Inhalt:
Während die Mutter das Mittagessen für ihre Tochter vorbereitet, die sie bald
aus der Schule zurück erwartet, spricht ein Mann (Peter Lorre) die kleine Else auf
ihrem Heimweg an und schenkt ihr einen Apfel. Wiederholt eine Melodie pfeifend,
kauft er ihr bei einem blinden Bettler einen Luftballon und gewinnt so das
Vertrauen des Mädchens. Ihre Mutter ist immer beunruhigter, da Else weder mit
den Nachbarkindern nach Hause kommt, noch sonst ein Lebenszeichen von sich gibt
– bis der Luftballon einsam in die Luft steigt und das Kind tot ist.
Ein
Aufschrei geht durch die Stadt, denn Else ist das achte Kind, das getötet
wurde, aber die Polizei hat keinerlei Ahnung, wer der Täter ist. Während es auf
den Straßen zu Lynchjustiz und Aufruhr kommt, kämpft die Polizei mit sich
widersprechenden Zeugenaussagen. Um irgendetwas zu unternehmen, veranstalten
sie Razzien in der Unterwelt, obwohl der Polizei-Psychologe nicht glaubt, dass
sich der Täter unter den Kriminellen befindet. Diese reagieren zunehmend
genervt auf die ständigen Polizei-Kontrollen, die ihnen die Geschäfte
verderben, weshalb sich unter Führung des Schränkers (Gustav Gründgens) eine
Gruppe formiert, die selbst den Kindermörder fassen will…
Fritz Langs
erster Tonfilm "M", dessen Drehbuch er gemeinsam mit seiner damaligen
Frau Thea von Harbou ersann, ist inzwischen Legende und gehört zu den
wichtigsten und einflussreichsten Werken der Filmgeschichte. "M"
setzte eine Vielzahl an Filmstandards, die bis heute nichts von ihrer Wirkung
verloren haben - der Realismus der Anfangssequenz, in der das Verschwinden des
Mädchens Else aus dem Blickwinkel ihrer Mutter betrachtet wird, die beinahe
dokumentarische Schilderung der Polizeiarbeit, die Überblendungen zwischen
Polizeibesprechung und dem Treffen der Gangster, die die Nähe der Gegenparteien
verdeutlichen, die aktionsreiche Suche der Unterwelt nach dem Kindermörder bis
zu der abschließenden Gerichtsszene, die zwar von den Banditen unter der
Leitung des Schränkers (Gustav Gründgens) einberufen wurde, aber schon die
klassischen Merkmale von Anklage, Plädoyer und Unschuldsbeteuerung des
Angeklagten beinhaltet, begleitet von den erregten Zurufen des Auditoriums.
Allein das
es Fritz Lang gelang, der sich während der Stummfilmzeit auf Großproduktionen
wie "Die Nibelungen" (1924) oder "Metropolis" (1927)
konzentrierte (von ihm selbst als "Schinken" bezeichnet), diese
unterschiedlichen Stile zu einem schlüssigen Ganzen zusammenzufügen, ist
bewundernswert, entscheidend dabei ist aber das geschickte Spiel mit den
Emotionen, dass dem Film eine Vielzahl an Interpretationen einbrachte vom
Zeitgemälde der "Weimarer Republik" bis zum Blick auf die kommende
Diktatur unter den Nationalsozialisten. Selbst Propaganda-Minister Joseph
Goebbels verstand den Film in seiner Hinsicht und empfand ihn als Plädoyer für
die Todesstrafe, weshalb er auch versuchte, Fritz Lang für die
nationalsozialistische Sache einzuspannen. Angeblich war er an der Seite von
Luis Trenker für die Gründung der Abteilung Regie der "Nationalsozialistischen
Betriebsorganisation“ verantwortlich, was von Fritz Lang, der Ende 1933
aus Deutschland emigrierte, bestritten wurde.
Das es zu
diesen unterschiedlichen Interpretationen kam, verdeutlicht Langs
Meisterschaft, eine bis heute polarisierende Thematik nicht nur umfassend,
sondern ohne offensichtliche Bewertung zu betrachten. Besonders die
Anfangssequenz ist in dieser Hinsicht vorbildlich, denn Lang zeigt den Mord an
dem kleinen Mädchen nicht konkret und verhindert damit eine zu stark gegen den
Täter gerichtete Beeinflussung des Betrachters, wie sie im Film inzwischen
üblich geworden ist. Trotzdem lässt er an der Konsequenz und Tragik dieses
Verbrechens keinen Zweifel, zeigt die immer beunruhigter werdende Mutter, die
mit den lapidaren Beruhigungsfloskeln ihrer Nachbarschaft oder eines Vertreters
konfrontiert wird, bis der Luftballon, den der Mörder seinem Opfer zuvor bei
einem blinden Bettler kaufte, in den Stromkabeln hängen bleibt – so exakt
inszeniert, differenziert betrachtet und gleichzeitig emotional nachvollziehbar
gelang eine solche Szene kaum ein weiteres Mal im Film.
Anstatt die
emotionale Schraube weiter anzuziehen, machte Lang in „M“ das genaue Gegenteil
und leitete zu der Polizeiarbeit über, die er in fast dokumentarischer Form
beschrieb - mit Kommissar Lohmann im Mittelpunkt, den Otto Wernicke ein
weiteres Mal in Langs „Das Testament des Dr.Mabuse“ (1933) spielen sollte.
Gemäß seiner ursprünglichen Idee sollte der Kindermörder Hans Beckert (Peter
Lorre) die Polizei regelmäßig mit Briefen provozieren, aber in „M“ beließ er es
bei einem Brief, dessen genaue Untersuchung letztlich zur Ermittlung des Täters
führt. Doch bevor die Polizei in die Nähe eines Fahndungserfolgs kommt, haben
die Gangster der Stadt das Heft des Handelns ergriffen und nutzen ihre weit reichenden
Möglichkeiten, selbst dem Mörder auf die Spur zu kommen. Sie sind genervt von
den ständigen Polizei-Razzien, die ihre Geschäfte empfindlich stören, und
beginnen unter der Führung des Schränkers, den Gründgens mit eiskalter
Präzision spielte, systematisch die Stadt abzusuchen. Diese Drehbuch Idee geht
zurück auf den Fall des Düsseldorfer Serienmörders Peter Kürten, nach dem
ebenfalls die Unterwelt fahndete, weshalb der Film beispielsweise in Italien
unter dem Titel „M – il mostro di Düsseldorf“ heraus kam, obwohl die Handlung
von Lang eindeutig in Berlin angesiedelt wurde, allerdings ohne den Ort konkret
zu benennen.
Zurecht,
denn die entscheidende Wirkung des Films geht von den begleitenden Reaktionen
des Durchschnittsbürgers aus, der - anders als die strategisch vorgehenden
Polizisten und Gangster - seinen Emotionen freien Lauf lässt und jederzeit zu
Vorverurteilung und Lynchjustiz bereit ist – eine Verhaltensweise, die weder an
Zeit, noch Ort gebunden ist, und sich bis heute nicht verändert hat. Darin ein
Abbild der „Weimarer Republik“ in ihrer Endphase zu erkennen, greift deshalb zu
kurz, wie Lang selbst wenige Jahre später mit seinem in Hollywood gedrehten
Film „Fury“ (Blinde Wut, 1936) bewies, in dem Spencer Tracy einem Lynch-Mob
ausgesetzt wird. Doch anstatt eines unschuldigen Weißen, wollte er einen
Schwarzen dem Mob aussetzen, der tatsächlich eine Weiße vergewaltigt hatte.
Hollywood ließ diese Konstellation nicht zu, aber daran wird deutlich, dass es
Lang nicht um einfache Lösungen ging, sondern um eine unmittelbare
Konfrontation des Betrachters mit seiner eigenen Haltung.
Diese
fordert Lang in „M“ mit einer Gerichtsverhandlung heraus, in der ein als
dreifacher Mörder gesuchter Verbrecher über einen Kindermörder richten will,
begleitet von einem Auditorium, das ausschließlich aus Mitgliedern der
Unterwelt besteht. Bis zu diesem Zeitpunkt spielte Peter Lorre nur eine
Nebenrolle und gab entsprechend wenige Einblicke in seine Psyche, weshalb sein
abschließender, eindrucksvoll gespielter Auftritt zum herausragenden Höhepunkt
des Films wird. Lorre gelingt es, die innere Zerrissenheit und Verzweiflung
über die eigene Sucht, Kinder zu missbrauchen und zu töten, zu vermitteln, die
ihn nicht als Monster, sondern als Menschen bestehen lässt. Neben seiner
Haltung, kommen auch alle anderen zu Wort – die ihm vorwerfen, sich als
psychisch Kranker vor der Strafe drücken zu wollen, die Mütter, die ihre Kinder
verloren haben, oder Diejenigen, die ihn für ein Ungeheuer halten, dass nicht
weiterleben darf. Das abschließende Urteil des ordentlichen Gerichts lässt Lang
weg – Jeder soll sein eigenes Urteil fällen.
"M" Deutschland 1931, Regie: Fritz Lang, Drehbuch: Thea von Harbou, Fritz Lang, Darsteller : Peter Lorre, Gustaf Gründgens, Otto Wernicke, Theo Lingen, Paul Kemp, Laufzeit : 107 Minuten
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