Für die Erzieher ist Sophie (Gerhild Berktold) ein hoffnungsloser
Fall, dem sie nur mit absoluter Strenge zu begegnen wissen. Wenig überraschend
bricht die inzwischen 15jährige mit Unterstützung ihrer Kameradinnen aus dem
Heim aus und landet mittellos auf den Münchner Straßen. Ein junger Mann (Axel
Schiessler) wird auf das ziellos umherstreifende hübsche Mädchen aufmerksam,
spricht sie an und bietet ihr seine Hilfe an. Dankbar nimmt sie an und die Beiden
kommen sich schnell näher…
Rückblick auf den 15.Hofbauer Kongress vom 07.01. bis 11.01.2016
Rückblick auf den 15.Hofbauer Kongress vom 07.01. bis 11.01.2016
Den trieb Regisseur Ehmck dem Betrachter hier gründlich aus. Ursache dafür, warum "Die Spalte" danach schnell wieder in der Versenkung verschwand. Einzig auf einem italienischsprachigen Video wurde der Film Anfang der 90er Jahre noch einmal veröffentlicht. Die Screenshots stammen sowohl von dem Video (Beispiel oben links), wie der Aufführung im Nürnberger Komm-Kino (Beispiel oben rechts).
"Die Spalte" kam im April 1971 in die deutschen
Kinos, exakt zwischen dem Start von "Schulmädchen-Report - Was Eltern nicht für möglich halten" (1970) und dessen Nachfolger "Schulmädchen
Report 2 - Was Eltern den Schlaf raubt" (1971). Die Reihe an Filmen, die
das Erotik-Bedürfnis eines ausgehungerten deutschen Publikums Anfang der 70er
Jahre befriedigen sollten, ließe sich beliebig verlängern. Die meisten von
ihnen schafften es später auf diverse Videoträger und prägen bis heute das Bild
einer harmlos-verruchten Sexwelle in Folge der 68er Generation. Dabei durfte
der pädagogische Zeigefinger nicht fehlen, der den Nacktdarstellungen das
nötige moralische Gegengewicht verlieh, um ein Abrutschen ins Schmuddel-Image zu
vermeiden. Nur so ließen sich die hohen, weit in bürgerliche Schichten vordringenden
Besucherzahlen erreichen. Der Widerspruch, voyeuristische Bedürfnisse zu
befriedigen, gleichzeitig aber vor den Gefahren von Promiskuität und optischer
Zurschaustellung für junge Frauen zu warnen, wurde zum Abbild einer sich nach außen hin modern und aufgeklärt gebenden Gesellschaft.
Übertreibung gehörte im jungen Sexfilm zum Geschäft.
Einerseits durfte die weibliche Jugend hemmungslos ihren Trieb ausleben,
andererseits wimmelte es nur so von Profiteuren ihrer frisch entdeckten sexuellen
Freiheit. Vergewaltiger, Zuhälter und Spanner lauerten an jeder Ecke. Ingrid
Steeger stirbt am Ende in „Ich, ein Groupie“ (1970) nackt und drogenabhängig auf
Berlins Straßen, in Alois Brummers „Gefährlicher Sex frühreifer Mädchen“ (1971)
steht gleich zu Beginn ein Hausmeister wegen angeblicher „Unzucht mit
Minderjährigen“ vor Gericht, und in den „Schulmädchen-Report“-Filmen fand sich
immer ein Busfahrer, Lehrer oder Familienvater, der die Unschuld jungfräulicher
Mädchen bedrohte. Ernst nahm das Niemand. Im Gegenteil tanzten die Darstellerinnen
so freizügig auf der Leinwand herum, dass die Schuldfrage schon geklärt war. Die
Männer reagierten quasi nur und bestätigten damit das bis heute tief verwurzelte
Vorurteil, die Frauen hätten sie durch ihr Verhalten und ihre Optik erst
motiviert.
Auch in „Die Spalte“ fällt am Ende ein solcher Satz. „Keine
Frau kann gegen ihren Willen zur Prostitution gezwungen werden“, sagt ein
Polizist. Die vorherige Handlung belehrte den Betrachter eines Besseren. Es ist
die Geschichte eines ungewollten Mädchens. Als Säugling rettet ihre
Großmutter sie vor dem Tod. Sie wächst bei ihr auf, kommt aber nach deren Ableben
in ein katholisches Erziehungsheim. Ihre Mutter, die sie damals auf die Zuggleise legte, schreibt
ihr einmal aus dem Gefängnis - für ihre Betreuerin nur der Anlass, die Rechtschreibfehler
korrigieren zu lassen. Sophie (Gerhild Berktold) befindet sich auf der untersten
Sprosse der gesellschaftlichen Leiter – ein Dasein, dass Anfang der 70er Jahre
über keinerlei Reputation verfügte. Im Heim gilt ausschließlich das
Prinzip der Strenge und Sophie bestätigt mit ihrem Verhalten diese
Vorgehensweise – renitent, unbelehrbar und offensichtlich frühreif gilt sie als
hoffnungsloser Fall.
Ohne zu moralisieren oder emotional zu schüren, entfaltete
Regisseur Gustav Ehmck die Geschichte eines unaufhaltsamen Niedergangs. Die
damals 17jährige Gerhild Berktold, die nur ein weiteres Mal ebenfalls unter
Ehmcks Regie in einem Kinofilm auftrat ("Heiß und kalt", 1972), darüber hinaus aber unbekannt blieb,
spielte die Sophie mit größter Natürlichkeit und vollem Körpereinsatz. Sie ist
sehr hübsch, aber ihre Nacktheit bediente keinen Voyeurismus. Im Gegenteil
betonte Ehmck damit ihre totale Abhängigkeit – Sex dient in „Die Spalte“ fast
ausschließlich der Erniedrigung und zur Machtausübung.
Trotzdem verfiel der Film nicht in Einseitigkeit. Der
Regisseur und sein Autor Christian Rolf zeigten keine Berührungsängste bei der
Widergabe der Realität vor dem Münchner Hintergrund: kleine deutsche Zuhälter, ein
türkischer Platzhirsch (Dursun Firat), bürgerliche Freier und sexuelle
Dienstleistungen für griechische Gastarbeiter im Keller eines Restaurants. Auch
Sophie eignet sich nicht zur Identifikation - zu sperrig, naiv und ungebildet
ist ihr Charakter. Aber ihr Verhalten ist immer nur Reaktion auf ihre Armut
und soziale Abhängigkeit. Dank seines dokumentarischen Stils bewahrte der Film den
notwendigen Abstand, um das Geschehen erträglich zu gestalten, mehr noch aber
um dessen generellen Charakter zu betonen. Sophia ist kein Einzelschicksal.
Eine linke Aktionsgruppe versucht die Mädchen von der Straße zu holen. Für die
Polizei kein Grund zur Freude, denn die Zuhälter machen ihnen deutlich weniger
Ärger, als die aufmüpfigen Studenten – Ruhe ist bekanntlich die erste
Bürgerpflicht.
Gewalt, Ausbeutung und Prostitution sind in „Die Spalte“
kein Spiel zwischen Männer-Fantasie und moralischer Entrüstung, sondern erbarmungslose
Realität. Auch als Warnung vor freizügiger Sexualität eignete sich die Figur der
Sophie nicht, deren Schicksal mit den kecken Gymnasiastinnen aus dem „Schulmädchen-Report“
nichts gemein hat. In den Augen der Allgemeinheit galt sie von Beginn an als
Verlorene. Eine Haltung, die auch „Die Spalte“ zu spüren bekam. Sex, nackte
Tatsachen und ein bisschen Gefahr durften sein, aber ohne den Betrachter mit echten
Problemen und seinen eigenen Vorurteilen zu konfrontieren. Der Geist, der hinter
der im Sexfilm gepflegten Ambivalenz von Voyeurismus und moralischem
Zeigefinger stand, sorgte auch dafür, dass „Die Spalte“ schnell in
Vergessenheit geriet.
"Die Spalte" Deutschland 1971, Regie: Gustav Ehmck, Drehbuch: Christian Rolf, Darsteller : Gerhild Berktold, Dursun Firat, Axel Schiessler, Werner Umberg, Silvia Lasch, Maxi Maxi, Armin Richter, Laufzeit : 85 Minuten
"Die Spalte" Deutschland 1971, Regie: Gustav Ehmck, Drehbuch: Christian Rolf, Darsteller : Gerhild Berktold, Dursun Firat, Axel Schiessler, Werner Umberg, Silvia Lasch, Maxi Maxi, Armin Richter, Laufzeit : 85 Minuten
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