Sonntag, 24. Juli 2016
Das Haus in Montevideo (1951) Curt Goetz, Valerie von Martens
Inhalt: Für den Lehrer Professor Traugott Hermann Nägler (Curt Goetz) ist das Leben eine einzige Schulstunde. Seine zwölf Kinder wie auch seine Ehefrau Marianne (Valerie von Martens) müssen zu jeder Zeit seinen prüfenden Fragen Rede und Antwort stehen. Belehrungen, Zurechtweisungen und Bestrafungen sind an der Tagesordnung. Selbstverständlich sieht er sich als moralische Instanz, weswegen er vor vielen Jahren seine jüngere Schwester, als diese im Alter von 18 Jahren unverheiratet schwanger wurde, aus der Familie verstieß.
Als ihm der Pastor (Albert Florath) vom Tod seiner Schwester berichtet, berührt ihn das zuerst nur wenig. Bis er erfährt, dass sie ein großes Erbe hinterlässt. Um dieses antreten zu können, muss er zusammen mit seiner ältesten Tochter Atlanta (Ruth Niehaus) nach Montevideo fahren. Erst weigert er sich und zerreißt die beiliegenden Schiffskarten, aber dann nimmt die Neugier auf das mögliche Erbe zu und er reist mit Tochter und dem Pastor nach Uruguay…
Schon 2007 brachte die "Edition Filmmuseum" die vier unter Curt Goetz Regie erschienenen Kinofilme auf Basis seiner Theaterstücke heraus und bis heute zählen sie zurecht zu den Bestsellern der insgesamt sehr empfehlenswerten Filmmuseum-Reihe.
Goetz' Filme (und die dazu gehörigen Dramen) beeinflussten entscheidend meine Beziehung zum deutschen Kino. In meiner Erinnerung liefen sie in den 70er Jahren wiederholt im deutschen Fernsehen, denn sie hinterließen einen so starken Eindruck bei mir, dass ich mich bei ihrer Wiederentdeckung 30 Jahre später an beinahe jedes Detail erinnern konnte. Dagegen erfuhr ich erst spät von der erneuten Verfilmung der Goetz-Stücke in den 60er Jahren mit Heinz Rühmann in der Hauptrolle. Aus heutiger Vermarktungssicht wirken sie präsenter, aber - ganz subjektiv betrachtet - spielten sie, obwohl moderner und in Farbe gedreht, im damaligen Fernsehprogramm nur eine untergeordnete Rolle (Der grüne Link führt zur Bestellseite der Curt Goetz Filme).
Professor Traugott Hermann Nägler (Curt Goetz), Lehrer am ortsansässigen Gymnasium, ist eine Horror-Figur. Ein autoritärer Patriarch, der seine zwölf Kinder wie Soldaten in Reihe aufstellen lässt und auch nicht davor zurückschreckt, sie körperlich zu züchtigen. Selbstverständlich erwartet er Dankbarkeit dafür. Als selbstgewählte moralische und geistige Instanz sieht Nägler es als seine naturgegebene Aufgabe an, seine Umgebung zu korrigieren und zu belehren. Das gilt auch für Ehefrau Marianne (Valerie von Martens), die er für etwas beschränkt hält - wie im Grunde genommen jeden anderen auch. Es überrascht entsprechend wenig, dass er vor Jahren dafür sorgte, dass seine Schwester von der Familie verstoßen wurde, weil sie als 18jährige unehelich schwanger wurde. Regelmäßig wird sie deshalb von ihm als warnendes Beispiel hervorgehoben.
Die große Kunst des Curt Goetz - Dramaturg, Regisseur und Hauptdarsteller in Personalunion - lag darin, dieser Figur Sympathien zu verleihen. Ohne die genannten Charaktereigenschaften abzuschwächen, ließ er auch die inneren Befindlichkeiten des Traugott Hermann Nägler durchscheinen. Seine Liebe für Frau und Kinder, seine Sorgen auf Grund ständiger Geldknappheit und seine nachrangige gesellschaftliche Stellung, unter der er leidet. Kombiniert mit seiner humorvollen, geistesgegenwärtigen Art, lassen sich seine Tiraden nicht nur besser ertragen, sondern tragen entscheidend zum Unterhaltungswert des Films bei.
Wichtig für die positive Positionierung dieser Rolle ist auch das Verhalten seiner Umgebung. Der zahlreiche Nachwuchs lässt sich durch die Autorität des Vaters nicht abschrecken und bleibt kindgerecht frech. Ehefrau Marianne weiß ihn zu nehmen und wirkt in ihrer Souveränität reifer und erwachsener als ihr Mann. Die reale Gleichberechtigung des Künstlerehepaars Götz / von Martens, das hier auch gemeinsam Regie führte, blieb in allen ihren Filmen trotz der jeweiligen Rollen-Charakteristik immer spürbar. Nicht zuletzt trug der von Albert Florath gespielte Priester zur Demontage des mit ihm befreundeten Traugott Nägler bei. Anders als der Gymnasiallehrer steht er leiblichen Genüssen und menschlichen Schwächen sehr aufgeschlossen gegenüber. Nicht nur, dass er einem guten Essen kaum widerstehen kann und einen Blick für schöne Frauen hat, er zeigt auch Verständnis für Traugotts Schwester und verurteilt die moralische Ächtung des selbst ernannten Tugendwächters.
Ähnlich zielgerichtet konstruiert ist der zweite Handlungsort Montevideo, dessen Exotik in größtmöglichem Gegensatz zur kleinstädtischen Heimat des Protagonisten stehen sollte. In Uruguay angekommen scheinen sich sämtliche Vorurteile gegenüber der südamerikanischen Lebensart zu bestätigen. Empfangen werden die deutschen Gäste von der so mondänen, wie erotischen Hausdame Madame de la Rocco (Lia Eibenschütz) – allein ihr Name hätte schon genügt – deren Führung durch die fantasievoll geschmückte, großzügig geschnittene Villa, in deren Zimmern sich eine Vielzahl junger hübscher Frauen tummeln, nur einen Schluss zulässt, auf welche Weise Traugotts verstorbene Schwester ihr vieles Geld verdient haben kann.
An Hand der Originalaufnahmen in Uruguay ist zu erkennen, dass der Film in der damaligen Gegenwart spielte. Wenige Jahre zuvor, 1945, erlebte das Theaterstück, das auf Curt Goetz‘ Einakter „Die tote Tante und andere Begebenheiten“ von 1924 basierte, seine Premiere am Broadway. Trotzdem finden weder Krieg, noch Nationalsozialismus Erwähnung in dem Vier-Akter, obwohl die Vergangenheit darin eine zentrale Rolle spielt. Curt Goetz deshalb Verharmlosung vorzuwerfen, wäre falsch. Sein Augenmerk galt den menschlichen Verhaltensmustern, besonders der verlogenen bürgerlichen Doppelmoral, der er mit einem klaren humanistischen Standpunkt gegenüber trat. Das Spiel mit den Vorurteilen, besonders hinsichtlich der Geschlechterrollen, war Bestandteil aller seiner Stücke – eine Sichtweise, die sich so generell, wie zeitlos verstand.
In „Das Haus in Montevideo“ führte Goetz den Betrachter mit südamerikanischem Flair und doppeldeutigen Dialogen aufs Glatteis der Vorurteile. Letztlich nur ein kleines Puzzlestück in der unterschwelligen Beeinflussung eines Publikums, das er sowohl mit seinen Theateraufführungen, als auch mit den drei Verfilmungen in den frühen 50er Jahren begeistern konnte. Angesichts der damals vorherrschenden Moralvorstellungen ein wahres Kunststück, dass ihm nur gelang, weil die von ihm verkörperte männliche Hauptfigur zur Identifikation einlud. Ein autoritärer Despot hätte nur abstoßend gewirkt, aber kombiniert mit Herz und Verstand bot sich Traugott Nägler als Stellvertreter für die damals vorherrschende Haltung an, zumal sie in eine so witzige, wie zeitgemäße Familiengeschichte eingebettet wurde.
Aus heutiger Sicht mag vieles daran altmodisch wirken, aber die grundsätzlichen Mechanismen sind geblieben. Das gilt auch für den inneren Konflikt, in den der Familienvater gerät, als seine scheinbar ehernen Standpunkte zu wanken beginnen. Dass er daraus die Konsequenz der Einsicht und Veränderung zog, ist bis heute unüblich und hat nichts von seinem Vorbildcharakter verloren.
"Das Haus in Montevideo" Deutschland 1951, Regie: Curt Goetz, Valerie von Martens, Drehbuch: Curt Goetz, Hans Domnick, Darsteller : Curt Goetz, Valerie Von Martens, Albert Florath, Ruth Niehaus, Lea Eibenschütz, Laufzeit : 88 Minuten
weitere im Blog besprochene Filme von Curt Goetz:
"Napoleon ist an allem schuld" (1938)
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