Sonntag, 27. März 2016

Die Spalte 1971 Gustav Ehmck

Inhalt: Ein Teenager legt ein kleines Bündel auf die Gleise, doch bevor der herankommende Zug es überfahren kann, rettet eine ältere Frau das Baby vor dem sicheren Tod. Sie behält die kleine Sophie bei sich und zieht sie auf, doch nachdem sie gestorben ist, kommt ihre Enkeltochter in ein katholisches Erziehungsheim. Ihre Mutter, die sie damals töten wollte, schreibt ihr einmal aus dem Gefängnis, aber darüber hinaus gibt es keine familiäre Bindung für die Heranwachsende.


Für die Erzieher ist Sophie (Gerhild Berktold) ein hoffnungsloser Fall, dem sie nur mit absoluter Strenge zu begegnen wissen. Wenig überraschend bricht die inzwischen 15jährige mit Unterstützung ihrer Kameradinnen aus dem Heim aus und landet mittellos auf den Münchner Straßen. Ein junger Mann (Axel Schiessler) wird auf das ziellos umherstreifende hübsche Mädchen aufmerksam, spricht sie an und bietet ihr seine Hilfe an. Dankbar nimmt sie an und die Beiden kommen sich schnell näher…

Rückblick auf den 15.Hofbauer Kongress vom 07.01. bis 11.01.2016

"Die Spalte" war ein Schock. Traf schon "Perle der Karibik" (1971) ins Mark, hallte die Wirkung meines persönlichen Abschluss-Films noch lange auf der Heimfahrt nach, während parallel "Mädchen beim Frauenarzt" (1971) das offizielle Programm beendete. Nicht nur der Schrecken saß tief, auch die Überraschung war groß. Die mir aus dieser Zeit bekannten Sex-Filme bedienten sich gerne den zahlreichen Gefahren der neuen Freiheit, nutzten diese aber vor allem als Anlass für ausschweifende Nacktdarstellungen. Für den meist männlichen Voyeur blieb alles ein großer Spaß. 

Den trieb Regisseur Ehmck dem Betrachter hier gründlich aus. Ursache dafür, warum "Die Spalte" danach schnell wieder in der Versenkung verschwand. Einzig auf einem italienischsprachigen Video wurde der Film Anfang der 90er Jahre noch einmal veröffentlicht. Die Screenshots stammen sowohl von dem Video (Beispiel oben links), wie der Aufführung im Nürnberger Komm-Kino (Beispiel oben rechts). 



"Die Spalte" kam im April 1971 in die deutschen Kinos, exakt zwischen dem Start von "Schulmädchen-Report - Was Eltern nicht für möglich halten" (1970) und dessen Nachfolger "Schulmädchen Report 2 - Was Eltern den Schlaf raubt" (1971). Die Reihe an Filmen, die das Erotik-Bedürfnis eines ausgehungerten deutschen Publikums Anfang der 70er Jahre befriedigen sollten, ließe sich beliebig verlängern. Die meisten von ihnen schafften es später auf diverse Videoträger und prägen bis heute das Bild einer harmlos-verruchten Sexwelle in Folge der 68er Generation. Dabei durfte der pädagogische Zeigefinger nicht fehlen, der den Nacktdarstellungen das nötige moralische Gegengewicht verlieh, um ein Abrutschen ins Schmuddel-Image zu vermeiden. Nur so ließen sich die hohen, weit in bürgerliche Schichten vordringenden Besucherzahlen erreichen. Der Widerspruch, voyeuristische Bedürfnisse zu befriedigen, gleichzeitig aber vor den Gefahren von Promiskuität und optischer Zurschaustellung für junge Frauen zu warnen, wurde zum Abbild einer sich nach außen hin modern und aufgeklärt gebenden Gesellschaft.

Übertreibung gehörte im jungen Sexfilm zum Geschäft. Einerseits durfte die weibliche Jugend hemmungslos ihren Trieb ausleben, andererseits wimmelte es nur so von Profiteuren ihrer frisch entdeckten sexuellen Freiheit. Vergewaltiger, Zuhälter und Spanner lauerten an jeder Ecke. Ingrid Steeger stirbt am Ende in „Ich, ein Groupie“ (1970) nackt und drogenabhängig auf Berlins Straßen, in Alois Brummers „Gefährlicher Sex frühreifer Mädchen“ (1971) steht gleich zu Beginn ein Hausmeister wegen angeblicher „Unzucht mit Minderjährigen“ vor Gericht, und in den „Schulmädchen-Report“-Filmen fand sich immer ein Busfahrer, Lehrer oder Familienvater, der die Unschuld jungfräulicher Mädchen bedrohte. Ernst nahm das Niemand. Im Gegenteil tanzten die Darstellerinnen so freizügig auf der Leinwand herum, dass die Schuldfrage schon geklärt war. Die Männer reagierten quasi nur und bestätigten damit das bis heute tief verwurzelte Vorurteil, die Frauen hätten sie durch ihr Verhalten und ihre Optik erst motiviert.

Auch in „Die Spalte“ fällt am Ende ein solcher Satz. „Keine Frau kann gegen ihren Willen zur Prostitution gezwungen werden“, sagt ein Polizist. Die vorherige Handlung belehrte den Betrachter eines Besseren. Es ist die Geschichte eines ungewollten Mädchens. Als Säugling rettet ihre Großmutter sie vor dem Tod. Sie wächst bei ihr auf, kommt aber nach deren Ableben in ein katholisches Erziehungsheim. Ihre Mutter, die sie damals auf die Zuggleise legte, schreibt ihr einmal aus dem Gefängnis - für ihre Betreuerin nur der Anlass, die Rechtschreibfehler korrigieren zu lassen. Sophie (Gerhild Berktold) befindet sich auf der untersten Sprosse der gesellschaftlichen Leiter – ein Dasein, dass Anfang der 70er Jahre über keinerlei Reputation verfügte. Im Heim gilt ausschließlich das Prinzip der Strenge und Sophie bestätigt mit ihrem Verhalten diese Vorgehensweise – renitent, unbelehrbar und offensichtlich frühreif gilt sie als hoffnungsloser Fall.

Ohne zu moralisieren oder emotional zu schüren, entfaltete Regisseur Gustav Ehmck die Geschichte eines unaufhaltsamen Niedergangs. Die damals 17jährige Gerhild Berktold, die nur ein weiteres Mal ebenfalls unter Ehmcks Regie in einem Kinofilm auftrat ("Heiß und kalt", 1972), darüber hinaus aber unbekannt blieb, spielte die Sophie mit größter Natürlichkeit und vollem Körpereinsatz. Sie ist sehr hübsch, aber ihre Nacktheit bediente keinen Voyeurismus. Im Gegenteil betonte Ehmck damit ihre totale Abhängigkeit – Sex dient in „Die Spalte“ fast ausschließlich der Erniedrigung und zur Machtausübung.

Trotzdem verfiel der Film nicht in Einseitigkeit. Der Regisseur und sein Autor Christian Rolf zeigten keine Berührungsängste bei der Widergabe der Realität vor dem Münchner Hintergrund: kleine deutsche Zuhälter, ein türkischer Platzhirsch (Dursun Firat), bürgerliche Freier und sexuelle Dienstleistungen für griechische Gastarbeiter im Keller eines Restaurants. Auch Sophie eignet sich nicht zur Identifikation - zu sperrig, naiv und ungebildet ist ihr Charakter. Aber ihr Verhalten ist immer nur Reaktion auf ihre Armut und soziale Abhängigkeit. Dank seines dokumentarischen Stils bewahrte der Film den notwendigen Abstand, um das Geschehen erträglich zu gestalten, mehr noch aber um dessen generellen Charakter zu betonen. Sophia ist kein Einzelschicksal. Eine linke Aktionsgruppe versucht die Mädchen von der Straße zu holen. Für die Polizei kein Grund zur Freude, denn die Zuhälter machen ihnen deutlich weniger Ärger, als die aufmüpfigen Studenten – Ruhe ist bekanntlich die erste Bürgerpflicht.

Gewalt, Ausbeutung und Prostitution sind in „Die Spalte“ kein Spiel zwischen Männer-Fantasie und moralischer Entrüstung, sondern erbarmungslose Realität. Auch als Warnung vor freizügiger Sexualität eignete sich die Figur der Sophie nicht, deren Schicksal mit den kecken Gymnasiastinnen aus dem „Schulmädchen-Report“ nichts gemein hat. In den Augen der Allgemeinheit galt sie von Beginn an als Verlorene. Eine Haltung, die auch „Die Spalte“ zu spüren bekam. Sex, nackte Tatsachen und ein bisschen Gefahr durften sein, aber ohne den Betrachter mit echten Problemen und seinen eigenen Vorurteilen zu konfrontieren. Der Geist, der hinter der im Sexfilm gepflegten Ambivalenz von Voyeurismus und moralischem Zeigefinger stand, sorgte auch dafür, dass „Die Spalte“ schnell in Vergessenheit geriet.

"Die Spalte" Deutschland 1971, Regie: Gustav Ehmck, Drehbuch: Christian Rolf, Darsteller : Gerhild Berktold, Dursun Firat, Axel Schiessler, Werner Umberg, Silvia Lasch, Maxi Maxi, Armin RichterLaufzeit : 85 Minuten

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