Inhalt: Peter
Kremer (Erich Fritze) ist nach 20 Jahren in Kanada wieder nach Deutschland
zurück gekehrt, hat sich in der Nähe von München auf dem Land ein Haus gekauft
und beabsichtigt, dort in Ruhe von seinem hart erarbeiteten Vermögen zu leben.
Bevor er erstmals zu seinem Landsitz fahren will, übernachtet er in einem
Münchner Hotel, wo er am späten Abend von einer nur mit einem Handtuch
bekleideten Frau überrascht wird, die an seine Zimmertür klopft.
Kitty
(Erika Remberg) hatte Ärger mit einem aufdringlichen Kerl, der ihre Kleider
zerriss, weshalb sie Peter Kremer bittet, zu ihrem Bruder Jochen (Lutz
Hochstraate) in der Nähe zu fahren, um ihr etwas zum Anziehen zu holen. Kremer
hilft der hübschen jungen Frau gerne, mit der er auch den nächsten Tag verbringt.
Schon lange von seiner Ehefrau getrennt lebend, verliebt er sich spontan und
nimmt Kitty und ihren jüngeren, kränkelnden Bruder mit zu seinem neuen Haus auf
dem Land...
An Günter
Hendels allgegenwärtiger Mitwirkung an seinem ersten Film "Soviel nackte
Zärtlichkeit" wird nicht nur die Bedeutung dieses Films für ihn selbst
ersichtlich, sondern zeigte sich die Aufbruchstimmung, die unter den
Filmschaffenden Ende der 60er Jahre in Deutschland herrschte. Die Aufweichung
eherner moralischer Strukturen, eine Atmosphäre kontroverser
gesellschaftspolitischer Diskussionen und der Einfluss des europäischen
Genre-Kinos schufen die Basis für etwas Neues. Dass Hendel neben der
Produktion, der Regie und dem Drehbuch in einer prägenden Nebenrolle mitspielte
und die Filmmusik komponierte, lässt nur einen Schluss zu - er wollte diesen
Film unbedingt machen. Nur die Kameraarbeit überließ er Franz Vass, der seine
Begeisterung teilte, wie er mit seinen Produktionen "Jungfrau aus zweiter
Hand" (1967) und "Vulkan der höllischen Triebe" (1968) zuvor
schon bewies.
"Soviel
nackte Zärtlichkeit" beginnt entsprechend mit der Konfrontation von
konservativen Wertvorstellungen und den Insignien der Moderne - eine
Auseinandersetzung, die stilbildend für den Film sein sollte und Hendels
Haltung widerspiegelte. Der Pfarrer eines kleinen bayerischen Dorfes kommt nach
München, um die junge Eva (Doris Arden) aus einem Strip-Lokal zurückzuholen, wo
sie als Animiermädchen arbeitet. Die Rolle des Priesters übernahm Hendel konsequenterweise
gleich selbst, denn dieser greift im weiteren Verlauf des Films noch mehrfach
in die Handlung ein. Ohne Moralpredigten und bigottes Getue betrachtet er das
Leben mehr von seiner praktischen Seite – seine konservative Haltung damit
tatkräftig verteidigend. Das klappt auch bei der blonden Eva, die ihm brav in
die ländliche Heimat folgt, nachdem er dem Bar-Keeper einen Faustschlag
verpasste.
Neben dem Priester
und Eva gehörten Hendels Sympathien noch dem Polizisten des Dorfes (Klaus
Krüger), aber innerhalb des Films spielen sie nur eine Nebenrolle. Die drei
Protagonisten verkörperten dagegen die extremen Haltungen des damaligen
Diskurses in der BRD, woraus Hendel fast unmerklich eine Thriller-Handlung
entwickelte. Peter Kremer (Erich Fritze) steht stellvertretend für das alte
Deutschland. Kurz nach dem Krieg war er für zwanzig Jahre nach Kanada
ausgewandert, wo er sich mit harter Arbeit ein Vermögen verdiente. Jetzt hat er
sich einen Landsitz im Voralpenland zugelegt, wo er seinen Lebensabend in Ruhe
genießen will. Was dem körperlich fitten Selfmade-Man zu seinem Glück noch fehlt,
ist eine Frau, denn seine kinderlos gebliebene Ehe ist schon vor vielen Jahren
in Kanada gescheitert. Als die hübsche Kitty (Erika Remberg), nur mit einem
Handtuch verhüllt, vor seiner Hotelzimmertür in München steht – angeblich hatte
ein aufdringlicher Kerl ihr Kleid zerrissen - reagiert er ganz als Kavalier
alter Schule, aber seine innere Begeisterung kann er kaum verbergen.
Während
sich Kitty und er am folgenden Tag schnell näher kommen, gesellt sich noch eine
weitere Figur dazu, die klischeehaft alle damaligen Vorurteile gegen die
deutsche Jugend bestätigte. Kittys jüngerer, kränklicher Bruder Jochen (Lutz
Hochstraate) zeichnet sich vor allem dadurch aus, jede ihm gewährte Vergünstigung
skrupellos anzunehmen, ohne selbst irgendetwas zu leisten - außer, dass er sich
mehr schlecht als recht als Schriftsteller versucht. Da Kremer Kitty zu seinem
neuen Wohnsitz mitnehmen möchte, kommt er um ihren Bruder nicht herum, den sie
auf Grund seiner Krankheit nicht allein lassen kann. Auch auf dem Land kennt
Jochen keine Hemmungen, raucht trotz seiner Lungenbeschwerden, trinkt Alkohol,
okkupiert den neuen Farbfernseher und hört laut Musik. Zudem verführt er die
dank der Fürsprache des Priesters als Haushaltshilfe eingestellte Eva zum Sex
und sieht gemeinsam mit ihr Pornos – das teure Abspielgerät hat er
selbstverständlich mit dem Geld Kremers bezahlt.
Dagegen
wirkt der seriös auftretende Geschäftsmann angenehmer, aber er will die
gesellschaftlichen Veränderungen in Deutschland nicht wahrhaben und verharrt in
alten Rollenbildern, was ihn berechenbar werden lässt. Die geheimnisvollste
Figur bleibt lange Zeit die sich zwischen diesen Polen bewegende Kitty, die an
einer ernsthaften Krankheit zu leiden scheint, aber die Situation zwischen den
drei Akteuren spitzt sich zunehmend zu und führt zu überraschenden Wendungen,
die ihre jeweiligen Positionen relativieren. Auch wenn sich Hendels Film einige
konstruierte Drehbuch-Kniffe leistet, entsteht doch das schlüssige Bild einer
sich verändernden Gesellschaft, das der Regisseur in dem gewählten Mikrokosmos
unterhaltsam zuspitzte. Sex und Habgier, Eigensinn und Überlegenheitsgefühl
gehen eine unheilvolle Allianz ein - „Soviel nackte Zärtlichkeit“ erweist sich
am Ende als Wunschtraum.
Hendels
Haltung dazu lässt sich an seiner Rolle als Priester ablesen – grundsätzlich
konservativ, aber die neuen Realitäten annehmend, greift er nur ein, wenn er es
für nötig hält. Ansonsten sieht er sich die brodelnde Angelegenheit gelassen
von Außen an und wartet ab, bis sich die Protagonisten selbst erledigt haben.
"Soviel nackte Zärtlichkeit" Deutschland 1968, Regie: Günter Hendel, Drehbuch: Günter Hendel, Darsteller : Erika Remberg, Erich Fritze, Lutz Hochstraate, Doris Arden, Günter Hendel, Laufzeit : 81 Minuten
"Soviel nackte Zärtlichkeit" lief am 02.01.2014 als erster Film des 12. Hofbauer-Kongresses in Nürnberg - die Aufnahmen wurden während der Aufführung von der seltenen, leider schon befallenen Filmkopie gemacht.
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