Sonntag, 19. Juni 2016

Suzanne - die Wirtin von der Lahn (1967) Franz Antel

"Die Wirtin von der Lahn" (Teri Tordai) im Heimatfilm-Look
Inhalt: 1810 in Gießen an der Lahn: Während sich die Studenten unter der Führung von Anselmo (Mike Marshall) gegen die Willkür-Herrschaft des von Napoleon eingesetzten Statthalters Graf Dulce (Jacques Herlin) mit Spott-Gedichten auflehnen, verfolgt der wohlhabende Gastwirt Goppelmann (Oskar Sima) ganz eigene Ziele. Er will das an der Lahn gelegene Wirtshaus von der alten Besitzerin erwerben. Doch diese denkt gar nicht daran, ihm es zu verkaufen, sondern vererbt es spontan an Suzanne (Teri Tordai), die gerade mit ihrer Schauspieltruppe eingetroffen war, bevor sie stirbt.

Anselmo (Mike Marshall) als studentischer Aufrührer
Ein Schlag, den Goppelmann nicht wehrlos hinnimmt. Im Wissen, dass Anselmo mit einer Druckerpresse Flugblätter gegen die Obrigkeit herstellt, erpresst er ihn, seine Dichtkünste gegen die neue Wirtin an der Lahn zu richten. Er soll sie mit seinen Fünfzeilern moralisch diskreditieren, damit sie und ihre Leute aus der Stadt gejagt werden. Anselmo, der Suzanne noch nicht kennengelernt hat, murrt zwar, verbreitet mit seinen Gedichten aber schnell das Gerücht über die losen Sitten, die im Wirtshaus herrschen sollen. Doch die Reaktionen darauf fallen anders aus, als es Goppelmann erhofft hatte… 



"Es steht ein Wirthaus an der Lahn,
da kehren alle Fuhrleut' ein,
Frau Wirtin sitzt am Ofen,
die Fuhrleut' um den Tisch herum,
die Gäste sind besoffen"




So lautet der erste "Wirtinnen"-Fünfzeiler, dem noch viele Hundert folgen sollten. Heute ist die Bedeutung dieser aus dem 18.Jahrhundert stammenden Spottverse ebenso in Vergessenheit geraten wie Franz Antels früher Erotik-Film "Die Wirtin von der Lahn", der sich an den anzüglichen Gedichten orientierte und mit fünf Nachfolgern zur ersten erfolgreichen Erotikfilm-Reihe wurde.
Die Screenshots hier im Blog stammen von der italienischen Fassung, sind zwar recht grobkörnig, aber das Bildformat ist näher am Original als die deutsche Fassung.



Harald Leipnitz und Teri Tordai als Partner im Clinch...
"Liebesgrüße aus Tirol" (1965), "Ruf der Wälder" (1965), "Happy End am Wolfgangsee" (1966) - so lauteten die Titel der letzten drei gemeinsamen Filme von Regisseur Franz Antel und Drehbuchautor Kurt Nachmann, bevor sie "Suzanne - die Wirtin von der Lahn" 1967 herausbrachten. Seit sie Mitte der 50er Jahre ("Heimatland" (1955)) begannen, die deutsche Musik- und Heimatfilmlandschaft in Richtung Moderne zu trimmen, waren sie zu einem eingeschworenen Team geworden - den Niedergang des Genres in den 60er Jahren konnten sie trotzdem nicht verhindern (siehe den Essay „Der Weg in die Moderne - der Heimatfilm der Jahre 1958 bis 1969“). Weder half die zeitgemäße Interpretation des Eschenbach-Stoffs in "Ruf der Wälder", noch die Frivolität in "Happy End am Wolfgangsee", dem der Film seine spätere Umbenennung in "00 Sex am Wolfgangsee" verdankte. Erst "Die Wirtin" belohnte das Wagnis, verstärkt auf die Sex-Karte zu setzen, und brachte den erhofften Erfolg an der Kinokasse nicht nur in Deutschland, sondern auch im Land des Co-Produzenten Italien.

...und auf Abwegen mit Caroline (Pascal Petite)...
Mit von der Partie waren auch die Ungarn und die Franzosen – im frühen Erotikfilm keine Seltenheit, um das Risiko auf viele Schultern zu verteilen. Diesem Einfluss war auch die Besetzung der Titelrolle mit der ungarischen Schauspielerin Teri Tordai zu verdanken, die der Reihe in allen sechs Folgen vorstand, während ihr männlicher Co-Partner Harald Leipnitz nach Teil 4 ausstieg. Die Internationalität in der Besetzung blieb ein Charakteristikum der „Wirtinnen“-Filme. Der US-Darsteller Mike Marshall gab ein Gastspiel als revolutionärer Student im Erstling, die Französin Pascal Petit bereicherte die ersten beiden Wirtinnen-Filme mit ihrer Erotik, ihr Landsmann, der Komiker Jacques Herlin, gehörte zum Inventar aller sechs Verfilmungen und die italienischen Erotik-Aktricen Femi Benussi und Edwige Fenech standen in Nebenrollen noch am Beginn ihrer Karrieren. Die schmissige Musik des Titelsongs stammte aus der Feder des italienischen Filmkomponisten Gianni Ferrio, aber die entscheidenden Ideengeber blieben Regisseur Antel und Autor Kurt Nachmann, die eine feine Mischung aus Historie, Heimatfilm und Erotikkomödie ersannen, die den Nerv des damaligen Publikums traf.

...und Anselmo
„Die Wirtin von der Lahn“ wurde nicht nur zur längsten Filmreihe im deutschsprachigen Kino mit einer weiblichen Hauptfigur im Zentrum des Geschehens, sie kam vor Oskar Kolles Aufklärungsfilmen („Das Wunder der Liebe“, 1968) und Erwin Dietrichs „Die Nichten der Frau Oberst“ (1968) heraus und brachte es schon auf fünf Filme, bevor der „Schulmädchen-Report“ (1970) erstmals auf die Leinwand kam. Trotzdem taucht die Reihe in keiner Nachbetrachtung zur Entstehung des deutschen Sexfilms auf und wurde nur lieblos und ohne Zeitbezug auf Video oder DVD veröffentlicht. Dabei sind die Filme ein wunderbares Spiegelbild ihrer Zeit und geben ein Beispiel für die rasante soziologische Entwicklung der späten 60er Jahre – eine Wiederentdeckung:

Der Graf (Jacques Herlin) und sein Vasall (Gunther Philipp)...
Antel und Nachmann setzten früh auf ein probates Mittel, um größere Zuschauerschichten zu erreichen – die Historie. Wie der überragende Erfolg von „Die Nichten der Frau Oberst“ nach einer Romanvorlage von Guy de Maupassant wenig später erneut bewies, nahmen historisch-literarische Vorlagen dem Publikum die Berührungsängste vor dem Erotik-Film. Die anzüglich-derben fünfzeiligen Verse im Stil eines „Limericks“ über die „Wirtin von der Lahn“ besaßen ihren Ursprung im frühen 18.Jahrhundert und verstanden sich als Gegen-Reaktion auf die strengen bürgerlichen Moralvorstellungen. Wie diffizil der Umgang mit den Spott-Gedichten 1967 noch war, wird daran deutlich, dass besonders frivole Zeilen bis zur Unverständlichkeit verfremdet wurden. Auch das „Eingreifen der Sitten-Commission“ im Stil einer Tafel, die sich über das Bild schiebt, sobald nackte Haut zu sehen ist, war Witz und Notwendigkeit zugleich. Antel machte sich über die Zensur lustig, kam ihr aber gleichzeitig entgegen.

...wollen Anselmo an den Kragen, aber...
Dieser ständige Wechsel zwischen Moral und Unmoral ist charakteristisch für den gesamten Film, besonders aber für die Gestaltung der weiblichen Hauptfigur, die von Teri Tordai zwischen Emanzipation und Unterordnung, zwischen Freizügigkeit und Tugend angelegt wurde. Als Leiterin einer fahrenden Schauspieltruppe tritt sie selbstbewusst und bestimmt auf, zum Helden des Films wird aber der Student Anselmo (Mike Marshall), der sich gegen den Grafen Dulce (Jacques Herlin), einen Statthalter Napoleons, auflehnt, der die Menschen in Gießen und Umgebung unterdrückt. Suzanne wird Anselmos Geliebte, obwohl ihm die anzüglichen Verse über die „Wirtin von der Lahn“ zu verdanken sind. Ursprünglich setzte er seine fünfzeiligen Spott-Gedichte gegen die Obrigkeit ein und verbreitete sie auf Flugzetteln, aber der verschlagene Wirtshausbesitzer Goppelmann (Oskar Sima) hatte ihn gezwungen, auf diese Weise die angebliche Unmoral im „Wirtshaus an der Lahn“ zu besingen, um die lästige Konkurrentin loszuwerden, die durch Zufall Wirtshausbesitzerin geworden war.

...wichtiger ist das "Wirtshaus an der Lahn" und...
Der dahinter verborgene Widerspruch steht beispielhaft für die Entstehungszeit des Films. Die Spott-Verse über die „Wirtin von der Lahn“ versprachen ungenierte Erotik, in der Film-Handlung stehen sie aber für eine falsche Behauptung. Frau Wirtin und ihre Schauspiel-Truppe sind in Wirklichkeit ganz tugendhaft, was sie aber nicht daran hindert, dem geilen Grafen Dulce - durch die vielversprechenden Verse angelockt - einen Bordell-Betrieb im Wirtshaus vorzuspielen. Natürlich nur Theater, um Zeit zu gewinnen, damit der zum Tode verurteilte Anselmo noch begnadigt werden kann. Diese On/Off-Vorgehensweise hatte den Vorteil, ordentlich Frivolitäten und Nacktheit auf die Leinwand zu bringen, ohne die Protagonisten als unmoralisch zu diskreditieren. Teri Tordai trat zwar in verführerischen Posen auf, war aber nur für einen Mann zu haben. Als sie einmal allein über den Wipfeln der Umgebung durch die Landschaft schreitet, erinnert ihre Inszenierung unmittelbar an den Heimatfilm.

...seine Verlockungen
Unterstützend stand ihr in einer Nebenrolle Hannelore Auer zur Seite, die hier nur wenig als Sängerin in Erscheinung trat, sondern mehr um als so hübsches, wie anständiges Mitglied der Theatergruppe am Ende den netten Sohn des bösen Goppelmann zu ehelichen und gemeinsam mit ihm das „Wirtshaus an der Lahn“ weiter zu führen. So viel Ordnung musste 1967 im Erotikfilm noch sein.


Die Wirtin setzt sich gegen Göppelmann (Oskar Sima) durch
Diese inkonsequente Vorgehensweise wirkt aus heutiger Sicht altmodisch, lässt aber nicht übersehen, mit welchem Spaß die Beteiligten damals bei der Sache waren. Besonders im Zusammenspiel von Teri Tordai und Harald Leipniz wurden die nach außen hin behaupteten Konzessionen lässig hintertrieben. Leipniz als männliches Gegenstück in der Schauspieltruppe, der hier etwas konstruiert zum Offizier der französischen Armee gemacht wird, steht in einer nicht konkretisierten Beziehung zu Frau Wirtin und liefert sich mit ihr manches Wortgefecht. Am Ende erweisen sich ihre jeweiligen Techtelmechtel nur als Intermezzo und sie begeben sich wieder gemeinsam auf den Weg zu neuen Abenteuern – in einer fröhlichen Ungezwungenheit, die den gesamten Film prägte und ihn über jede Unzulänglichkeit der Handlung trug.

"Suzanne - die Wirtin von der Lahn" Deutschland, Italien, Frankreich, Ungarn 1967, Regie: Franz Antel, Drehbuch: Kurt Nachmann, Darsteller : Teri Tordai, Harald Leipnitz, Mike Marshall, Pascal Petite, Jacques Herlin, Hannelore Auer, Gunther Philipp, Oskar Sima, Franz Muxeneder, Laufzeit : 87 Minuten

weitere im Blog besprochene Filme von Franz Antel:

"Warum habe ich bloss 2x ja gesagt" (1969)

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