Dienstag, 17. Dezember 2013

Deutschland im Herbst (1978) Rainer Werner Fassbinder, Alexander Kluge, Volker Schlöndorff, Edgar Reitz u.a.

Inhalt: Deutschland im Herbst 1977 - Während dokumentarische Aufnahmen das Staatsbegräbnis für den von der RAF entführten und später ermordeten Arbeitgeberpräsidenten Hanns Martin Schleyer zeigen, erklingt dessen letzter an seinen Sohn gerichteter Brief vom 8.September 1977 aus dem Off. Die Bilder fangen auch die Schaulustigen am Rande, die aufgeregten Journalisten, die schwer bewaffneten Sicherheitsleute und die von einflussreichen Politikern und Geschäftsleuten niedergelegten Kränze ein.

Einblendung einer Texttafel mit der Aufschrift: „An einem bestimmten Punkt der Grausamkeit angekommen, ist es schon gleich, wer sie begangen hat: sie soll nur aufhören.“ 8.April 1945, Frau Wilde., 5 Kinder

Rainer Werner Fassbinder kommt in seine Münchner Wohnung, wo sein Lebensgefährte Meier überrascht reagiert, da er ihn noch nicht erwartet hatte. Fassbinder ist aufgeregt und glaubt, dass die drei inhaftierten Terroristen in Stammheim keinen Selbstmord begangen haben, sondern der Staat seine Hände mit im Spiel hat. Am nächsten Tag kommt es zu einer hitzigen, kontroversen Diskussion, an der sich auch Fassbinders Mutter beteiligt…


„Und als die Hähne krähten, da ward mein Auge wach,
da war es kalt und finster, es schrie’n die Raben vom Dach!“ 



Die Geschehnisse am 18.Oktober 1977 werden aus heutiger Sicht als Höhepunkt und Ende des „Deutschen Herbstes“ betrachtet. Die Befreiung der Geiseln aus einer Lufthansa Maschine in Mogadischu, der Selbstmord der führenden RAF-Terroristen Andreas Baader, Gudrun Ensslin und Jan-Carl Raspe im Gefängnis von Stuttgart-Stammheim und die am nächsten Tag folgende Ermordung von Hanns Martin Schleyer nach wochenlanger Entführung leiteten einen Wendepunkt ein, den im Herbst 1977 noch Niemand voraussehen konnte - erst seit wenigen Jahren lässt sich der damals eingeleitete Prozess nachvollziehen. Dagegen bedeutete für die Regisseure um Rainer Werner Fassbinder, Volker Schlöndorff und Alexander Kluge die gemeinsam mit Darstellern wie Mario Adorf, Heinz Bennent, Hannelore Hoger oder Sänger Wolf Biermann unter der Mitwirkung von Heinrich Böll am Drehbuch entworfene Film-Collage „Deutschland im Herbst“ ein unmittelbarer Ausdruck ihrer Emotionen angesichts der extrem aufwühlenden Ereignisse, welche heute als einmaliges, unausgewogen subjektives Stimmungsportrait dieser Zeit gelten kann.

Das daraus entstandene Konglomerat lässt sich nicht in Einzelteile dividieren. Zwar erkennt man die unterschiedlichen kreativen Stilmittel der Künstler - Alexander Kluges Neigung zur Dokumentation, Fassbenders melodramatisches Selbstporträt oder Schlöndorffs ironisches Fernsehspiel - aber die Szenen wurden so eng miteinander verflochten, dass daraus ein Puzzle - artiges Bild entstand, das dem Betrachter die Möglichkeit belässt, sich sein eigenes Urteil zu bilden. Angesichts aktueller Filme oder Dokumentationen zu dem Thema, die mit einer Vielzahl von Fakten eine scheinbare Objektivität erreichen wollen, wird bei Betrachtung von „Deutschland im Herbst“ erst deutlich, welcher Mut darin bestand, sich seinen Gefühle hinzugeben und damit auch angreifbar zu werden.

Entsprechend ließen die kritischen Reaktionen auf „Deutschland im Herbst“ auch nicht lange auf sich warten, denn der Film, der mit dokumentarischen Aufnahmen des Staatsaktes zur Beerdigung Hanns-Martin Schleyers beginnt und mit der schmucklosen Beerdingung von Ensslin, Baader und Raspe auf einem kleinen Friedhof am Rande Stuttgarts endet, entsprach nicht der damals (und im Prinzip auch noch heute) vorherrschenden Meinung. Er beinhaltete keine klare Verurteilung der Terroristen, sondern drückte persönliche Irritationen und Zweifel an rechtsstaatlichen Methoden aus, verbunden mit der Kritik an der fehlenden Aufarbeitung der Zeit des Nationalsozialismus – eine Mitte der 70er Jahre noch sehr aktuelle Diskussion. Den Filmemachern ihre politisch links gerichtete Haltung vorzuwerfen, genügte schon, um einen Film zu diffamieren, der den Versuch unternahm, die eigenen Gedanken zu ordnen, damit aber keine festgelegten Theorien formulierte, sondern vor allem die innere Unsicherheit ausdrückte.

Niemand der am Film Beteiligten rechtfertigte die Morde und Gewalttaten, nur legitimierte sich aus ihrer Sicht damit nicht automatisch das Handeln des Staates. Intensiv drückte Rainer-Werner Fassbinder das in seinem sehr persönlichen Beitrag aus, der schon wegen des Zusammenspiels mit seinem damaligen Lebensgefährten Armin Meier, der sich nur kurz nach der Entstehung des Films und der Trennung von ihm das Leben nahm, tief berührt. Er formulierte seine Zweifel am Selbstmord der drei „RAF“- Mitglieder innerhalb einer Diskussion mit Meier, der eine radikal andere Meinung vertritt (die dazu führt, dass sie sich prügeln und er ihn kurzfristig aus der Wohnung schmeißt), und mit seiner pragmatischen Mutter Liselotte Eder, die empfiehlt, lieber die Klappe zu halten, weil sonst schnell der Einruck des Sympathisanten entstände. Innerhalb dieses Trios nahm Fassbinder die Rolle des Skeptikers ein, der sich einfach nicht vorstellen konnte, wie Jemand wie Baader in den Besitz einer Waffe gelangt sein soll, obwohl er sich im sichersten Gefängnis Deutschlands befand, in dem jeden Tag dreimal die Zelle untersucht wurde. Damit drückte er die damaligen Zweifel aus, ohne konkrete Schuldzuweisungen zu nennen.

Doch allein eine solche Annahme galt schon als ungeheuerlich, weil sie dem Staat die Möglichkeit eines unkorrekten Verhaltens unterstellte – eine kritische Haltung, die keine Mehrheit fand. Schon die 68er Studentenrevolte scheiterte letztendlich an der fehlenden Unterstützung in der Bevölkerung und auch die „RAF“ verlor nach 1977 zunehmend an Unterstützung. Obwohl es danach noch einige schwerwiegende Attentate gab, konnten diese nicht mehr die allgemeine Hysterie erzeugen, wie sie im „deutschen Herbst“ und damit zur Entstehungszeit des Films vorherrschte – der Zenit an staatlicher Verunsicherung war überschritten, auch weil neue Gesetze eingeführt wurden, die die Bürgerrechte einschränkten und damit die Strafverfolgung erleichterten.

Bei aufmerksamer Betrachtung des Films lassen sich schon Zeichen für diese kommenden Veränderungen erkennen, wie etwa in den Worten des damals noch inhaftierten Horst Mahler, der später in die NPD eintrat. Mehr aber daran, dass es sich im Film um eine Momentaufnahme handelte, die zwingend zu einem anderen Zustand führen musste. Diese Unsicherheit im Ausdruck des damaligen Lebensgefühls macht den Film aus heutiger Sicht so wertvoll, da sie dem Betrachter unabhängig von seiner politischen Haltung die Möglichkeit belässt, seine eigene Schlüsse aus der weiteren Entwicklung der Bundesrepublik ab dem „Deutschen Herbst“ zu ziehen. Optimistisch war die Haltung der Macher um Kluge und Fassbinder nicht - im Zentrum des Films spielen sie Franz Schuberts „Frühlingstraum“ aus dem Lieder-Zyklus „Winterreise“, aber sie lassen die letzten Zeilen weg, in denen der Träumer versucht, wieder in den Traum zurückzukehren, aus dem er zuvor brutal geweckt wurde :

„Doch an den Fensterscheiben, wer malte die Blätter da ? -
Ihr lacht wohl über den Träumer, der Blumen im Winter sah?“

"Deutschland im Herbst" Deutschland 1978, Regie und Drehbuch: Rainer Werner Fassbinder, Alexander Kluge, Volker Schlöndorff, Edgar Reitz, Peter Schubert, Bernhard Senkel, Hans-Peter Cloos, Katja Rupé, Drehbuch: Heinrich Böll, Darsteller : Rainer Werner Fassbinder, Heinz Bennent, Mario Adorf, Hannelore Hoger, Vadim GlownaLaufzeit : 119 Minuten

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