Sonntag, 6. März 2016

Perle der Karibik (1981) Manfred Stelzer

Inhalt: Diethard (Diethard Wendtland) arbeitet als Vertreter für Lexika und lebt allein in einer neu bezogenen Sozialbauwohnung in einem noch im Bau befindlichen Block. Sein Tagesablauf ist gut organisiert und er hat ein paar Ersparnisse zur Seite gelegt, aber zu seinem Glück fehlt ihm noch eine Ehefrau. Auch Kontaktanzeigen brachten bisher keinen Erfolg – trotz des Stichworts „Idealer Partner". Entsprechend aufmerksam reagiert er, als er die asiatische Ehefrau eines Kunden (Horst Pinnow) kennenlernt. Sie wurde dem Mittvierziger von einem auf ausländische Frauen spezialisierten Institut vermittelt.

Diethard hebt sein Geld ab und investiert es nicht nur in eine Ehefrau, sondern auch in die Einrichtung seiner Wohnung. Der erste Weg, nachdem er die junge Frau aus der Karibik (Alisa Saltzmann) am Flughafen abholte, führt sie zum Standesamt, wo die Ehe sogleich geschlossen wird. Auch das weitere Zusammenleben als Mann und Frau wurde von Diethard schon exakt vorausgeplant…






Rückblick auf den 15.Hofbauer Kongress vom 07.01. bis 11.01.2016

"Perle der Karibik" (wie der Film ohne Artikel korrekt heißt) lief am letzten Tag des 15. Hofbauer-Kongresses und konfrontierte mich mit meiner Vergangenheit. Der über einen Abzweig des Stadtrings gebaute terrassierte Wohnblock, der in Stelzers Film eine wichtige atmosphärische Rolle einnahm, ließ mich sofort erschaudern, als ich ihn 1982 das erste Mal sah. Und übte gleichzeitig eine große Faszination auf mich aus. Bis heute gehört er für mich zu den prägnantesten Gebäuden der westberliner Phase bis zum Mauerfall.

Dank Stelzer, der ein Jahr zuvor noch auf der Baustelle drehte, erhielt ich einen Einblick in den Komplex, der mir bisher verwehrt blieb. Ganz abgesehen davon, dass mir 1982 nicht bewusst war, wie neu der Wohnblock war, der ähnlich wie das nicht weit entfernt liegende raumschiffartige Kongresszentrum in einer Zeit - Mitte der 70er Jahre - konzipiert wurde, die noch vom unbedingten Fortschrittglauben geprägt war. Anfang der 80er Jahre zeigten sich erste Risse - eine Entwicklung, die in Stelzers Film gegenwärtig ist.


Die Geschichte vom deutschen Mann, der sich eine Ehefrau aus dem Ausland besorgt, war 1981 nicht mehr neu. Das Institut, an das sich Diethard (Diethard Wendtland) wendet, um per Katalog eine Bestellung aufzugeben, hatte sich auf die Vermittlung solcher Ehen spezialisiert. Ein nicht ganz billiger Service, der aber professionell abgewickelt wird: pünktlich erreicht die gewünschte junge Frau (Alisa Saltzman) den Flughafen in Berlin-Tegel, ausgestattet mit den geeigneten Papieren, um sofort am Standesamt geheiratet werden zu können. Diethard hatte alle Vorbereitungen abgeschlossen, war zuvor schon in eine neue Wohnung in einem noch im Bau befindlichen Block eingezogen und hatte sie ehegerecht mit Doppelbett und Einbauküche eingerichtet. Exakter lässt sich ein solches Arrangement auch in heutigen Internet-Zeiten kaum planen.

Ebenso wenig hat sich die landläufige Meinung über diese Art der Beziehungsanbahnung in den letzten Jahrzehnten geändert und Regisseur Manfred Stelzer bemühte sich auch nicht, gängige Klischees außer Kraft zu setzen. Herr Diethard ist ein besonders steifes Exemplar Mann, dessen geringe Fähigkeit zur Empathie offensichtlich beim Verkauf von Lexika aufgebraucht wird. Bei einem Termin hatte der Vertreter die asiatische Ehefrau eines Kunden kennengelernt, der sich sehr zufrieden über diese Verbindung äußerte. Einzig das undurchdringliche ständige Lächeln seiner Frau irritiere ihn, gab dieser zu bedenken, weshalb Diethard sich für eine andere Variante entschied - eine „Perle der Karibik“. Mit der vorhersehbaren Konsequenz. Zwischen den Beiden entsteht keine Nähe und das Arrangement scheitert.

Gerade auf Grund der klaren Voraussetzungen – sie sucht wirtschaftliche Sicherheit, er eine Sexualpartnerin und Hausfrau – besitzen diese nach jahrtausendealten Regeln geschlossenen Verbindungen nicht selten gute Chancen. Hätte der Regisseur einen umgänglichen Typ Mann in den Mittelpunkt gestellt, hätte ihre Beziehung vielleicht halten können. Doch darum ging es Manfred Stelzer nicht. Die organisierte Eheschließung zweier Menschen unmittelbar nach ihrer ersten Begegnung geschieht hier im Stil einer Versuchsanordnung. Über ihre genaue Herkunft und die näheren Beweggründe der jungen Frau erfährt der Zuschauer ebenso wenig, wie über die Vergangenheit und sozialen Umstände des 41jährigen Diethard. Im Stil seiner vorherigen Dokumentarfilme („Monarch“ (1980)) nutzte Stelzer die Thematik der Partnervermittlung für den Blick auf sein eigentliches Interesse – auf Deutschland.

Im Hintergrund das Bauschild mit der innenliegenden Autobahn...
Berlin-West Anfang der 80er Jahre ist ein Ort der Kälte. Der noch im Bau befindliche Neubaublock, den Stelzer als Hintergrund wählte, ist bis heute eines der markantesten Beispiele für die Schaffung neuen Wohnraums bei größtmöglicher Verkehrs-Mobilität. Turmartig erhebt sich der Wohn-Koloss über die Stadtautobahn. Detailliert ist das im Film nicht zu sehen, aber wiederholt fängt die Kamera das Bauschild ein und konfrontiert die junge Frau aus der Karibik mit den noch aktiven Bautätigkeiten, sobald sie die vier Wände der Sozialbauwohnung verlässt. Ihr Versuch, diese in einen aus ihrer Sicht lebenswerten Raum zu verwandeln, scheitert sowohl an den baulichen Voraussetzungen, als auch an ihrem Ehemann, der die aus seiner Sicht artfremde Nutzung mit Pflanzen und Früchten ablehnt.

...und Beanboats (Alisa Saltzman) Blick hoch zu den Terrassen.
Erneut ließe sich die mangelnde Toleranz und Flexibilität des Ehemanns als Ursache anführen, aber Diethard ist weder frustriert, noch besonders autoritär. Und er bemüht sich, seiner neuen Frau die Eingewöhnung zu erleichtern. Er besorgt vermeintlich vertraute Utensilien aus ihrer Heimat und ist auch beim Haushaltsgeld nicht knausrig. Seine Unzufriedenheit und aufkommende Strenge entstehen aus seiner Fassungslosigkeit gegenüber dem Verhalten der jungen Frau, die aus seiner Sicht das Geld für unnütze Dinge ausgibt, die Wohnung verschandelt und die Aufgaben einer Hausfrau nicht erfüllt. Diethard steht bei Stelzer für den Geist eines gut organisierten, allein rationale Beweggründe gelten lassenden Deutschlands, kombiniert mit einer männlichen Haltung, die durch ein Jahrzehnt Emanzipation verunsichert ist. Diethards Ehe mit einer Frau aus dem Ausland entsprang nicht zuletzt auch dem Wunsch nach der Aufrechterhaltung der gewohnten Geschlechterrollen.

In Stelzers Film werden Form und Inhalt zu einer Einheit. „Die Perle der Karibik“ ist klar strukturiert und linear erzählt. Der Film interessiert sich weder für Vergangenheit, noch Zukunft, sondern beschreibt eine Gegenwart, in der für das Irrationale und Spontane kein Platz vorhanden ist. Es wird nicht als Chance, sondern als Bedrohung empfunden. Stelzer stilisierte Deutschland auf diese Weise zu einem Ort, an dem selbst Lebensfreude bis in die privatesten Nischen organisiert wird. Dank seines dokumentarischen Stils und des Verzichts auf emotionale Zuspitzungen bewahrte Stelzer die notwendige Distanz zu seinen Protagonisten und urteilte nicht. Seine generelle Sicht spiegelt die zwangsläufige Konsequenz wider. Die junge Frau aus der Karibik verschwindet und Diethard setzt sein normiertes Leben allein fort - verloren sind sie Beide.

"Perle der Karibik" Deutschland 1981, Regie: Manfred Stelzer, Drehbuch: Manfred Stelzer, Wolfgang Quest, Axel Voigt, Darsteller : Diethard Wendtland, Alisa Saltzman, Alfred Edel, Horst Pinnow, Gertrud HoffmannLaufzeit : 81 Minuten

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