Sonntag, 23. Februar 2014

Kommissariat 9 (TV-Serie, 1975) Wolfgang Staudte

Inhalt: Kriminalrat Roth (Herbert Steinmetz), Hauptkommissar Dingelein (Edgar Ott) und Oberkommissar Tuncnik (Walter Riss) sind Spezialermittler im „Kommissariat 9“, dass zuständig ist für Wirtschaftskriminalität. Sie beobachten die Situation in der Bundesrepublik auf allen Gebieten, aber eingreifen können sie häufig erst, wenn eine Anzeige erstattet werden, wie von Walter Grimm (Peter Schiff), der den Kredit für eine Altbauwohnung angezahlt hatte, die nicht von dem Immobilienunternehmen saniert wurde. Nicht einmal die alten Mieter waren ausgezogen, aber der Kredit muss bei der Bank weiter bedient werden, ohne das Grimm sein Geld zurückbekommt, denn an die Hintermänner kommt die Polizei nicht so einfach heran.

Ähnliche Fälle, in denen Bürger arglos auf Versprechungen hereingefallen sind, häufen sich täglich auf dem Schreibtisch der Polizisten, aber die Täter sind nur schwer zu überführen. Der junge Arbeiter Wolfgang Wächter (Hans-Joachim Grubel) hat Ehrgeiz und möchte nicht sein Leben lang an Maschinen stehen, sondern in die Büroetage aufsteigen. Als er erfährt, dass sich ein Freund per Fernstudium zum Fotografen ausbilden lässt, beschließt er an einer Weiterbildung zum Computer-Fachmann teilzunehmen. Die Firma wirkt seriös und der Lehrer kompetent, weshalb er seinen VW verkauft, um die Ausbildung zu bezahlen…

Mit "Kommissariat 9" brachte PIDAX am 21.02.2014 die 1975 im ARD-Vorabendprogramm gezeigte Fernsehserie heraus, deren erste Staffel vollständig von Regisseur Wolfgang Staudte verantwortet wurde. Die dreizehn etwa 25minütigen Episoden (leider fehlt auf der DVD die Episode 6 "Die Pyramide") zeichnen sich durch ihre genaue Beobachtung, die Dokumentation des damaligen Zeitkolorits und ihre gesellschaftskritische Sichtweise aus. Erst 1979 entstanden weitere Folgen der TV-Serie unter anderer Federführung, die ebenfalls bei PIDAX erscheinen. (Die grünen Links führen zur Amazon-Bestellseite).



Die 25minütigen Folgen der Fernsehserie "Kommissariat 9" liefen 1975 13mal am frühen Mittwochabend im Regionalprogramm der ARD und hinterließen weder bei Krimi-Genre-Fans, noch bei Anhängern beliebter Darsteller dieser Zeit einen bleibenden Eindruck. Das erstaunt wenig, denn die Serie widmete sich dem trocken klingenden Thema "Wirtschaftskriminalität" und zu Beginn jeder Folge gab Prof. Dr. Klaus Tiedemann, Direktor des Instituts für Kriminologie der Universität Freiburg, eine Einführung in die kommenden ca. 20 Minuten, die sich unterschiedlichen Aspekten der Wirtschaft-skriminalität widmeten, wie Immobilienbetrug (Folge 1 "Tamaro Bau GmbH & Co.KG"), getürkte Weiterbildungsmaßnahmen (Folge 2 "Streben sie vorwärts") oder Aktienschwindel (Folge 3 "Spekulationen").  

Zwar gab es auch in "Kommissariat 9" mit Kriminalrat Roth (Herbert Steinmetz), Hauptkommissar Dingelein (Edgar Ott) und Oberkommissar Tuncnik (Walter Riss) drei hauptamtliche Ermittler, aber diese griffen nur selten direkt in die Handlung ein, etwa bei einem Verhör oder einem Gespräch mit den Opfern. In der Regel befanden sie sich in ihrem karg ausgestatteten Büro beim Aktenstudium oder bei der Diskussion zu einem neuen Fall. Entsprechend gilt die erste Einblendung jeder Folge ihrem Türschild "K 9" und der letzte Blick einem Aktenordner, vor dem die Credits ablaufen. Polizei-Action oder Verhaftungen blieben Fehlanzeige, stattdessen gelang es den Hintermännern häufig zu entkommen oder sie waren nur schwer mit juristischen Mitteln zu überführen - die Geschädigten blieben dagegen mit ihrem Verlust zurück.

Prototypisch lässt sich diese Inszenierungsform am Beispiel der fünften Folge "Herzlich eingeladen" nachweisen, die sich den damals beliebten Kaffeefahrten widmete. Nachdem Professor Tiedemann betont hatte, dass nicht alle Veranstalter unseriös sind, beginnt die Spielhandlung in einer typischen Einfamilienhaus-Vorortsiedlung, wo sich zwei jüngere Hausfrauen von einem Werbezettel animiert fühlen, der Kaffee und Kuchen an beschaulichem Ort für wenig Geld verspricht. Ihnen gefällt besonders die Beteiligung des Schlagerstars Pit Wehling (Jochen Schröder), den sie von früher her kennen, aber auch das ältere Ehepaar aus der Nachbarschaft beschließt, mitzufahren. Peter Thom ("Geheime Lüste blutjunger Mädchen", 1978) als jovialer Conferencier und Hans W. Hamacher als skrupelloser Geschäftsmann - in jeder Folge gehörten renommierte Darsteller zur Besetzung - sorgten für eine hohe Authentizität der als Ausflug getarnten Verkaufsveranstaltung, in der angebliche Sonderangebote zu viel zu hohen Preisen angeboten werden.

Die drei Wirtschaftspolizisten selbst tauchen nur kurz zwischendurch auf, als ihnen der Prospekt der Kaffeefahrt von einem Konkurrenten anonym zugespielt wird, was sie nur dazu veranlasst, den Zettel zu den Akten zu legen. Erst zum Schluss, als der Sänger Pit Wehling zu ihnen in die Behörde kommt, weil er nicht aus seinem Vertrag mit der unseriösen Veranstalterfirma herauskommt, tragen sie noch ein paar grundsätzliche Erkenntnisse zu der Problematik bei, während die geprellten Käufer auf ihren minderwertigen Waren sitzen bleiben und der Profiteur nicht behelligt wird. Die Intention dahinter, mit erhobenem Zeigefinger die Verbraucher zu warnen, scheint deutlich, aber Regisseur Wolfgang Staudte und sein Drehbuchautor Rolf Schulz gingen weit darüber hinaus und entwarfen das Bild einer wirtschaftlich prosperierenden Gesellschaft, die vor allem vom Streben nach persönlichem Erfolg bestimmt wird.

Auffällig ist die Seriosität, mit der die beiden Macher an jeden der sehr unterschiedlichen Fälle herangingen, sowohl in der Charakterisierung der Protagonisten und ihrer Art zu kommunizieren, als auch hinsichtlich der Ausstattung und der teilweise internationalen Schauplätze. Zudem wird kein Fall übertrieben dramatisiert und auch die Schäden (Verlust von Ersparnissen oder ein Krankenhausaufenthalt nach dem Verzehr verdorbenen Fleisches) der Opfer halten sich im Rahmen, ganz abgesehen davon, dass die Reihe die Ebene der Privatverbraucher mehrfach verlässt. Fälle von gefälschten Gütestempeln für Nahrungsmittel (Folge 4 "Guten Appetit") oder Subventionsbetrug (Folge 12 "Ich bin ein Europäer") lassen einen generellen gesellschaftskritschen Aspekt erkennen, der trotz der 70er Jahre Optik und einiger altmodisch wirkender Begleiterscheinungen nichts an Aktualität verloren hat.

Wenn Professor Tiedemann zu Beginn der 8.Episode "Import aus Fernost" über Steuerbetrug die Schizophrenie der Behörden beklagt, dass Steuersünder durch Selbstanzeige der Strafverfolgung entkommen können, dann befindet er sich damit unmittelbar in der heutigen Gegenwart, die sich inhaltlich kaum von der Bundesrepublik der 70er Jahre unterscheidet. Es sind die Details, mit denen Staudte seine Haltung deutlich werden lässt, die Wohnungseinrichtungen einer zu bescheidenem Wohlstand gelangten Bürgerschicht oder der Luxus reicher Geschäftsmänner. Häufig sind es nur Kleinigkeiten wie der Glaube an ein Schnäppchen, eine hohe Rendite oder einen Geschäftsgewinn, das Hoffen auf einen Karriereschritt oder bessere Bedingungen für die eigenen Kinder, die dazu verleiten, sich auf unseriöse Deals einzulassen, während die Hintermänner ihre Energie darauf verwenden, diesen Eindruck zu verwischen.

Obwohl "Kommissariat 9" keine horizontale Entwicklung verfolgte, wie sie in modernen Fernsehserien inzwischen üblich geworden ist, entsteht erst durch die Ansicht mehrerer Folgen ein schlüssiges Gesamtbild. Eine einzelne Episode hinterlässt in ihrem semi-dokumentarischen, von bürokratischer Langsamkeit bestimmten Charakter einen im Vergleich zur heute üblichen Bild- und Schnitttechnik gewöhnungsbedürftigen Eindruck, der mit jeder weiteren Folge nachlässt. Erst durch die Vielfältigkeit der Einblicke in Privathaushalte und Arbeitsleben entsteht das komplexe Bild einer Gesellschaft, dessen Kritik nicht dem einzelnen Opfer oder Täter gilt, sondern einer Gesamtdynamik, die den Erfolg über die Moral stellt (siehe auch Folge 9 „Kavaliersdelikt“ über steuerliche Abschreibungen). Wie gut diese Sichtweise 1975 ankam bleibt Spekulation. Fakt ist, dass die Serie nach den 13 von Wolfgang Staudte und Autor Wolfgang Schulz verantworteten Episoden eingestellt wurde und erst vier Jahre später unter anderer Federführung fortgesetzt wurde. Dieser Text bezieht sich allein auf die erste Staffel, die sowohl als stimmiges Zeitbild der aufstrebenden Bundesrepublik in den 70er Jahren, als auch wegen ihrer inhaltlichen kritischen Relevanz sehr zu empfehlen ist.

"Kommissariat 9" TV - Serie 1. Staffel, Deutschland 1975, Regie: Wolfgang Staudte, Drehbuch: Rolf Schulz, Darsteller : Herbert Steinmetz, Edgar Ott, Walter Riss, Peter Schiff, Peter Thom, Laufzeit : 13 x 25 Minuten

weitere im Blog besprochene Filme von Wolfgang Staudte:

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