Freitag, 23. Oktober 2015

Die Nichten der Frau Oberst (1968) Erwin C.Dietrich

Inhalt: „Frau Oberst“ Clarissa (Kai Fischer), junge Witwe eines Offiziers, verbringt die Nacht mit Alexander (Heiner Hitz), der ihr am nächsten Morgen seine Liebe schwört und sie heiraten will. Amüsiert über so viel Begeisterung macht sie ihm schnell klar, worum es ihr wirklich geht und stellt ihm ihre zwei Nichten Florentine (Tamara Baroni) und Julia (Heidrun Hankammer) vor. Diese sind nach ihrem Geschmack zu sehr aneinander interessiert, weshalb sie sie schnell an den Mann bringen will. Florentine gefällt Alexander mehr als die scheinbar nur für ihre Pferde schwärmende Julia und er heiratet sie.

Doch auch für Julia hat „Frau Oberst“ schon einen Plan. Der Lebemann und Frauenheld Gaston (Claus Tinney) scheint ihr geeignet, Julia auf andere Gedanken zu bringen, aber nicht ohne ihn zuvor selbst eine Nacht für sich zu haben. Auch Gaston will sie sogleich am nächsten Morgen heiraten, soll sich aber um die zweite Nichte kümmern. Keineswegs ohne Erfolg, aber Julia verlangt zuerst geheiratet zu werden, bevor sie mit ihm ins Bett geht…


"Die Nichten der Frau Oberst hat vermutlich nicht nur mich und meine Zukunft verändert, sondern auch Diejenige der ganzen deutschen Kinowelt..." (Zitat Erwin C.Dietrich, E-Mail Interview 01/2015)

Klappte es im Bett bei "Frau Oberst" (Kai Fischer) noch wunderbar...
Diese von Erwin C. Dietrich in unterschiedlichen Publikationen zuvor schon in ähnlicher Form gemachte Aussage, lässt sich an Hand eindeutiger Fakten belegen. Dietrich selbst, der als Produzent begonnen hatte, um zunehmend als Drehbuchautor und Regisseur stärker in den Entstehungsprozess seiner Filme einzugreifen, kämpfte seit Jahren um das Überleben seiner Verleih- und Produktionsfirma. Seit seinem Einstieg ins Erotik-Genre mit "Schwarzer Markt der Liebe" (1966) hatte er weitere fünf erotische Filme herausgebracht - zuletzt "Hinterhöfe der Liebe" (1968) unter eigener Regie -, aber ein durchschlagender Erfolg wollte sich nicht einstellen. Immerhin hatte sich inzwischen ein festes Team herausgebildet, bestehend aus dem Kameramann Peter Baumgartner ("St.Pauli - zwischen Nacht und Morgen", 1967), dessen Onkel Walter Baumgartner als Filmkomponist ("...und noch nicht sechzehn", 1968) und den männlichen Darstellern Peter Capra ("Unruhige Töchter", 1968) und Claus Tinney ("Schwarzer Markt der Liebe").

...ging für Alexander (Heiner Hinz) bei Florentine (Tamara Baroni) nichts mehr.
Mit ihnen nahm Dietrich auch "Die Nichten der Frau Oberst" in Angriff, ergänzt durch attraktive Darstellerinnen, die bereit waren sich nackt vor der Kamera zu zeigen - 1968 alles andere als eine Selbstverständlichkeit. Entsprechend häufig war Dietrich auf Newcomerinnen angewiesen, die erst Erfahrungen als Schauspielerinnen in größeren Rollen sammeln mussten - teils mit Erfolg (Rosemarie Heinikel ("...und noch nicht sechzehn"), Ingrid Steeger ("Ich, ein Groupie", 1970)), teils ohne große Nachwirkungen. Das traf auch auf Heidrun Hankammer und die damalige italienische "Skandalnudel" Tamara Baroni in den Nichten-Rollen zu, die über ihr hübsches Äußeres hinaus nur wenig überzeugen konnten. Dafür hatte Dietrich mit Kai Fischer eine so erfahrene ("...denn das Weib ist schwach" (1961)) wie erotische Schauspielerin für die Rolle der Frau Oberst engagieren können, die sich aber entgegen ihrer früheren Aussage bei den Dreharbeiten nicht mehr ausziehen wollte.

Weder Tropfen...
Neben der Regie kümmerte sich Erwin C. Dietrich auch selbst um das Drehbuch, so dass sich das Gesamtpaket kaum von seinen Vorgängern unterschied. Trotzdem wurde „Die Nichten der Frau Oberst“ zum erfolgreichsten Film des Jahres 1968, der die kommerzielle Basis nicht nur für Dietrichs zukünftige Filmproduktionen schuf, sondern generell zum Durchbruch für den erotischen Unterhaltungsfilm im prüden Deutschland wurde. Der Anfang 1968 in die Kinos gekommene Oswald-Kolle-Film „Das Wunder des Lebens“ (Regie Franz-Josef Gottlieb) musste sich mit seiner dokumentarisch-aufklärerischen Schwarz-Weiß-Optik noch vom verpönten Sex-Film abgrenzen. Trotzdem verzeichnete er schon hohe Besucherzahlen, konnte aber mit Dietrichs Film nicht mithalten, obwohl dieser schlechte Kritiken erhielt:

„Film ist größte Scheiße des Jahrhunderts! Zurückziehen!“

...noch Kneippkur helfen
telegrafierte der Düsseldorfer Avis-Filialleiter Koschella (Quelle „Mädchen, Machos und Moneten“, Eppenberger/Stapfer) an Dietrich, kurz nachdem der Film in die Kinos gekommen war. Doch dann nahmen die Kartenverkäufe in einem Ausmaß zu, der auch für die Beteiligten überraschend kam – der Versuch einer Erklärung:


Die Nichten kommen

Seine Frau amüsiert sich derweil woanders
Im Gegensatz zu seinen ersten Erotik-Produktionen legte Dietrich seinen neuen Film massenkompatibler an und verzichtete sowohl auf exploitive Elemente, als auch einen zu starken Bezug zur Gegenwart. Spielte Bénazérafs avantgardistischer „St.Pauli – zwischen Nacht und Morgen“ im Unterwelt-Milieu, spitzte die Story um „Unruhige Töchter“ die sich verändernden Geschlechterrollen zu und war „…und noch nicht sechzehn“ ein Konglomerat aus Crime, sexueller Revolution und frivolem Gesang, erging sich „Die Nichten der Frau Oberst“ in langen Einblendungen einer sonnenüberfluteten mediterranen Landschaft. Eine prächtige Villa und schön eingerichtete Räume gaben den Hintergrund für ein luxuriöses Landleben, das genügend Zeit für lange Ausritte, ein erfrischendes Seebad oder das obligatorische Liebesleben beließ – entsprechend sparsam und ruhig blieb der Erzählfluss.

Die Naturaufnahmen erinnern an "Tanja - die Nackte von der Teufelsinsel" (1967)
Die so erzeugte Wirkung auf das damalige Publikum ist nicht zu unterschätzen. Nacktheit und sexueller Lust wurden die Direktheit und damit das Anrüchige genommen, einzig Frau Oberst (Kai Fischer) als erfahrene Witwe darf es ein wenig krachen lassen. Die Zurückhaltung in der erotischen Inszenierung lässt sich gut an einer späten Szene ablesen, die von Florentines (Tamara Baroni) Betrug an ihrem Ehemann Alexander (Heiner Hitz) erzählt. Während Alexander in Kur verweilt, vertreibt sich seine Frau mit einem Schönling die Zeit an südlichen Gestaden. In langsamem Rhythmus wechselt der Film die Perspektive zwischen den Eheleuten, bis Alexander, der seine Frau überraschend besuchen wollte, sie aus Entfernung beim Liebesspiel am Strand beobachtet – und ohne Einzugreifen wieder davon geht. Trotz der aktuellen Optik, der modischen Kleidung und zeitgeistigen Sprache, haftete dem Film etwas Altmodisches an, schien er sich nicht zwischen 19. und 20. Jahrhundert entscheiden zu können. Genauer - zwischen Maupassants Erzählung und einer modernen Interpretation des Stoffs.

„Dietrichs Recherchen ergaben, dass der echte Maupassant eine Erzählung mit diesem Titel nie verfasst hatte, das beworbene Buch demnach das Werk eines neueren Ghostwriters sein musste, der das Buch dem bekannten französischen Romancier unterschob.“ (Quelle „Mädchen, Machos und Moneten“, Eppenberger/Stapfer)

Gaston (Claus Tinney) lässt sich von "Frau Oberst" nicht mehr überreden...
Ein Irrtum, denn Guy de Maupassant veröffentlichte „Les Cousines de la Colonelle“ 1886 gemeinsam mit anderen Geschichten, weshalb er nicht als originärer Romantitel existiert. Ob die in einer Illustrierten auf Deutsch veröffentlichte Erzählung, auf die der Regisseur damals aufmerksam wurde, frei umgesetzt wurde oder ob Dietrich sich die Ausgangssituation selbst erdachte, entzieht sich meiner Kenntnis. Zumindest die überall im Internet verbreitete Inhaltsangabe des Maupassant-Romans ist falsch und ein Beispiel für die unkritische Übernahme nicht selbst recherchierter Texte. Anders als im Film, in dem die Tante die beiden Schwestern beim gemeinsamen Liebesspiel erwischt, sind Florentine und Julia bei Maupassant zu Beginn noch sexuell unerfahren. Sie werden von ihrer über 60jährigen Tante nicht an den Mann gebracht, um voneinander abzulassen, sondern um sie für die Zukunft abzusichern – dabei penibel auf Etikette und Moral achtend.

...verzockt erst sein Geld beim Roulette...
Nach der Vermählung von Florentine mit dem viel älteren, aber sehr wohlhabenden Georges beschreibt Maupassant ihre sexuelle Erweckung so erotisch wie einfühlsam. Florentine, die nichts vom männlichen Geschlecht weiß, begreift zuerst nicht, dass sie noch gar nicht entjungfert wurde, weil ihr Mann Erektionsstörungen hatte. Hier zeigen sich erste Parallelen zu Dietrichs Drehbuch. Dieser verjüngte zwar die Tante und ließ sie zuerst mit den für ihre Nichten gedachten Männern schlafen, aber die weitere Entwicklung entsprach Maupassants Vorlage. Die Rolle des Georges nimmt hier Alexander Monty (Heiner Hitz) ein, der sich als junger Mann mit den Problemen des viel Älteren herumschlagen muss. Schon die spontane Hochzeit der beiden jungen Leute - selbstverständlich vor dem ersten Geschlechtsverkehr - wirkt im Umfeld der promiskuitiven Tante wie ein Stilbruch. Erst recht fehlt den Erektionsstörungen, den vom Arzt dagegen verschriebenen Tropfen und der wegen lebensgefährlicher Überanstrengung verordneten sechswöchigen Kur die Glaubwürdigkeit - nachdem es zuvor bei Tantchen bestens geklappt hatte.

...um dann die reiche Erbin Wilhelmine (Britt Lindberg) zu heiraten
Auch Claus Tinney als Gaston wandelte auf Maupassants Spuren. Er bändelt mit Julia (Heidrun Hankammer) an, kann sie aber nicht heiraten, weil ihn sonst seine Tante Martha von Stein (Elfriede Volker) enterbt, auf deren finanzielle Unterstützung er angewiesen ist. Diese vom französischen Romancier schlüssig entwickelte Konstellation um einen Playboy und Lebemann, bleibt im Film oberflächlich. Beliebig setzte Dietrich einzelne Story-Elemente zusammen, darunter auch eine Szene, in der Gaston viel Geld beim Roulette verliert, ohne dessen Spielsucht zu erwähnen. Anders als die Julia bei Maupassant, die sich trotz des drohenden Ehrverlusts auf ihren Geliebten einlässt, erweist sich die Julia im Film als prüder. Sie beharrt auf ein Ehegelübde vor dem Geschlechtsverkehr und bringt Gaston damit zur Weißglut. Selbst dessen sehr direkte „Überredungsversuche“ helfen ihm nicht weiter, weshalb er seine Bemühungen um sie wieder einstellt. Die Absicht hinter dieser wenig romantischen Änderung gegenüber Maupassant liegt auf der Hand. Dass Gaston, als er seine Tante überreden will, ihn von seinem Versprechen loszusagen, die reiche Erbin Wilhelmine (Britt Lindberg) kennenlernt, verführt und sogleich heiratet, bedeutete im Roman einen Vertrauensbruch gegenüber Julia. Seine Liebesschwüre erwiesen sich als leer. Diese Verlogenheit fehlt in der Verfilmung.

Da bleiben Julia (Heidrun Hankammar) und Florentine lieber unter sich
Die Konsequenz ist im Film wie im Buch letztlich dieselbe. Julia und Florentine sind wieder ohne Männer vereint. Bei Guy de Maupassant kam es aber erst jetzt, zu Beginn des zweiten Teils der Erzählung, zu einer sexuellen Interaktion - selbstverständlich ohne die empörte Reaktion der sonst so tolerant daher kommenden Tante. Obwohl Dietrich mit der jungen, sexuell aktiven „Frau Oberst“ und der angedeuteten lesbischen Beziehung ihrer Nichten, einen sexploitiven Aufreißer wählte, ist sein in der Gegenwart der später 60er Jahre spielender Film verklemmter als die literarische Vorlage aus dem 19.Jahrhundert. Brach dort Maupassant bewusst mit den moralischen Standards seiner Zeit, ist der Verfilmung die Anpassung an die konservative Haltung in der damaligen BRD deutlich anzumerken. Dass Dietrich auch anders konnte, ist in den kurzen Szenen mit dem lüsternen Priester (Peter Capra) und der Vergewaltigung durch den Stallknecht zu erkennen, die an seine früheren Filme erinnern. In „Die Nichten der Frau Oberst“ wählte er aber den Mittelweg zwischen klassischer Erotik und sanften Soft-Sex-Bildern bei möglichst geringen Provokationen vorherrschender Moralvorstellungen – und traf damit voll den Zeitgeschmack.

"Die Nichten der Frau Oberst" Deutschland, Italien 1968, Regie: Erwin C.Dietrich, Drehbuch: Erwin C.Dietrich, Claude Martin, Guy de Maupassant (Roman), Darsteller : Kai Fischer, Heidrun Hankammer, Tamara Baroni, Claus Tinney, Peter Capra, Giuseppe Cardillo, Heiner Hitz, Britt Lindberg, Laufzeit : 90 Minuten

weitere im Blog besprochene Filme von Erwin C.Dietrich:

Keine Kommentare:

Kommentar veröffentlichen