Montag, 12. Oktober 2015

Auf der Reeperbahn nachts um halb eins (1969) Rolf Olsen

Hannes (Curd Jürgens) kommt nach acht Jahren wieder frei
Inhalt: Der nächtliche Einbruch in eine Apotheke im Stadtteil St.Pauli endet tödlich für den Besitzer, aber von den Tätern, die ihre Beute an einen anonym bleibenden Kontaktmann weiter reichen, fehlt jede Spur. Das organisierte Verbrechen hat längst die Reeperbahn im Griff. Auch für Pit Pitter Pittjes (Heinz Reincke), der ein altmodisches Hippodrom betreibt, sind Schutzgelderpressungen Alltag, aber mehr noch hat er Probleme mit dem Gerichtsvollzieher, der ihm auch noch seine Pferde pfänden will. In Zeiten, in denen nur noch Sex zählt, hat sein Etablissement längst ausgedient.

Hannes und sein bester Freund Pitter (Heinz Reincke)
Währenddessen wird sein alter Freund Hannes (Curd Jürgens) nach acht Jahren aus dem Gefängnis entlassen. Sein erster Weg führt ihn gezwungenermaßen zum Kommissariat, wo ihn Kriminalrat Norbert Krause (Konrad Georg) empfängt, um ihn davor zu warnen, das Gesetz in eigene Hände zu nehmen. Denn Hannes beteuert nach wie vor seine Unschuld und will beweisen, dass ein Anderer seine damalige Geliebte ermordet hat. Nur so hat er eine Chance, seinen Ruf wiederherzustellen und damit sein Kapitänspatent zurückzuerhalten. Doch nach acht Jahren hat sich die Welt draußen stark verändert…

Nach zwei St.Pauli-Filmen wagte sich Rolf Olsen 1969 an einen Klassiker: "Auf der Reeperbahn nachts um halb eins"  von 1954 mit den großen Stars Hans Albers und Heinz Rühmann in den Hauptrollen. Damals eine gleichwertige Besetzung gewichtete Olsen seine freie Interpretation wieder in Richtung des erfahrenen Seemanns "Hannes" - eine idealtypische Rolle für seinen favorisierten Hauptdarsteller Curd Jürgens.

Offensichtlich hatten die Macher der DVD zu Olsens Film nur das Original gesehen. Anders ist der Hüllentext "Hannes ist bis vor kurzem zur See gefahren, doch die Wehmut verschlägt ihn zurück nach St.Pauli, wo er sich zur Ruhe setzen will" nicht zu verstehen, der exakt den Inhalt des 54er Films wiedergibt. Auch das Cover-Foto, dass zwei Sekunden vor dem Filmende aufgenommen wurde, zeugt von wenig Kenntnis über Olsens Film. Nichtsdestotrotz eine lohnenswerte Anschaffung.







Hannes trifft eine alte Bekannte (Birke Bruck)
Ein Jahr nach "Der Arzt von St.Pauli" (1968) holte sich Regisseur Rolf Olsen erneut Curd Jürgens ans Set, um mit ihm einen weiteren St.Pauli-Film zu drehen. Diesmal sollte der charismatische Schauspieler in besonders große Fußstapfen treten, denn Olsen plante ein Remake des 1954 erschienenen „Auf der Reeperbahn nachts um halb eins“. Darin hatte das Hamburger Urgestein Hans Albers die Rolle des „Hannes“ gespielt, seine eigene Rolle als „Singender Seemann“ aus dem Helmut-Käutner-Film „Große Freiheit Nr.7“ (1944) zitierend, der den titelgebenden Schlager berühmt gemacht hatte. Albers zur Seite stand Heinz Rühmann als sein bester Freund Pittes, bei Olsen eine Rolle für Heinz Reincke, der neben Curd Jürgens zur Stammbesetzung der St.Pauli-Filme zählte. Doch während die Rollen der Filmstars Rühmann und Albers in der 54er Version gleichwertig angelegt waren, stand Reincke erwartungsgemäß im Schatten von Curd Jürgens, auf den die gesamte Handlung zugeschnitten wurde.

Hannes und Pitter: singend durch die Nacht auf der Reeperbahn
Diese unterschiedliche Gewichtung lässt schon erkennen, dass Rolf Olsen das Remake sehr frei interpretierte. In den Credits seines Films tauchten die Autoren der 54er Version konsequenterweise nicht auf - verantwortlich für das Drehbuch war allein der Regisseur, der der Handlung seinen gewohnten „Sex and Crime“- Stempel aufdrückte. Zudem war Curd Jürgens anders als Hans Albers kein großer Sänger, sollte aber ein paar der klassischen Reeperbahn-Schlager intonieren, was Olsen in einer zentralen Szene unterbrachte: Hannes (Curd Jürgens) und Pit Pitter (Heinz Reincke) streifen eine Nacht lang über die Reeperbahn, immer ein Lied auf den Lippen. Eine Parallele zum Albers/Rühmann-Film, in dem die beiden Protagonisten ebenfalls mit einer gemeinsamen Nacht auf der Reeperbahn ihr Wiedersehen feierten, aber interessanter sind die Unterschiede, die viel über die soziokulturelle Entwicklung der BRD in den voraus gegangenen 15 Jahren aussagen.

Der Kriminalrat (Konrad Georg) warnt Hannes
Hannes Rückkehr nach acht Jahren ist hier nicht der Seefahrt geschuldet, sondern einer langjährigen Gefängnisstrafe, die der frühere Kapitän wegen des Mordes an seiner Geliebten ableisten musste. Entsprechend desillusioniert spielte Jürgens einen Mann, der seine Unschuld beweisen will, um seinen Ruf wieder herzustellen – die einzige Chance, sein Kapitänspatent wieder zurück zu erhalten. Im Gegensatz zum gut gelaunt vom Schiff kommenden Hans Albers wird der Hannes der späten 60er sogleich mit Schutzgelderpressung, Mord und den kriminellen Machenschaften des nach außen hin ehrenwert auftretenden Geschäftsmanns Lauritz (Fritz Tillmann) konfrontiert, dessen Ehefrau es war, die Hannes angeblich tötete. Gegenüber dem hier von Olsen entfalteten Moloch wirkt die aufgesetzte Kriminalhandlung des Originals wie Sozialromantik, auch wenn der Regisseur hinsichtlich der Gewaltdarstellungen im Vergleich zu seinem „Der Arzt von St.Pauli“ zurückhaltender blieb.

Schutzgelderpresser (Karl-Otto Alberty und Erik Schumann) bei Pitter
Die Rettung des verschuldeten und aus der Mode geratenen Reeperbahn-Etablissements von Freund Pit, die im Rühmann/Albers-Film noch im Mittelpunkt stand, spielte hier dagegen kaum noch eine Rolle. Zwar zitierte Olsen die Szenen mit den falschen Etiketten für den Billigwein und die Rettung der Dressurpferde vor dem Schlachthaus, aber an eine Zukunft mit neuer Einrichtung und modernem Show-Programm glaubte hier Niemand mehr. Um die Finanzierung dafür zu übernehmen, fehlte Hannes - anders als seinem potenten Vorgänger - auch schlicht das nötige Kleingeld. Während der 54er Film einen ungebremsten Optimismus ausstrahlte, der soziale Schranken und finanzielle Schwierigkeiten mühelos überwand, entfaltete Olsen einen pessimistischen Blick auf eine dekadente und egoistische Gesellschaft – und nutzte diesen Hintergrund wie in „Der Arzt von St.Pauli“ für den Kampf des Einzelgängers gegen alle Widrigkeiten.

Hannes ist von Antje (Jutta D'Arcy) begeistert
Die Reeperbahn gab dafür den so faszinierenden, wie verkommenen Handlungsort ab, während sie dem sonst braven Geschehen im 50er Jahre Original einen Hauch von Unmoral verlieh. Die damals gewagte Konstellation um Pits Tochter Antje (Jutta D’Arcy) wurde von Olsen konkreter und authentischer angepackt. Hannes ist ihr leiblicher Vater, erfuhr aber nie davon, da Pit seine schwangere Freundin während er auf See war heiratete, um das Kind zu legitimieren. Antjes Mutter war früh verstorben, aber anders als seinem Vorgänger Heinz Rühmann wurde Reincke keine Pseudo-Ehefrau zur Seite gestellt, die die hausfraulichen Pflichten erledigte, ohne dem liebenden Vater Emotionen abzuringen. Den Job übernahm hier Cousine Martha, gewohnt resolut von Heidi Kabel gespielt. Auch stand noch kein zukünftiger Schwiegersohn aus reichem Haus parat, sondern verliebt sich Antje in ihren eigenen, höchst charmanten Vater.

Gemeinsam auf Helgoland kommen sie sich näher
Da Pit sich nicht überwinden kann, seinem Freund die Wahrheit zu sagen, kommt es wie im Original zum gemeinsamen Ausflug von Antje und Hannes nach Helgoland. Nur ein Zufall verhindert, dass sie sich küssen. Ein Wagnis, dass der 50er Jahre Film nicht einging. Die Fahrt nach Helgoland diente im Original nur dem Zweck, der Tochter und ihrem Verehrer ein paar gemeinsame Stunden zu verschaffen, heimlich von Hannes am unwilligen Schwiegervater vorbei organisiert. Nur ein Missverständnis brachte Pit dazu, seinen Freund über seine Vaterschaft aufzuklären – bei Olsen ist er dazu gezwungen. Auch die Konsequenzen daraus sind im Nachfolger ehrlicher. Kein künstlich dramatisierter Konflikt trennt die Freunde, da Hannes Pits Beweggründe versteht.

Die feine Gesellschaft um Unternehmer Lauritz (Fritz Tillmann)
Die Souveränität des alles beherrschenden Curd Jürgens bleibt das bestimmende Element in Olsens Film, der viel anreißt, aber wenig vertieft. Die privaten Szenen um die Tochter (Diana Körner) des kriminellen Unternehmers Lausitz nehmen leider zu wenig Raum ein im aktionistischen Geschehen. Ihre Empörung über Hannes - für sie der verurteilte Mörder ihrer Mutter - ihr Verhältnis zum Vater, die Party in dessen Villa oder ihre angedeutete Liebesbeziehung zu Till Schippmann (Fritz Wepper) bleiben Momentaufnahmen, höchstens für kurze Nacktszenen geeignet. Wepper, an beiden vorherigen unter der Regie Olsens entstandenen St.Pauli-Filmen beteiligt, wird hier zum reinen Stichwortgeber, ohne seiner Rolle eigene Konturen geben zu können. Das gilt auch für die Vielzahl an Schlägern und gedungenen Mördern, die hier die Leinwand bevölkern – selbst prägnante Darsteller wie Erik Schumann und Karl-Otto Alberty konnten sich nur wenig profilieren.

Nebenfiguren: Till (Fritz Wepper) und Unternehmertochter (Diana Körner)
Entscheidend für die Wirkung des Films war das nicht, worin sich beide Versionen von „Auf der Reeperbahn nachts um halb eins“ wieder gleichen. Zwar hatte sich die Reeperbahn seit Mitte der 50er Jahre parallel zur allgemeinen Liberalisierung in Westdeutschland verändert, aber sie behielt als Ort der Extreme weiterhin die Hoheit über das Handeln der hier lebenden Menschen. Am Ende verlässt Hannes wie zuvor in „Große Freiheit Nr.7“ und der 54er Version wieder diesen Ort der Sehnsucht, um aufs Meer zurückzukehren. Doch diesmal ohne das schwermütige Gefühl des Scheiterns an Land, sondern voller Vorfreude auf die Seefahrt – und begleitet von Pitter. Das wäre Heinz Rühmann in seiner Rolle damals nicht eingefallen.

"Auf der Reeperbahn nachts um halb eins" Deutschland 1969, Regie: Rolf Olsen, Drehbuch: Rolf Olsen, Darsteller : Curd Jürgens, Horst Naumann, Heinz Reincke, Fritz Wepper, Jutta D'Arcy, Diana Körner, Fritz Tillmann, Erik Schumann, Christiane Rücker, Hans-Otto Alberty, Konrad Georg, Laufzeit : 98 Minuten

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