Inhalt: Kurt
(Walter Giller) wird von seinem Verleger gefragt, ob er nicht noch einmal eine
schöne Liebesgeschichte schreiben könnte. Er reagiert skeptisch, aber als der
Verleger nachhakt, ob er allein in den Urlaub nach Schweden fahren will und
Kurt verneint, ist die Sache für ihn beschlossen.
Lydia (Jana
Brejchová), die er nur "Prinzessin" nennt - und die ihn im Gegenzug
mit Peter und anderen Namen anspricht - böte tatsächlich mehr als genug Stoff
für eine Liebesgeschichte, denn seit er sie vom gegenüberliegenden Bürohochhaus
entdeckt hatte, war aus ihnen trotz seiner ungeschickten Balzversuche ein Paar
geworden. Weshalb sie ohne das fehlendende Einverständnis von Frau Kremser
(Agnes Windeck), bei der Lydia zur Untermiete wohnte und die ein Auge auf ungebetene
Herrenbesuche hatte, beschlossen, gemeinsam in Urlaub zu fahren...
Nach der
"Spessart" - Fortsetzung "Das Spukschloss im Spessart"
(1960), erlebte Regisseur Kurt Hoffmann Anfang der 60er Jahre eine weniger
erfolgreiche Phase mit dem Musical "Schneewittchen und die sieben
Gaukler" (1962) sowie der Adaption eines Erich-Kästner Theaterstücks
"Liebe will gelernt sein" (1963), die sein letztes Jahrzehnt als
Filmschaffender einläutete, in dem er sich größtenteils Literaturverfilmungen
widmete. Neben zwei Neuinterpretationen der Curt-Goetz-Theaterstücke
"Dr.med. Hiob Praetorius" (1965) und "Hokuspokus" (1966)
mit Heinz Rühmann in der Hauptrolle, galt sein Augenmerk dem Roman des
israelisch-österreichischen Schriftstellers Moscheh Ya’akov Ben-Gavriêl
"Das Haus in der Karpfengasse" über die Judenverfolgung in Prag,
nachdem die Tschechei 1939 von Deutschland annektiert worden war, und den zwei
während der Zeit des Nationalsozialismus verbotenen Kurt Tucholsky Novellen
"Rheinsberg" und "Schloss Gripsholm".
Hoffmann
hatte mit "Wir Wunderkinder" (1958) und den satirischen
Spessart-Filmen schon bewiesen, dass er Unterhaltung und dezente
Gesellschaftskritik geschickt kombinieren konnte, aber mit diesen drei
Romanvorlagen begab er sich auf dünnes Eis, wie auch in der zeitgenössischen
Kritik nachzulesen ist. Wurde dem zuerst als Dreiteiler im Fernsehen gezeigten "Das Haus in der Karpfengasse" (1965) trotz filmtechnischer
Beanstandungen die historische und politische Relevanz zugestanden, galt seine
erste Tucholski-Umsetzung "Schloss Gripsholm. Eine Sommergeschichte"
als "anspruchslose
Kinounterhaltung" (Film-dienst) oder "zu einem betulichaufgekratzten
Kinostück abgemildert" (Der Spiegel). Auch dem 1967 folgenden
"Rheinsberg" wurde mit "ebenso gutherzig wie bieder" (Lexikon
des internationalen Films) und "anspruchslose Unterhaltung ab 14"
(Evangelischer Filmbeobachter) das gesellschaftskritische Potential der
Tucholsky-Vorlage abgesprochen.
Zu beiden
Filmen schrieb Herbert Reinecker das Drehbuch, doch während er die 1912
erschienene Novelle "Rheinsberg" zu ihrer Entstehungszeit spielen
ließ, versetzte er den schon unter dem Eindruck des wachsenden Einflusses der
Nationalsozialisten in Deutschland entstandenen "Schloss Gripsholm"
von 1931 in die bundesrepublikanische Gegenwart von 1963 - ein Risiko, das
Hoffmann bei seinen späteren Literaturverfilmungen nicht mehr einging, welches
die Rezeption des Films aus heutiger Sicht aber besonders interessant werden
lässt. Der Wegfall der kompletten Sequenz um das kleine Mädchen, das unter
einer sadistischen, deutschen Internatsleiterin leidet - eine konkrete
Anspielung auf die Faschisten - wurde von Hoffmann und Reinecker nicht nur mit
dem zeitlichen Sprung in die 60er Jahre begründet, sondern insgesamt als
unpassend empfunden. Eine solche Konstellation wäre im damaligen, wie im
gegenwärtigen Schweden unrealistisch gewesen, weshalb sie von dem anfänglichen
Versuch, diese Parallelstory zu integrieren, wieder abließen.
Möglicherweise
übertrieb Tucholsky im Eindruck der damaligen Ereignisse bewusst die dramatischen
Umstände um das Mädchen, aber durch den Verzicht darauf nahm die Verfilmung
der Vorlage den kontrastierenden Schatten und betonte nur die frech-fröhliche
Liebesgeschichte zwischen Kurt (Walter Giller) und Lydia (Jana Brejchová).
Diese wiederum wurde von Tucholsky so modern angelegt, dass sie keine zeitliche
Anpassung benötigte. Im Gegenteil war es Anfang der 60er Jahre nach wie vor
ungewöhnlich, als unverheiratetes Paar gemeinsam in Urlaub zu fahren – auch die
Rolle von Agnes Windeck als Tugendwächterin Frau Kessler, bei der Lydia zur
Untermiete wohnt, war noch zeitgemäß. Kurts Reaktion auf den Wunsch seines
Verlegers, noch einmal eine Liebesgeschichte zu verfassen, „Liebe? – Wer glaubt
heute noch an die Liebe?“ konnte Reinecker wörtlich aus der Novelle übernehmen, denn die von Walter
Giller in einem modernen Büro-Hochhaus mit Blick über die Stadt Hamburg
gesprochenen Worte, haben bis heute nichts von ihrer Aktualität verloren. Das
gilt auch für eine Vielzahl weiterer Dialoge, die Tucholsky direkt zitierten
und dem Film eine intelligente - auch sentimentale Situationen souverän
umschiffende - Leichtigkeit verliehen.
Während
Walter Giller sehr gut Ernsthaftigkeit und Verliebtheit zusammen brachte, wirkt Jana Brejchovás Spiel angepasst an den damaligen 60er Jahre Frauengeschmack. Die
junge tschechische Darstellerin war schon seit Mitte der 50er Jahre bekannt für
ihr natürliches Spiel, aber ihre Verkörperung einer lebenslustigen und trotz
ihrer offensiven Herangehensweise, unschuldig wirkenden jungen Frau orientierte
sich mehr an Liselotte Pulvers Piroschka in Kurt Hoffmann 1955 gedrehten Film
„Ich denke oft an Piroschka“ als an eine Großstädterin in der BRD der 60er
Jahre. Der Spiegel vermisste das „Missingsch“ an der Figur der Lydia - ein Dialekt, der entsteht, wenn ein plattdeutsch sprechender Mensch versucht
Hochdeutsch zu reden - aber diese Eigenart ließ sich kaum authentisch
transportieren. Entscheidender sind die Szenen, in denen Lydia ständig mit
ihrer hohen Stimme vor irgendwelchen Herren herum scharwenzelt, die
selbstverständlich komplett begeistert sind von der kessen, hübschen jungen
Frau – eine Kreation, die nicht von Tucholsky stammte, der die Figur der Lydia
mit dunkler Stimme sprechen ließ und sie emanzipierter gestaltete.
Vielleicht
war es zur Entstehungszeit des Films notwendig, den Charakter einer
unverheirateten jungen Frau, die offensichtlich Sex mit einem Mann hat, für ein
großes Kinopublikum auf diese Weise abzuschwächen, aber glücklicherweise
beschränkte sich der Film damit auf seine erste Hälfte. In dem Moment, in dem
Kurt und Lydia ihr Zimmer auf „Schloss Gripsholm“ beziehen, verlieh Jana
Brejchová ihrer Rolle deutlich ernsthaftere Züge, wirkte nachdenklicher und
weniger sprunghaft. Zudem bereicherten Hanns Lothar als Kurts bester Freund
Karlchen sowie Nadja Tiller als ihre Freundin Billie die Szenerie, was „Schloss
Gripsholm“ erheblich aufwertete. Wie konkret das damalige Publikum die „Menage
a trois“ zwischen den beiden Freundinnen und Kurt empfunden haben wird, ist
heute schwer zu sagen – Kurt Hoffmann nahm sie ernst, ohne ihr zuviel Bedeutung
beizumessen. Für den Gesamteindruck des Films spielte diese von Tucholsky
gewagte Konstellation keine wesentliche Rolle, sondern bestätigte nur dessen
grundsätzlich liberalen Charakter.
Die Kritik
an Hoffmanns Version von Tucholskys „Schloss Gripsholm“ ist hinsichtlich des
Abschliffs einiger Ecken und Kanten gerechtfertigt, ändert aber nichts daran, dass
die im Film entwickelten Geschlechterrollen und Lebensentwürfe heute noch
modern wirken. Das Thema „Heiraten“ zieht sich zwar wie ein roter Faden durch
die Handlung, wird aber eher spielerisch bedient und letztlich offen gelassen –
angesichts aktueller Liebes-Komödien eine geradezu provokative Lässigkeit.
Hoffmann agierte weniger konkret als Tucholsky, aber er gab unmissverständliche
Zeichen seiner Haltung. Einmal legt Walter Giller in seiner Rolle ein Buch zur
Seite, das er zuvor gelesen hatte. Einen Moment ist das Cover zu sehen und
lässt den Titel „Die Kapitulation oder Der real existierende Katholizismus“
erkennen. Geschrieben wurde die ebenfalls 1963 erschienene, kontrovers
diskutierte „Streitschrift“ von Carl Amery, einem „linken Nonkonformisten“ (Der
Spiegel), der darin als praktizierender Katholik die Katholische Kirche in
Deutschland und ihre Rolle während des Nationalsozialismus heftig kritisierte.
„Schloss Gripsholm“ als „anspruchslose
Kinounterhaltung“ abzuqualifizieren, konnte nur aus dem unmittelbaren Vergleich
mit Tucholskys Novelle entstehen, lässt sich aber nicht mehr aufrecht erhalten
– im Vergleich zu heutigen Liebesfilmen wirkt Hoffmanns Film intelligent,
frisch und gewagt.
"Schloss Gripsholm" Deutschland 1963, Regie: Kurt Hoffmann, Drehbuch: Herbert Reinecker, Kurt Tucholsky (Novelle), Darsteller : Walter Giller, Jana Brejchová, Nadja Tiller, Hanns Lothar, Agnes Windeck, Laufzeit : 104 Minuten
weitere im Blog besprochene Filme von Kurt Hoffmann:
"Quax, der Bruchpilot" (1941)
"Ich denke oft an Piroschka" (1955)
"Heute heiratet mein Mann" (1956)
"Das Wirtshaus im Spessart" (1958)
"Wir Wunderkinder" (1958)
"Das Spukschloss im Spessart" (1960)
"Herrliche Zeiten im Spessart" (1967)
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