Inhalt: Der
Innenminister benötigt für die Eröffnung der Filmfestspiele in Berlin dringend
einen Film, in dem Hakenkreuz-Schmierer auf frischer Tat ertappt wurden, aber
es gibt keinen solchen Film im Archiv der "neuen deutschen Schau".
Deshalb werden Reporter Kemskorn (Eckard Lux) und Kameramann Kenschke (Ralf
Wolter) beauftragt, einen solchen Film in Berlins Straßen zu drehen. Doch auch
gegen Geld will Niemand ein Hakenkreuz auf eine Wand malen - wenn auch aus
unterschiedlichen Gründen - bis sie spät abends auf drei Musiker in Begleitung
einer jungen Frau treffen, die sich dazu bereit erklären.
Während die
Frau (Karin Baal) Schmiere steht, lässt sich Macke (Wolfgang Neuss) dabei
filmen, wie er ein großes Hakenkreuz auf eine Glasscheibe malt - wie sich herausstellt,
gehört das Fenster zum Luxus-Restaurant seines Vaters. Doch sie werden von der
Polizei gestört, können aber in einen Keller fliehen, wo Macke den Männern vor
deren Kamera die Vorgeschichte zu seiner Handlungsweise erzählt, die im Jahr
1938 in diesem Keller begann...
1960 wurde
"Wir Kellerkinder" der kommerziell erfolgreichste Film in der
Bundesrepublik Deutschland. Einerseits wegen der günstigen
Produktionsbedingungen - die Handlung des Films, die Wolfgang Neuss mit den
Kabarettisten der "Berliner Stachelschweine" und Gastauftritten
bekannter Darsteller (Erik Schumann, Eric Ode) und Regisseure (Helmut Käutner)
einspielte, benötigte nur wenige Lokalitäten - andererseits wegen seiner Idee,
zuerst den Film in der ARD zu zeigen, bevor er in die Kinos kam. Für die
Kinobetreiber bedeutete das eine große Respektlosigkeit, weshalb sie "Wir
Kellerkinder" zuerst boykottierten - mit dem Ergebnis, dass die Zuschauer
Schlange standen, als die ersten Kinos den Film doch vorführten.
Für
Wolfgang Neuss, der es frühzeitig verstanden hatte, die Medien für seine
Aktionen zu nutzen (so verriet er 1962 vor der Ausstrahlung der letzten Folge
den Täter in der TV-Verfilmung des Durbridge Krimis "Das Halstuch",
einem damaligen "Straßenfeger") bedeutete sein erster führend
geschriebener Langfilm "Wir Kellerkinder" einen entscheidenden
Schritt zu seiner großen Popularität als Kabarettist in den 60er Jahren. Bis
ihm in den 70er Jahren ein ähnliches Schicksal widerfuhr wie zuvor schon dem
Film - er geriet in Vergessenheit. Betrachtet man den inzwischen zementierten
Konsens, welche Filme frühzeitig einen kritischen Blick auf die Zeit des
Nationalsozialismus und die folgenden „Wirtschaftswunder“ - Jahre wagten, wird
neben Wickis „Die Brücke“ (1959) und Staudtes „Rosen für den Staatsanwalt“
(1959) in der Regel noch „Wir Wunderkinder“ (1958) von Kurt Hoffmann genannt,
„Wir Kellerkinder“ findet dagegen keine Erwähnung.
Wie die
Ähnlichkeit der Filmtitel schon vermuten lässt, reagierte Neuss mit „Wir
Kellerkinder“ unmittelbar auf Hoffmanns Film, an dem er gemeinsam mit seinem
Partner Wolfgang Müller („Die zwei Wolfgangs“) maßgeblich beteiligt war. Seine
Reaktion erhielt eine tragische Komponente, als Wolfgang Müller parallel zu den
Dreharbeiten für „Das Spukschloss im Spessart“ (1960) - dem Nachfolgefilm des
sehr erfolgreichen „Wirtshaus im Spessart“ (1958), an dem die beiden
„Wolfgangs“ erstmals mit Kurt Hoffmann zusammen gearbeitet hatten - tödlich
verunglückte. Mit dem Satz „Jetzt brauchen wir Sie auch nicht mehr“ wurde
Wolfgang Neuss aus der Produktion komplimentiert - ein Zitat, dem nie
widersprochen wurde, aber selbst wenn es genauso gelautet hätte, spricht Neuss’
fehlende Beteiligung an dem Film (und an allen weiteren Filmen Kurt Hoffmanns)
schon genug für sich. Trotz dieses Schicksalsschlags führte Neuss das mit
Müller begonnene Filmprojekt zu Ende – mit Wolfgang Gruner als Ersatz für
seinen verstorbenen Partner.
In „Wir Wunderkinder“ war es erst seinen und Wolfgang Müllers satirischen Bemerkungen
zu verdanken, dass Hoffmanns Film über die typische Wohlfühl-Betrachtung der
jüngeren deutschen Geschichte hinaus kam, in „Wir Kellerkinder“ wurde Neuss
noch deutlich konkreter und bissiger. Die Anlage der Story orientierte sich
bewusst an Hoffmanns Film, indem Neuss nach einer Eingangssequenz wieder einen
Rückblick auf die zurückliegenden Jahre gibt, hier beginnend im Jahr 1938, als
der Erzähler Macke Prinz (Wolfgang Neuss) gerade 11 Jahre alt wurde. Mit seiner
Geschichte will Macke Prinz gegenüber dem Reporter Kemskorn (Eckard Lux) und
dessen Kameramann Kenschke (Ralf Wolter) von der "neuen deutschen
Schau" begründen, warum er bereit war, ein Hakenkreuz auf die
Fensterscheibe des Restaurants seines Vaters zu malen. Darum hatten ihn die
beiden Männer gebeten, die für den Innenminister einen Film drehen sollten, bei
dem ein Hakenkreuz-Schmierer auf frischer Tat ertappt wird, aber Niemand hatte
den Job gegen Geld übernehmen wollen, wenn auch aus ganz unterschiedlichen
Gründen. Nur Macke Prinz und seine beiden Freunde Arthur (Wolfgang Gruner) und
Adalbert (Jo Herbst) hatten nicht gezögert.
Im
Gegensatz zu „Wir Wunderkinder“, der einen historisch authentischen Rückblick
auf die Jahre 1913 – 1957 warf, versuchte Neuss erst gar nicht, mit dessen
kostenintensiver Ausstattung zu konkurrieren, sondern konzentrierte sich auf
die inhaltlichen Konsequenzen. Dass er erst sieben Jahre den Kommunisten Knösel
(Achim Striezel) vor den Nationalsozialisten im Keller versteckte – teilweise
unter erschwerten Bedingungen, wenn der Keller bei Bombenangriffen stark
frequentiert wurde - um danach seinen Vater (Willi Rose) vier Jahre lang vor
der Entnazifizierung im Gefängnis zu bewahren, sollte keine äußerliche Realität
widerspiegeln, sondern anschaulich verdeutlichen, wie schnell und wendig die
Menschen auf die wechselnden ideologischen Anforderungen reagierten. Einzig
Macke, Arthur und Adalbert fallen angesichts der Beweglichkeit ihrer Umgebung
mit Übersprungshandlungen auf, was sie unmittelbar in die Heilanstalt bringt,
wo sie zu Therapiezwecken die Wohnung des Doktors sauber halten dürfen. Die
drei Insassen bekommen alle drei Jahre die Möglichkeit an den Orten, an denen
ihr Krankheitsbild zu Tage trat – die Herrentoilette im Münchner Hofbräuhaus,
das Theater in Cottbus und der Keller in Berlin – zu beweisen, dass sie
inzwischen geheilt sind, indem sie dem dortigen Treiben der Menschen eine
Stunde lang regungslos zusehen - eine fast unmöglich zu erfüllende
Voraussetzung.
„Wir
Kellerkinder“ bezog - anders als Hoffmanns „Wir Wunderkinder“ - nicht nur die
Entwicklung der DDR mit ein, sondern teilte in sämtliche Richtungen aus. Weder
gibt es hier einen besonders bösen Nationalsozialisten, noch irgendeinen
Feingeist, sondern nur Durchschnittsbürger, die auch Ende der 50er Jahre noch
die alten Parolen parat haben. Selbst der Alt-Kommunist Knösel geht am Ende in
den Westen, um mit Büchern über seine Zeit in der DDR Kohle zu machen, und die
Mär, in der DDR gäbe es keine Nazis, wird von Neuss wunderbar ad absurdum
geführt – ausgerechnet der strammste Nazi seines Wohnblocks wird dort zum
sozialistisch genormten Theaterleiter, verheiratet mit Mackes Schwester Almuth
(Ingrid van Bergen), die früher als Jung-Mädel in der Partei engagiert war –
selten gelang es besser, die Komplexität der Entwicklung Deutschlands nach dem
Krieg auf den Punkt zu bringen.
Ob es an
dieser treffenden, Niemanden schonenden Analyse lag, dass „Wir Kellerkinder“
inzwischen nahezu unbekannt ist, an der einfachen Inszenierung, die keine
Chance gegen einen gut ausgestatteten Film wie „Wir Wunderkinder“ hatte - heute
selbst nur noch Insidern bekannt - oder am generellen Niedergang von Wolfgang
Neuss, der erst in den letzten Jahren vor seinem Tod 1989 von der
links-alternativen Szene wieder entdeckt wurde, lässt sich schwer beurteilen,
befreit aber nicht die Filmwissenschaft vor Kritik daran, an dem bis heute
bestehenden Konsens, nur die Filme anzuerkennen, die schon zu ihrer
Entstehungszeit akzeptiert wurden, festzuhalten. Wesentlich tiefer gehende,
kompromisslosere Werke wie Staudtes „Kirmes“ (1960), Käutners „Der Rest ist
Schweigen“ (1959) oder den hier besprochenen „Wir Kellerkinder“, um nur wenige
Beispiele zu nennen, wurden bis heute weder wieder entdeckt, noch rehabilitiert
- ein andauerndes Armutszeugnis.
"Wir Kellerkinder" Deutschland 1960, Regie: Hans-Joachim Wiedermann, Drehbuch: Wolfgang Neuss, Herbert Kundler, Thomas Keck, Darsteller : Wolfgang Neuss, Wolfgang Gruner, Jo Herbst, Karin Baal, Ralf Wolter, Hilde Sessak, Ingrid van Bergen, Achim Strietzel, Eckart Dux, Willi Rose, Laufzeit : 87 Minuten
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