Inhalt: Als Michelle (Ruth-Maria Kubitschek) die Nacht mit
ihrem älteren Liebhaber verbringt, stirbt dieser in ihren Armen an einem
Herzinfarkt. Eine unangenehme Situation für sie – nicht nur wegen der Familie
Von Hellberg, die wenig begeistert von der Liaison ihres Oberhaupts war,
sondern weil ihr damit die finanzielle Grundlage für ihr luxuriöses Leben
fehlt. Einzig der Sohn und Erbe Peter von Hellberg (Fred Williams) bietet
sich als schneller Ersatz an, aber dieser denkt gar nicht daran, sich an
irgendeine Frau zu binden. Der Enddreißigerin gelingt es zwar, ihn zu
verführen, aber sie überschätzt ihren Einfluss auf ihn.
Zudem ahnt sie nicht, dass es ihre Tochter Yvette (Edwige
Fenech), die sie nach außen als ihre Nichte ausgibt, ebenfalls auf Peter von
Hellberg abgesehen hat. Yvette, die als Fotomodell arbeitet und in der Münchner
Szene zu Hause ist, begreift, dass ihr schönes Äußeres nicht ausreicht, um den
Frauenheld zu überzeugen. Ebenfalls in Liebesdingen erfahren, gibt sie sich ihm
gegenüber mal verführerisch, dann zurückhaltend und provoziert damit dessen Instinkte.
Eine vielversprechende Strategie, mit der sie aber ihrer Mutter in die Quere
kommt…
"Ich bin nie ihr Liebhaber gewesen. Ich bin es nicht
jetzt und werde es auch in Zukunft nicht sein. Ich gehe nur in ihr Haus, um
ihre Tochter zu sehen"
Bei Guy de Maupassant ist die Ausgangslage von vornherein
klar. Madame Oktavia Obardi bestreitet ihren Lebensunterhalt als Kourtisane im
Paris des 19. Jahrhunderts. Die Männer verbringen gerne ihre Zeit mit ihr, aber
das eigentliche Objekt der Begierde ist ihre schöne 18jährige Tochter Yvette.
An Verehrern besteht kein Mangel, doch sie zu heiraten ist riskant, denn der
Ruf ihrer Mutter färbt auf sie ab. De Maupassant wäre nicht De Maupassant, hätte
er diese Konstellation nicht zum Anlass genommen, die Verlogenheit der bürgerlichen
Moral ironisch zu kommentieren. Erst dank eines Selbstmordversuchs gelingt es
Yvette, den begehrten reichen Junggesellen Jean Servigny von ihrer Jungfräulichkeit
zu überzeugen, obwohl er ihre Absichten durchschaut. In gemessenen Worten
bittet er ihre Mutter herein, die vor der Tür unruhig auf den Ausgang der Szene
wartet. Während sie ihre Tochter in die Arme schließt, endet die Novelle mit
seinen Worten:
"Eine Frau ändert ständig ihre Meinung, nur ein Narr
vertraut dem weiblichen Geschlecht."
Diese negative Aussage relativiert sich ein wenig angesichts
einer Handlung, die an der Abhängigkeit der Frauen von den Männern keinen
Zweifel lässt. Es ist ein gegenseitiges Geschäft – hier die Schönheit der
jungen Frau, dort die materielle Sicherheit.
In Wolfgang Liebeneiners Verfilmung „Yvette“ von 1938 wurde
diese kritische Intention abgeschwächt, wird die von Ruth Hellberg gespielte
Protagonistin zur reinen Unschuld, die am Ende ihren geliebten Jean heiraten darf.
Eberhard Schröder griff dagegen in seinem ersten Kinofilm „Madame und ihre
Nichte“ wieder auf De Maupassants demaskierende Sichtweise zurück und nutzte
die zunehmende sexuelle Liberalisierung für eine Transformation des Stoffes in
die Gegenwart der späten 60er Jahre, unterstützt von dem erfahrenen Autoren
Werner P. Zibaso, dessen erste Drehbücher schon zu Zeiten der
Liebeneiner-Verfilmung entstanden waren. Kennengelernt hatten sich Zibaso und Schröder,
der als Regie-Assistent unter Kurt Hoffmann begonnen hatte („Das schöne
Abenteuer“ (1959)), bei den Dreharbeiten zu „Weiße Fracht für Hongkong“ (1964),
ebenfalls eine Wolf C. Hartwig Produktion.
Der seltsam anmutende Filmtitel „Madame und ihre Nichte“
wird damit erklärt, dass Michelle (Ruth-Maria Kubitschek) - wie die Rolle der
Oktavia hier genannt wird - auf diese Weise ihr Alter als Mutter einer
erwachsenen Tochter kaschieren wollte. Eine wenig glaubhafte Begründung, zumal
ihr tatsächlicher Verwandtschaftsgrad zu Yvette (Edwige Fenech) schnell offenbart
wird. Ein solch verfälschendes Detail hätte kaum in eine Filmüberschrift gefunden,
wäre Erwin C.Dietrichs Erotik-Film „Die Nichten der Frau Oberst“ (1968) im Jahr
zuvor nicht so erfolgreich gewesen. Nicht das letzte Mal, dass die
verführerische „Nichte“ zum Zug kam. Der ebenfalls 1969 erschienene „Frau
Wirtin hat auch eine Tochter“ wurde flugs als „Frau Wirtin hat auch eine
Nichte“ vermarktet, und Sigi Rothemunds „Der Liebesschüler“ (1974) mit Silvia Kristel
in der Hauptrolle, wurde später die Ehre zuteil, als „Die Nichte der O.“ veröffentlicht
zu werden.
Diese marktstrategischen Überlegungen werden zur
Nebensächlichkeit angesichts der Interpretation eines klassischen Stoffs, der Ende
der 60er Jahre keineswegs an Aktualität verloren hatte. Schröder bewies schon
mit seinem ersten Kino-Film, dass er die tragische Figur unter den frühen
Erotik-Film-Regisseuren war. Äußerlich erfüllte „Madame und ihre Nichte“ zwar
die Erwartungshaltung dank der abwechslungsreichen, plüschiges 70er Jahre
Feeling verbreitenden Sex- und Party-Szenen – beginnend beim
Model-Foto-Shooting bis zur Haschisch-Session – aber die Handlung verkommt nie
zum reinen Selbstzweck, sondern bleibt immer in der Auseinandersetzung zwischen
Mutter und Tochter verortet, die denselben Mann als Objekt auserkoren haben. Michelle
war in eine Zwangslage geraten, als ihr reicher Liebhaber beim Sex verstarb,
weshalb sie einen neuen Finanzier ihrer luxuriösen Ansprüche benötigt. Dafür
kommt für sie nur dessen Sohn Peter von Hallstein (Fred Williams) in Frage. Ihre gesamten Verführungskünste in die Waagschale werfend, ahnt sie nicht, dass sie damit bei dem Frauenheld keine Chance haben wird.
Trotz des libertinösen Geschehens ließ Schröder keinen
Zweifel an den nach wie vor vorhandenen Vorurteilen gegenüber sexuell
freizügigen Frauen. Im Gegensatz zu ihrer Mutter hat Yvette begriffen,
worauf es ankommt. Hallstein gegenüber verwandelt sie sich in ein mal verführerisches, dann wieder unnahbares Wesen - eine Paraderolle für die schöne Edwige Fenech, die so zu einer Verheißung wird, der der scheinbar so hartgesottene Frauenheld nicht auf Dauer widerstehen kann. Die Notwendigkeit von Yvettes berechnender Vorgehensweise, die gemäß der literarischen Vorlage bis zum Selbstmordversuch reicht, verwies ebenso wie die Chancenlosigkeit ihrer Mutter auf die gleiche
Verlogenheit, die schon De Maupassant ins Visier genommen hatte, nur
betrachtete Schröder die Frauen mit mehr Sympathie – sein letztes Bild gehörte
Edwige Fenech im Brautkleid, die dem Betrachter abschließend zuzwinkert. Eine Ausnahme
im Erotik-Film, der, anstatt moralische Standards aufzuweichen, vor allem
männliche Fantasien befriedigen sollte.
Genutzt hat es Eberhard Schröder wenig, dessen De
Maupassant-Adaption von der Kritik verrissen wurde. Ähnlich wie mit dem
ebenfalls gemeinsam mit Autor Werner P. Zebaso entwickelten „Die
Klosterschülerinnen“ von 1972, der in seiner äußeren Form an den Schulmädchen-Report-Filmen
angelehnt war, gelang es Schröder nicht, die Vorurteile gegenüber den „billigen
Sexfilmchen“ zu durchbrechen, die seinen Ruf als Filmemacher bis heute prägen. Die
Abgründe, die sich hinter den Sex-Szenen verbargen und ihnen die Belanglosigkeit
nahmen, wurden übersehen – vielleicht ein Grund dafür, warum sich Schröder 1974 das Leben nahm.
Lief am vierten Tag des 14. Hofbauer-Kongress' vom 02. bis 06.01.2015 in Nürnberg.
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