundschaft zu Hans Hansen, kommt aber über die Stellung eines gelittenen Begleiters nicht hinaus.

Die Figur Hans Hansens orientierte sich an Thomas Manns früh verstorbenen Mitschüler Armin Martens, über den Thomas Mann 1955, ein halbes Jahr vor seinem Tod, an einen ehemaligen Klassenkameraden schrieb: "Denn den habe ich geliebt – er war tatsächlich meine erste Liebe, und eine zartere, selig-schmerzlichere war mir nie mehr beschieden [...] Aber ich habe ihm im „Tonio Kröger“ ein Denkmal gesetzt." Ohne Zweifel gelang es Erika Mann und Rolf Thiele, diese Emotionen zu vermitteln und die Melancholie und innere Tragik eines Menschen zu transportieren, der das Leben zu genau begriffen hat, um es in einfache Kategorien unterteilen zu können. Und der gleichzeitig Diejenigen beneidet, die sich darüber keine Gedanken machen - eine generelle Thematik, mit der "Tonio Kröger" nicht allein ist.

Angesichts dieses künstlerisch gelungenen und gleichzeitig unterhaltenden Films, stellt sich die Frage, warum diesem sowohl Anerkennung, als auch Langlebigkeit versagt blieben. Ein Zitat aus einer zeitgenössischen Kritik im Spiegel könnte darauf eine Antwort geben: "Rolf Thiele, des deutschen Films gedankenverlorener Problem-Erotiker, hat dieser vierten Nachkriegs-Verfilmung eines Thomas-Mann-Werkes echte Mann-Zitate, aber mehr noch echten Thiele-Touch mitgegeben". Begründet wird diese plakative Aussage nur rudimentär mit der Szene, in der Tonio Kröger in Siena die Wohnung einer Prostituierten durch ein Fenster verlässt und auf einem Friedhof landet - eine, wie die gesamte Szenerie in Siena, von Thiele ersonnene Ausgangssituation.

Tatsächlich sind es aber gerade diese Szenen, die "Tonio Kröger" von reinen Literaturverfilmungen unterscheiden, die häufig zu ästhetischen Fingerübungen verkommen. So gesetzt die Worte hier wirken und historisch genau das Umfeld gestaltet wurde, so spürbar bleibt auch die Gegenwart Mitte der 60er Jahre und eine sich ankündigende Zeit gesellschaftlicher Veränderungen. Tonios heimliches Begehren, seine intellektuellen Gespräche mit seiner Münchner Freundin, der russischen Malerin Lisaweta Iwanowna (Nadja Tiller), die einsamen Tage an der Ostsee, wo er mit der Fröhlichkeit feiernder Massen konfrontiert wird oder sein Rückweg in die Heimatstadt, verbunden mit den Erinnerungen an seine Außenseiterrolle, spiegeln die Unsicherheit einer Phase wider, die sich im Umbruch befand. Eine Qualität, die auch schon Thomas Manns Original im Jahr 1903 ausdrückte, bezogen auf seine damalige Position. Das es Thiele gelang, dieses Gefühl individuell in die Gegenwart zu transportieren, macht die Qualität seines Films aus.

"Tonio Kröger" Deutschland 1964, Regie: Rolf Thiele, Drehbuch: Erika Mann, Ennio Flaiano, Darsteller : Jean-Claude Brialy, Nadja Tiller, Mathieu Carriére, Gert Fröbe, Walter Giller, Theo Lingen, Beppo Brem, Günther LüdersLaufzeit : 91 Minuten

weitere im Blog besprochene Filme von Rolf Thiele:

Mittwoch, 3. Juli 2013

M (1931) Fritz Lang

Inhalt: Während die Mutter das Mittagessen für ihre Tochter vorbereitet, die sie bald aus der Schule zurück erwartet, spricht ein Mann (Peter Lorre) die kleine Else auf ihrem Heimweg an und schenkt ihr einen Apfel. Wiederholt eine Melodie pfeifend, kauft er ihr bei einem blinden Bettler einen Luftballon und gewinnt so das Vertrauen des Mädchens. Ihre Mutter ist immer beunruhigter, da Else weder mit den Nachbarkindern nach Hause kommt, noch sonst ein Lebenszeichen von sich gibt – bis der Luftballon einsam in die Luft steigt und das Kind tot ist.

Ein Aufschrei geht durch die Stadt, denn Else ist das achte Kind, das getötet wurde, aber die Polizei hat keinerlei Ahnung, wer der Täter ist. Während es auf den Straßen zu Lynchjustiz und Aufruhr kommt, kämpft die Polizei mit sich widersprechenden Zeugenaussagen. Um irgendetwas zu unternehmen, veranstalten sie Razzien in der Unterwelt, obwohl der Polizei-Psychologe nicht glaubt, dass sich der Täter unter den Kriminellen befindet. Diese reagieren zunehmend genervt auf die ständigen Polizei-Kontrollen, die ihnen die Geschäfte verderben, weshalb sich unter Führung des Schränkers (Gustav Gründgens) eine Gruppe formiert, die selbst den Kindermörder fassen will…


Fritz Langs erster Tonfilm "M", dessen Drehbuch er gemeinsam mit seiner damaligen Frau Thea von Harbou ersann, ist inzwischen Legende und gehört zu den wichtigsten und einflussreichsten Werken der Filmgeschichte. "M" setzte eine Vielzahl an Filmstandards, die bis heute nichts von ihrer Wirkung verloren haben - der Realismus der Anfangssequenz, in der das Verschwinden des Mädchens Else aus dem Blickwinkel ihrer Mutter betrachtet wird, die beinahe dokumentarische Schilderung der Polizeiarbeit, die Überblendungen zwischen Polizeibesprechung und dem Treffen der Gangster, die die Nähe der Gegenparteien verdeutlichen, die aktionsreiche Suche der Unterwelt nach dem Kindermörder bis zu der abschließenden Gerichtsszene, die zwar von den Banditen unter der Leitung des Schränkers (Gustav Gründgens) einberufen wurde, aber schon die klassischen Merkmale von Anklage, Plädoyer und Unschuldsbeteuerung des Angeklagten beinhaltet, begleitet von den erregten Zurufen des Auditoriums.

Allein das es Fritz Lang gelang, der sich während der Stummfilmzeit auf Großproduktionen wie "Die Nibelungen" (1924) oder "Metropolis" (1927) konzentrierte (von ihm selbst als "Schinken" bezeichnet), diese unterschiedlichen Stile zu einem schlüssigen Ganzen zusammenzufügen, ist bewundernswert, entscheidend dabei ist aber das geschickte Spiel mit den Emotionen, dass dem Film eine Vielzahl an Interpretationen einbrachte vom Zeitgemälde der "Weimarer Republik" bis zum Blick auf die kommende Diktatur unter den Nationalsozialisten. Selbst Propaganda-Minister Joseph Goebbels verstand den Film in seiner Hinsicht und empfand ihn als Plädoyer für die Todesstrafe, weshalb er auch versuchte, Fritz Lang für die nationalsozialistische Sache einzuspannen. Angeblich war er an der Seite von Luis Trenker für die Gründung der Abteilung Regie der "Nationalsozialistischen Betriebsorganisation“ verantwortlich, was von Fritz Lang, der Ende 1933 aus Deutschland emigrierte, bestritten wurde.

Das es zu diesen unterschiedlichen Interpretationen kam, verdeutlicht Langs Meisterschaft, eine bis heute polarisierende Thematik nicht nur umfassend, sondern ohne offensichtliche Bewertung zu betrachten. Besonders die Anfangssequenz ist in dieser Hinsicht vorbildlich, denn Lang zeigt den Mord an dem kleinen Mädchen nicht konkret und verhindert damit eine zu stark gegen den Täter gerichtete Beeinflussung des Betrachters, wie sie im Film inzwischen üblich geworden ist. Trotzdem lässt er an der Konsequenz und Tragik dieses Verbrechens keinen Zweifel, zeigt die immer beunruhigter werdende Mutter, die mit den lapidaren Beruhigungsfloskeln ihrer Nachbarschaft oder eines Vertreters konfrontiert wird, bis der Luftballon, den der Mörder seinem Opfer zuvor bei einem blinden Bettler kaufte, in den Stromkabeln hängen bleibt – so exakt inszeniert, differenziert betrachtet und gleichzeitig emotional nachvollziehbar gelang eine solche Szene kaum ein weiteres Mal im Film.

Anstatt die emotionale Schraube weiter anzuziehen, machte Lang in „M“ das genaue Gegenteil und leitete zu der Polizeiarbeit über, die er in fast dokumentarischer Form beschrieb - mit Kommissar Lohmann im Mittelpunkt, den Otto Wernicke ein weiteres Mal in Langs „Das Testament des Dr.Mabuse“ (1933) spielen sollte. Gemäß seiner ursprünglichen Idee sollte der Kindermörder Hans Beckert (Peter Lorre) die Polizei regelmäßig mit Briefen provozieren, aber in „M“ beließ er es bei einem Brief, dessen genaue Untersuchung letztlich zur Ermittlung des Täters führt. Doch bevor die Polizei in die Nähe eines Fahndungserfolgs kommt, haben die Gangster der Stadt das Heft des Handelns ergriffen und nutzen ihre weit reichenden Möglichkeiten, selbst dem Mörder auf die Spur zu kommen. Sie sind genervt von den ständigen Polizei-Razzien, die ihre Geschäfte empfindlich stören, und beginnen unter der Führung des Schränkers, den Gründgens mit eiskalter Präzision spielte, systematisch die Stadt abzusuchen. Diese Drehbuch Idee geht zurück auf den Fall des Düsseldorfer Serienmörders Peter Kürten, nach dem ebenfalls die Unterwelt fahndete, weshalb der Film beispielsweise in Italien unter dem Titel „M – il mostro di Düsseldorf“ heraus kam, obwohl die Handlung von Lang eindeutig in Berlin angesiedelt wurde, allerdings ohne den Ort konkret zu benennen.

Zurecht, denn die entscheidende Wirkung des Films geht von den begleitenden Reaktionen des Durchschnittsbürgers aus, der - anders als die strategisch vorgehenden Polizisten und Gangster - seinen Emotionen freien Lauf lässt und jederzeit zu Vorverurteilung und Lynchjustiz bereit ist – eine Verhaltensweise, die weder an Zeit, noch Ort gebunden ist, und sich bis heute nicht verändert hat. Darin ein Abbild der „Weimarer Republik“ in ihrer Endphase zu erkennen, greift deshalb zu kurz, wie Lang selbst wenige Jahre später mit seinem in Hollywood gedrehten Film „Fury“ (Blinde Wut, 1936) bewies, in dem Spencer Tracy einem Lynch-Mob ausgesetzt wird. Doch anstatt eines unschuldigen Weißen, wollte er einen Schwarzen dem Mob aussetzen, der tatsächlich eine Weiße vergewaltigt hatte. Hollywood ließ diese Konstellation nicht zu, aber daran wird deutlich, dass es Lang nicht um einfache Lösungen ging, sondern um eine unmittelbare Konfrontation des Betrachters mit seiner eigenen Haltung.

Diese fordert Lang in „M“ mit einer Gerichtsverhandlung heraus, in der ein als dreifacher Mörder gesuchter Verbrecher über einen Kindermörder richten will, begleitet von einem Auditorium, das ausschließlich aus Mitgliedern der Unterwelt besteht. Bis zu diesem Zeitpunkt spielte Peter Lorre nur eine Nebenrolle und gab entsprechend wenige Einblicke in seine Psyche, weshalb sein abschließender, eindrucksvoll gespielter Auftritt zum herausragenden Höhepunkt des Films wird. Lorre gelingt es, die innere Zerrissenheit und Verzweiflung über die eigene Sucht, Kinder zu missbrauchen und zu töten, zu vermitteln, die ihn nicht als Monster, sondern als Menschen bestehen lässt. Neben seiner Haltung, kommen auch alle anderen zu Wort – die ihm vorwerfen, sich als psychisch Kranker vor der Strafe drücken zu wollen, die Mütter, die ihre Kinder verloren haben, oder Diejenigen, die ihn für ein Ungeheuer halten, dass nicht weiterleben darf. Das abschließende Urteil des ordentlichen Gerichts lässt Lang weg – Jeder soll sein eigenes Urteil fällen.

"M" Deutschland 1931, Regie: Fritz Lang, Drehbuch: Thea von Harbou, Fritz Lang, Darsteller : Peter Lorre, Gustaf Gründgens, Otto Wernicke, Theo Lingen, Paul KempLaufzeit : 107 Minuten