Samstag, 11. Juli 2015

Schloss Hubertus (1934) Hans Deppe

Inhalt: Graf Egge (Friedrich Ulmer) und sein Revier-Jäger Franz Hornegger (Paul Richter) beobachten einen Adler, der entlang der Gebirgshänge kreist. Als Hornegger auf ihn anlegen will, hält ihn Egge davon ab. Er will erst wissen, wo der Adler seinen Horst hat, denn  er möchte an die Jungtiere herankommen. Ins Tal zurückkehrt trennen sich ihre Wege und Egge begibt sich zu seinem Schloss, wo er mitten in eine Geburtstagsfeier platzt. Seine Tochter Kitty (Hansi Knoteck) feiert ihren 18. Geburtstag und freut sich, endlich ihren Vater wiederzusehen, der während der Jagdsaison sonst nur im Gebirge verweilt.

Doch die Freude ist nur von kurzer Dauer, denn der Graf lässt keinen Zweifel an seiner Verachtung für die anwesenden Gäste, die an einer großen Tafel speisen. Einzig für seine Tochter war er gekommen, begrüßt auch seinen Sohn Tassilo (Arthur Schröder) nur kühl und ignoriert die hingehaltene Hand von Kittys Freundin Anna Herwegh (Grete Roman). Sie ist die Tochter seines Prozessgegners, weshalb er seinen Sohn, dem er zudem ein besonderes Interesse an der jungen Frau unterstellt, heftig für deren Anwesenheit kritisiert. Lange hält er es in dieser Gesellschaft nicht aus, verabschiedet sich allein von Kitty liebevoll und lässt die Anwesenden konsterniert zurück…



Ausgehend von meinem Essay "Vom Bergdrama zur Sex-Klamotte - Der Heimatfilm im Zeitkontext"  gehört mein erster Blick in die Tiefen des Genres nicht zufällig dem Ganghofer-Roman "Schloss Hubertus" und seinen drei Verfilmungen 1934, 1954 und 1973. "Schloss Hubertus", 1892 erschienen und erfolgreichster Roman des Heimatdichters Ganghofer, beinhaltete schon früh einige der wesentlichen Merkmale des Genres - Kontrast Moderne/Tradition, eine alles überragende Führungsfigur und das sehr spezifische Frauenbild von Tochter "Geislein" und ihre Liebe zum Maler Forbeck. Aber auch die Wilderer-Thematik, Armut, Kindstot, große materielle Unterschiede, Doppelmoral und die offensichtliche Abhängigkeit fast Aller vom Willen eines Einzelnen fanden Einzug in einen Roman, der aus heutiger Sicht gelesen keineswegs uneingeschränkte Sehnsüchte nach "der guten alten Zeit" weckt. 

Umso interessanter ist es, die Umsetzung der Romanvorlage mit wachsendem zeitlichen Abstand zu beobachten, auch weil die Filmrechte über mehr als ein halbes Jahrhundert in der Hand Peter Ostermayrs lagen, der sie 1918 noch von Ludwig Ganghofer selbst erwarb. Dank der Veröffentlichung aller drei Versionen auf DVD durch FILMJUWELEN, besteht endlich die Möglichkeit die Filme nicht nur mit dem Romantext zu vergleichen, sondern ihre Entwicklung genauer zu analysieren:             "Schloss Hubertus" (1954),   "Schloss Hubertus" (1973)


1. Ganghofer und die Stereotypen des Heimatfilms


Bei "Schloss Hubertus" handelte es sich schon um die zwölfte Ludwig Ganghofer-Verfilmung und doch wurde der Film in mehrerer Hinsicht stilbildend für das Heimatfilm-Genre bis in die Neuzeit. Obwohl Peter Ostermayr seit 1918 schon im Alleinbesitz der noch persönlich vom Autor erworbenen Filmrechte war, wurde „Schloss Hubertus“ nach „Der Mann im Salz“ (1921) und „Die Trutze vom Trutzberg“ (1922) erst seine dritte Produktion auf Basis eines Ganghofer-Romans. Die Verfilmung des Bühnenstücks "Der Geigenmacher vom Mittenwald" und damit den ersten Tonfilm auf Ganghofer-Basis hatte er im Jahr zuvor noch Franz Seitz überlassen, der ihn unter dem Titel "Die blonde Christel" (1933) herausgebracht hatte. Doch Ostermayr beließ es nicht bei der Produktion, sondern verantwortete erstmals auch die Drehbuchfassung – eine Konsequenz, die er bis Ende der 50er Jahre bei nahezu allen Ganghofer-Verfilmungen wiederholte. Auf Basis anderer Vorlagen schrieb er dagegen nur selten Drehbücher („Die Geierwally“ (1955)).

Graf Egge (Friedrich Ulmer) und Jäger Franz Hornegger (Paul Richter) 
Noch prägender für den Heimatfilm war die Besetzung des Regiestuhls, da diese über das Ganghofer-Universum hinausreichen sollte. Vor „Schloss Hubertus“ hatte Hans Deppe nur bei der Theodor Storm-Adaption „Der Schimmelreiter“ (1934) gemeinsam mit Curt Oertel Regie geführt, die meisten seiner bis in die 60er Jahre folgenden mehr als 60 Kinofilme blieben im Heimatfilm-Umfeld und machten Deppe zu einem der einflussreichsten Regisseure des Genres. Eine Karriere, mit der Hansi Knoteck nicht mithalten konnte. Auch für die damals erst 20jährige stand „Schloss Hubertus“ am Anfang einer sehr erfolgreichen Phase, die sie zum großen UFA-Star aufstiegen ließ. Doch nach dem Krieg spielte sie nur noch wenige Rollen – mit über 40 Jahren hatte sie als Frau keine Chance mehr in der auf jugendliche Schönheit getrimmten Branche. Anders als Paul Richter, der 1924 schon den Siegfried in „Die Nibelungen: Siegfrieds Tod“ unter der Regie von Fritz Lang verkörpert hatte und auf eine erfolgreiche Stummfilmzeit zurücksehen konnte. In „Schloss Hubertus“ spielte er mit dem Jäger Franz Hornegger eine wichtige positive Identifikationsfigur – eine Rolle, die er im 1954er Remake mit knapp 60 Jahren noch einmal wiederholte.

Der verschlagene Jäger Schipper (Hans Friedrich Schlettow)
Der Roman „Schloss Hubertus“ erschien 1895 in zwei Bänden und damit in einem Umfang, der eine Reduktion auf eine etwa 80minütige Laufzeit zwingend erforderlich machte. Noch während der NS-Zeit, mehr als 40 Jahre nach seiner Erstauflage, gehörte Ganghofers Roman zu den Bestsellern (Quelle: Tobias Schneider „Bestseller im Dritten Reich - Ermittlung und Analyse der meistverkauften Romane in Deutschland 1933-1944“, Vierteljahreshefte für Zeitgeschichte VfZ 1/2004), weshalb Peter Ostermayr bei seiner Drehbuch-Adaption davon ausgehen konnte, dass viele Zuschauer den Inhalt kannten. Das nutzte er, um auf den Großteil der Nebenhandlungen zu verzichten und um sich auf die prägenden Protagonisten zu konzentrieren. In einer neu erdachten Eingangssequenz fasste er in wenigen Minuten die wesentlichen Konflikte zusammen und führte den Betrachter damit direkt ins Geschehen.


2. Übervater und Führungsfigur

Betonte Ganghofer in seinem Roman die ständige Abwesenheit Graf Egges (Friedrich Ulmer) von seinem Schloss – er lebt während der Jagdsaison in einer im Hochgebirge gelegenen einfachen Hütte – trifft er in der Verfilmung gleich zu Beginn auf die Geburtstagsgesellschaft seiner Tochter Kitty (Hansi Knoteck). In seiner Jäger-Montur bildet der Graf einen starken Kontrast zu den festlich gekleideten Gästen, die er wenig freundlich behandelt. Nur kurze Zeit hält er es in deren Nähe aus, um während eines Liedvortrags von Anna Herwegh (Grete Roman) aufzubrechen, da ihm „sein Viehzeug“ lieber ist, wie er seinem Sohn Tassilo (Arthur Schröder) mitteilt, der ihm in sein Arbeitszimmer gefolgt war. Ihr weiteres Gespräch verläuft reserviert, denn der Vater wirft Tassilo die Anwesenheit von Anna Herwegh vor, die Tochter seines Prozessgegners, für die er offensichtlich mehr als Sympathie empfände. Einzig Kitty, die er „sein Geislein“ nennt, gilt seine Liebe, weshalb er ihr verspricht zum Todestag seines verstorbenen Sohns Willy wiederzukommen - der Sohn, der ihm am meisten nachgeraten war, aber früh den Tod fand.

Der Vater und sein "Geislein" (Hansi Knoteck)
Ostermayr traf damit zwar den Kern der Ganghoferschen Erzählung, änderte aber durch teilweise verfälschende Details die Gewichtung der Figuren. Den spielsüchtigen, arrogant standesbewussten Sohn Robert ließ er ganz weg, Graf Egges Jüngster Willy - von freundlichem Charakter, aber kränklicher Statur - stirbt im Roman erst spät, hätte aber kaum gegensätzlicher zu seinem Vater sein können. Auch die Beziehung zwischen Egge und seinem ältesten Sohn Tassilo, selbstbewusst und finanziell unabhängig, wurde von Ostermayr auf ein Minimum reduziert. Dessen Vollzug der Ehe mit Anna Herwegh erfährt der Betrachter später nur aus Tassilos Mund, der daraufhin erfolgte endgültige Bruch zwischen ihm und seinem Vater hatte sich schon in der Eingangsszene angebahnt. Dass Ostermayr aus der Münchner Opernsängerin Anna Herwegh nicht nur eine Freundin Kittys machte, sondern sie in die Nähe eines bei Ganghofer nicht existierenden Prozesses rückte, bleibt ein Schwachpunkt des Drehbuchs. Auf diesen zu Beginn noch dramatisch in den Raum gestellten Prozess, der angeblich Egges gesamtes Vermögen gefährdet, kommt die Handlung später nicht mehr zurück, auch Anna Herwegh selbst spielt keine Rolle mehr.

Sohn Tassilo (Arthur Schröder)
Offensichtlich wollte Ostermayr damit den Standesdünkel abschwächen, aus dem heraus Graf Egge die Verbindung zwischen seinem Sohn Tassilo und der Künstlerin aus München im Roman verurteilte. Damit unterstrich er dessen Naturburschen-Charakter, der ihm trotz seines groben Benehmens in der Eingangssequenz Sympathien einbringt. Der Kontrast zwischen den majestätischen Berggipfeln, von denen aus Egge in Begleitung seines Jägers Franz Hornegger (Paul Richter) zum Schloss kommt, um kurz darauf auf die dekadente Gesellschaft zu treffen, verfehlt seine Wirkung nicht – kaum ein Betrachter wird es ihm verdenken, dass er wieder dorthin zurückkehren möchte.

Entscheidender für die im Vergleich zu Ganghofers Charakterisierung positivere, weniger komplexe Ausrichtung dieser Figur ist der Verzicht auf das wichtigste Symbol in dessen Roman – der seitlich des Schlosses gelegene große Vogel-Käfig mit den eingesperrten jungen Adlern. Mehr als die „Krucken-Stube“, der typische Jäger-Raum mit den erbeuteten Geweihen an der Wand, steht der Käfig für den Fanatismus des Grafen und im Widerspruch zu dessen im Film behaupteter Naturverbundenheit. Weil sich die Adler gegenseitig im Käfig zerfleischen und ihre Zahl dezimiert ist, sucht Egge die Lage eines Adlerhorstes, um neue Jungtiere zu erbeuten. Der wahnwitzige Versuch, mit einer 60 Meter langen Leiter zum Adlerhorst zu gelangen, wurde Höhepunkt jeder Verfilmung von „Schloss Hubertus“, die dahinter stehende Intention dagegen abgeschwächt. Regisseur Harald Reinl zeigte in seiner Verfilmung von 1973 zwar den Adlerkäfig und die sich gegenseitig tötenden Tiere, verzichtete aber wie seine Vorgänger auf den Racheakt des durch den Adlermist erblindeten Grafen. Blindwütig im eigentlichen Sinn erschießt er die gefangenen Tiere, wird dabei von einer Kralle eines um sich schlagenden Adlers verletzt und stirbt wenig später an einer Blutvergiftung.

Auch der unbedingte Gehorsam, den Egge einfordert, beruhte im Roman nicht allein auf natürlicher Autorität. Detailliert beschrieb Ganghofer dessen finanzielle Alleinstellung. Die Abhängigkeit der in seinem Territorium lebenden Menschen von ihm ist allgegenwärtig. Als Franz Hornegger auf Grund einer Intrige seines Konkurrenten Schipper (Hans Adalbert Schlettow) seine Stellung als Jäger in Egges Revier verliert, ist seine gesamte Existenz gefährdet, sieht er sich gezwungen sein Haus zu verkaufen und wegzuziehen, weil er in der Nähe keine Arbeit mehr finden wird. Eheschließungen unterliegen praktischen Erwägungen, Kindersterblichkeit ist an der Tagesordnung und die Wilderei entsteht aus dem alleinigen Jagd-Verfügungsrecht eines Mannes über ein riesiges Gebiet. An Hand der Spielschulden, die Egge für seinen Sohn Robert begleichen muss, lässt Ganghofer die eklatanten materiellen Unterschiede deutlich werden – sind für einen Handwerker oder Förster 200 Mark mehr im Jahr von entscheidender Bedeutung, stellt er Robert wenn auch widerwillig einen Scheck in Höhe von 16000 Mark aus.

Ganghofer wertete nicht, zog auch die Autorität des Adels nicht in Zweifel – mit Tassilo gibt es einen selbstlosen Gegenentwurf zum alten Egge - und forcierte mit der Liebesgeschichte um Komtesse Kitty und den mittellosen jungen Maler Werner Forbeck manch romantische Träume, bettete die Handlung aber in einen realistischen Hintergrund. In der Filmversion blieb davon nicht viel übrig, aber Deppe und Ostermayr idealisierten weder das karge Leben in der Bergwelt, noch Egge als Führungsfigur. Friedrich Ulmer gelang es, hinter dem souveränen Auftritt auch die Sturheit und Verantwortungslosigkeit eines Mannes durchscheinen zu lassen, der erst durch persönliches Unglück zur Einsicht gebracht wird. Als Führungsfigur im nationalsozialistischen Sinn taugte er nicht.


3. Das Frauenbild

Neben Graf Egge galt die Konzentration des Films der Liebesgeschichte um Kitty. Im Roman liegt das Schwergewicht ebenfalls auf diesen beiden Handlungslinien, die nur wenige konkrete Berührungspunkte aufweisen, auch wenn Egge immer wieder die emotionale Nähe zu seinem „Geislein“ betont. Die einzige Begegnung des Malers Werner Forbeck (Hans Schlenck) mit Kittys Vater gehört deshalb zum festen Bestandteil aller Verfilmungen. Ohne zu wissen, dass es sich um den Grafen handelt, bittet der Maler den traditionell als Jäger gekleideten Egge, sich von ihm zeichnen zu lassen und bezahlt ihn danach noch dafür, dass er Modell gestanden hatte. Zudem äußert er ihm gegenüber die wenig schmeichelhafte Volksmeinung über den Grafen, was diesen aber nicht dazu bringt, sich zu erkennen zu geben. Eine Szene, die sowohl Sympathiepunkte für Egge brachte, als auch Forbeck schon als zukünftigen Schwiegersohn legitimierte. Weniger wegen seiner künstlerischen Fähigkeiten, mehr wegen seines so selbstbewusst wie freundlichen Auftretens.

Kitty und ihr Maler (Hans Schlenck) kommen sich schnell näher
Die sich kurz danach anbahnende Liebesgeschichte – Kitty gerät bei einem Unwetter in die Waldhütte, in der der Maler sich einquartiert hatte – verläuft gemessen an den sonstigen Dramen erstaunlich reibungslos. Forbeck ist nicht nur ein Freund ihres Bruders Tassilo, sondern wird von einem berühmten Kunstprofessor protegiert, der wiederum früher mit Fräulein von Kleesberg (Margarete Parbs), Kittys Tante und Anstandsdame, verbandelt war. Diese aus moralischen Gründen interessante Konstellation mit dem Professor fand ebenso wenig Eingang in die Verfilmung, wie das kurze Aufbrausen Forbecks gegenüber Kitty, als diese ihren Bruder für seinen Mut lobt, gegen den Willen des Vaters die Sängerin zu heiraten. Hätte er dessen finanziellen Hintergrund, wäre er auch mutiger, entgegnet er ihr – letztlich die einzige Irritation in der Liebesgeschichte, denn um eine Grafentochter heiraten zu können, muss er zuerst auf eigenen Füßen stehen können. 

Die gesamte Story um die jungfräuliche Kitty, die ihre große Liebe erlebt und am Ende nach vielen Tränen und Glücksmomenten auch folgerichtig heiratet, kontrastiert in ihrer vollständigen Abgehobenheit von der realen Welt das sonstige Geschehen. Vielleicht war es schon mutig von Ludwig Ganghofer, einen bürgerlichen Maler als zukünftigen Ehemann zu kreieren, weshalb es sich bei diesem natürlich um den begabtesten und vielversprechendsten seiner Generation handelt, der mit dem Porträt von Kitty die Goldmedaille gewinnt. Dank Hansi Knotecks wunderbarer Verkörperung einer so zarten, wie emotionalen jungen Frau, die in jedem Mann sogleich den Beschützerinstinkt weckte und sich ihren Spitznamen „Geislein“ damit mehr als verdiente, wurde sie zum Vorbild für unzählige höhere Töchter und deren Liebesleid und – freud. Nicht nur der Roman verdankte ihrer Geschichte einen Gutteil seines Erfolgs, auch Hansi Knotek machte die Rolle zum großen UFA-Star.

Ganz trauten Deppe und Ostermayr dem Frieden offensichtlich nicht, weshalb sie eine Szene einbauten, die ein wenig Spannung hineinbringen sollte. Schipper, der hinterhältige Büchsenspanner des Grafen, erzählt diesem von dem angeblichen Verhältnis zwischen seiner Tochter und dem Maler – und das sie sich heimlich alleine träfen. Sonst nur an der Jagd interessiert, stapft Egge wildentschlossen zu der Waldhütte, wo Kitty tatsächlich gerade noch den abreisewilligen Vorbeck antrifft. Dieser war dem Rat von Fräulein von Kleesberg gefolgt, wieder nach München zurückzukehren, um Kitty keine falschen Hoffnungen zu machen. Doch die verliebte Komtesse fordert zumindest einen zärtlichen Abschied ein, während sich ihr Vater gerade nähert. So scheint es, doch als er die Hütte betritt, findet er nur noch einen leergeräumten Raum vor. Diese nicht im Buch enthaltene Szene widersprach Ganghofers Intention – erst den sicheren Tod vor Augen erfährt Egge von Kittys Verbindung mit Vorbeck.


Zudem sollte die Besetzung des schnittigen Hans Schlenck in der Rolle des Künstlers dieser Figur ein wenig den fantasievollen Charakter nehmen. Das SS-Mitglied Schlenck, im Jahr zuvor als „Heideschulmeister Uwe Karsten“ (1933) bekannt geworden und im selben Jahr noch im Propagandafilm „Um das Menschenrecht“ (1934) als Frontkamerad Hans aktiv, spielte den Maler mit breiter Brust und geradlinigem Arbeitseifer. Selbst in Italien lässt er sich von seinen Kameraden nicht ablenken. In späteren Verfilmungen wurde diese Rolle mit weniger kernigen Typen besetzt, was Ganghofers Charakterisierung näher kam. Der Autor wählte einen anderen Weg, um das idealisierte Bild von Kitty etwas zu relativieren – zwei parallel erzählte Beziehungsgeschichten vom Jäger Franz und der jungen Mali (Herta Worell), die im Haushalt ihres Bruders dessen früh verstorbene Frau ersetzen muss, sowie vom Grafen Willi und seinem Techtelmechtel mit der Liesl, einem Mädchen aus dem Dorf.

Tante Gundi, die Anstandsdame (Margarete Parbs) mit einem Herz für die Liebenden
Ganghofer betrachtete diese von finanziellen Nöten, sozialen Abhängigkeiten und moralischen Vorbehalten beeinflussten Verbindungen mit Pragmatismus. Als Willi beim Fensterln abstürzt und stirbt, wird nicht nur sein Leichnam in einer Nacht- und Nebelaktion an eine unverfängliche Stelle geräumt, sondern Liesl noch am frühen Morgen mit einem grobschlächtigen Handwerker verlobt, der sich schon länger um sie bemühte, den sie aber nicht ausstehen kann. Liesls Mutter hatte ihre Hoffnung in eine Beziehung mit dem jungen Grafen gesetzt, doch nach dessen Tod muss schnell eine Alternative her – die Gefahr, dass Niemand sonst Liesl mehr nimmt, ist zu groß. In Ganghofers Roman machen die Männer keinen Hehl aus ihrer Meinung über die Frauen, deren Nutzen aus ihrer Sicht einzig im Kinderkriegen und der Haushaltsführung liegt. Auch Graf Egge, vor Jahren von seiner Frau verlassen worden, lässt außer seinem „Geislein“ kein „Weib“ gelten. Und Liesls frischer Ehemann prahlt damit, dass sie ihn jetzt, nachdem er sie geschlagen hatte, schon ein wenig mehr mag.

Mali (Herta Worell) und Franz sind sich schon versprochen
Bis auf die Figur der Mali als Zukünftige des anständigen Jägers Franz, ist nichts davon in Ostermayrs Drehbuch enthalten. Im Film stimmt Malis Bruder (Viktor Gehring) der Verbindung mit Franz zu. Eine Idee, auf die er im Roman nicht käme, da er sie braucht, um den Haushalt zu führen und auf die Kinder aufzupassen. In einer jüngeren Fassung des Romans von 2003 wurden Passagen von Ganghofers Enkel Bernhard Horstmann gekürzt, die dem heutigen Rollenverständnis von Mann und Frau nicht mehr entsprechen – eine unglückliche Konsequenz, die das damalige Frauenbild verharmlost. Ein Vorwurf, der auch dem Film zu machen ist, der die traditionellen Geschlechterrollen bestätigte, die inneren Zwänge aber aussparte. Ostermayr entsprach damit der allgemeinen Erwartungshaltung des Publikums, denn Gefahren sollten den Liebespaaren nur durch äußere Umstände drohen. Im Heimatfilm waren deshalb wackere Burschen gefragt, um sich als Beschützer einer holden Maid aufzuschwingen – unabhängig davon, ob es sich um eine Komtesse oder eine einfache Bauerntochter handelt.


4. Der Heimatbegriff

Die Ende des 19./Anfang des 20. Jahrhunderts erstmals in Erscheinung tretenden Heimatdichtungen eines Ludwig Ganghofer, Ludwig Thoma oder die Dramen von Ludwig Anzengruber reagierten auf die großen sozialen Veränderungen in dieser Phase. Die schnell fortschreitende Industrialisierung führte dazu, dass viele Menschen aus ländlichen Regionen in die Stadt zogen. Mit ihnen verschwanden langjährige Traditionen, zerfielen gewachsene Strukturen und die Rollen von Mann und Frau begannen sich zu wandeln. Dadurch wuchsen Ängste, die den Gegensatz Stadt/Land besonders aus der Sicht der Landbevölkerung zuspitzten. Stand das städtische Leben für Anonymität und Unsicherheit, galt das Landleben als Hort von Vertrautheit und Verlässlichkeit. Eine Sichtweise, die bis heute tendenziell vorhanden blieb. Nach den Zerstörungen des 2. Weltkriegs und im Angesicht einer noch ungewissen Zukunft, wusste der Heimatfilm dieses Lebensgefühl in den 50er Jahren geschickt zu bedienen – auch für die Städter wurde die scheinbar heile Welt einer intakten Landschaft zum Sehnsuchtsort.

Besonders Ganghofers Werk gilt als Vorbild für diese Idealisierung des Landlebens, wurden seine Romane doch über Jahrzehnte zur ständigen Quelle neuer Verfilmungen. „Schloss Hubertus“ kommt als frühem Tonfilm eine Vorreiterrolle zu, doch der Romanvorlage ist diese einseitige Ausrichtung nicht anzumerken. Der Schönheit der Bergwelt stehen die harten Lebensbedingungen gegenüber. Wer es sich leisten kann, wie die Familie Egge, verbringt die kalten Wintermonate in wärmeren Gefilden. Jagd als Vergnügen ist nur etwas für die reiche Elite, Franz Hornegger und seine Jäger-Kollegen verdienen damit ihren kargen Lebensunterhalt und Wilderei wird hart bestraft. Graf Egge, der die Moderne kritisch betrachtet, steht dessen Sohn Tassilo als Vertreter einer jüngeren und liberaleren Generation gegenüber. Der Rechtsanwalt schätzt auch die Großstadt - sowohl seine Frau Anna Herwegh, als auch der Maler Vorbeck sind Teil des Münchner Kulturlebens. Zwar gelten den in der Bergwelt beheimateten Menschen die Sympathien des Autors, aber ohne deren Lebensbedingungen zu idealisieren. Die „Heimat“ als übergeordneter Begriff taucht im Roman nicht auf. Sie ist selbstverständlich.

Deppes Verfilmung gewichtete einseitiger. Durch den Verzicht auf die Nebenhandlungen und die Verortung Anna Herweghs in der Region, entfiel im Film nicht nur die Stadt als Gegenpol, sondern auch Ganghofers Realismus. Der Wunsch des erblindeten Grafen an seine Tochter Kitty und ihren strammen zukünftigen Ehemann, bei ihm zu bleiben, betraf mehr den Fortbestand der Familientradition, weniger den Verbleib in der Heimat. Dass Forbeck mit Kitty nach München ziehen würde, stand außerhalb jeder Vorstellung. Und wenn er schon malen muss, ergänzt der Graf mit Blick auf einen Schwiegersohn, dem jede Künstler-Aura fehlt, dann die Berge und Wälder. Auch in der 34er Film-Version von „Schloss Hubertus“ ist Heimat noch selbstverständlich, wurde aber nicht mehr Ganghofers komplexer Betrachtungsweise ausgesetzt.

Trotz dieser Vereinfachungen blieb Peter Ostermayr in seinem Drehbuch dem Geist der Romanvorlage nah. Zu verdanken ist das auch Deppes ökonomischen, klar strukturierten Inszenierungsstil, der den Charakter der kargen, rauen Bergwelt stimmig vermitteln kann. Auf  ausschmückende, gar folkloristische Elemente verzichtete er völlig, nur im Zusammenhang mit den Liebesgeschichten gestattete er sich wenige humorvolle Momente. Dagegen ließ er keinen Zweifel am ständigen Druck, den der Graf mit seiner Jagd-Leidenschaft auf seine gesamte Umgebung ausübt – bis auch er schmerzhaft erkennen muss, dass er nur ganz klein ist angesichts der beeindruckenden Berg- und Tierwelt.

Ob Ludwig Ganghofer mit dem Ende einverstanden gewesen wäre, lässt sich anzweifeln. Fast unterwürfig wirkt der Graf, als seine letzte Frage seiner Tochter gilt: ob sie jetzt mit ihm zufrieden wäre? – Das Publikum sollte die abschließende Versöhnung und Familienzusammenführung als „Happy End“ verstehen, aber die Vorstellung, dass ein Mann wie Egge in Abhängigkeit von anderen Menschen und dazu noch unfähig, die Natur und die Jagd zu erleben, seine letzten Jahre im Schloss verbringt, widersprach dessen von Ganghofer entworfenen so zwiespältigen, wie eigenwilligen Charakter. Sein Tod im Roman - noch dazu durch einen Adler - ist eine Konsequenz, die Egge akzeptieren konnte.

"Schloss Hubertus" Deutschland 1934, Regie: Hans Deppe, Drehbuch: Peter Ostermayr, Philipp Lothar Mayring, Willy Rath, Ludwig Ganghofer (Roman)Darsteller : Hansi Knoteck, Friedrich Ulmer, Paul Richter, Arthur Schröder, Margarete Parbs, Hans Schlenck, Hans Friedrich SchlettowLaufzeit : 82 Minuten

weitere im Blog besprochene Filme von Hans Deppe:

"Grün ist die Heide" (1951)


Thematisch weiterführender Link:

"Vom Bergdrama zur Sexklamotte - der Heimatfilm im Zeitkontext" (Grundlagen des Heimatfilm Genres)

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