Inhalt: Bevor Henner (Heinrich George) mit seinem
Schleppkahn in Richtung Berlin aufbricht, nimmt er Jakob (Wilfried Seyferth) an
Bord, einen jungen Mann, der vor seinem prügelnden Vater geflüchtet ist. Jakob
soll mit auf dem Schiff anpacken, aber auch seine Frau Marie (Berta Drews) und
der kleine Sohn Franz (Joachim Streubel) freuen sich über den neuen Passagier, der in der kleinen
Familie willkommen geheißen wird. Schon bald zeigen sich die Vorboten der
Großstadt, werden die Bauten entlang der Flüsse dichter bis Henner das Zentrum
Berlins erreicht – für ihn ein willkommener Ort der Abwechslung, den er nicht
ohne Stolz seiner Familie und Jakob präsentiert.
Doch bevor er am kommenden Tag mit seiner Arbeit beginnen kann,
wird er nachts zufällig Zeuge, wie zwei Männer und eine Frau entlang des Kais
vor der Polizei flüchten. Henner sieht, dass die junge Frau von den zwei
Männern im Stich gelassen wird, die ohne sie mit einem Motorboot davon fahren, und
versteckt sie spontan vor den Polizisten. Mit einem Kuss bedankt sich Gescha
(Betty Amann) bei ihm – ein Moment, den er nicht mehr vergessen kann. Am
nächsten Tag begibt er sich in die Kneipen in der Hoffnung, sie wiederzusehen…
Angesichts der Urgewalt, die Heinrich George mit seiner
massigen, dennoch beweglichen Gestalt ausstrahlt, scheint Schwäche nicht zu
existieren. Er ist der selbstverständliche Souverän, jeder Situation gewachsen.
Doch dieses Mannsbild eines Binnenschiffers, das George in "Schleppzug
M17" verkörperte, täuscht. Sein breiter, das Bild einnehmender Rücken
verbirgt seine innere Leere und Unzufriedenheit, die ein nur nach außen hin
funktionierendes Dasein mit Ehefrau, Kind und eigenem Schiff kaschiert. Allein
die kurze Begegnung mit einer jungen Frau in Berlin, der er - von ihren zwei
Ganoven-Freunden im Stich gelassen - bei der Flucht vor der Polizei hilft,
genügt um jedes verantwortliche Verhalten außer Kraft zu setzen. Eine Parallele
zu seiner Rolle in "Das Meer ruft" (1933), der knapp zwei Monate
zuvor in die Kinos gekommen war. Erneut spielte George einen Mann, dessen
Sehnsucht nach einem anderen Leben ihn dazu treibt, seine Familie im Stich zu
lassen.
War dieser Wunsch eines Seemanns, der sich nur auf dem Meer
zu Hause fühlt, noch verständlich und blieb sein ehrliches Bemühen um Frau und
Kind trotzdem offensichtlich, fehlt in „Schleppzug M17“ jede romantische
Verklärung. Nur einen Moment ähneln sich die Bilder, als George hinter dem
Steuerrad seines Schleppkahns ein Lied zum Besten gibt, während die Landschaft
an ihm vorbeizieht. Aber dieser Eindruck zu Beginn des Films hält nicht lange
vor – schon bald säumen Industrieanlagen das Ufer, taucht das Schiff in den
Bauch der Großstadt und begrenzen hohe Kai-Mauern die Wasserwege. Nur selten
bleibt Zeit in der kleinen Kajüte, denn die Arbeit auf dem Schleppkahn ist hart
und alle müssen mit anpacken. Dem kräftigen Henner (Heinrich George) steht mit
Jakob (Wilfried Seyferth) ein junger Mann zur Seite, den er im letzten Hafen
aufgenommen hatte, da dessen betrunkener Vater die Familie terrorisierte, aber
seine Frau Marie (Berta Drews) scheint dem zehrenden Leben nicht gewachsen zu
sein – immer wieder erwähnt Henner ihren kränklichen Zustand. Einzig sein
kleiner Sohn Franz bereitet ihm offensichtlich Freude.
Für Henner sind sein Schiff und das Wasser weniger Zufluchtsort,
als notwendige Arbeitsgrundlage. Das erklärt, warum dieser unumstößlich
wirkende, mit seiner Ehefrau rau umgehende Binnenschiffer nach der ersten
Begegnung mit der hübschen Gescha (Betty Amann) jede Kontrolle verliert.
Anstatt auf seinem Schleppkahn zu arbeiten und sich um seine Familie zu
kümmern, begibt sich Henner in ein Berlin dunkler Kneipen und Nachtbars, in dem
die Menschen versuchen, sich irgendwie von ihrem Dasein abzulenken. Ein
größerer Kontrast zu dem einfachen Leben auf dem Schleppkahn ist kaum
vorstellbar, kulminierend in dem Unterschied zwischen der Ehefrau und dem
Großstadtmädchen Gescha. Es ist nicht allein die stets präsente Sexualität, die
Henner in den Bann zieht, sondern eine die alltäglichen Widrigkeiten negierende
Lebenslust, die die Menschen in die Vergnügungstempel treibt. Anders als das allgegenwärtige
Wasser in „Das Meer ruft“ spielt in „Schleppzug M17“ die Großstadt Berlin die
Hauptrolle als gleichzeitiger Ort der Sehnsucht und der Gefahr.
Mit Willy Döll war ein Autor für das Drehbuch
verantwortlich, der zuvor schon in dem Stummfilm „Mutter Krausens Fahrt ins
Glück“ (1929) sein Händchen für das Berliner Lokal-Kolorit bewiesen hatte, aber darüber warum Heinrich George hier neben Werner Hochbaum das einzige Mal in seiner Karriere
auch auf dem Regie-Stuhl Platz nahm, lässt sich nur spekulieren ?
„Schleppzug M17“ wurde ein in mehrerer Hinsicht gewagter
Film. Nicht nur, dass er weder das Stadt-, noch das Flussleben idealisierte, auch in den Charakterisierungen vermied er jede
Eindeutigkeit. Zwar setzt Gescha geschickt ihren weiblichen Charme ein und weiß
den Schiffer um den Finger zu wickeln, aber dahinter steht nicht nur Kalkül. Sie
ist eine Verlorene, der Henner mit seiner Stärke imponiert. Als er sie zum
Schleppkahn trägt, wehrt sie sich nicht, obwohl es nur schwer vorstellbar ist,
dass sie das Leben auf dem Kahn erträgt. Marie scheint dagegen die Idealbesetzung
als tüchtige Ehefrau, agiert aber sehr passiv und leidend. Diese Ambivalenz
findet sich in allen Protagonisten wieder - bis hin zu Jakob, der Gescha
verabscheut, weil sie aus seiner Sicht das Familienleben zerstört, das für ihn gerade
zu einem neuen Zuhause geworden war. Seine traumatischen Erfahrungen treiben
ihn dazu, die junge Frau mit Gewalt von dem Boot zu vertreiben.
Entscheidend ist aber die von George gespielte Hauptfigur. Obwohl
Henner seine Frau betrügt und sich der Illusion hingibt, Gescha gewinnen zu
können, bewahrt er sich sogar in peinlichen Momenten seine Standfestigkeit.
Brachial geht Henner seinen Weg zwischen Wunschtraum und Pragmatismus und
verliert sich weder in schlechtem Gewissen, noch in Erklärungen. Ein einziges
Mal nimmt er Frau und Kind mit ins Stadtzentrum, um sie nach nur wenigen
Schritten zugunsten der lockenden Gescha allein zurückzulassen. Marie und ihr
kleiner Sohn verlaufen sich in den Straßen, gelangen erst spät und verzweifelt zum
Boot zurück, doch von Henner gibt es keine Entschuldigung. Als
Identifikationsfigur taugt sein Charakter nicht, aber an seiner Kraft scheitern
letztlich alle anderen.
Vielleicht übernahm George die Regie, weil er den Mut hatte,
einen solchen Protagonisten in den Mittelpunkt zu stellen, denn der Film
gleicht seiner Darstellung des Binnenschiffers – roh, ungeschlacht, stark
kontrastierend und von intensiver Körperlichkeit zeichnet er das Bild einer
Sozialisation zwischen Angst, Mühsal und der Hoffnung auf ein besseres Leben. Im
Wissen über die unmittelbar nach den Dreharbeiten eintretende Machtergreifung
der NSDAP wirkt „Schleppzug M17“ wie der Vorbote eines finsteren Zeitalters,
denn auch Henner übersteht die wenigen Tage in Berlin nicht unbeschadet –
körperlich robust geht er seinen Weg weiter, aber seine innere Leere bleibt.
"Schleppzug M 17" Deutschland 1933, Regie: Heinrich George, Werner Hochbaum, Drehbuch: Willi Döll, Darsteller : Heinrich George, Berta Drews, Betty Amann, Wilfried Seyferth, Joachim Streubel, Laufzeit : 80 Minuten
Lief am zweiten Tag des 14. Hofbauer-Kongress' vom 02. bis 06.01.2015 in Fürth.
Lief am zweiten Tag des 14. Hofbauer-Kongress' vom 02. bis 06.01.2015 in Fürth.
SCHLEPPZUG M 17 ist Heinrich Georges einzige Regiearbeit, ein Film, der im Kontext seiner Zeit steht, als solches sicher interessant. Läuft übrigens am Dienstag, den 10. März 2015 um 20.00 Uhr im Historischen Museum in Berlin.
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