Inhalt: Zenoff
(Lucas de Chabanaix) kommt zu einem prächtigen Schloss, umgeben von einer
großflächigen Parkanlage, die Yald (Fred Saint-James) gehört, der hier umgeben
von seinen Anhängern ein Leben jenseits bürgerlicher Wertvorstellungen führt -
nur der eigenen Lust verpflichtet. Entsprechend ablehnend reagiert er auf das
Ansinnen des jungen Zenoff, der seine Geliebte Xenia (Souchka) von hier abholen
will, denn Besitzdenken ist ihm fremd. Er selbst will Xenia heiraten, die ihm
aber nicht allein gehören wird, sondern sich nach ihrem eigenen Wunsch mit
Jedem einlassen darf.
Zenoff
reagiert empört, auch weil er Yalds Philosophie als Diktatur versteht, mit der
dieser nur seine eigenen Vorstellungen umsetzen will. Er wird mehrfach Zeuge
von harten Bestrafungen, die Jeden ereilen, der gegen dessen Ideen verstoßen
hat. Yald versucht ihm zu erklären, dass die Strafen der Erziehung des
Verurteilten dienen, damit dieser ganz in den Zustand völliger innerer Freiheit
geraten kann. Auch Zenoff sollte dieses begreifen, aber er will nur Xenia
zurück, die ganz im Bann Yalds zu stehen scheint...
Über den im
Alter von 55 Jahren 1999 verstorbenen französischen Regisseur und Drehbuchautor
Jacques Scandelari lassen sich nur wenige Informationen finden, obwohl seine
Vita einige bemerkenswerte Details aufweist. Die gesellschaftliche
Umbruchsphase der 60er Jahre - das Aufbegehren gegen verkrustete Strukturen und
die damit einhergehende sexuelle Revolution - wurde zur Initialzündung seines
filmischen Werks, das innerhalb weniger Jahre zwischen 1971 und 1978 entstand
und dessen erotische Ausrichtung bis zur Pornografie - 1977 und 1978 drehte er
unter dem Pseudonym Marvin Merkens drei Schwulen-Pornos in New York – signifikant
für seinen Stil wurde.
Auch der
Einfluss des 20 Jahre älteren Erotikfilm-Pioniers José Bénazéraf lässt sich
unschwer feststellen. Bénazéraf produzierte Scandelaris frühen Kurzfilm
"Models International" (1966) und schrieb das Drehbuch dazu, dass
sich thematisch an seinen Film "Cover-Girls" (Cover Girls - die ganz
teuren Mädchen, 1964) anlehnte. Zudem wirkte Scandelari gemeinsam mit
Jean-Pierre Deloux am Drehbuch zu Bénazérafs Film "Joë Caligula - Du suif
chez les dabes" (Joe Caligula, 1966) mit, eine Zusammenarbeit, die sie
beim Drehbuch zu "La philosophie dans le boudoir" wiederholten. Der
deutsche Titel "Das Paradies" verschweigt, dass sie sich damit
konkret auf einen Text Marquis de Sades bezogen, der auch unter dem Titel
"Die lasterhaften Lehrmeister" als Grundlage zur Erziehung junger
Damen von De Sade erdacht wurde.
Wichtiger
war für Scandelari die darin enthaltene Aufforderung "Franzosen, noch eine
Anstrengung, wenn ihr Republikaner sein wollt", womit De Sade die
sittlich-moralische Befreiung nach der französischen Revolution forcieren
wollte - der Bürger sollte seinen aggressiven Trieben frei nachgehen dürfen.
Die Parallelen zur Phase des tief greifenden gesellschaftlichen Wandels Ende
der 60er Jahre waren offensichtlich, weshalb Scandelari in seinem Drehbuch eine
Kombination aus den sado-masochistischen Ideen De Sades und den
gesellschaftspolitischen Forderungen der Protestbewegung herzustellen
versuchte. Filme über freie Liebe und die Ablehnung jeden Besitzdenkens -
emotional wie materiell - hatten zu dieser Zeit Konjunktur, aber Scandelari
entwickelte daraus ein Szenario, dass nur innerhalb eines begrenzten Raumes
stattfand und dank seiner erotischen Bildsprache zum Voyeurismus einlud.
Damit
verabschiedete sich der Film von De Sades generalistischem Ansatz und schuf
eine Welt von wenigen Wissenden unter der Leitung ihres charismatischen
Anführers Yald (Fred Saint-James), nach dessen Philosophie die Gemeinschaft in
einem pompösen Schloss, umgeben von einem riesigen Park, ihren individuellen,
nur der eigenen Lust gehorchenden Lebensvorstellungen nachgeht. Scandelari
bemühte sich gar nicht erst, diese Ausgangssituation als Keimzelle für eine
umfassende Metamorphose zu postulieren, sondern betonte die Abgrenzung zur
Außenwelt. Wer gegen das Gesetz der absoluten Freiheit verstößt, bekommt die
Möglichkeit, sich durch eine Flucht aus dem Gelände der Strafe zu entziehen,
aber keiner der Delinquenten nimmt diese Chance wahr, sondern unterzieht sich
lieber Yalds Urteil.
Der junge
Mann Zenoff (Lucas de Chabaneix) tritt von Außen in diesen abgeschlossenen
Zirkel und übernimmt damit die Position des Skeptikers, der Yalds Philosophie
für verlogen und egoistisch hält. Er ist nur gekommen, um seine Geliebte Xenia
(Souchka) zu sich zu holen, muss aber feststellen, dass diese sich völlig den
Vorstellungen Yalds verschrieben hat und ihm nicht folgen will. Der Film
erzählt keine typische Story, sondern schildert die Konfrontation zwischen bürgerlichen
Vorstellungen und einer Gesellschaft, die sich nur ihrer Lust und ihren eigenen
Gesetzmäßigkeiten unterordnet. Scandelari setzte sich damit zwischen alle
Stühle, denn für ein anti-bürgerliches Statement ist Yalds Gegenentwurf zu
dekadent und auf einen Anführer zugeschnitten, aber auch der in seiner
Kleingeistigkeit verharrende Zenoff, dessen Liebe zu Xenia genau die
egoistischen Züge annimmt, die Yald zuvor kritisierte, eignet sich nicht zur
Identifikation.
"La
philosophie dans le boudoir" ist in seiner Kombination aus Provokation, Extravaganz,
Erotik und Utopie ein Kind seiner Zeit, aber der Film hat seine Kraft nicht
verloren. Die erotischen Darstellungen, auch hinsichtlich einiger
ungewöhnlicher sexueller Vorlieben, verfügen nicht mehr über ihre damalige
Wirkung, aber Scandelaris Bildsprache, die extremen Kamerawinkel, Hell-Dunkel-
und Spiegeleffekte verweisen auf die Schule Bénazérafs und können in ihrer
optischen Opulenz nach wie vor überzeugen. Auch der philosophische Ansatz
befeuert bis heute den Diskurs, da er sich weder einer Seite anbiederte, noch
Realität behauptete, sondern die Widersprüche zwischen Macht und Freiheit, Lust
und Schmerz zuließ.
"La philosophie dans le boudoir" Frankreich 1971, Regie: Jacques Scandelari, Drehbuch: Jacques Scandelari, Jean-Pierre Deloux, Marquis De Sade (Literaturvorlage), Darsteller : Souchka, Lucas De Chabaneix, Fred Saint-James, Marc Coutant, Sabry, Laufzeit : 89 Minuten
"Das Paradies" lief in der seltenen deutsch synchronisierten Fassung am 03.01.2014 beim 12. Hofbauer-Kongress in Fürth nach "Die Ernte der sündigen Mädchen". Scandelari wurde unmittelbar von José Bénazéraf beeinflusst, der auch als wichtiger Wegbereiter der deutschen Erotik-Filmszene gilt und bei der deutschen Produktion "St.Pauli zwischen Nacht und Morgen" Regie führte.
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