Die große
Anerkennung des "Neorealismus" im italienischen Film, die dessen Ruf
nach dem zweiten Weltkrieg maßgeblich bestimmte, lässt vergessen, dass es im
deutschen Film vergleichbare Tendenzen gab. Beginnend mit Wolfgang Staudtes
"Die Mörder sind unter uns" (1946) entstanden so genannte
"Trümmerfilme", die in ähnlich halb-dokumentarischer Form ein vom
Krieg und Faschismus zerstörtes Land zeigten. Wie im Neorealismus vertraten
diese ersten deutschen Nachkriegsfilme ein antifaschistisch geprägtes Weltbild,
unter dessen Prämissen ein gerechter, humaner Staat entstehen sollte. Roberto
Rossellini, der mit "Roma, città aperta" (Rom, offene Stadt) 1945
einen der ersten kritischen Filme drehte - noch während der Krieg im Norden
Italiens tobte - warf 1948 auch einen genauen Blick auf das
Nachkriegsdeutschland.
"Germania
anno zero" (Deutschland im Jahr Null), obwohl in deutscher Sprache
gedreht, blieb in Deutschland nahezu unbekannt - zu unbequem waren dessen inhaltliche
Konsequenzen - aber auch in Italien hatten die neorealistischen Filme nur einen
kleinen Anteil an einer Gesamtproduktion, die sich größtenteils dem
Unterhaltungskino widmete. Der Vorwurf der „Nestbeschmutzung“ war auch dort zu
hören, aber in Deutschland erklang er lauter, da schon unmittelbar nach dem
Krieg die Terminologie des „Kalten Krieges“ vorherrschend wurde und ein Film
wie „Die Mörder sind unter uns“, der von der sowjetischen Besatzungsmacht mit
Hilfe der neu gegründeten DEFA produziert wurde, keine faire Chance mehr bekam.
Erst 1971 war der Film im westdeutschen Fernsehen zu sehen, während er in der
DDR schon 1954 ausgestrahlt wurde. Trotzdem entsprach er noch keineswegs den
später formulierten politischen Leitlinien der DEFA, sondern entstand in einem
ähnlichen Freiraum wie die frühen neorealistischen Filme Italiens - als
unmittelbare Reaktion auf die tatsächlichen Zustände.
Sowohl
Wolfgang Staudte, als auch Roberto Rossellini arbeiteten zuvor für das staatlich
gelenkte Kino unter den Faschisten, aber Staudte stand in Deutschland wegen seines
angeblichen Sinneswandels zu einem „linken“ Regisseur deutlich mehr in der
Kritik. Abgesehen davon, dass Staudte ähnlich wie Helmut Käutner, mit dem er
Ende der 50er Jahre eine gemeinsame Produktionsfirma gründete, in den Jahren
zuvor schon Probleme mit dem NS-Regime bekommen hatte, genügte alleine schon
die Zusammenarbeit mit den Sowjets, den Film als linksgerichtet zu
klassifizieren, obwohl keiner der Protagonisten mit einer politischen Richtung
sympathisiert und selbst die abschließende Botschaft nur fordert, die
Kriegsverbrecher für ihre Taten zur Verantwortung zu ziehen. Im Gegenteil
erzählt „Die Mörder sind unter uns“ ein klassisches Drama über Schuld und
Sühne, eingebettet in die Realität eines zerstörten Berlin kurz nach dem Ende
des Krieges.
Die beiden
Protagonisten Susanne Wallner (Hildegard Knef, die 1945 in Käutners „Unter den Brücken“ reüssierte) und Dr.Hans Mertens (Wilhelm Borchert) begegnen sich unter
damals üblichen Umständen. Als sie wieder in ihre frühere Wohnung zurückkehrt,
die bei den Bombenangriffen nicht zerstört wurde, lebt dort schon Mertens, der
wie viele Andere nicht mehr in seine ursprüngliche Wohnung zurück konnte. Dass
Susanne Wallner zuvor im KZ saß, wird nur einmal von Herrn Mondschein (Robert
Forsch), der wieder als Optiker im Erdgeschoss des Hauses arbeitet, erwähnt.
Sie selbst redet nicht einmal darüber, als ihr Hans Mertens vorwirft, sie hätte
sich wohl vor den Bomben auf dem Land in Sicherheit gebracht. Wolfgang Staudte
stellt Menschen in den Mittelpunkt, die nicht mehr in der Lage sind, über das
Erlebte zu sprechen, weshalb der Film nie in Erläuterungen oder längere Dialoge
verfällt, sondern die äußeren wie inneren Zustände mit starkem hell/dunkel
Kontrast abbildet – die Ruinen und von Steinen bedeckten Straßen, das klar
ausgeleuchtete Gesicht Susannes im Gegensatz zu Hans verdunkeltem Antlitz.
Beredt sind
in „Die Mörder sind unter uns“ nur Diejenigen, die wieder zur Tagesordnung
übergegangen sind. Die Klatschweiber im Treppenhaus, die sich darüber mokieren,
dass ein Mann und eine Frau unverheiratet im Dachgeschoss zusammen leben, der
selbst ernannte Wahrsager Bartolomaeus Timm (Albert Johannes), der die
Unsicherheit der Menschen dazu nutzt, Geld damit zu verdienen, und Ferdinand
Brueckner (Arno Paulsen), der in seiner Firma Stahlhelme zu Kochtöpfen
verarbeiten lässt, womit er schon mehr als 100 Menschen in Lohn und Brot
gebracht hat. Mit Brueckner charakterisierte Staudte sehr genau den Typus, der
ohne Probleme wieder in den Alltag zurückfand und damit auch von den
Verhältnissen profitierte. Das Frappierende an seiner Person liegt darin, dass
er sich tatsächlich keiner Schuld bewusst ist, sich nicht mit den Dämonen der
Vergangenheit herumschlägt, sondern offen und zukunftsgewandt auf Jeden zugeht,
auch auf Mertens, der in der Wehrmacht unter ihm gedient hatte und ihm in einer
schwierigen Situation geholfen hatte. Staudte gestaltet diese Figur so
differenziert, dass Brueckner es ist, der Mertens dazu bringt, einer Mutter zu helfen,
deren Kind keine Luft mehr bekommt. Bis zu diesem Zeitpunkt war er nicht in der
Lage gewesen, wieder als Arzt zu arbeiten.
Ob Staudte
damit bezweckt hatte, dieser Figur auch positive Seiten abzuringen, ist
fraglich, denn zu penetrant jovial geht der ehemalige Wehrmacht-Hauptmann über
jeden Gedanken an die Vergangenheit hinweg, auch als ihn Mertens direkt auf
dessen Schießbefehl gegen Frauen und Kinder am Weihnachtsabend 1942 in Polen
anspricht. Ob Kriegsverbrecher wie Brueckner für ihre Taten bestraft werden,
wie Staudte unmissverständlich forderte, ist aus heutiger Sicht sekundär, denn nicht
die Geschichte, die er hier nicht ohne Unterhaltungswert erzählt, lässt diesen
Film unverzichtbar werden, sondern dessen Unmittelbarkeit in der Erfassung des damaligen
Lebensgefühls. Angesichts dieses Films, lässt sich die Konfrontation zwischen
Menschen, die unter dem erlebten Leid und eigenen Schuldgefühlen wie gelähmt
reagierten, und Denjenigen, die ihr Verhalten nicht in Frage stellten, dafür
aber schon tatkräftig die Zukunft angingen, intensiv nachempfinden.
Betrachtet
man die Jahrzehnte, die in der Regel vorüber gehen, bevor selbst weniger
eklatante Ereignisse aufgearbeitet werden, überrascht es nicht, dass die „Die
Mörder sind unter uns“ 1946 keine Anerkennung fand – zu genau beschrieb der
Film die damaligen Situation, ohne Antworten oder Lösungen anzubieten. Entsprechend
ist seine Wirkung heute größer als kurz nach seiner Entstehung, nicht im Sinn
einer Verarbeitung von Schuld, sondern als Warnung davor, ähnliche Zustände
wieder zuzulassen.
"Die Mörder sind unter uns" Deutschland 1946, Regie: Wolfgang Staudte, Drehbuch: Wolfgang Staudte, Darsteller : Hildegard Knef, Wilhem Borchert, Arno Paulsen, Robert Forsch, Erna Sellmer, Laufzeit : 81 Minuten
weitere im Blog besprochene Filme von Wolfgang Staudte:
"Rosen für den Staatsanwalt" (1959)
"Kirmes" (1960)
"Herrenpartie" (1964)
"Die Herren mit der weißen Weste" (1970)
"Kommissariat 9" (TV-Serie, 1975)
"Kirmes" (1960)
"Herrenpartie" (1964)
"Die Herren mit der weißen Weste" (1970)
"Kommissariat 9" (TV-Serie, 1975)
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