Inhalt: Eine Frauenleiche, die aus dem Wasser gefischt wurde, wird auf eine Polizeistation gebracht. Obwohl sie offensichtlich Selbstmord beging, lächelt ihr Antlitz, was die Polizisten darüber sinnieren lässt, unter welchen Umständen sie starb:
Es
ist der letzte Abend, an dem Madeleine (Sybille Schmitz) als Sängerin auftritt,
obwohl sie in dem Nachtclub große Erfolge feierte. Viele Männer versuchen es
noch ein letztes Mal, sie für sich zu gewinnen, aber Madeleine glaubt nicht an
die große Liebe und hat sich längst entschieden, in einer Großstadt ein neues Engagement
anzunehmen. Als sie dort auf dem Bahnhof ankommt wird sie zufällig Zeuge eines
Diebstahls. Innerhalb einer großen Menschenmenge, die sich um den bekannten
Afrika-Forscher Thomas Bentick (Jean Galland) versammelt hatte, der gerade
seine Braut Evelyn (Ilse Abel) verabschiedet, schnappt sich ein Dieb eine
Tasche mit wertvollen Unterlagen, aber Madeleine kann die Polizei noch
rechtzeitig warnen.
Bentick und
seine Braut bedanken sich bei ihr, aber für Madeleine ist die Angelegenheit
schon erledigt. Nicht so für den Forscher, der die schöne Frau vor dem Bahnhof
stehen sieht und sie mit seinem Auto zu einem Hotel mitnimmt, dass er ihr
empfiehlt. Er selbst wohnt dort auch und bittet sie, ihm am Abend Gesellschaft
zu leisten. Sie sagt zu, obwohl sie am selben Abend ihren ersten Auftritt an
ihrer neuen Arbeitsstelle hat. Als man ihre Bitte, einen Tag später dort
beginnen zu können, ablehnt, kündigt sie spontan, zieht sich ein schönes Abendkleid
an und geht zu der Verabredung mit Bentick…
Nachdem
"Fährmann Maria" im Januar 1936 in die Kinos gekommen war, drehte
Regisseur Frank Wisbar noch im selben Jahr einen weiteren Film mit Sybille
Schmitz in einer tragenden Hauptrolle, der in mehrfacher Hinsicht prophetisch
wirkt - "Die Unbekannte". Der Film beginnt mit einer aufgebahrten
Frauenleiche, deren Schönheit, unterstrichen durch ein Lächeln in ihrem
Gesicht, die anwesenden Polizisten darüber sinnieren lässt, unter welchen
Umständen die junge Frau in den Freitod ging. Zurück geht diese
Ausgangssituation auf die inzwischen vergessene Legende über "Die
Unbekannte aus der Seine", die in der ersten Hälfte des letzten
Jahrhunderts zum Allgemeingut gehörte und sich in unzähligen Haushalten in Form
einer reproduzierten Totenmaske wieder fand, die häufig die Wände schmückte.
Die damalige Faszination erklärt sich aus dem für eine Wasserleiche
ungewöhnlich friedlichen Gesichtsausdruck und entfachte die Fantasien der
Betrachter, obwohl die Authentizität der Totenmaske nie bewiesen wurde.
Nicht
wenige Künstler ließen sich davon animieren und spielten in ihren Werken auf diese Legende an -
darunter Rainer Maria Rilke in seinem einzigen Roman "Die Aufzeichnungen
des Malte Laurids Brigge" (1910) - aber den größten Einfluss auf den
Mythos hatte die 1934 erschienene Novelle "Die Unbekannte" des
studierten Botanikers und späteren Schriftstellers Reinhold Conrad Muschler,
der mit einer rührseligen Geschichte um die junge Madeleine einen veritablen
Bestseller ablieferte. Seine Fiktion von der großen Liebe einer armen Waise zu
dem englischen Diplomaten Thomas, der ihre Gefühle zuerst erwidert -
selbstverständlich bewahren sie bei ihrer gemeinsamen Reise nach Paris immer
den moralischen Anstand - sich dann aber doch für die Frau entscheidet, mit der
er zuvor schon verlobt war, traf den Nerv der Zeit. Madeleine stirbt im
Bewusstsein ihrer ewigen Liebe mit einem glücklichen Lächeln, da für sie ein
Weiterleben nach Thomas' Ablehnung keinen Sinn mehr hat.
Autor
Muschler war seit 1932 Mitglied der NSDAP und drückte seine glühende Verehrung
für Adolf Hitler in den Büchern "Adolf Hitler unser Führer" (1933)
und "Das deutsche Führerbuch" (1934) aus. Eine Liebe, die nicht ewig
andauerte, wie sein Austritt aus der NSDAP 1937 dokumentiert, die seine
Schriftstellerkarriere unterbrach. Erst nach 1948 konnte er diese noch sehr
produktiv bis zu seinem Tod 1957 fortsetzen. Es bedarf keiner tiefgründigen
Interpretation, um die Geschichte von der glückseligen Selbstaufopferung
Madeleines in die Nähe der nationalsozialistischen Ideologie zu rücken, die das
persönliche Opfer für Führer und Vaterland propagierte. Auch die thematische
Linie zu Wisbars Vorgängerfilm "Fährmann Maria" wird darin
offensichtlich, in dem Sybille Schmitz ebenfalls eine Frau verkörperte, die
bereit ist, für ihre Liebe in den Tod zu gehen, dessen morbide, schwermütige
Umsetzung allerdings nur wenig Anklang beim Propagandaministerium fand.
Doch
während zu "Fährmann Maria" noch entsprechende
Hintergrundinformationen existieren, macht "Die Unbekannte" ihrem
Namen alle Ehre, obwohl es sich um die Verfilmung eines damals aktuellen
Bestsellers handelte - nicht einmal ein Filmplakat lässt sich zu einer
damaligen Vorführung finden. Noch weniger bekannt sind nur die zwei letzten
Filme Wisbars, bevor er aus Deutschland mit seiner jüdischen Frau emigrierte -
"Ball im Metropol" (1937) und "Petermann ist dagegen"
(1938). Sieht man von Aribert Mog ab, dessen NSDAP -Mitgliedschaft ihn nicht
davor bewahrte, eingezogen zu werden, weshalb er 1941 beim Russlandfeldzug
starb, verfügte der Cast von "Die Unbekannte" über keinen echten
Filmstar. Zwar ist hier Curd Jürgens in einer seiner ersten Rollen zu sehen,
aber der einzig relevante Part an der Seite von Sybille Schmitz, der des
englischen Diplomaten Thomas Bentick, wurde von Wisbar mit dem französischen
Mimen Jean Galland besetzt, der mit entsprechendem Akzent spricht und in keinem
weiteren deutschen Film mitwirkte. Doch allein die Besetzung von Sybille
Schmitz hätte genügen müssen, um für Aufmerksamkeit beim Publikum zu sorgen,
aber ihr Abstand zu den nationalsozialistischen Machthabern, gepaart mit ihrer
moralisch anrüchigen Haltung, schadete trotz ihrer Popularität zunehmend ihrer
Reputation.
Entscheidender
dafür, dass „Die Unbekannte“ im nationalsozialistischen Deutschland kein Erfolg
wurde und in Vergessenheit geriet, dürfte Frank Wisbars Bearbeitung der
Buchvorlage gewesen sein. Schon dass er Sybille Schmitz, deren Schönheit und
selbstbewusstes Auftreten eine geheimnisvolle Erotik ausstrahlte, die Rolle der
Madeleine spielen ließ, widersprach dem verklärten Frauenbild einer selbstlos
liebenden Waisen. Konsequenterweise veränderte Wisbar den Charakter der
weiblichen Hauptrolle und ließ seinen Star als Sängerin eines Nachtclubs
auftreten, der die Männer scharenweise zu Füßen liegen. Allein das zu Beginn
von ihr vorgetragene Lied „Die große Liebe ist nur ein Märchen“ mit der
Textzeile „…die Türen meines Herzens sind zu…“ genügt schon für den gesamten
Film. Entsprechend lässt sie eine Vielzahl an gebrochenen Männerherzen zurück,
als sie sich entscheidet, ein Engagement in einer anderen Stadt anzunehmen. Wisbars
Film lässt keinen Zweifel daran, dass sie sich auf konkrete Liebesabenteuer eingelassen
hatte, an denen sie nach kurzer Zeit wieder die Lust verlor. In einer späteren
Szene erkennt sie ein älterer Herr wieder, der ihr vorwirft, sie hätte einen
seiner begabtesten Studenten mit ihrer unmoralischen Lebensweise in die
Verzweiflung getrieben.
Auch die
männliche Hauptrolle wurde von Wisbar stark überarbeitet. Thomas Bentick ist im
Film kein englischer Diplomat, sondern ein in Deutschland lebender, sehr
bekannter Afrika-Forscher, dessen Nationalität offen bleibt. Er will in wenigen
Tagen zu einem 5jährigen Forschungsaufenthalt abreisen, verabschiedet sich aber
schon von seiner deutschen Verlobten Evelyn (Ilse Abel), die vorausfährt,
während er noch ein paar Formalitäten in Berlin erledigen muss. Am Bahnhof
begegnen sie Madeleine, die dank ihrer Aufmerksamkeit einen Diebstahl wichtiger
Unterlagen verhindern kann. Kaum hat Bentick seine Braut verabschiedet, wirbt
er offensiv um die schöne Madeleine, fährt sie zum Hotel und bittet sie um ihre
Begleitung bei einem abendliche Dinner. Die Art, wie sich Madeleine darauf
einlässt, widerspricht in jeder Hinsicht dem damals tradierten Frauenbild, dem
in Muschlers Roman gehuldigt wurde. In vollem Bewusstsein darüber, dass Bentick
verlobt ist und damit ihre fatalistische Haltung über die Liebe bestätigt,
kündigt sie ihre neue Arbeitsstelle, weil ihr nicht erlaubt wurde, einen Tag
später zu beginnen, und geht in einem schicken Abendkleid zu der Verabredung.
Nicht mehr
an die Arbeitsstelle gebunden, willigt sie ein, mit Thomas nach Berlin zu fahren,
aber mit einer romantischen Liebesreise nach Paris, wie sie Muschler in seinem
Buch beschrieb, hat das wenig zu tun. Viel mehr entsteht ein Wechselspiel
zwischen dem Werben des sehr wohlhabenden Lebemanns und der attraktiven,
selbstbewussten Frau, die spürt, dass sie tiefe Gefühle für ihn entwickelt. Nur
in dieser emotionalen Ebene lassen sich Parallelen zur literarischen Vorlage
erkennen, aber Wisbar zieht entgegengesetzte Schlüsse daraus. Nicht Thomas
entscheidet sich gegen Madeleine, sondern sie schickt ihn zu seiner Braut. Ihre
letzte Entscheidung wird zu einer Bestätigung des Liedes, das sie zu Beginn
sang - „Die große Liebe ist nur ein Märchen“. Einen Moment lang trauert sie, aber
ihr letzter Weg erinnert nicht an einen Selbstmord, sondern an ein Wandeln in
die Ewigkeit mit einem zufriedenen Lächeln auf dem Gesicht.
Frank Wisbar
nahm der „Unbekannten aus der Seine“ die Rückständigkeit einer idealisierten passiven
und keuschen Frauenfigur, und verlieh ihr in der von Sybille Schmitz verkörperten
Madeleine einen erotischen, selbstbewussten Gestus. Damit konnte er die
Erwartungshaltung an eine Romanverfilmung schwerlich erfüllen, aber die
eigentliche Tragik des Films erschließt sich erst heute. Nur mit Sybille
Schmitz, deren individueller Charakter zwar die Menschen faszinierte,
gleichzeitig aber nicht in ihre Zeit passte und fremd blieb, konnte Wisbars
Film funktionieren. Als sie 1955 an einer Überdosis Tabletten starb war sie ihr
Leben lang geblieben, was der Film prophezeite – „Die Unbekannte“.
"Die Unbekannte" Deutschland 1936, Regie: Frank Wisbar, Drehbuch: Frank Wisbar, Reinhold Conrad Muschler (Roman), Darsteller : Sybille Schmitz, Jean Galland, Aribert Mog, Ilse Abel, Curd Jürgens, Laufzeit : 86 Minuten
weitere im Blog besprochene Filme von Frank Wisbar:
"Fährmann Maria" (1936)
"Haie und kleine Fische" (1957)
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