Montag, 8. April 2013

Die Halbstarken (1956) Georg Tressler


Inhalt: Berlin, Mitte der 50er Jahre: Überraschend trifft Freddy (Horst Buchholz) seinen jüngeren Bruder Jan (Christian Doermer) im Schwimmbad. Nachdem Freddy sich mit seinem strengen Vater (Paul Wagner) überworfen hatte, war er nicht mehr nach Hause zurückgekommen. Obwohl sie gleich in eine Schlägerei verwickelt werden, muss Jan feststellen, dass es seinem Bruder sehr gut zu gehen scheint. Dieser hat einen Job bei einer Tankstelle, zieht mit einer Bande herum, deren Chef er ist, und hat eine so attraktive wie selbstbewusste Freundin (Karin Baal).

Auch an Geld scheint es ihm nicht zu mangeln, weshalb Freddy und seine Freunde hauptsächlich in schicken Bars verkehren und ständig abfeiern. Bevor Jan merkt, dass sein Bruder dieses Leben mit Diebstählen und Hehlerei erkauft, ist er dem Sog schon erlegen. Doch auch Freddy bekommt zunehmend Schwierigkeiten, weil sein Bedarf ständig größer wird und auch seine Freundin Sissy ihn unter Druck setzt. Deshalb plant er das ganz große Ding...


Schon an der inzwischen altmodischen Bezeichnung aufmüpfiger Jugendlicher mit dem Begriff "Die Halbstarken" wird deutlich, dass der gleichnamige Film aus dem Zeitkontext Mitte der 50er Jahre betrachtet werden sollte. Der Film selbst lässt an der damals landläufigen Meinung wenig Zweifel, wenn er zu Beginn zwei Schrifttafeln zeigt, die darauf hinweisen sollen, dass es sich bei den hier gezeigten Jugendlichen um eine Minderheit handelt und diese "im Zwielicht von Erlebnisdrang und Verbrechen" heranwachsen. Diese eindimensionale Sichtweise und die daraus entstehende Konfrontation zwischen bürgerlicher Gesellschaft und der ersten Jugendbewegung nach dem Krieg, machen bis heute die Zeitlosigkeit eines Films aus, der den Generationskonflikt und das damalige Lebensgefühl unter den Heranwachsenden authentisch wiedergibt.

Die Zeitungen in Deutschland waren damals voll von Berichten über die scheinbar entartete Jugend, die sich im kleinbürgerlichen Nachkriegs-Deutschland an Rock'n Roll, Jeans, Lederjacken und Espressobars orientierten. Doch mit dem romantischen Flair, mit dem aus heutiger Sicht die 50er Jahre gerne verklärt werden, hatte das wenig gemeinsam, denn wer sich als Jugendlicher konsequent darauf einließ, wurde sofort als Krimineller betrachtet - noch bis Ende der 60er Jahre trug ein „anständig angezogener" Mann, unabhängig seines Alters, in der Öffentlichkeit Krawatte, auch wenn er nur ins Kino ging.

Der Film zeigt auch eine Phase großer sozialer Unterschiede. Die materiellen Möglichkeiten trennten in den „Wirtschaftswunderjahren“ zunehmend die bürgerlichen Schichten. Während der Großteil der Bevölkerung zu Fuß, mit dem Fahrrad oder den öffentlichen Verkehrsmitteln unterwegs war, hatten die Wenigen, die es schon "geschafft" hatten, einen protzigen Wagen. "Die Halbstarken" ist nahezu dokumentarisch in seiner Darstellung des "normalen" Berlins der 50er Jahre. Bekannte Gebäude oder Monumente sind nicht zu sehen, ebenso werden nur wenige Kriegsschäden gezeigt - das Leben findet auf den Straßen statt oder in proletarischen Stadtteilen wie dem Wedding. Die großen Altbauwohnungen mit den hohen Räumen, den tapezierten Wänden und den schweren Möbeln strahlen Einfachheit und Armut aus - die sich darin aufhaltenden Erwachsenen wirken demütig und bescheiden.

Doch die Jugend beginnt sich an anderen Vorbildern zu orientieren, bewundert den Reichtum Einzelner und will nicht ihren hart arbeitenden Eltern nacheifern, sich für jeden Pfennig „die Finger dreckig machen“. Geschickt beginnt Regisseur Dressler seine Geschichte in einem öffentlichen Schwimmbad, das in seiner Sauberkeit wie ein neutraler, moderner Ort wirkt. Alles ist neu und schön und Freddy (Horst Buchholz) wirkt in seiner Badehose wie ein normaler Jugendlicher, der mit seiner Freundin, der 15jährigen Sissy (Karin Baal), schwimmen geht. Doch der Eindruck kippt, als sich Freddy aus nichtigem Anlass mit den Bademeistern anlegt und es zu einer großen Prügelei kommt, in die auch Jan (Christian Doermer), Freddys jüngerer Bruder, einbezogen wird.

Seitdem Freddy aus dem gemeinsamen Elternhaus abgehauen war, hatten sich die beiden Brüder längere Zeit nicht gesehen und waren sich im Schwimmbad zufällig über den Weg gelaufen. Jan ist überrascht, wie gut es seinem Bruder geht, der nicht nur eine hübsche Freundin und viele Freunde hat, sondern offensichtlich auch einen guten Job und viel Geld. Fasziniert begleitet er ihn und landet wenig später mit dessen kecker Freundin in einer Eisdiele. Als Jan nach Hause geht, um sich schnell umzuziehen, wird der Kontrast zwischen Freddys lockerem Leben und ihrem tristen Elternhaus deutlich. Der Vater wirkt streng und unnachgiebig und wirft seiner Frau ständig deren Mitschuld an ihrer finanziellen Misere vor, da er ihrem Bruder eine Bürgschaft gegeben hatte, die er nun an die Bank abzahlen muss. Ihre Mutter ist eine zarte Frau, die sehr darunter leidet, dass ihr großer Sohn Freddy nicht mehr zu Hause ist. Jan will ihr helfen und bittet Freddy deshalb um Geld. Er ahnt noch nicht, dass dieser gerade ein großes Ding vorbereitet.

Die ursprüngliche Intention für die Entwicklung des Films "Die Halbstarken" lag zwischen Sensationsgier und moralischem Zeigefinger. Einerseits sollte die Jugend "gewarnt" werden, andererseits zog der Film ein großes Publikum an, das sich an den "ungezogenen Jugendlichen" delektieren wollte. Das daraus ein guter Film wurde, liegt an Tresslers Inszenierung und Will Trempers Drehbuch, das nicht urteilte, sondern die damaligen gesellschaftlichen Bedingungen authentisch wiedergab und auch das Verhalten der Erwachsenen nicht idealisierte – besonders lag es aber an den ausgezeichneten Darstellern. Horst Buchholz als Freddy gelingt eine Mischung aus Angeber und sensiblem Familienmenschen. Sein Umgang mit den Kameraden ähnelt stark dem Verhalten seines Vaters, doch dank seines Charmes und seiner faszinierenden Ausstrahlung schart er eine Menge scheinbarer Freunde um sich, ohne das ihm klar wird, dass sie zwar unter seinen Tiraden leiden, ihn aber auch ausnutzen.

Seine Freundin Sissy, die von der damals 16jährigen Berlinerin Karin Baal mehr als überzeugend verkörpert wurde, beeinflusst ihn geschickt. Sie ist die negativste Figur des Films, die noch von den damaligen Geschlechterrollen bestimmt wurde. Ihre unmissverständliche Zielsetzung, als Frau der Armut entkommen zu wollen und nicht so wie ihre Mutter schuften zu müssen, wurde noch nicht akzeptiert. Während man jungen Männern ihre Verfehlungen nachsah, besonders wenn sie so attraktiv und sympathisch waren wie Horst Buchholz, der nicht ohne Grund nach diesem Film als "deutscher James Dean" zum großen Star wurde, so war die Gesellschaft noch weit davon entfernt, Nachsicht mit einer berechnenden Frau zu üben. Karin Baal war nach dieser Rolle lange Zeit auf diesen negativen Typus festgelegt und auch aus heutiger Sicht werden die meisten Zuschauer der hier vorgegebenen "Sympathiezuteilung" folgen.

In einem Punkt lagen die Schautafeln, die den Film einleiteten, richtig - Jugendliche, die damals wie Freddy und seine Freunde handelten, waren eine Minderheit und es dauerte noch bis Ende der 60er Jahre, bis die deutsche Gesellschaft toleranter wurde. Der Grund für diese Entwicklung wird in „Die Halbstarken“ aber schon deutlich und machte auch seinen Erfolg aus, der eine regelrechte Welle an moralisch motivierten Jugendfilmen nach sich zog.

"Die Halbstarken" Deutschland 1956, Regie: Georg Tressler, Drehbuch: Georg Tressler, Will TremperDarsteller : Horst Buchholz, Karin Baal, Christian Doermer, Jo Herbst, Viktoria von BallaskoLaufzeit : 97 Minuten

weitere im Blog besprochene Filme von Georg Tressler:

Keine Kommentare:

Kommentar veröffentlichen