Inhalt: 1914
– Unter den jungen Offizieren, zu denen auch Baron Franz Ferdinand Trotta
(András Bálint) gehört, verbreitet sich schnell die frohe Kunde kommender
Kampfhandlungen, nachdem die K.u.K. Monarchie Österreich-Ungarn an der Seite
Deutschlands in den Krieg eingetreten ist. Doch bevor sie zur Front aufbrechen,
will Trotta noch schnell die von ihm geliebte Elisabeth (Doris Kunstmann)
heiraten, obwohl sie seiner Mutter als Bürgerliche nicht gefällt. Doch Trotta
setzt sich durch und hält erfolgreich um ihre Hand an. Die Hochzeitsnacht verläuft
weniger nach seinem Geschmack, denn Elisabeth verlässt ihn noch in derselben
Nacht, da er statt bei ihr am Sterbebett seines alten Dieners, der einen
Infarkt erlitten hatte, verweilt.
1918 – die
heroischen Zeiten sind vorbei und Trotta kommt nach langer Kriegsgefangenschaft
in Russland wieder nach Wien zurück. Die Adelstitel wurden in Österreich nach
dem Zusammenbruch der K.u.K.-Monarchie verboten, aber ihm bleibt noch der
Familiensitz, in dem er gemeinsam mit seiner Mutter wohnt. Elisabeth hat er
nicht vergessen und versucht, wieder Kontakt zu ihr aufzunehmen, obwohl sie mit
Almarin (Rosemarie Fendel) in einer lesbischen Beziehung zusammenlebt, wie es
hinter vorgehaltener Hand heißt. Seine Mutter rät ihm deshalb ab, aber er
beginnt sich regelmäßig mit Elisabeth zu verabreden bis es zu einem ersten,
mehr von ihm erzwungenen Beischlaf zwischen ihnen kommt. Wenig später stellt
sich heraus, dass Elisabeth schwanger ist. Und sie will das Kind gegen den
Willen ihrer Freundin bekommen…
Mit seinem zweiten Kinofilm "Trotta" gelang Johannes Schaaf 1971 ein überraschender Erfolg, denn die Verfilmung eines kritischen, vor dem 2.Weltkrieg entstandenen Romans unter Verwendung moderner Stilmittel traf den Nerv des damaligen Publikums. Trotz, vielleicht auch wegen seiner eigenständigen künstlerischen Umsetzung geriet "Trotta" vollständig in Vergessenheit und wurde auch nicht auf Video veröffentlicht. Ein Zustand, der dank des Labels FILMJUWELEN der Vergangenheit angehört, denn seit dem 28.03.2014 existiert eine sehr schöne DVD, die zudem über ein ca. 45minütiges, aktuelles Interview mit dem Regisseur Johannes Schaaf verfügt (Schaaf erwähnt den Tod seines Co-Autors Maxilimilian Schell, der am 01.02.2014 starb). Erst auf Basis der darin geäußerten Hintergrundinformationen war es mir möglich, "Trotta" angemessen zu rezensieren (die grünen Links führen zur Amazon-Bestellseite).
Johannes
Schaafs zweiter Kinofilm "Trotta" - seit den frühen 60er Jahre drehte
der auch als Schauspieler aktive, gelernte Theater-Regisseur, Fernsehfilme -
lief 1971 erfolgreich in den Kinos und wurde mit einer Vielzahl bundesdeutscher
Filmpreise bedacht, geriet aber trotzdem schnell wieder in Vergessenheit. Ein
nicht seltenes Schicksal deutscher Filme an der Schnittstelle zwischen dem Ende
des traditionellen Kinos der 50er und 60er Jahre und der aufkommenden
Unterhaltungs-Filmindustrie, die zunehmend von Hollywood-Produktionen bestimmt
werden sollte. Anders als Schaafs Kino-Erstling "Tätowierung" (1967),
der stilistisch unmittelbar auf den sich verändernden Zeitgeist der
aufkommenden Studentenunruhen reagierte, erfüllte "Trotta" mit einer
Mischung aus ruhig inszeniertem, qualitativem Schauspieler-Kino, historischen
Kulissen und seriös integrierten modernen Stilmitteln wie Eberhard Schöners von
einem Synthesizer interpretierte Wiener Caféhaus-Musik und erotischen Nuancen
gleichgeschlechtlicher Liebe, Anfang der 70er Jahre angesagte Kriterien. Zudem
eignete sich der Roman des jüdischen Autors Joseph Roth "Die
Kapuzinergruft", herausgegeben 1938, als ideale Vorlage, da er die Phase
bis zum Anschluss Österreichs an Nazi-Deutschland beleuchtete – eine inzwischen
generell akzeptierte, zeitkritische Thematik.
Mit Doris
Kunstmann und Rosemarie Fendel war „Trotta“ zwar prominent besetzt, aber der
restliche Cast setzte sich aus in Deutschland wenig bekannten ungarischen
Darstellern zusammen, da der Film größtenteils in Ungarn gedreht wurde – dort
fand Schaaf noch vermehrt die Überbleibsel der vergangenen K.u.K.-Monarchie und
des Österreichs der folgenden Jahre bis 1938 vor. „Die Kapuzinergruft“ beginnt
mit dem Ausbruch des 1.Weltkriegs 1914, womit Joseph Roth in seinem letzten
Roman den Faden seines 1932 veröffentlichten „Radetzky Marsch“ wieder aufnahm,
der den Zeitraum der K.u.K.-Monarchie bis zu deren Ende 1918 an drei
Generationen der Familie Trotta beleuchtete. Doch obwohl mit Franz Ferdinand
Trotta (András Bálint) erneut ein Mitglied dieser Familie im Mittelpunkt stand,
war „Die Kapuzinergruft“ keine konkrete Fortsetzung, denn „Radetzky Marsch“
endete mit dem Tod des letzten Trotta – damit auch das Ende des
Vielvölkerstaates Österreich-Ungarn symbolisierend - während es sich bei Franz
Ferdinand Trotta um den Abkömmling eines parallelen Familienzweigs handelte.
Joseph
Roths Intention für „Die Kapuzinergruft“ lag nahe. Nachdem er nach dem Ende des
1.Weltkriegs schon einmal den Niedergang seiner Heimat erleben musste – der
Autor wurde 1894 in Brody geboren, damals zu Österreich-Ungarn gehörend, ab
1919 polnisch und heute in der westlichen Ukraine liegend – wiederholte sich
die Geschichte wenig später. Österreich wurde Teil des großdeutschen Reiches
und vollendete damit den Untergang einer Epoche. Der 1.Weltkrieg steht am
Anfang dieses Endes, weshalb Schaafs Film mit dessen Ausbruch beginnt, den er
mit einer großartig geschnittenen Szene akustisch und optisch erfahrbar werden
lässt. Während ein Offizier mit schneidender Stimme die Notwendigkeit der
Kampfhandlungen nach einer langen Phase des Friedens herausschreit, unterbricht
der Film dessen Rede staccatoartig mit feiernden Jung-Offizieren, die sich
gegenseitig zuprosten. Die Szene endet mit dem dissonanten Klang ihrer
zusammenstoßenden Gläser. Ein noch mehrfach im Film erklingender Ton, zu dem
Schaaf jeweils die Handlung symbolisch einfrieren lässt – eine wegen ihrer
markanten Eigenständigkeit in Erinnerung bleibende, sehr gelungene
filmästhetische Umsetzung.
Einen
Augenblick lang, kurz vor dieser Szene gönnt der Regisseur dem Film einen
einzigen spielerisch ausgelassenen Moment, den er im Gellért-Bad in Budapest
aufnahm. Dessen homoerotische Attitüde mit den sich balgenden jungen Offizieren
vermittelt einen letzten melancholischen Blick auf eine vergangene Zeit.
Dagegen strahlen die hektischen Feierlichkeiten, mit denen viele Soldaten vor
ihrem Einsatz an der Front noch schnell ihre Hochzeit begehen, nur wenig Freude
aus. Die Hochzeitsnacht von Trotta misslingt entsprechend, da dessen alter
Hausdiener einen Infarkt erleidet. Seine frisch vermählte Ehefrau Elisabeth
(Doris Kunstmann) verlässt ihren Mann noch in derselben Nacht, da dieser nicht
bei ihr weilt. In der ursprünglichen Drehbuchfassung spielte der 1.Weltkrieg
noch eine wesentliche Rolle. Nicht hinsichtlich irgendwelcher Kampfhandlungen –
Joseph Roth und in Konsequenz daraus auch Johannes Schaaf verzichteten auf jede
Form des Aktionismus – sondern in der Beschreibung der langjährigen russischen
Kriegsgefangenschaft, in die Trotta gerät. Schaaf folgte dem Rat Maximilian
Schells, mit dem er das Drehbuch überarbeitete, auf die Kriegsphase zu
verzichten, und blendete vom Hurra-patriotischen Beginn unmittelbar zur Ankunft
der nach dem Krieg demoralisierten Soldaten über.
Diese
Entscheidung war konsequent, denn „Trotta“ unterscheidet sich besonders durch
den Verzicht auf vertraute Klischees, erklärende Details und eine zugespitzte
Dramatik von typischen Historien- oder Romanverfilmungen, der dem Film trotz des
offenkundigen historischen Bezugs eine bis heute spürbare Zeitlosigkeit
verleiht. Nicht die tatsächlichen Ereignisse spiegeln den Niedergang wider,
sondern die Figur des „Trotta“, in dessen hübschem Gesicht sich Sympathie,
Passivität und Hilflosigkeit vereinen. Trotta bleibt immer freundlich,
zuvorkommend und geduldig – selbst der unschöne Geschlechtsakt mit der ihm
überlegenen, kalkulierenden Elisabeth wirkt mehr ungeschickt als erzwungen –
während um ihn herum die ihm bekannte Welt zusammenbricht. Damit gelang
Johannes Schaaf der Spagat zu der damaligen, sich ebenfalls im Umbruch
befindenden Gegenwart. Viele Figuren – der Traditionalist, der Proletarier, der
Kommunist – ließen sich problemlos in die Entstehungszeit des Films
transportieren, aber besonders Rosemarie Fendel als Almarin verkörperte sowohl
optisch, als auch in ihrem selbstbewussten, emanzipierten, ihre lesbische Liebe offen lebenden Auftreten beide
Phasen ideal.
Während sie
die richtigen Schlüsse aus den Veränderungen zieht, verschwindet Trotta
einfach, nicht einmal fähig, sein Leben selbst zu beenden – zurück bleibt ein
Film, der aufs trefflichste Geschichte und Gegenwart vereinte und damit seine
Wirkung bis heute nicht verlor.
"Trotta" Deutschland 1971, Regie: Johannes Schaaf, Drehbuch: Johannes Schaaf, Maximilian Schell, Joseph Roth (Roman), Darsteller : András Bálint, Rosemarie Fendel, Doris Kunstmann, Elma Bulla, Tamás Major, Heinrich Schweiger, Laufzeit : 92 Minuten
weitere im Blog besprochene Filme von Johannes Schaaf:
"Tätowierung" (1967)
weitere im Blog besprochene Filme von Johannes Schaaf:
"Tätowierung" (1967)
Keine Kommentare:
Kommentar veröffentlichen