Inhalt: Die
französische Tänzerin Arlette (Eva Christian) macht erneut Ärger, da sie keinen
Striptease abliefern will, wie ihn der Nachtclub-Besitzer Bernie (Rolf Eden)
von ihr einfordert. Doch seine Mitarbeiter wissen sich zu helfen und versetzen
ihr einen Schuss Heroin, der ihren Widerstand brechen soll. Ihre Verzweiflung
können sie ihr damit aber nicht nehmen, weshalb sie wenige Tage später
unkontrolliert und hilflos über die Hamburger Straßen läuft und dabei Helmut
(Helmut Förnbacher) begegnet, der sich ihrer annimmt.
Gemeinsam
verbringen sie den Tag und die kommende Nacht bis sie sich verliebt in den
Morgenstunden verabschieden. Arlette hat wieder Mut gewonnen und glaubt an eine
Wendung in ihrem Leben, ahnt aber nicht, dass Helmut von der Schweizer Drogenfahndung
an die Hamburger Polizei abkommandiert wurde. Er glaubt, dass es sich bei
Bernies Nachtclub um einen Drogenumschlagplatz handelt und nutzt die
Bekanntschaft mit Arlette, dort unauffällig nachzuforschen. Ein Überfall kommt
ihm zu Hilfe, um das Vertrauen Bernies zu gewinnen...
Genaue
Zuschauerzahlen lassen sich heute nicht mehr feststellen, aber das der Andrang
an den Kinokassen zu "St. Pauli
zwischen Nacht und Morgen" 1967 groß gewesen sein soll, wie es der
Hüllentext der Pidax-DVD beschreibt, klingt glaubhaft. Filme, die ein moralisch
anrüchiges, erotisch angehauchtes Szenario entwarfen, hatten Ende der 60er
Jahre Konjunktur. Der Schweizer Filmemacher Erwin C. Dietrich, für "St.
Pauli zwischen Nacht und Morgen" noch ausschließlich als Produzent
verantwortlich, sollte 1968 einen der größten Publikumserfolge des Jahres mit
dem Erotik-Film "Die Nichten der Frau Oberst" erzielen und der Name
"St. Pauli" kam im Filmtitel groß in Mode, denn er versprach dem
Betrachter einen voyeuristischen Blick durchs Schlüsselloch in eine ihm
unbekannte Welt.
Entsprechend
wurden diese Filme trotz ihres Erfolgs nicht nur vom Feuilleton, sondern auch
von den bürgerlichen Medien gemieden - "Die Nichten der Frau Oberst"
erhielt nicht die verdiente "Goldene Leinwand" wie bei den erzielten
Zuschauerzahlen sonst üblich - aber während "Der Schulmädchen-Report"
(1970) oder Oskar-Kolles Aufklärungswerke als signifikant für diese Phase im
Langzeitgedächtnis erhalten blieben, geriet ein Film wie "St. Pauli
zwischen Nacht und Morgen" vollständig in Vergessenheit, obwohl er in
seiner Mischung aus Erotik und Kriminalfilm oberflächlich betrachtet
Ähnlichkeit zu den damaligen Edgar-Wallace-Filmen ("Der Mönch mit der
Peitsche" (1967)) aufwies, die heute noch populär sind.
Tatsächlich
ist der Erfolg von "St. Pauli zwischen Nacht und Morgen" in
Deutschland nur aus dem damaligen Zeitkontext heraus zu erklären, denn der Film
weist sowohl von der Bildsprache, als auch der erzählerischen Anlage kaum
Gemeinsamkeiten mit den deutschen Unterhaltungsfilmen der 60er Jahre auf. Am
ehesten ließen sich noch Parallelen zu Jürgen Rolands "Polizeirevier Davidswache" (1964) in den Dokumentaraufnahmen von Hamburgs Stadtteil St.
Pauli feststellen, aber während das Lokalkolorit - besonders die Menschen, die
dort leben - für Roland von entscheidender Bedeutung war, hätte die Story in
"St. Pauli zwischen Nacht und Morgen" auch vor der Kulisse einer
anderen, ähnlich von Industrie und Nachtleben geprägten Großstadt spielen
können.
"Ich habe von Bénazéraf gehört, aber kannte seine Filme nicht, als ich ihn engagierte. Aber er passte nicht zu mir, verlangte getrennt von den übrigen Mitgliedern der Gruppe am ersten Haus am Platz untergebracht zu werden und ließ sich nur von den produktionseigenen Fahrzeugen befördern" (Erwin C.Dietrich, E-Mail Interview 01/2015)
"Ich habe von Bénazéraf gehört, aber kannte seine Filme nicht, als ich ihn engagierte. Aber er passte nicht zu mir, verlangte getrennt von den übrigen Mitgliedern der Gruppe am ersten Haus am Platz untergebracht zu werden und ließ sich nur von den produktionseigenen Fahrzeugen befördern" (Erwin C.Dietrich, E-Mail Interview 01/2015)
Erwin C.
Dietrich erkannte früh die wachsende
Popularität von Erotik- und Sexfilmen auch in Deutschland und beauftragte als
Regisseur mit José Bénazéraf einen der bekanntesten Vertreter des französischen
Erotik-Films, der 1963 mit "L'éternité pour nous" (Heißer Strand)
seinen Einstand gegeben hatte. Dietrich hatte ein Jahr zuvor "Schwarzer Markt der Liebe" (1966) produziert, für dessen Umsetzung er den späteren "Schulmädchen-Report" - Regisseur Ernst Hofbauer verpflichtete. Dass Dietrich Bénazérafs Filme nicht kannte, wie er in seinem Interview schrieb, ist schwer zu glauben, denn der Film zitierte - ebenso wie "St. Pauli
zwischen Nacht und Morgen" - Bénazérafs zuvor entstandenen Gangsterfilme.
Nicht nur die Kameraführung, der Bildaufbau und das Gangstermilieu bis hin zur
Verwendung der riesigen us-amerikanischen Straßenkreuzer, weisen Parallelen
zwischen beiden Filmen auf - gleichzeitig eine Anspielung auf die Kriminalfilme
Jean-Pierre-Melvilles - seinen Film fehlte auch die Geschwätzigkeit und
Erklärungssucht deutscher Kriminalfilme, weshalb der Storyaufbau im Vergleich zum typischen Genre-Beitrag ungewohnt spartanisch wirkt.
Die
Einführung der Hauptfiguren - die französische Tänzerin Arlette (Eva Christian)
und der Schweizer Drogenpolizist Helmut (Helmut Förnbacher) - geschieht ohne
erklärenden Kontext. Arlette weigert sich, weiter als Tänzerin in dem Nacht-Club
aufzutreten, woraufhin sie mit einer Heroin-Spritze von ihrer Kollegin (Dunja
Rajter) gefügig gemacht wird. Trotzdem rennt sie wenige Tage später
unkontrolliert aus dem Club und läuft zufällig Helmut in die Arme, der vor
Monaten als Drogenfahnder zur Hamburger Polizei abkommandiert wurde. Sie
verbringen den restlichen Tag und die kommende Nacht zusammen und verlieben
sich ineinander. Helmut glaubt, dass es sich bei dem Nacht-Club, in dem Arlette
arbeitet, um einen wichtigen Drogenumschlagplatz handelt und will als
Undercover-Agent dort nachforschen, wozu er den Kontakt mit der hübschen
Tänzerin nutzt.
Bénazéraf
kam es bei der Entwicklung seiner Filme weniger auf die innere Schlüssigkeit
der Story an, als auf eine ausdrucksstarke Bildsprache, mit der er die
Charaktere seiner Protagonisten herausarbeitete. In einer der besten Sequenzen
des Films begleitet die Kamera von hinten den seinen Club betretenden Boss
Bernie (von Rolf Eden stoisch selbstbewusst, geradezu französisch gespielt) und
fängt damit die Reaktionen der ihm begegnenden Menschen ein. Typisch für
Bénazéraf ist die Nutzung der Raumtiefe. Während Bernie im Vordergrund mit
einem Vertrauten redet, sitzen zwei Damen dahinter an ihrem Tisch, deren
Gespräch der Film parallel dazu einfängt, während sich eine Striptease-Tänzerin
in der hinteren Perspektive auszieht. Wie in "Joë Caligula - Du suif chez
les dabes" wird Nacktheit nie vordergründig inszeniert, sondern entsteht
aus einem bildsprachlichen Kontext.
Auch die
sparsamen Dialoge entsprachen nicht den im deutschen Film gewohnten
Gepflogenheiten. Nicht nur, dass Bénazéraf unterschiedliche Gespräche
gleichzeitig erklingen ließ, inhaltlich werden diese meist von einer real
wirkenden Belanglosigkeit geprägt. Unterstützt wurde er dabei von Wolfgang
Steinhardt, einem längst vergessenen deutschen Drehbuchautoren, der 1961 schon
mit Max Pécas in "De quoi tu te mêles Daniela!" (Zarte Haut in
schwarzer Seide) zusammen arbeitete, ebenfalls ein stilprägender französischer
Regisseur im Erotik-Genre, der wie Bénazéraf ab Mitte der 70er Jahre
Porno-Filme drehen sollte. Eine geringe Anpassung an den deutschen Markt lässt
sich eventuell in den im Gegensatz zu "Joë Caligula" deutlich
sparsameren Nacktszenen entdecken, aber sowohl in der Inszenierung des attraktiven
weiblichen Casts, als auch in der Kompromisslosigkeit der Vorgehensweise der
Polizei atmete "St. Pauli zwischen Nacht und Morgen" den Geist des
französischen Gangsterfilms.
Aus dem
gleichen Grund, weshalb der Film schnell in Vergessenheit geriet, wird er heute
auch von Fans fast zwanghaft als Trash angesehen, dabei übersehend, dass es
sich bei José Bénazérafs Film um einen künstlerisch eigenwilligen, sehr
ästhetischen Film handelt, der seine Erotik hintergründig ausstrahlt und den
deutschen Kriminalfilm avantgardistisch interpretierte.
"St. Pauli zwischen Nacht und Morgen" Deutschland / Frankreich 1967, Regie: José Bénazéraf, Drehbuch: Wolfgang Steinhardt, Darsteller : Eva Christian, Helmut Förnbacher, Rolf Eden, Dunja Rajter, Bob Iller, Tom Riedel, Laufzeit : 85 Minuten
- Regie:
"Die Nichten der Frau Oberst" (1968)
"Ich, ein Groupie" (1970)
"Die Nichten der Frau Oberst" (1980)
- nur Produktion und/oder Drehbuch:
"Der Herr mit der schwarzen Melone" (1960)
"Schwarzer Markt der Liebe" (1966)
"Unruhige Töchter" (1967)
"...und noch nicht sechzehn" (1968)
"Downtown - die nackten Puppen der Unterwelt" (1975)
Essay "Jesùs Franco und Erwin C.Dietrich - die 70er Jahre Erotic-Connection"
weitere im Blog besprochene Filme von Erwin C.Dietrich:
- Regie:
"Die Nichten der Frau Oberst" (1968)
"Ich, ein Groupie" (1970)
"Die Nichten der Frau Oberst" (1980)
- nur Produktion und/oder Drehbuch:
"Der Herr mit der schwarzen Melone" (1960)
"Schwarzer Markt der Liebe" (1966)
"Unruhige Töchter" (1967)
"...und noch nicht sechzehn" (1968)
"Downtown - die nackten Puppen der Unterwelt" (1975)
Essay "Jesùs Franco und Erwin C.Dietrich - die 70er Jahre Erotic-Connection"
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