Mittwoch, 4. Dezember 2013

Schloss Gripsholm (1963) Kurt Hoffmann

Inhalt: Kurt (Walter Giller) wird von seinem Verleger gefragt, ob er nicht noch einmal eine schöne Liebesgeschichte schreiben könnte. Er reagiert skeptisch, aber als der Verleger nachhakt, ob er allein in den Urlaub nach Schweden fahren will und Kurt verneint, ist die Sache für ihn beschlossen.

Lydia (Jana Brejchová), die er nur "Prinzessin" nennt - und die ihn im Gegenzug mit Peter und anderen Namen anspricht - böte tatsächlich mehr als genug Stoff für eine Liebesgeschichte, denn seit er sie vom gegenüberliegenden Bürohochhaus entdeckt hatte, war aus ihnen trotz seiner ungeschickten Balzversuche ein Paar geworden. Weshalb sie ohne das fehlendende Einverständnis von Frau Kremser (Agnes Windeck), bei der Lydia zur Untermiete wohnte und die ein Auge auf ungebetene Herrenbesuche hatte, beschlossen, gemeinsam in Urlaub zu fahren...


Nach der "Spessart" - Fortsetzung "Das Spukschloss im Spessart" (1960), erlebte Regisseur Kurt Hoffmann Anfang der 60er Jahre eine weniger erfolgreiche Phase mit dem Musical "Schneewittchen und die sieben Gaukler" (1962) sowie der Adaption eines Erich-Kästner Theaterstücks "Liebe will gelernt sein" (1963), die sein letztes Jahrzehnt als Filmschaffender einläutete, in dem er sich größtenteils Literaturverfilmungen widmete. Neben zwei Neuinterpretationen der Curt-Goetz-Theaterstücke "Dr.med. Hiob Praetorius" (1965) und "Hokuspokus" (1966) mit Heinz Rühmann in der Hauptrolle, galt sein Augenmerk dem Roman des israelisch-österreichischen Schriftstellers Moscheh Ya’akov Ben-Gavriêl "Das Haus in der Karpfengasse" über die Judenverfolgung in Prag, nachdem die Tschechei 1939 von Deutschland annektiert worden war, und den zwei während der Zeit des Nationalsozialismus verbotenen Kurt Tucholsky Novellen "Rheinsberg" und "Schloss Gripsholm".

Hoffmann hatte mit "Wir Wunderkinder" (1958) und den satirischen Spessart-Filmen schon bewiesen, dass er Unterhaltung und dezente Gesellschaftskritik geschickt kombinieren konnte, aber mit diesen drei Romanvorlagen begab er sich auf dünnes Eis, wie auch in der zeitgenössischen Kritik nachzulesen ist. Wurde dem zuerst als Dreiteiler im Fernsehen gezeigten "Das Haus in der Karpfengasse" (1965) trotz filmtechnischer Beanstandungen die historische und politische Relevanz zugestanden, galt seine erste Tucholski-Umsetzung "Schloss Gripsholm. Eine Sommergeschichte" als  "anspruchslose Kinounterhaltung" (Film-dienst) oder "zu einem betulichaufgekratzten Kinostück abgemildert" (Der Spiegel). Auch dem 1967 folgenden "Rheinsberg" wurde mit "ebenso gutherzig wie bieder" (Lexikon des internationalen Films) und "anspruchslose Unterhaltung ab 14" (Evangelischer Filmbeobachter) das gesellschaftskritische Potential der Tucholsky-Vorlage abgesprochen.

Zu beiden Filmen schrieb Herbert Reinecker das Drehbuch, doch während er die 1912 erschienene Novelle "Rheinsberg" zu ihrer Entstehungszeit spielen ließ, versetzte er den schon unter dem Eindruck des wachsenden Einflusses der Nationalsozialisten in Deutschland entstandenen "Schloss Gripsholm" von 1931 in die bundesrepublikanische Gegenwart von 1963 - ein Risiko, das Hoffmann bei seinen späteren Literaturverfilmungen nicht mehr einging, welches die Rezeption des Films aus heutiger Sicht aber besonders interessant werden lässt. Der Wegfall der kompletten Sequenz um das kleine Mädchen, das unter einer sadistischen, deutschen Internatsleiterin leidet - eine konkrete Anspielung auf die Faschisten - wurde von Hoffmann und Reinecker nicht nur mit dem zeitlichen Sprung in die 60er Jahre begründet, sondern insgesamt als unpassend empfunden. Eine solche Konstellation wäre im damaligen, wie im gegenwärtigen Schweden unrealistisch gewesen, weshalb sie von dem anfänglichen Versuch, diese Parallelstory zu integrieren, wieder abließen.

Möglicherweise übertrieb Tucholsky im Eindruck der damaligen Ereignisse bewusst die dramatischen Umstände um das Mädchen, aber durch den Verzicht darauf nahm die Verfilmung der Vorlage den kontrastierenden Schatten und betonte nur die frech-fröhliche Liebesgeschichte zwischen Kurt (Walter Giller) und Lydia (Jana Brejchová). Diese wiederum wurde von Tucholsky so modern angelegt, dass sie keine zeitliche Anpassung benötigte. Im Gegenteil war es Anfang der 60er Jahre nach wie vor ungewöhnlich, als unverheiratetes Paar gemeinsam in Urlaub zu fahren – auch die Rolle von Agnes Windeck als Tugendwächterin Frau Kessler, bei der Lydia zur Untermiete wohnt, war noch zeitgemäß. Kurts Reaktion auf den Wunsch seines Verlegers, noch einmal eine Liebesgeschichte zu verfassen, „Liebe? – Wer glaubt heute noch an die Liebe?“ konnte Reinecker wörtlich aus der Novelle übernehmen, denn die von Walter Giller in einem modernen Büro-Hochhaus mit Blick über die Stadt Hamburg gesprochenen Worte, haben bis heute nichts von ihrer Aktualität verloren. Das gilt auch für eine Vielzahl weiterer Dialoge, die Tucholsky direkt zitierten und dem Film eine intelligente - auch sentimentale Situationen souverän umschiffende - Leichtigkeit verliehen.

Während Walter Giller sehr gut Ernsthaftigkeit und Verliebtheit zusammen brachte, wirkt Jana Brejchovás Spiel angepasst an den damaligen 60er Jahre Frauengeschmack. Die junge tschechische Darstellerin war schon seit Mitte der 50er Jahre bekannt für ihr natürliches Spiel, aber ihre Verkörperung einer lebenslustigen und trotz ihrer offensiven Herangehensweise, unschuldig wirkenden jungen Frau orientierte sich mehr an Liselotte Pulvers Piroschka in Kurt Hoffmann 1955 gedrehten Film „Ich denke oft an Piroschka“ als an eine Großstädterin in der BRD der 60er Jahre. Der Spiegel vermisste das „Missingsch“ an der Figur der Lydia - ein Dialekt, der entsteht, wenn ein plattdeutsch sprechender Mensch versucht Hochdeutsch zu reden - aber diese Eigenart ließ sich kaum authentisch transportieren. Entscheidender sind die Szenen, in denen Lydia ständig mit ihrer hohen Stimme vor irgendwelchen Herren herum scharwenzelt, die selbstverständlich komplett begeistert sind von der kessen, hübschen jungen Frau – eine Kreation, die nicht von Tucholsky stammte, der die Figur der Lydia mit dunkler Stimme sprechen ließ und sie emanzipierter gestaltete.

Vielleicht war es zur Entstehungszeit des Films notwendig, den Charakter einer unverheirateten jungen Frau, die offensichtlich Sex mit einem Mann hat, für ein großes Kinopublikum auf diese Weise abzuschwächen, aber glücklicherweise beschränkte sich der Film damit auf seine erste Hälfte. In dem Moment, in dem Kurt und Lydia ihr Zimmer auf „Schloss Gripsholm“ beziehen, verlieh Jana Brejchová ihrer Rolle deutlich ernsthaftere Züge, wirkte nachdenklicher und weniger sprunghaft. Zudem bereicherten Hanns Lothar als Kurts bester Freund Karlchen sowie Nadja Tiller als ihre Freundin Billie die Szenerie, was „Schloss Gripsholm“ erheblich aufwertete. Wie konkret das damalige Publikum die „Menage a trois“ zwischen den beiden Freundinnen und Kurt empfunden haben wird, ist heute schwer zu sagen – Kurt Hoffmann nahm sie ernst, ohne ihr zuviel Bedeutung beizumessen. Für den Gesamteindruck des Films spielte diese von Tucholsky gewagte Konstellation keine wesentliche Rolle, sondern bestätigte nur dessen grundsätzlich liberalen Charakter.

Die Kritik an Hoffmanns Version von Tucholskys „Schloss Gripsholm“ ist hinsichtlich des Abschliffs einiger Ecken und Kanten gerechtfertigt, ändert aber nichts daran, dass die im Film entwickelten Geschlechterrollen und Lebensentwürfe heute noch modern wirken. Das Thema „Heiraten“ zieht sich zwar wie ein roter Faden durch die Handlung, wird aber eher spielerisch bedient und letztlich offen gelassen – angesichts aktueller Liebes-Komödien eine geradezu provokative Lässigkeit. Hoffmann agierte weniger konkret als Tucholsky, aber er gab unmissverständliche Zeichen seiner Haltung. Einmal legt Walter Giller in seiner Rolle ein Buch zur Seite, das er zuvor gelesen hatte. Einen Moment ist das Cover zu sehen und lässt den Titel „Die Kapitulation oder Der real existierende Katholizismus“ erkennen. Geschrieben wurde die ebenfalls 1963 erschienene, kontrovers diskutierte „Streitschrift“ von Carl Amery, einem „linken Nonkonformisten“ (Der Spiegel), der darin als praktizierender Katholik die Katholische Kirche in Deutschland und ihre Rolle während des Nationalsozialismus heftig kritisierte.

 „Schloss Gripsholm“ als „anspruchslose Kinounterhaltung“ abzuqualifizieren, konnte nur aus dem unmittelbaren Vergleich mit Tucholskys Novelle entstehen, lässt sich aber nicht mehr aufrecht erhalten – im Vergleich zu heutigen Liebesfilmen wirkt Hoffmanns Film intelligent, frisch und gewagt.

"Schloss Gripsholm" Deutschland 1963, Regie: Kurt Hoffmann, Drehbuch: Herbert Reinecker, Kurt Tucholsky (Novelle), Darsteller : Walter Giller, Jana Brejchová, Nadja Tiller, Hanns Lothar, Agnes Windeck, Laufzeit : 104 Minuten

weitere im Blog besprochene Filme von Kurt Hoffmann:
"Drei Männer im Schnee" (1955)
"Heute heiratet mein Mann" (1956)
"Das Wirtshaus im Spessart" (1958)
"Wir Wunderkinder" (1958)
"Das Spukschloss im Spessart" (1960)
"Herrliche Zeiten im Spessart" (1967)

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