Inhalt: Kriminalrat
Roth (Herbert Steinmetz), Hauptkommissar Dingelein (Edgar Ott) und
Oberkommissar Tuncnik (Walter Riss) sind Spezialermittler im „Kommissariat 9“,
dass zuständig ist für Wirtschaftskriminalität. Sie beobachten die Situation in
der Bundesrepublik auf allen Gebieten, aber eingreifen können sie häufig erst,
wenn eine Anzeige erstattet werden, wie von Walter Grimm (Peter Schiff), der
den Kredit für eine Altbauwohnung angezahlt hatte, die nicht von dem
Immobilienunternehmen saniert wurde. Nicht einmal die alten Mieter waren
ausgezogen, aber der Kredit muss bei der Bank weiter bedient werden, ohne das
Grimm sein Geld zurückbekommt, denn an die Hintermänner kommt die Polizei nicht
so einfach heran.
Ähnliche
Fälle, in denen Bürger arglos auf Versprechungen hereingefallen sind, häufen
sich täglich auf dem Schreibtisch der Polizisten, aber die Täter sind nur
schwer zu überführen. Der junge Arbeiter Wolfgang Wächter (Hans-Joachim Grubel)
hat Ehrgeiz und möchte nicht sein Leben lang an Maschinen stehen, sondern in
die Büroetage aufsteigen. Als er erfährt, dass sich ein Freund per Fernstudium
zum Fotografen ausbilden lässt, beschließt er an einer Weiterbildung zum
Computer-Fachmann teilzunehmen. Die Firma wirkt seriös und der Lehrer
kompetent, weshalb er seinen VW verkauft, um die Ausbildung zu bezahlen…
Mit "Kommissariat 9" brachte PIDAX am 21.02.2014 die 1975 im ARD-Vorabendprogramm gezeigte Fernsehserie heraus, deren erste Staffel vollständig von Regisseur Wolfgang Staudte verantwortet wurde. Die dreizehn etwa 25minütigen Episoden (leider fehlt auf der DVD die Episode 6 "Die Pyramide") zeichnen sich durch ihre genaue Beobachtung, die Dokumentation des damaligen Zeitkolorits und ihre gesellschaftskritische Sichtweise aus. Erst 1979 entstanden weitere Folgen der TV-Serie unter anderer Federführung, die ebenfalls bei PIDAX erscheinen. (Die grünen Links führen zur Amazon-Bestellseite).
Die
25minütigen Folgen der Fernsehserie "Kommissariat 9" liefen 1975
13mal am frühen Mittwochabend im Regionalprogramm der ARD und hinterließen
weder bei Krimi-Genre-Fans, noch bei Anhängern beliebter Darsteller dieser Zeit
einen bleibenden Eindruck. Das erstaunt wenig, denn die Serie widmete sich dem
trocken klingenden Thema "Wirtschaftskriminalität" und zu Beginn
jeder Folge gab Prof. Dr. Klaus Tiedemann, Direktor des Instituts für
Kriminologie der Universität Freiburg, eine Einführung in die kommenden ca. 20
Minuten, die sich unterschiedlichen Aspekten der Wirtschaft-skriminalität
widmeten, wie Immobilienbetrug (Folge 1 "Tamaro Bau GmbH &
Co.KG"), getürkte Weiterbildungsmaßnahmen (Folge 2 "Streben sie vorwärts")
oder Aktienschwindel (Folge 3 "Spekulationen").
Zwar gab es
auch in "Kommissariat 9" mit Kriminalrat Roth (Herbert Steinmetz),
Hauptkommissar Dingelein (Edgar Ott) und Oberkommissar Tuncnik (Walter Riss)
drei hauptamtliche Ermittler, aber diese griffen nur selten direkt in die
Handlung ein, etwa bei einem Verhör oder einem Gespräch mit den Opfern. In der
Regel befanden sie sich in ihrem karg ausgestatteten Büro beim Aktenstudium
oder bei der Diskussion zu einem neuen Fall. Entsprechend gilt die erste
Einblendung jeder Folge ihrem Türschild "K 9" und der letzte Blick
einem Aktenordner, vor dem die Credits ablaufen. Polizei-Action oder
Verhaftungen blieben Fehlanzeige, stattdessen gelang es den Hintermännern
häufig zu entkommen oder sie waren nur schwer mit juristischen Mitteln zu
überführen - die Geschädigten blieben dagegen mit ihrem Verlust zurück.
Prototypisch
lässt sich diese Inszenierungsform am Beispiel der fünften Folge
"Herzlich eingeladen" nachweisen, die sich den damals beliebten
Kaffeefahrten widmete. Nachdem Professor Tiedemann betont hatte, dass nicht
alle Veranstalter unseriös sind, beginnt die Spielhandlung in einer typischen
Einfamilienhaus-Vorortsiedlung, wo sich zwei jüngere Hausfrauen von einem
Werbezettel animiert fühlen, der Kaffee und Kuchen an beschaulichem Ort für
wenig Geld verspricht. Ihnen gefällt besonders die Beteiligung des
Schlagerstars Pit Wehling (Jochen Schröder), den sie von früher her kennen,
aber auch das ältere Ehepaar aus der Nachbarschaft beschließt, mitzufahren.
Peter Thom ("Geheime Lüste blutjunger Mädchen", 1978) als jovialer
Conferencier und Hans W. Hamacher als skrupelloser Geschäftsmann - in jeder
Folge gehörten renommierte Darsteller zur Besetzung - sorgten für eine hohe
Authentizität der als Ausflug getarnten Verkaufsveranstaltung, in der
angebliche Sonderangebote zu viel zu hohen Preisen angeboten werden.
Die drei
Wirtschaftspolizisten selbst tauchen nur kurz zwischendurch auf, als ihnen der
Prospekt der Kaffeefahrt von einem Konkurrenten anonym zugespielt wird, was sie
nur dazu veranlasst, den Zettel zu den Akten zu legen. Erst zum Schluss, als
der Sänger Pit Wehling zu ihnen in die Behörde kommt, weil er nicht aus seinem
Vertrag mit der unseriösen Veranstalterfirma herauskommt, tragen sie noch ein
paar grundsätzliche Erkenntnisse zu der Problematik bei, während die geprellten
Käufer auf ihren minderwertigen Waren sitzen bleiben und der Profiteur nicht
behelligt wird. Die Intention dahinter, mit erhobenem Zeigefinger die
Verbraucher zu warnen, scheint deutlich, aber Regisseur Wolfgang Staudte und
sein Drehbuchautor Rolf Schulz gingen weit darüber hinaus und entwarfen das
Bild einer wirtschaftlich prosperierenden Gesellschaft, die vor allem vom
Streben nach persönlichem Erfolg bestimmt wird.
Auffällig
ist die Seriosität, mit der die beiden Macher an jeden der sehr
unterschiedlichen Fälle herangingen, sowohl in der Charakterisierung der
Protagonisten und ihrer Art zu kommunizieren, als auch hinsichtlich der
Ausstattung und der teilweise internationalen Schauplätze. Zudem wird kein Fall
übertrieben dramatisiert und auch die Schäden (Verlust von Ersparnissen oder
ein Krankenhausaufenthalt nach dem Verzehr verdorbenen Fleisches) der Opfer
halten sich im Rahmen, ganz abgesehen davon, dass die Reihe die Ebene der
Privatverbraucher mehrfach verlässt. Fälle von gefälschten Gütestempeln für
Nahrungsmittel (Folge 4 "Guten Appetit") oder Subventionsbetrug
(Folge 12 "Ich bin ein Europäer") lassen einen generellen
gesellschaftskritschen Aspekt erkennen, der trotz der 70er Jahre Optik und
einiger altmodisch wirkender Begleiterscheinungen nichts an Aktualität verloren
hat.
Wenn
Professor Tiedemann zu Beginn der 8.Episode "Import aus Fernost" über
Steuerbetrug die Schizophrenie der Behörden beklagt, dass Steuersünder durch
Selbstanzeige der Strafverfolgung entkommen können, dann befindet er sich damit
unmittelbar in der heutigen Gegenwart, die sich inhaltlich kaum von der
Bundesrepublik der 70er Jahre unterscheidet. Es sind die Details, mit denen
Staudte seine Haltung deutlich werden lässt, die Wohnungseinrichtungen einer zu
bescheidenem Wohlstand gelangten Bürgerschicht oder der Luxus reicher
Geschäftsmänner. Häufig sind es nur Kleinigkeiten wie der Glaube an ein
Schnäppchen, eine hohe Rendite oder einen Geschäftsgewinn, das Hoffen auf einen
Karriereschritt oder bessere Bedingungen für die eigenen Kinder, die dazu
verleiten, sich auf unseriöse Deals einzulassen, während die Hintermänner ihre
Energie darauf verwenden, diesen Eindruck zu verwischen.
Obwohl
"Kommissariat 9" keine horizontale Entwicklung verfolgte, wie sie in
modernen Fernsehserien inzwischen üblich geworden ist, entsteht erst durch die
Ansicht mehrerer Folgen ein schlüssiges Gesamtbild. Eine einzelne Episode
hinterlässt in ihrem semi-dokumentarischen, von bürokratischer Langsamkeit
bestimmten Charakter einen im Vergleich zur heute üblichen Bild- und
Schnitttechnik gewöhnungsbedürftigen Eindruck, der mit jeder weiteren Folge
nachlässt. Erst durch die Vielfältigkeit der Einblicke in Privathaushalte und
Arbeitsleben entsteht das komplexe Bild einer Gesellschaft, dessen Kritik nicht
dem einzelnen Opfer oder Täter gilt, sondern einer Gesamtdynamik, die den
Erfolg über die Moral stellt (siehe auch Folge 9 „Kavaliersdelikt“ über
steuerliche Abschreibungen). Wie gut diese Sichtweise 1975 ankam bleibt
Spekulation. Fakt ist, dass die Serie nach den 13 von Wolfgang Staudte und
Autor Wolfgang Schulz verantworteten Episoden eingestellt wurde und erst vier
Jahre später unter anderer Federführung fortgesetzt wurde. Dieser Text bezieht sich
allein auf die erste Staffel, die sowohl als stimmiges Zeitbild der
aufstrebenden Bundesrepublik in den 70er Jahren, als auch wegen ihrer
inhaltlichen kritischen Relevanz sehr zu empfehlen ist.
"Kommissariat 9" TV - Serie 1. Staffel, Deutschland 1975, Regie: Wolfgang Staudte, Drehbuch: Rolf Schulz, Darsteller : Herbert Steinmetz, Edgar Ott, Walter Riss, Peter Schiff, Peter Thom, Laufzeit : 13 x 25 Minuten
weitere im Blog besprochene Filme von Wolfgang Staudte:
"Die Mörder sind unter uns" (1946)
"Rosen für den Staatsanwalt" (1959)
"Kirmes" (1960)
"Herrenpartie" (1964)
"Die Herren mit der weißen Weste" (1970)
"Rosen für den Staatsanwalt" (1959)
"Kirmes" (1960)
"Herrenpartie" (1964)
"Die Herren mit der weißen Weste" (1970)
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