Donnerstag, 4. April 2013

So ein Flegel (1934) Robert A. Stemmle

Inhalt: Obwohl Dr. Hans Pfeiffer (Heinz Rühmann) erst Anfang 20 ist, ist er schon ein erfolgreicher Schriftsteller, dessen Theaterstück in Berlin auf die Bühne gebracht werden soll. Bei den Proben kritisiert er die schauspielerischen Leistungen, da die von ihm konzipierten Rollen aus seiner Sicht nicht überzeugend verkörpert werden. Wirklich ernst wird seine Meinung nicht genommen, da sein Stück in einer Schule spielt, er selbst aber von einem Privatlehrer unterrichtet wurde. Woher soll er wissen, wie sich ein Schüler an einer staatlichen Schule benimmt?

Sein Zwillingsbruder Erich (Heinz Rühmann) könnte ihm da einiges erzählen, denn der Oberprimaner versucht seit zwei Jahren sein Abitur zu bestehen, gilt aber unter den Lehrern als hoffnungsloser Fall, da er nur Flausen im Kopf hat. Um der Tochter des Direktors, Eva (Annemarie Sörensen), zu imponieren, hängt er früh am Morgen ein Schild an das Eingangstor zum Gymnasium, das behauptet, die Schule wäre wegen Bauarbeiten an diesem Tag geschlossen, ein von den Schülern gern befolgter Hinweis. Dem Lehrerkollegium ist sofort klar, wer dahinter steckt und will Erich Pfeiffer bestrafen, aber dieser entzieht sich durch Flucht nach Berlin. Nichts ahnend erscheint in diesem Moment sein Bruder Hans an der Schule in der Kleinstadt, um nach seinem Bruder zu sehen und landet unvermittelt im Karzer…


Sein erster 1933 erschienener Roman "Die Feuerzangenbowle" wurde für den in Düsseldorf als Rechtsanwalt arbeitenden Heinrich Spoerl der Beginn einer erfolgreichen Karriere als Schriftsteller. Schon 1934 wurde sein Roman erstmals verfilmt - ein Erfolg, dem weitere folgen sollten. Die 1936 herausgegebenen Romane "Wenn wir alle Engel wären" und  "Der Maulkorb" erlebten ähnlich schnell ihr erstes Leinwanddebüt, bevor mit "Der Gasmann" auch sein vierter Roman 1941 verfilmt wurde. So homogen diese Entwicklung in der Zeit des Nationalsozialismus klingt, so entscheidend sind die Unterschiede im Detail.

"Der Maulkorb" verstand sich als ironisch-bissige Beschreibung kleinbürgerlicher Obrigkeitshörigkeit - seine Verfilmung von 1938 gilt trotz ihrer zeitlichen Rückdatierung als erstaunlich subversiv - und "Wenn wir alle Engel wären" war ein liebevoller Angriff auf die Doppelmoral. Einzig "Der Gasmann" ließ deutliche Konzessionen an den Nationalsozialismus erkennen und verfügte auch nicht über Spoerls ambivalente Charaktere, weshalb er sein einziger Roman blieb, der nach dem Krieg nicht wieder verfilmt wurde. "Die Feuerzangenbowle" dagegen erfuhr noch während der Zeit des Nationalsozialismus eine erneute Verfilmung, wofür es mehrere Gründe gab. Spoerls amüsante Erzählung von seligen Gymnasialzeiten zu Beginn des 20.Jahrhunderts, verband die idealisierte Rückschau auf die eigene Schullaufbahn mit einem spöttischen, aber keineswegs herabwürdigenden Blick auf die Lehrkräfte, und versprach damit die vom Propaganda-Ministerium geforderte politisch unverfängliche Unterhaltung – ein Irrtum, wie sich herausstellte – aber entscheidend war, das die erste Verfilmung „So ein Flegel“ ohne die Beteiligung Spoerls am Drehbuch entstanden war und stark von der Buchvorlage abwich.

Stattdessen hatte Hans Reimann das Drehbuch verantwortet, der auch als Mitverfasser der „Feuerzangenbowle“ gilt. Wie groß sein Anteil an Spoerls Buch war, konnte nie genau nachgewiesen werden, aber das Drehbuch zu „So ein Flegel“, dass er in Zusammenarbeit mit dem Regisseur Robert A.Stemmle schrieb, veränderte nicht nur die Story, sondern auch ihren fantasievollen Charakter - wie schon der veränderte Filmtitel verrät, der auf die „Feuerzangenbowle“ verzichtete, die erst die alkoholisch vernebelten Erinnerungen an die Schulzeit ermöglichte. Entsprechend unrealistisch erschien den Machern die Vorstellung, dass ein erwachsener Bürger im bürokratischen Deutschland erneut die Schule besucht – die Grundidee in Spoerls Roman - weshalb Hartmann nicht nur den Zwillingsbruder Erich Pfeiffer dazu erfand, sondern beider Dasein gleich auf feste Füße stellte. Während Dr.Hans Pfeiffer (Heinz Rühmann) ein wahrer Wunderknabe ist, der schon mit Anfang 20 über einen Doktortitel verfügt und als Autor ein Theaterstück über die Schulzeit in Berlin herausbringt, wiederholt sein gleichaltriger Bruder Erich (Heinz Rühmann) schon zum dritten Mal die Oberprima und gilt als hoffnungsloser Fall. Die Zielsetzung dieser Konstellation liegt auf der Hand. Durch den zufälligen Tausch der identisch aussehenden Brüder – Erich flieht nach einem Streich aus der Kleinstadt, Hans wollte dort gerade nach dem Rechten sehen – kann Hans endlich die Schulbank drücken und fehlende Erfahrungen nachholen, während Erich in Berlin deutlich entspannter mit den Theaterleuten und der Privatsekretärin umgeht als sein gestrenger Bruder.

Offensichtlich war Spoerls Einfluss zu diesem Zeitpunkt noch gering, denn der Versuch, seinen traumwandlerischen Erinnerungen eine realistischere Grundlage zu geben, ging nur auf Kosten der inneren Schlüssigkeit seines Romans. Das beginnt schon bei den charakterlich sehr unterschiedlichen Zwillingsbrüdern, deren verschiedener Werdegang nicht nachvollziehbar ist. Wieso geht Erich auf eine staatliche Schule, während Hans (wie in Spoerls Buch) bei einem Privatlehrer lernte? – Auch die romantischen Verwicklungen um Eva (Annemarie Sörensen), die hübsche Tochter des Schuldirektors (Jakob Tiedtke), benötigten einige Drehbuchverrenkungen. Kurz nachdem er in der Kleinstadt ankam, landet Hans für fünf Stunden im Schulkarzer als Strafe für einen Streich, den sein Bruder der Schule gespielt hatte, um Eva zu imponieren. Es kommt zu einer Szene aus Spoerls Buch, in der Eva den Delinquenten besucht, teils um ihn zu verspotten, teils weil sie sich geschmeichelt fühlt. Hans, dem sie sofort gefällt, erkundigt sich später am Telefon bei seinem Bruder, ob Eva ihm etwas bedeute. Dieser weist das weit von sich, womit zwar das Binnenverhältnis der Brüder geklärt ist, sich aber die Frage stellt, wieso Erich sich zuvor so sehr um sie bemüht hatte?

Der entscheidende Unterschied zur Buchvorlage und damit auch zu deren originalgetreuen Verfilmung von 1944 liegt in der Vernachlässigung des eigentlichen Themas – der Schule. Oskar Sima als Professor Crey, der ebenfalls ein Auge auf Eva geworfen hat, gibt sich zwar die größte Mühe als feindlich gesinnter Lehrer, kann aber nicht verhindern, dass von der Schulatmosphäre wenig übrig blieb. Selbst die berühmte Szene mit der Dampfmaschine verliert jede Wirkung, da sie innerhalb des Lustspiels um die verwechselten Brüder, diverse Damen und die Theateraufführung in Berlin wie ein Fremdkörper wirkt. Auch wenn der Film einen Großteil der handelnden Personen, sowie einige Szenen aus dem Buch übernahm, erzählte er eine völlig anders konzipierte Geschichte. Zu seinem Nachteil, da er sich von anderen harmlos-witzigen Komödien der frühen nationalsozialistischen Jahre kaum unterschied und für den überzeugend in einer Doppelrolle agierenden Heinz Rühmann kein Erfolg wurde. Dass „So ein Flegel“ der Vergessenheit entrissen wurde, verdankt er ausschließlich der zweiten, wesentlich gelungeneren Verfilmung der „Feuerzangenbowle“.

"So ein Flegel" Deutschland 1934, Regie: Robert A.Stemmle, Drehbuch: Hans Reimann, Robert A.Stemmle, Heinrich Spoerl (Roman), Darsteller : Heinz Rühmann, Oskar Sima, Ellen Frank, Inge Conradi, Rudolf Platte, Jakob Tiedtke, Laufzeit : 78 Minuten

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