In Erinnerung an Maximilian Schell (83), gestorben am 31.01.2014
Inhalt: Belgien,
Oktober 1914 - Der junge Offizier Alexander Haller (Maximilian Schell) befindet
sich mit seiner Einheit unweit der Front. Einerseits befürchten die jungen, im
Kampf unerfahrenen Männer ihren Einsatz, andererseits suchen sie Ablenkung in
der nahen Gaststätte, die für ihre hübschen Frauen bekannt ist. Doch die
Einheimischen lehnen die ungebetenen Besatzungssoldaten ab und wollen ihnen
nicht einmal etwas zu Trinken geben. Als es ihnen mit Nachdruck gelingt, die
junge Angeline (Nicole Berger), die sie spontan „Engel“ nennen, dazu zu
bringen, ihnen Wasser zu reichen, trinken sie es nicht, weil sie fürchten, es
könnte vergiftet sein. Nur Alexander leert das Glas in einem Zug, dass ihm
Angeline heimlich hinstellt, bevor er mit seinem Zug zur Front aufbricht – ein
Moment, den er nicht mehr vergessen wird.
Drei Jahre
vergehen, bis Alexander, der bei der ersten „Flandern-Schlacht“ zwar schwer
verletzt wurde, aber im Gegensatz zu den meisten seiner Kameraden überlebte,
wieder in die damalige Region zurückkommt, in deren Nähe sich die unbewegliche
Frontlinie befindet. Er erkennt das Gasthaus trotz seines inzwischen deutschen
Namens sofort wieder, und beschließt spontan, ein paar Tage dort seinen Urlaub
zu verbringen, anstatt in die deutsche Heimat zu fahren. Er hofft, Angeline
wieder zu sehen…
Mitte der
50er Jahre drehte Helmut Käutner vier Filme nach literarischen Vorlagen Carl
Zuckmayers, unter denen "Ein Mädchen aus Flandern" (1956), das
zwischen "Des Teufels General" (1955), "Der Hauptmann von Köpenick"
(1956) und "Schinderhannes" (1958) in die Kinos kam, einen
Sonderstatus einnimmt. Während die drei anderen Zuckmayer-Verfilmungen auf
populären Bühnenstücken basierten, von denen "Der Hauptmann von
Köpenick" und "Schinderhannes" während der Weimarer Republik und "Des Teufels
General" direkt nach dem Krieg 1946 uraufgeführt wurden, entstand
"Ein Mädchen aus Flandern" nach Zuckmayers aktuellem Roman
"Engele von Loewen. Erzählungen", den der Autor im Jahr zuvor
veröffentlicht hatte.
Folgerichtig
unterschied sich dessen erzählerische Anlage erheblich von den Dialog lastigen
Theaterstücken, die ihre Intention auf engstem Raum komprimierten, während die
Liebesgeschichte zwischen einem deutschen Offizier und einem belgischen Mädchen
einen Bogen über die Jahre des 1.Weltkriegs spannt, in dessen Verlauf es zu mehreren,
teils zufälligen Begegnungen zwischen Angeline, genannt "Engele"
(Nicole Berger), und Leutnant Alexander Haller (Maximilian Schell) kommt. Thematisch
ähnelt „Ein Mädchen aus Flandern“ mehr Käutners Vorgängerfilm „Himmel ohne Sterne“ (1955), der ebenfalls von einer an den äußeren Umständen zu scheitern
drohenden Liebe erzählte. Handelte dieser ganz aktuell von der Teilung
Deutschlands nach dem Krieg, wirkte der Rückblick auf den ersten Weltkrieg -
zumal unter dem noch unmittelbar vorherrschenden Eindruck der nationalsozialistischen
Diktatur – vordergründig harmlos.
Trotz der
sich am Ende zuspitzenden Dramatik, als sich Haller vor Gericht gegen den
Vorwurf der Wehrkraftzersetzung wehren muss – er hatte als angehender Arzt
einem feindlichen Soldaten geholfen – blieben die Anspielungen auf
Hurra-Patriotismus, arrogante Offiziere und verlogene Helden-Verklärungen
dezent. Die politischen Hintergründe oder despotische Militärführer wurden
ausgeblendet und die Gräuel des Stellungskrieges nahmen nur wenige Minuten des
Films in Anspruch. Stattdessen ging es im Hinterland der Frontlinie eher
gemütlich zu, weshalb sich Leutnant Haller entscheidet, seinen Urlaub im
besetzten Belgien zu verbringen, anstatt zu seinem Vater (Friedrich Domin),
einem einflussreichen General, und seiner Schwester (Erica Balqué) nach
Deutschland zu fahren. Der tatsächliche Grund ist Angeline, der er nur einmal
am Anfang des Krieges begegnet war, die er aber nicht mehr vergessen konnte,
nachdem sie ihm gegen die allgemeine Haltung der Einheimischen etwas zu Trinken
gegeben hatte.
Käutner
hielt sich an den Roman, blieb aber seinem eigenen Stil treu, der besonders in
der emotional schlüssigen, ohne Klischees auskommenden Entwicklung der
Beziehung von Engele und Alexander sichtbar wird. Gemeinsam mit der früh
verstorbenen französischen Darstellerin Nicole Berger – Käutner legte viel Wert
auf die Authentizität der unterschiedlichen Sprachen – verkörperte Maximilian
Schell in seiner zweiten Hauptrolle ein überzeugendes Paar, dessen Liebe
angesichts der Kriegswirren und des sonstigen Trubels um sie herum beinahe
zurückhaltend wirkt. Zudem integrierte der Regisseur, der gemeinsam mit Heinz
Pauck Zuckmayers Vorlage adaptierte, einige kritische Anspielungen, die ihre
vollständige Wirkung nur mit dem entsprechenden Hintergrundwissen entfalten,
das Mitte der 50er Jahre noch gegenwärtiger war. Alexander Haller widersprach
mit seiner Schilderung vom qualvollen Tod eines bei der ersten Flandernschlacht
1914 gefallenen Kameraden dem „Mythos von Langemarck“, mit dem die Heerführung
den Tod vieler junger Rekruten in einen heroischen Sieg wandelte – ein frühes
Beispiel propagandistischer Verfälschung. Käutner setzte die Behauptung, die
Soldaten wären mit dem Deutschland-Lied auf den Lippen begeistert für ihr
Vaterland in den Tod gegangen, in einer irreal wirkenden Sequenz um, die in Bilder
auf dem Schlachtfeld liegender Leichen mündet.
Entscheidender
für die Wirkung des Films ist Käutners kompromissloser Umgang mit der
Sexualität, deren Gegenwärtigkeit nicht nur überraschte, sondern das moralische
Selbstbild von dem sich fürs Vaterland aufopfernden Soldaten aushöhlte. Von
Taktik oder Kriegszielen ist wenig zu hören, umso mehr von geplanten
nächtlichen Abenteuern. Die Handlung findet größtenteils in einschlägigen
Etablissements statt, auch das Gasthaus, in dem Alexander Angeline kennenlernt,
ist für die entgegenkommende Haltung der Töchter des Hauses bekannt. Zwischen den
deutschen Offizieren, die ihre Machtposition bei ihren amourösen Bemühungen im
besetzten Belgien ausnutzen – gekonnt schmierig Gert Fröbe in einer kleinen
Rolle als Rittmeister – und den Frauen, die sich Vorteile davon versprechen,
wirkt die Beziehung von Engele und Alexander wie ein Hort an Tugend, aber auch
sie schlafen unverheiratet miteinander, was dem jungen Offizier mehr
Anerkennung vom Ortskommandanten einbringt, als dessen militärische Leistungen.
Schon im
zweiten Teil der „08/15“-Trilogie (1955) ließ Autor Hellmut Kirst keinen Zweifel
an den promiskuitiven Interessen der Soldaten an der Front, aber der Film
schilderte dieses Verhalten mit einem satirischen Gestus und ruderte die
anrüchige Charakterisierung im dritten Teil („08/15 In der Heimat“ (1955))
wieder zurück. „Ein Mädchen aus Flandern“ integrierte seine Liebesgeschichte
dagegen in die Normalität des menschlichen Bedürfnisses nach Sex, Essen und
Feiern, an dessen Wahrheitsgehalt Niemand zweifeln wird, dessen Realität aber besonders
in Filmen mit patriotischen Absichten bis heute geleugnet wird. Sowohl
Zuckmayers Roman, als auch Käutners Verfilmung brachen Mitte der 50er Jahre damit
ein Tabu, ohne diese Intention besonders zu betonen oder an einem
Einzelschicksal zu dramatisieren. Im Gegenteil liegt die Qualität des Films in
der Beiläufigkeit, mit der er vom Krieg und den Menschen erzählt, vom Tod und
der Liebe oder einfach dem Versuch zu überleben.
"Ein Mädchen aus Flandern" Deutschland 1956, Regie: Helmut Käutner, Drehbuch: Helmut Käutner, Heinz Pauck, Carl Zuckmayer (Roman), Darsteller : Maximilian Schell, Nicole Berger, Victor De Kowa, Friedrich Domin, Gert Fröbe, Laufzeit : 97 Minuten
weitere im Blog besprochene Filme von Helmut Käutner:
"Kleider machen Leute" (1940)
"Große Freiheit Nr. 7" (1944)
"Unter den Brücken" (1945)
"Bildnis einer Unbekannten" (1954)
"Himmel ohne Sterne" (1955)
"Die Zürcher Verlobung" (1957)
"Schwarzer Kies" (1961)
"Die Rote" (1962)
"Große Freiheit Nr. 7" (1944)
"Unter den Brücken" (1945)
"Bildnis einer Unbekannten" (1954)
"Himmel ohne Sterne" (1955)
"Die Zürcher Verlobung" (1957)
"Schwarzer Kies" (1961)
"Die Rote" (1962)
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