Montag, 29. Juni 2015

Vom Bergdrama zur Sex-Klamotte – Der „Heimatfilm“ im Zeitkontext

Essay zum Heimatfilm 



Luis Trenker und Marianne Hold in "Flucht in die Dolomiten" (1956)

1. Einleitung und Inhalt:

1.1. Spiegel des Zustands einer Gesellschaft
1.2. Die 50er Jahre – der Versuch von Abgrenzung und historischer Einordnung
1.3. Von Ludwig Ganghofer über den Nationalsozialismus bis zum „Schwarzwaldmädel“
1.4. Kontinuierliche Weiterentwicklung des Genres
1.5. Zielsetzung
1.6. Quellen

2.1. Pioniere des Heimatfilms
2.2. Das Berg-Drama

3. Die Phase des Nationalsozialismus - der Heimatfilm der Jahre 1934 bis 1945
3.1. Der "innere Zirkel" der Heimatfilm-Macher
3.2. Der Heimatfilm als Vehikel der NS-Ideologie?

4. Die Nachkriegszeit bis "Schwarzwaldmädel" – der Heimatfilm der Jahre 1947 bis 1950
4.1. Viele alte und wenige neue Köpfe
4.2. Die Ursache des Erfolgs von "Schwarzwaldmädel": Aktion oder Reaktion?

5. Die erste Boom-Phase – der Heimatfilm der Jahre 1951 bis 1954
5.1. Der "Innere Zirkel" wächst
5.2. Die neuen "Mannsbilder"
5.3. Die weiblichen Stars

6. Im Zenit des Wirtschaftswunders - der Heimatfilm der Jahre 1955 bis 1957
6.1. Höhepunkt und beginnender Niedergang
6.2. Lust an der Freizeit statt Flucht aus dem Alltag
6.3. Die Protagonisten der zweiten Welle
6.4. Die Stunde der Komödianten

7. Der Weg in die Moderne - der Heimatfilm der Jahre 1958 bis 1969
7.1. Gibt es ein Ende des Heimatfilms?
7.2. Die unaufhaltbare Modernisierung
7.3. Die alten und die neuen Männer


1.1. Spiegel des Zustands einer Gesellschaft

Magda Schneider und Willy Fritsch in "Wenn der weiße Flieder wieder blüht" (1953)
Der „Heimatfilm“ als spezifisch deutsches Film-Genre wird heute automatisch mit den 50er Jahren verbunden, ganz unabhängig von der individuellen Vorliebe oder Ablehnung. Konsens besteht auch darin, dass der überragende Erfolg der Heimatfilme auf dem Bedürfnis der Nachkriegsbevölkerung nach Zerstreuung und damit Ablenkung vom tristen Alltag der Wiederaufbaujahre fußte – schöne Menschen, häufig dem Adelsgeschlecht angehörend, erlebten Liebesleid und -freud inmitten einer intakten Natur, verbunden mit folkloristischen Einlagen der ortsansässigen Bevölkerung, Musik und Tanz. Die Grenzen des Genres blieben in dieser Hinsicht fließend: vom Berg-Drama, Bauern-Schwank über den Historienfilm bis zu den artverwandten Schlager- und Touristenfilmen passte vieles unter den Oberbegriff „Heimatfilm“, der in den 60er Jahren auch vom aufkommenden Sex-Film in Beschlag genommen wurde.

"Die Wirtin zur goldenen Krone" (1955)
Eine Entwicklung, die den sowieso schon miserablen Ruf des Genres noch weiter beschädigte, gleichzeitig aber auch deutlich werden lässt, dass der Eindruck eines klar umrissenen Gemischtwarenladens, aus dem sich die Heimatfilm-Macher mit den immer gleichen Zutaten bedienten, falsch ist. Nicht nur, dass der „Heimatfilm“ schon seit Stummfilmzeiten zum gängigen Repertoire gehörte und auch während der Phase des Nationalsozialismus regelmäßige Kinopremieren erlebte, die jeweiligen Inszenierungen - unabhängig davon, ob sie etwas wagen oder sich anpassen wollten - orientierten sich sehr genau an den Bedürfnissen der Zuschauer. Die Gestaltung der Geschlechterrollen, die Art des Humors, die Integrierung musikalischer Elemente bis zur abschließenden tragischen oder glücklichen Konsequenz unterlagen Gesetzmäßigkeiten, die noch heute Rückschlüsse auf die Entstehungszeit und damit eine Alltagsrealität zulassen, wie sie nur der populäre Film widerspiegeln kann.

„…,soll davon ausgegangen werden, dass alle Handlungselemente, die wiederholt in den Heimatfilmen vorkommen und die somit nachhaltig die Heimatfilmwelt prägen, sehr genaue Auskunft über die Hoffnungen, Wünsche und Sehnsüchte der Deutschen zu dieser Zeit geben, die die Filme zu großer Zahl rezipiert haben.“ (S.39)

führte der leider früh verstorbene Filmwissenschaftler Jürgen Trimborn in „Der deutsche Heimatfilm der fünfziger Jahre“ (Teiresias Verlag Köln, 1998) aus, auf dessen erarbeiteten Grundlagen hinsichtlich der genauen Differenzierung der Motive, Symbole und Handlungsmuster bis heute die Auseinandersetzung mit dem Genre basieren.


1.2. Die 50er Jahre – der Versuch einer inhaltlichen und historischen Abgrenzung

Rudolf Prack und O.E.Hasse in "Wenn am Abend die Dorfmusik spielt" (1953)
Trimborn legte in seinem maßgeblichen Werk auch die äußeren Parameter für das „Heimatfilm“-Genre fest, dessen Beginn er exakt auf den Film „Schwarzwaldmädel“ terminierte, das genaue Ende aber offen ließ. Trotzdem galten für ihn die 50er Jahre als abgeschlossener Zeitraum für ein „alleine auf Deutschland (und Österreich) beschränktes, unnachahmliches, unvergleichliches Phänomen“ (S.23), dessen Entwicklung er in drei Phasen aufteilte (S.27), die er an insgesamt zehn Filmen beispielhaft erläuterte:

 - Frühphase 1950 – 1952 :
  „Schwarzwaldmädel“ (1950), „Grün ist die Heide“ (1951)

 - Hochphase 1953 – 1956:
 „Wenn am Sonntagabend die Dorfmusik spielt“ (1953), "Heideschulmeister Uwe Karsten“ (1954), „Solange noch die Rosen blühn“ (1956), „Heidemelodie“ (1956) „Dort oben, wo die Alpen glühn“ (1956), „Wo die alten Wälder rauschen“ (1956)

- Spätphase 1957 – 1959:
„Mein Schatz ist aus Tirol“ (1958), „Schwarzwälder Kirch“ (1958)

Volksfest in "Heidemelodie" (1956)
Eine bis heute verbreitete These, die aber einer genauen Analyse nicht standhält, wie schon ein einfacher Blick in die Statistik deutlich werden lässt. Kamen zwischen 1947 und 1954 etwa 120 Heimatfilme heraus (eine absolute Zahl kann es nicht geben, da das Genre nicht eindeutig abgegrenzt werden kann), kam es allein in den drei Jahren 1955 bis 1957 zu fast 100 Produktionen. Sicherlich auch bedingt durch die erst langsam nach dem Krieg anlaufende Filmproduktion in Westdeutschland und Österreich, aber die Zahlen von 1953 und 1954 waren gegenüber 1952 leicht rückläufig und die Vorbildwirkung von „Schwarzwaldmädel“ (1950) und „Grün ist die Heide“ (1951) drohte schon zu verpuffen (Trimborn selbst ging auf diesen Umstand ein, siehe Kapitel 1.4.). Erst nachdem „Der Förster vom Silberwald“ (Österreich-Premiere noch als „Echo der Berge“ am 25.11.1954, Deutschland-Premiere 08.02.1955) alle Rekorde gebrochen hatte, kam es zum eigentlichen Boom. 

„Nach Kriegsende gerät der Heimatfilm mehr oder weniger in Vergessenheit, um dann ab 1955 zum populärsten österreichischen Genre zu werden. Die österreichische Produktion „Echo der Berge“ ist 1955 ein Kassenschlager und löst in Österreich die Heimatfilmwelle aus“



Gerhard Riedmann und Marianne Hold in "Die Fischerin vom Bodensee" (1956)
schreibt Sabine Ploskov in ihrer Diplomarbeit zum Thema „Heimatfilm als Spiegel österreichischer Mentalitätsgeschichte“ (2013) – eine Aussage, basierend auf der Forschungsarbeit von Gertraud Steiner „Der österreichische Heimat-Film 1946 – 1966“ (Wien 1987). Sicherlich hatte der „Heimatfilm“ in Deutschland schon seit 1950 Konjunktur und erlebte in Folge von „Schwarzwaldmädel“ einen ersten Höhenflug, aber die eigentliche „Hochphase“ begann erst 1955, wie auch an Hand verbreiteter Popularitäts-Listen nachvollzogen werden kann, in denen die vor 1955 erschienenen Filme deutlich unterrepräsentiert sind. Gemessen an den gängigen Klischees, die heute über den Heimatfilm kursieren, treffen diese vor allem auf die Filme der zweiten Hälfte des Jahrzehnts zu, auch weil die Unterwanderung durch Schlagerfilme und Touristen-Komödien erst in dieser Phase begann. Ein prototypisches Beispiel dafür ist „Die Fischerin vom Bodensee“ (1956), der Bauerschwank, Musikfilm, Tourismus-Werbung und dramatische Liebesgeschichte publikumswirksam kombinierte und damit die geschmackliche Richtung vorgab.

„Abgelöst wurden die Heimatfilme in den sechziger Jahren dann durch das Genre des Schlagerfilms…“ (S.7)

Barbara Rütting in "Christina" (1953)
Ein Irrtum, mit dem Jürgen Trimborn das Ende des von ihm untersuchten Zeitraums zu definieren versuchte. Tatsächlich entstand der Schlagerfilm schon früh in den 50er Jahren („Schlagerparade“ 1953). Das wenig verbreitete Fernsehen konnte noch nicht das Bedürfnis nach bewegten Bildern von Musikstars befriedigen und brachte große Stars wie Peter Alexander, Vico Torriani oder Catarina Valente hervor, deren Filme nicht weniger ablenkende Wirkung hatten. In den späten 50er Jahren kam es vermehrt zu einer Kombination beider Stile, was den Niedergang des Heimatfilms in den frühen 60er Jahren nicht verhindern konnte. Doch auch der Schlagerfilm, dessen Handlung zunehmend in die Urlaubsgefilde der reisefreudigen westdeutschen Bevölkerung verlegt wurde, hatte Mitte der 60er Jahre an Popularität verloren. Die Konkurrenz des aktuelleren Fernsehprogramms wurde zu groß. Ein weiteres signifikantes Beispiel für die kontinuierlichen Veränderungen, denen sich das Genre ausgesetzt sah und die es zu Anpassungen zwang. Die Gliederung eines Jahrzehnts mit nahezu 300 Filmen in drei homogene Phasen, wie es Trimborn vorsah, geht entsprechend an der Praxis vorbei.

Hans Richter in "Auf der Alm da gibt's koa Sünd'"(1950)
Ihm gelang zwar eine fundamentale Analyse des Heimatfilms an Hand der Themenbereiche „Antagonismus von Stadt und Land“, „Liebe, Ehe und Familie“, „Darstellung sozialer und nationaler Problembereiche“ und „Stereotype Motive und Symbole“, er scheiterte aber nicht nur an dem Versuch einer klaren zeitlichen Abgrenzung, sondern auch an einer eindeutigen Typisierung des „50er Jahre Heimatfilm“ gegenüber seiner Vorgeschichte bzw. der Entwicklung in den 60er Jahren. Die These eines auf „Schwarzwaldmädel“ fixierten Beginns lässt sich nicht halten.


1.3. Von Ludwig Ganghofer über den Nationalsozialismus bis zum „Schwarzwaldmädel“

„Ohne diese inhaltlichen, thematischen, dramaturgischen und personellen Kontinuitäten zwischen den Heimatfilmen aus der Zeit des dritten Reiches und denen aus der Zeit der bundesdeutschen Nachkriegszeit überbewerten und überinterpretieren zu wollen, erscheint es im höchsten Maße wichtig, diese gedanklichen Traditionen und die zugrunde liegenden Wurzeln des bundesdeutschen Heimatfilms der fünfziger Jahre nicht zu vergessen und auch stets im Hinterkopf zu behalten, will man zu einem umfassenden und adäquaten Bild von der Heimatfilmwelle der fünfziger Jahre gelangen“ (Jürgen Tramborn, „Der deutsche Heimatfilm der fünfziger Jahre“ (S.143))

Luis Trenker in "Der verlorene Sohn" (1934)
Besser kann man es nicht ausdrücken, nur beließ es Tramborn bei einem kurzen Kapitel über die Tradition der Heimatfilmdarstellung vor 1950, ohne diesen Anspruch weiter zu vertiefen. Wissenschaftlicher Konsens besteht darin, dass das Heimatfilm-Genre unmittelbar auf die Ende des 19.Jahrhunderts einsetzende Heimatdichtung von Autoren wie Ludwig Ganghofer oder Ludwig Anzengruber zurückgeht, mit denen diese auf die zunehmende Industrialisierung und damit auf die entstehenden Ängste der Landbevölkerung vor dem Verlust ihrer Heimat  reagierten – der Kontrast Stadt/Land wurde stilbildend für das Genre. Obwohl die Nationalsozialisten ab 1933 versuchten, ihre Propaganda-Literatur zu fördern, blieb die klassische Unterhaltungslektüre weiterhin erfolgreich.

Ludwig Ganghofer-Verfilmung "Der Klosterjäger " (1935)
Neben den humoristischen Büchern eines Heinrich Spoerl („Die Feuerzangenbowle“) gehörten auch Ganghofers Romane während der NS-Zeit zu den Bestsellern, ebenso wie Felicitas Roses „Heideschulmeister Uwe Karsten“ oder Trygve Gulbranssens „Das Erbe von Björndalen“ und „Und ewig sind die Wälder“ (Quelle: Tobias Schneider „Bestseller im Dritten Reich“ Vierteljahreshefte für Zeitgeschichte, 2004, Heft 1, S.77-97). Die Statistik der  etwa 80 zum „Heimatfilm“-Genre zählenden Tonfilme der Jahre 1930 bis 1945 bestätigt den Einfluss der Unterhaltungs-Literatur auf die Themen-Auswahl. Mehr als die Hälfte  - 43 Filme - basieren auf einem Roman, Theaterstück oder Operetten-Libretto, allein acht Ludwig Ganghofer-Verfilmungen befinden sich darunter. 

„Die Idee einer „nationalen Gesundung“ durch die Rückbesinnung auf die Werte und moralischen Vorstellungen des ideologisch höher bewerteten ländlichen Volkes, wie sie in der nationalsozialistischen Ideologie enthalten ist, weist starke Parallelen zur uneingeschränkt positiven Darstellung und Bewertung des Volkes und seiner traditionellen Wertvorstellungen im Heimatfilm auf.“ („Der deutsche Heimatfilm der fünfziger Jahre“ (S.142)…

Heinrich George in "Hochzeit auf dem Bärenhof" (1942)
…schrieb Jürgen Tamborn zurecht, aber diese konservative Grundlage gewährte den Drehbuchautoren auch gewisse Freiheiten – nicht ohne Grund gelangten nur wenige Heimatfilme nach dem Krieg auf die US-Verbotsliste, keiner wurde als „Vorbehaltsfilm“ eingestuft. Um eine propagandistische Überhöhung der „Blut- und Boden-Ideologie“ der Heimatfilme dieser Phase nachzuweisen, wie sie Tramborn generell annahm (S.21), ist ein Vergleich zwischen literarischer Vorlage (schon im Umfeld von Ludwig Ganghofer tauchte der Terminus „Blut und Boden“ auf (S.142)) und der Drehbuchgestaltung notwendig. 

Gunnar Möller und Rudolf Prack in "Ferien vom ich" (1952), Remake von 1934
Allein der Fakt, dass zwanzig der literarischen Vorlagen nach dem Krieg erneut verfilmt wurden, schlägt eine Brücke in die 50er Jahre, zudem häufig unter Beteiligung der schon in den 30er Jahren führenden Regisseure und Drehbuchautoren. Auch Jürgen Trimborn listete mit Hans Deppe, Joe Stöckel, Franz Seitz, Veit Harlan und Erich Waschneck (es fehlt Paul May, weder Erich Waschneck, noch Veit Harlan gehörten zu den Heimatfilm-Spezialisten) Filmemacher auf, die sowohl für den 30er, als auch den 50er Jahre Heimatfilm maßgeblich verantwortlich waren (S.142) und widersprach damit indirekt seiner an anderer Stelle formulierten These einer Abgrenzung des 50er Jahre Heimatfilms zu seiner Vorgeschichte. Hans Deppe, der acht Heimatfilme während der NS-Zeit gedreht hatte, führte bei „Schwarzwaldmädel“ und „Grün ist die Heide“ Regie, jeweils unterstützt von Autor Bobby E. Lüthge, der schon an der Erstverfilmung von „Grün ist die Heide“ (1932) mitwirkte und auch am Propaganda-Film „Hitlerjunge Quex“ (1933) beteiligt war – mehr Kontinuität war schwer vorstellbar.


1.4. Kontinuierliche Entwicklung

Marianne Koch in "Der Klosterjäger" (1953), Remake von 1935
Dieser fließende Übergang zwischen NS- und Nachkriegszeit in der Filmproduktion Westdeutschlands war ein Abbild der auch sonst üblichen Vorgehensweise – die Fachkräfte blieben fast alle in Amt und Würden. Kaum ein Filmregisseur wurde mit einem Berufsverbot belegt, so dass sie ihre Arbeit wieder aufnehmen konnten, sobald sich die Filmindustrie nach dem Kriegsende zu erholen begann. Noch 1962 im „Oberhausener Manifest“ wurde kritisiert, dass es nach wie vor keinen relevanten Filmregisseur in der BRD gäbe, der nicht schon zur Zeit des Nationalsozialismus gearbeitet hätte („Opas Kino ist tot“). Daraus aber den Umkehrschluss zu ziehen, der „Heimatfilm“ setze die Intentionen der NS-Zeit unreflektiert fort, wäre trotzdem eine zu einseitige Betrachtung. Viel zur sehr musste das Genre auf die sich wandelnden Bedürfnisse der Zuschauer zugeschnitten werden, um wirtschaftlich erfolgreich zu sein.

"Ja, Ja, die Liebe in Tirol" (1955), Remake von "Kohlhiesels Töchter" (1943)
Besonders an Hand der Filme, die in den 50er Jahren als Remake der vor 1945 erschienenen Versionen herauskamen, lassen sich die Unterschiede sowohl in der Interpretation der Literaturvorlage, als auch in dem sich verändernden Gesellschaftsbild vergleichend herausarbeiten – mit teils überraschenden, den Vorurteilen widersprechenden Ergebnissen. So ist die 1940er Fassung von „Krambambuli“ nach dem Roman von Marie von Ebner-Eschenbach nicht nur näher an der Literaturvorlage, sondern wesentlich mutiger hinsichtlich der Figurenzeichnung als das Remake „Heimatland“ von 1955. Am Beispiel von "Krambambuli" lassen sich diese Analysen weiter fortsetzen, denn Von Ebner-Eschenbachs Roman erfuhr 1965 ("Ruf der Wälder") und 1972 ("Sie nannten ihn Krambambuli") noch weitere Verfilmungen. Ein fundiertes Resultat zu den spezifischen Entwicklungsschritten vom Nationalsozialismus zu den Aufbaujahren, über die 50er bis in die 70er Jahre fehlt insgesamt noch.

 „Um die ununterbrochenen Wiederholung des gleichen zu vermeiden und um die Besucher auch weiterhin mit den Heimatfilmen in die Kinos locken zu können, startete die Filmwirtschaft (sowohl in der Bundesrepublik, als aber auch in Österreich) dann in der Mitte der fünfziger Jahre den Versuch, das bewährte genretypische, ewiggleiche Schema geringfügig zu verändern, um die Zuschauer auch weiterhin an die Heimatfilme zu binden.“ (S. 26)

Adrian Hoven in "Pulverschnee nach Übersee" (1956)
Von einem ewiggleichen Schema konnte, wie zuvor schon nachgewiesen, nicht die Rede sein, aber Jürgen Trimborn reagierte mit dieser Aussage zurecht auf eine entscheidende Veränderung des Genres und widersprach damit erneut seiner eigenen Definition einer von 1953 bis 1956 andauernden Hochphase. Ab 1955 wurde die äußerliche Anmutung immer moderner, nahmen die komödiantischen Einlagen zu – kaum noch ein Film kam ohne eine Witzfigur aus, in der Regel ein trotteliger Tourist aus dem Flachland – und die Musik passte sich dem aktuellen Zeitgeschmack an. Gleichzeitig hielt man am konservativen Frauenbild fest, blieb moralisch restriktiv und betonte weiter den Kontrast Stadt/Land, was den bunten Bildern voller Errungenschaften der Wirtschaftswunderjahre aus heutiger Sicht einen zwiespältigen Charakter verleiht, damals aber den Höhepunkt an Unterhaltungswert versprach und damit die gewünschte weitere Bindung an den Heimatfilm.

Beppo Brem in "Der Bauerndoktor von Bayrisch Zell" (1957)
Aus wirtschaftlicher Sicht eine verständliche Vorgehensweise, die aber an der These vom Erfolgsmodell als Ablenkung vom tristen Alltag (in qualitativer Abgrenzung zum sonstigen Kinofilm) rüttelt. Zum Zeitpunkt des größten Erfolgs und des höchsten Outputs an Heimatfilmen ging es den Deutschen mehr als 10 Jahre nach Kriegsende schon deutlich besser, verschwanden die Wunden des Krieges zunehmend auch aus den Städten. An dieser abschließenden Infragestellung einer zu undifferenziert geäußerten These wird erneut deutlich, dass das Genre des „Heimatfilms“ trotz einer inzwischen großen Anzahl sehr guter filmwissenschaftlicher Arbeiten nach wie vor mit klischeehafter Vereinfachung betrachtet wird.


1.5. Zielsetzung

Toni Salier in "12 Mädchen und ein Mann" (1959)
Jürgen Trimborns Versuch, an Hand von zehn subjektiv ausgesuchten Schlüsselwerken feste Regeln herauszuarbeiten, musste in seiner Aussagekraft beschränkt bleiben, auch weil er sowohl die Vorgeschichte, als auch die folgenden 60er Jahre nur oberflächlich betrachten konnte. Vorzuwerfen ist ihm das nicht, zumal die von ihm erarbeiteten Typologien von grundsätzlicher Bedeutung geblieben sind, denn jede wissenschaftliche Arbeit in Buchform muss an der schier unübersichtlichen Menge an Filmen scheitern – nicht nur an der Anzahl der „reinen“ Heimatfilme in mehr als vier Jahrzehnten (unter Verzicht auf den „modernen“ Heimatfilm ab den 80er Jahren), sondern auch an der Vielzahl der genrenahen Werke. Zudem standen den Wissenschaftlern bis vor wenigen Jahren nur eine beschränkte Anzahl an Filmen medial zur Verfügung.

"Happy-End am Wolfgangsee" (1966)
In den folgenden sechs Kapiteln werden vier Jahrzehnte Filmgeschichte in historisch sinnvolle Abschnitte unterteilt, die sich thematisch der Entwicklung der Heimatfilme widmen und die hier aufgestellten Thesen an Hand von Fakten differenzierter begründen sollen. Schwerpunkt bleibt aber die Filmliste mit den nach Premierendaten geordneten Heimatfilmen, begleitet von den wichtigsten Angaben zu den Kreativen, eventuellen Originalvorlagen und Remakes. Darauf basierend soll die Analyse des Mediums weiter ins Detail fortgeführt werden. Mit dem Ziel, die Intentionen der Macher und damit deren Reflexion auf die Befindlichkeiten der Deutschen, zu erfassen, aber auch um die Qualitäten der einzelnen Filme wieder zu entdecken. Und warum sie Freude bereiteten und es vielleicht auch heute noch können.


1.6. Quellen:

- Jürgen Trimborn    „Der deutsche Heimatfilm der fünfziger Jahre. Motive, Symbole und
                                   Handlungsmuster“.
                                   Köln: Teiresias-Vlg. Leppin 1998, 186 S. (Filmwissenschaft. 4.)

- Hans J. Wulff         „Der BRD-Heimatfilm der 1950er Jahre: Eine Biblio-Filmographie,
                                    zusammengestellt von Hans J. Wulff, Stand 2011

- Christian Rapp       „Höhenrausch – Der deutsche Bergfilm“
                                    Sonderzahl Verlagsgesellschaft Wien, 1997

- Tobias Schneider    „Bestseller im dritten Reich“
                                    Vierteljahreshefte für Zeitgeschichte, 2004, Heft 1, S.77-97

- Gertraud Steiner      „Der österreichische Heimat-Film 1946 – 1966“ (Wien 1987)

- Sabine Ploskov        „Heimatfilm als Spiegel österreichischer Mentalitätsgeschichte“
                                     Diplomarbeit 2013, Uni Wien, Fachbereich Geschichte

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