4.1. Viele alte und wenige neue Köpfe
Überläufer - "Ulli und Marei" (1948) |
Aufgrund der Annexion Österreichs an das deutsche Reich 1938
wurde die Trennung des deutschsprachigen Films in deutsche und österreichische
Produktionen hinfällig. Nach dem Krieg änderte sich diese Situation zwar
wieder, aber besonders im Heimatfilm-Genre blieben die Grenzen fließend.
Unabhängig von der Herkunft der Produktionsgelder, entstanden in der Boom-Phase
der 50er Jahre nahezu ausschließlich Heimatfilme, in denen Kreative aus beiden
Ländern zusammenarbeiteten. Für die unmittelbaren Nachkriegsjahre galt das noch
nicht, denn in Österreich durfte früher wieder mit der Filmproduktion begonnen
werden, weshalb die Heimatfilme des Jahrgangs 1948 fast ausschließlich unter
österreichischer Hoheit entstanden, sieht man von Rolf Meyers zwei Filmen
„Zugvögel“ und „Menschen in Gottes Hand“ ab, die dieser von der von ihm
gegründeten „Jungen Film Union“ selbst produzierte und die heute als die ersten
westdeutschen Filme nach dem Krieg gelten. Neben diesen neu gedrehten Filmen
kamen wenige Jahre nach Kriegsende erstmals Filme in die deutschen Kinos, die
noch in den letzten Jahren der Nazi-Diktatur entstanden waren. Diese
„Überläufer“ genannten Filme mussten teilweise noch fertiggestellt werden,
erhielten auch andere Filmtitel, sind inhaltlich und inszenatorisch aber noch
in der Zeit bis 1945 verankert.
"Rendezvous im Salzkammergut" (1948) |
Heute werden die Nachkriegsjahre vor allem mit
den „Trümmerfilmen“ verbunden, die versuchten, die schwierige Situation im
zerstörten Deutschland realistisch abzubilden, aber gemessen an einem
Gesamtvolumen von etwa 150 Filmen bis zum Jahr 1950 hatte auch der
Heimatfilm schon früh Gewicht. Bis im September 1950 „Schwarzwaldmädel“ als
erster deutscher Farbfilm nach dem Krieg in die Kinos kam, der gemeinhin als
Initialzündung des „Heimatfilm“ - Genres gilt (siehe dazu „Vom Bergdrama zur Sex-Klamotte – der Heimatfilm im Zeitkontext“), waren nicht nur schon ca.
30 Heimatfilme herausgekommen, auch die Gruppe der Kreativen hatte sich inzwischen
wieder formiert. Mit Rudolf Prack, Paul Richter, Attila Hörbiger und Hans Holt
gaben schon früh die seit den 30er Jahren bekannten Heimatfilmhelden ihre Visitenkarte ab, ebenso wie
Maria Andergast, Beppo Brem oder Curd Jürgens, der nach 1945 in die erste Darsteller-Riege
aufsteigen sollte. Auch die Karrieren der damals 20jährigen Sonja Ziemann - vor
1945 in kleineren Nebenrollen besetzt - und den gleichaltrigen Neuentdeckungen Maria Schell und
Waltraut Haas nahmen direkt nach dem Krieg Fahrt auf. In dem heute unbekannten
„Maharadscha wider Willen“ (1950) war Sonja Ziemann erstmals gemeinsam mit
Rudolf Prack auf der Leinwand zu sehen, doch erst der große Erfolg von
„Schwarzwaldmädel“ ließ sie zum Film-Traumpaar werden.
"Das Siegel Gottes" (1948) |
Eine ähnliche Entwicklung lässt sich bei den Regisseuren und
Drehbuchautoren beobachten, die häufig auch als Darsteller in ihren Produktionen
auftraten. Joe Stöckel, seit den frühen 30er Jahren einer der meist beschäftigten
Heimatfilm-Spezialisten, war ab 1949 („Ein Herz schlägt für dich“ mit Rudolf
Prack) wieder voll im Geschäft, ebenso die Drehbuchautoren Alois Johannes Lippl
und Alexander Lix („Das Siegel Gottes“, 1949). Die Genre-erfahrenen Regisseure
Eduard von Bosordy („Angela“, 1949), Gustav Ucicky („Der Seelenbräu“, 1950) und
Hubert Marischka („Ein Mann gehört ins Haus“, 1948) machten dort weiter, wo sie
Ende des Kriegs aufgehört hatten, und Luis Trenker entwickelte in Italien seinen ersten Nachkriegsfilm „Duell in den Bergen“ (1950) mit der späteren Heimatfilm-Ikone Marianne Hold in ihrer ersten großen Rolle. Nur für den renommierten „Münchhausen“ (1943) –
Regisseur Josef von Baky bedeutete das Genre Neuland („Das Tor zum
Paradies“, 1949). Mit Harald Reinl („Bergkristall“, 1949) und Franz Antel
(„Kleiner Schwindel am Wolfgangsee“, 1949) stießen in dieser Phase auch zwei
junge Regisseur neu hinzu, die das Genre in den 50er Jahren maßgeblich mit
prägen sollten.
4.2. Die Ursache des Erfolgs von „Schwarzwaldmädel" – Aktion oder
Reaktion?
Sonja Ziemann in "Schwarzwaldmädel" (1950) |
Verglichen damit waren Regisseur Hans Deppe und Autor Bobby
E.Lüthge spät an der Reihe, als sie ihre Arbeit im Heimatfilm-Genre mit den
Dreharbeiten zu „Schwarzwaldmädel“ wieder aufnahmen, aber das ließe
übersehen, dass sie seit 1949 viel beschäftigt einen Film nach dem anderen
gedreht hatten, darunter gemeinsam die Komödie „Eine Nacht im Separee“ (1950),
ebenfalls mit Sonja Ziemann in einer Hauptrolle. Nimmt man die
erste Ludwig Ganghofer-Verfilmung nach dem Krieg hinzu - „Der Geigenmacher von
Mittenwald“, zu dem Peter Ostermayr das Drehbuch schrieb - und den ebenfalls parallel zu "Schwarzwaldmädel" entstandenen „Der
Wallnerbub“, Alfred Stögers dritter Heimatfilm seit 1948, wird offensichtlich, wie engmaschig und
produktiv die Branche 1950 schon arbeitete. Bis März 1951 kamen acht weitere Heimatfilme dazu,
darunter auch „Grenzstation 58“ mit den Vorkriegs-Stars Hansi Knoteck und Sepp
Rist in den Hauptrollen. Jeder dieser Filme war schon vor dem überragenden
Erfolg von „Schwarzwaldmädel“ konzipiert worden.
Marianne Hold in "Duell in den Bergen" (1950) |
Erst ab Herbst 1951 kam es zu einer signifikanten Erhöhung
der Produktionszahlen. Bis Ende 1952 entstanden etwa 40
Heimatfilme, bevor die Zahlen im Jahr 1953 wieder auf das Niveau von 1950
zurückgingen. Eine Entwicklung, die zwar für die Initialzündung durch „Schwarzwaldmädel“ spricht, gleichzeitig aber auch das schon enorme Interesse am
Heimatfilm-Genre zum Entstehungszeitpunkt des Films bestätigt. Es steht außer
Frage, dass der erste westdeutsche Farbfilm nach dem Krieg der Branche einen enormen
Schub gab, aber das Bedürfnis nach Ablenkung vom Alltag und der Vermittlung
eines Heimatgefühls inmitten chaotischer Verhältnisse war schon geweckt. Dank
des Rückgriffs auf bewährte Kräfte hatte sich die Infrastruktur seit Kriegsende
regeneriert und sorgte ab 1948 für einen kontinuierlichen Output. Dadurch war die Filmindustrie in der
Lage, kurzfristig auf die erhöhte Nachfrage zu reagieren. Die Frage, ob es ohne
„Schwarzwaldmädel“ zu einem vergleichbaren 50er Jahre Heimatfilm-Boom gekommen
wäre, bleibt spekulativ, aber angesichts dieser schon früh nach dem Krieg
entstandenen Ausgangssituation ist es zumindest vorstellbar.
Die Nachkriegszeit 1947 bis 1950:
Die Nachkriegszeit 1947 bis 1950:
27.02.1947 Jugendliebe - Eduard von Borsody (Überläufer – Beginn der Dreharbeiten 1944)
09.05.1947 Die
Glücksmühle - Emmerich Hanus (A - früher österreichischer Nachkriegsfilm)
23.05.1947 Zugvögel -
Rolf Meyer ("Trümmerfilm ohne Trümmer",
erster Film der britischen Besatzungszone)
erster Film der britischen Besatzungszone)
27.01.1948 Menschen
in Gottes Hand - Rolf Meyer
27.03.1948 Rendezvous
im Salzkammergut - Alfred Stöger (A – Musical mit
Hans Holt)
21.04.1948 Ein
Mann gehört ins Haus - Hubert Marischka (Überläufer – Dreharbeiten 1945)
23.04.1948 Ulli
und Marei - Leopold Hainisch (A - Überläufer
– Dreharbeiten 1945,
veröffentlicht als „Der Berghofbauer“)
13.08.1948 Die
Verjüngungskur - Harald Röbbeling (A - Der Bauernschwank erhielt
Aufführungsverbot in Tirol)
16.08.1948 Via
Mala - Josef von Báky (Überläufer – Dreharbeiten 1943/44,
nach dem Roman von John Knittel, 1961 erneut
verfilmt)
15.09.1948 An
klingenden Ufern - Hans Unterkircher (A - mit Curd
Jürgens)
17.09.1948 Gipfelkreuz -
Alfons Benesch (A)
05.11.1948 Maresi -
Hans Thimig (A – mit Maria Schell)
19.11.1948 Der
Hofrat Geiger - Hans Wolff (A – als „Mariandl“ 1961 erneut
verfilmt)
14.12.1948 Die
Sonnenhofbäuerin - Wilfried Fraß (A)
"Der Geigenmacher von Mittenwald" (1950) nach Ludwig Ganghofer |
07.01.1949 Schuld
allein ist der Wein - Fritz Kirchhoff (nach dem
Bauernschwank
"Schweinefleisch in
Dosen" von Paul Neuhaus)
12.04.1949 Ein
Herz schlägt für dich - Joe Stöckel (mit Rudolf
Prack,
nach dem Roman von Wilhelmine von Hillern)
24.06.1949 Das
Siegel Gottes - Alfred Stöger (A – Drehbuch
Alexander
Lix, nach Motiven
von Peter Rosegger "Das ewige Licht)
28.09.1949 Die
drei Dorfheiligen - Ferdinand Dörfler (mit Joe Stöckel
und Beppo Brem, nach dem
Bauernschwank von Max Neal)
01.10.1949 Angela -
Eduard von Borsody (A - Drehbuch Alexander Lix,
mit Armin Dahlen, sein erster Heimatfilm, bekannt als "Weißes Gold")
23.10.1949 Bergkristall -
Harald Reinl (DA - bekannt als
„Der
Wildschütz von Tirol“, nach dem Roman von Adalbert Stifter)
21.12.1949 Das
Tor zum Paradies - Josef von Báky (Drehbuch Erna
Fentsch, mit Carl Wery,
nach dem Roman „Brandner Kaspar“ von Franz von Kobell)
23.12.1949 Das
goldene Edelweiss - Paul Pfeiffer
27.01.1950 Kleiner
Schwindel am Wolfgangsee - Franz Antel (A - mit Hans
Holt und
Gunter
Philipp, Drehbuch Gunter Philipp)
10.02.1950 Schicksal
am Berg - Ernst Hess
31.03.1950 Der
Dorfmonarch - Joe Stöckel (mit Joe Stöckel und Beppo Brem)
07.04.1950 Die
Kreuzlschreiber - Eduard von Borsody (Nach dem Bauernschwank
von Ludwig Anzengruber)
25.08.1950 Der
Seelenbräu - Gustav Ucicky (A – Drehbuch Alexander Lix,
nach dem Roman von Carl Zuckmayer)
01.09.1950 Aufruhr
im Paradies - Joe Stöckel (mit Joe Stöckel)
07.09.1950 Schwarzwaldmädel - Hans Deppe (mit Rudolf Prack und Sonja Ziemann, Drehbuch
Bobby E.Lüthge nach der Operette von August Neidhart, Remake von 1933)
28.09.1950 Cordula - Gustav Ucicky (A – mit Paula Wessely und Attila Hörbiger,
nach einem Gedicht von Alfred Wildgans)
05.10.1950 Duell in den Bergen - Luis Trenker (I - mit Marianne Hold (ihr erster Heimatfilm))
10.10.1950 Föhn - Rolf Hansen (mit Hans Albers, Drehbuch Erna Fentsch
und Arnold Fanck, Remake von "Die weiße Hölle vom Piz Palü" 1929)
10.10.1950 Föhn - Rolf Hansen (mit Hans Albers, Drehbuch Erna Fentsch
und Arnold Fanck, Remake von "Die weiße Hölle vom Piz Palü" 1929)
24.10.1950 Auf der Alm da gibt's koa Sünd' - Franz Antel (A - mit Maria Andergast)
04.12.1950 Die fidele Tankstelle - Joe Stöckel (mit Hansi Knoteck und Joe Stöckel,
Drehbuch Hans H. König)
04.12.1950 Die fidele Tankstelle - Joe Stöckel (mit Hansi Knoteck und Joe Stöckel,
Drehbuch Hans H. König)
10.12.1950 Der Geigenmacher von Mittenwald - Rudolf Schündler (mit Paul Richter, Drehbuch Peter
Ostermayr, nach dem Drama von Ludwig Ganghofer, Remake von "Die blonde Christel" 1933)
Ostermayr, nach dem Drama von Ludwig Ganghofer, Remake von "Die blonde Christel" 1933)
12.12.1950 Der Wallnerbub - Alfred Stöger (A - mit Josef Meinrad,
nach dem Roman von Karl Heinrich Waggerl)
18.12.1950 Gruß und Kuss aus der Wachau - Fritz Schulz (A - mit Waltraud Haas,
nach der Operette von Carl Farkas)
Gesamtinhalt Essay Heimatfilm:
5. Die erste Boom-Phase – der Heimatfilm der Jahre 1951 bis 1954
5.1. Der "Innere Zirkel" wächst
5.2. Die neuen "Mannsbilder"
5.3. Die weiblichen Stars
nach dem Roman von Karl Heinrich Waggerl)
18.12.1950 Gruß und Kuss aus der Wachau - Fritz Schulz (A - mit Waltraud Haas,
nach der Operette von Carl Farkas)
Gesamtinhalt Essay Heimatfilm:
1.2. Die 50er Jahre – der Versuch von Abgrenzung und historischer Einordnung
1.3. Von Ludwig Ganghofer über den Nationalsozialismus bis zum „Schwarzwaldmädel“
1.4. Kontinuierliche Weiterentwicklung des Genres
1.5. Zielsetzung
1.6. Quellen
2.1. Pioniere des Heimatfilms
2.2. Das Berg-Drama
3. Die Phase des Nationalsozialismus - der Heimatfilm der Jahre 1934 bis 1945
3.1. Der "innere Zirkel" der Heimatfilm-Macher
3.1. Der "innere Zirkel" der Heimatfilm-Macher
3.2. Der Heimatfilm als Vehikel der NS-Ideologie?
4. Die Nachkriegszeit bis "Schwarzwaldmädel" – der Heimatfilm der Jahre 1947 bis 1950
4.1. Viele alte und wenige neue Köpfe
4.2. Die Ursache des Erfolgs von "Schwarzwaldmädel": Aktion oder Reaktion?
4. Die Nachkriegszeit bis "Schwarzwaldmädel" – der Heimatfilm der Jahre 1947 bis 1950
4.1. Viele alte und wenige neue Köpfe
4.2. Die Ursache des Erfolgs von "Schwarzwaldmädel": Aktion oder Reaktion?
5. Die erste Boom-Phase – der Heimatfilm der Jahre 1951 bis 1954
5.1. Der "Innere Zirkel" wächst
5.2. Die neuen "Mannsbilder"
5.3. Die weiblichen Stars
6. Im Zenit des Wirtschaftswunders - der Heimatfilm der Jahre 1955 bis 1957
6.1. Höhepunkt und beginnender Niedergang
6.2. Lust an der Freizeit statt Flucht aus dem Alltag
6.3. Die Protagonisten der zweiten Welle
6.4. Die Stunde der Komödianten
7. Der Weg in die Moderne - der Heimatfilm der Jahre 1958 bis 1969
7.1. Gibt es ein Ende des Heimatfilms?
7.2. Die unaufhaltbare Modernisierung
7.3. Die alten und die neuen Männer
6.1. Höhepunkt und beginnender Niedergang
6.2. Lust an der Freizeit statt Flucht aus dem Alltag
6.3. Die Protagonisten der zweiten Welle
6.4. Die Stunde der Komödianten
7. Der Weg in die Moderne - der Heimatfilm der Jahre 1958 bis 1969
7.1. Gibt es ein Ende des Heimatfilms?
7.2. Die unaufhaltbare Modernisierung
7.3. Die alten und die neuen Männer
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