Inhalt: Tonio
Kröger (Jean-Claude Brialy), inzwischen ein erfolgreicher Schriftsteller, ist
von Deutschland nach Italien gezogen, um dort zu schreiben. Doch seine
Erinnerungen schweifen immer wieder ab in seine Vergangenheit. Als Junge (Mathieu
Carrière) war er mit seinem Klassenkameraden Hans Hansen (Thomas Thomsen),
einem hübschen, blonden Knaben befreundet, den er versucht für Schillers „Don
Carlos“ zu begeistern, dessen Lieblingsstelle er für Hans zitiert. Dieser
verspricht ihm zwar, „Don Carlos“ zu lesen, aber insgeheim weiß Tonio, dass er
nie wirklich mit ihm befreundet sein wird – zu unterschiedlich sind der
vergeistigte Junge, dessen Schulleistungen sehr zu wünschen lassen, und der
allseits beliebte, sportliche und in der Schule erfolgreiche Hans.
Tonio,
zunehmend mit sich im Widerstreit zwischen dem eigenen künstlerischen Anspruch
und dem Wunsch, ein Teil der großen Masse sein zu wollen, begibt sich nach
München zu seiner langjährigen Freundin, der russischen Künstlerin Lisaweta
Iwanowna (Nadja Tiller), um sich mit ihr intellektuell auseinanderzusetzen.
Doch es hält ihn nicht lange und es zieht in weiter nach Dänemark, ein Weg, der
ihn wieder in seine Heimatstadt Lübeck zurückführt…
Die
Verfilmung der 1903 von Thomas Mann herausgegebenen Erzählung "Tonio
Kröger" erfüllte jede Voraussetzung an eine authentische und intellektuell
stimmige Umsetzung. Die autobiographische Züge aufweisende Schilderung eines
jungen aufstrebenden Schriftstellers, der sich zerrissen fühlt zwischen seinem
Künstlerdasein, das ihn zum Einzelgänger werden ließ, und der Sehnsucht nach
einem Leben ohne innere Zweifel, eingebettet in die bürgerliche Gemeinschaft,
wurde von Erika Mann - der Tochter des Autors und selbst Schriftstellerin - in
eine Drehbuchform gewandelt. Gemeinsam mit Ennio Flaiano, einem der
bedeutendsten Autoren der 50er und 60er Jahre, der an fast allen Filmen
Federico Fellinis beteiligt war. Nach "Tonio Kröger" verfasste er mit
Erika Mann noch das Drehbuch zu Rolf Thieles folgendem Film "Wälsungenblut"
(1965), erneut nach einer Novelle Thomas Manns. Beide Drehbücher entstanden
zwischen seinen Arbeiten zu Fellinis Filmen "Otto e mezzo"
(Achteinhalb, 1963) und "Giulietta degli spiriti" (Julia und die
Geister, 1965).
Die
Darstellerriege liest sich ähnlich exquisit. Jean-Claude Brialy, der 1961 in
Jean-Luc Godards "Une femme est une femme" (Eine Frau ist eine Frau)
neben Jean-Paul Belmondo spielte, gehörte zu den renommiertesten jungen
französischen Darstellern seiner Zeit, und ist als erwachsener Tonio Kröger
ebenso eine Idealbesetzung wie Mathieu Carrière als junger Tonio. Neben dem
Protagonisten, dessen persönliche Sicht auf die Menschen, die Orte seines
Verweilens - Siena, München, seine Heimatstadt Lübeck (in der Novelle neutraler
als Stadt an der Ostsee benannt, von Erika Mann im Drehbuch konkretisiert) bis
zur dänischen Küste - und auf das Leben schlechthin im Mittelpunkt steht,
kommen alle übrigen Beteiligten über kurze Berührungspunkte nicht hinaus.
Trotzdem wurden die Nebenrollen mit Gert Fröbe, Theo Lingen, Rudolf Forster,
Günther Lüders, Beppo Brem, Walter Giller und nicht zuletzt dessen Frau Nadja
Tiller, Thieles bevorzugter Darstellerin, ausgezeichnet besetzt.
Zudem
gelang es den beiden Drehbuchautoren, den Geist der Erzählung beizubehalten,
sie gleichzeitig aber filmisch zu straffen. Tonios Gedanken werden in der etwas
altmodisch klingenden, wunderbar malerischen Sprache des Autors wörtlich
zitiert, während der lineare Aufbau der Erzählung in eine dynamischere Form gebracht
wurde. Der Beginn des Films in Italien, dem Herkunftsland seiner Mutter, der er
auch seinen Vornamen zu verdanken hat, für den er in Deutschland gehänselt
wurde (Tonio ist die Kurzform von Antonio), ist frei erfunden - in Manns
Novelle zieht Tonio nach dem Tod seines Vaters und der Wiederverheiratung
seiner Mutter nach München. Thiele nutzte dessen Aufenthalt in Siena, um
Konstellationen zu erzeugen, die bei dem Protagonisten Erinnerungen an seine
Jugend in Lübeck wecken, die der Film in Rückblenden erzählt. Besonders prägend
war für Tonio die Begegnung mit seinem Klassenkameraden Hans Hansen (Thomas
Thomsen) und der blonden Inge (Rosemarie Lücke) aus seinem Tanzkurs (großartig
Theo Lingen als affektierter, frankophiler Tanzlehrer), die für ihn den
gesunden, hübschen, blauäugigen Idealtypus darstellten. Er bemühte sich um eine
Freundschaft zu Hans Hansen, kommt aber über die Stellung eines gelittenen
Begleiters nicht hinaus.
Die Figur
Hans Hansens orientierte sich an Thomas Manns früh verstorbenen Mitschüler
Armin Martens, über den Thomas Mann 1955, ein halbes Jahr vor seinem Tod, an
einen ehemaligen Klassenkameraden schrieb: "Denn den habe ich geliebt – er
war tatsächlich meine erste Liebe, und eine zartere, selig-schmerzlichere war
mir nie mehr beschieden [...] Aber ich habe ihm im „Tonio Kröger“ ein Denkmal
gesetzt." Ohne Zweifel gelang es Erika Mann und Rolf Thiele, diese
Emotionen zu vermitteln und die Melancholie und innere Tragik eines Menschen zu
transportieren, der das Leben zu genau begriffen hat, um es in einfache
Kategorien unterteilen zu können. Und der gleichzeitig Diejenigen beneidet, die
sich darüber keine Gedanken machen - eine generelle Thematik, mit der
"Tonio Kröger" nicht allein ist.
Angesichts
dieses künstlerisch gelungenen und gleichzeitig unterhaltenden Films, stellt
sich die Frage, warum diesem sowohl Anerkennung, als auch Langlebigkeit versagt
blieben. Ein Zitat aus einer zeitgenössischen Kritik im Spiegel könnte darauf
eine Antwort geben: "Rolf Thiele, des deutschen Films gedankenverlorener
Problem-Erotiker, hat dieser vierten Nachkriegs-Verfilmung eines
Thomas-Mann-Werkes echte Mann-Zitate, aber mehr noch echten Thiele-Touch
mitgegeben". Begründet wird diese plakative Aussage nur rudimentär mit der
Szene, in der Tonio Kröger in Siena die Wohnung einer Prostituierten durch ein
Fenster verlässt und auf einem Friedhof landet - eine, wie die gesamte Szenerie
in Siena, von Thiele ersonnene Ausgangssituation.
Tatsächlich
sind es aber gerade diese Szenen, die "Tonio Kröger" von reinen
Literaturverfilmungen unterscheiden, die häufig zu ästhetischen Fingerübungen
verkommen. So gesetzt die Worte hier wirken und historisch genau das Umfeld
gestaltet wurde, so spürbar bleibt auch die Gegenwart Mitte der 60er Jahre und
eine sich ankündigende Zeit gesellschaftlicher Veränderungen. Tonios heimliches
Begehren, seine intellektuellen Gespräche mit seiner Münchner Freundin, der
russischen Malerin Lisaweta Iwanowna (Nadja Tiller), die einsamen Tage an der
Ostsee, wo er mit der Fröhlichkeit feiernder Massen konfrontiert wird oder sein
Rückweg in die Heimatstadt, verbunden mit den Erinnerungen an seine
Außenseiterrolle, spiegeln die Unsicherheit einer Phase wider, die sich im
Umbruch befand. Eine Qualität, die auch schon Thomas Manns Original im Jahr
1903 ausdrückte, bezogen auf seine damalige Position. Das es Thiele gelang,
dieses Gefühl individuell in die Gegenwart zu transportieren, macht die Qualität
seines Films aus.
"Tonio Kröger" Deutschland 1964, Regie: Rolf Thiele, Drehbuch: Erika Mann, Ennio Flaiano, Darsteller : Jean-Claude Brialy, Nadja Tiller, Mathieu Carriére, Gert Fröbe, Walter Giller, Theo Lingen, Beppo Brem, Günther Lüders, Laufzeit : 91 Minuten
weitere im Blog besprochene Filme von Rolf Thiele:
"Das Mädchen Rosemarie" (1958)
Keine Kommentare:
Kommentar veröffentlichen