Dienstag, 26. März 2013

Kleider machen Leute (1940) Helmut Käutner


Inhalt: Schneidergeselle Wenzel (Heinz Rühmann) bleibt abends noch in der Werkstatt, um den Frack für den Bürgermeister fertig zu nähen. Doch nachts beginnen seine Fantasien mit ihm durchzugehen und er schneidert sich den Frack selbst auf den Leib. Als am Morgen sein Chef den Bürgermeister empfängt, um ihm das gute Stück anzuziehen, kann Wenzel die Katastrophe nicht mehr verhindern und wird achtkantig rausgeschmissen – ohne Geld, nur mit dem Frack und wenigen Habseligkeiten bei sich.

Schwermütig sieht er in dem kalten Winter seinem Tod entgegen. Ein Puppenspieler (Erich Ponto), der den armen Wenzel versucht hatte zu trösten, sieht eine Kutsche halten und überzeugt den Kutscher davon, dass es sich bei dem Schneidergesellen um eine hochstehende Persönlichkeit handelt. Dieser glaubt darauf, in ihm den russischen Grafen zu erkennen, den er abholen sollte, aber nicht angetroffen hatte. Wenzel will zuerst nicht einsteigen, bis ihn Nettchen (Hertha Feiler), deren Kutsche verunglückt war, bittet, sie in die Nachbarstadt mitzunehmen. Er willigt ein und erzeugt mit seiner Ankunft große Aufregung unter den Bürgern und Honoratioren…


Der ersten Zusammenarbeit von UFA-Star Heinz Rühmann und Regisseur Helmut Käutner sollte erst viele Jahre später mit "Der Hauptmann von Köpenick" (1956) eine weitere folgen, zudem unter umgekehrten Vorzeichen. Heinz Rühmann erfreute sich 1940 seit Jahren großer Popularität und drehte mehrere Filme jährlich, während Käutners erster im Jahr zuvor gedrehter Film "Kitty und die Weltkonferenz" von der Zensurbehörde verboten worden war. Dagegen hatte Käutner 1956 viel Renomée erworben und war zu einem Stil prägenden Regisseur aufgestiegen, während hinter Heinz Rühmann schwierige Jahre nach dem Ende des 2.Weltkriegs lagen, die nicht zuletzt mit seiner zwiespältigen Beziehung zu den nationalsozialistischen Machthabern zusammen hing.

Für Käutners zweiten Film bedeutete die Besetzung Rühmanns und dessen Ehefrau Hertha Feiler in der weiblichen Hauptrolle die Chance, dass dieser von der Zensur verschont bleiben würde, da sie großen Einfluss im Propaganda-Ministerium besaßen. Zudem hatte er als Vorlage für sein Drehbuch mit "Kleider machen Leute" eine Novelle aus dem zweiten Teil des Novellenzyklus "Die Leute von Seldwyla"  von Gottfried Keller gewählt, die dieser zwischen 1860 und 1875 geschrieben hatte. Der Schweizer Schriftsteller Keller gilt heute als Meister des "bürgerlichen Realismus" des 19.Jahrhunderts, der die sozialen Verhältnisse seiner Zeit genau beschrieb und auch kritisch betrachtete, aber die Verlegung der Handlung in die Schweiz des vorigen Jahrhunderts machte aus diesem Stoff ein Lustspiel mit gemäßigt ironischen Anspielungen, das von der nationalsozialistischen Zensur als reiner Unterhaltungsfilm eingestuft wurde.

Tatsächlich wäre es zu viel der Interpretation, erkenne man in der Geschichte um den unfreiwilligen Hochstapler eine unterschwellige Kritik am Nationalsozialismus, aber dank Gottfried Kellers Grundlage kam die Rolle Rühmanns, obwohl er erneut als einfacher Mann des Volkes besetzt wurde, ohne die üblichen Klischees aus. Auch in den kurz zuvor und danach entstandenen Filmen "5 Millionen suchen einen Erben" (1938) oder "Der Gasmann" (1941) wurde er der Versuchung ausgesetzt, mehr sein zu können als es seinem einfachen Stand entsprach. Nur kurz erlag er jeweils dem Lockruf (des Geldes), um letztlich seinen ihm zustehenden Platz wieder einzunehmen - nicht ohne in "Der Gasmann" noch vor Gericht (komödiantisch) abgestraft zu werden. So eindeutig die Botschaft war - zudem ganz im Sinn der Machthaber - so beliebt machten diese Rollen Heinz Rühmann beim Großteil der Kinobesucher. "Kleider machen Leute" hat dagegen einen exakt gegensätzlichen Aufbau, schon weil die Versuchung, in die Rühmann zu Beginn gerät, auf seinem Fehlverhalten beruht.

Anstatt den Frack für den Bürgermeister korrekt fertigzustellen, erliegt der Schneidergeselle Wenzel (Heinz Rühmann) einen Moment lang seinen Träumen und kürzt das noble Kleidungsstück auf seine eigene Größe. Am nächsten Morgen wieder bei klarem Verstand, kann er nicht mehr verhindern, dass der Bürgermeister den viel zu kleinen Frack bemängelt und er von seinem Meister rausgeschmissen wird - statt einer anständigen Bezahlung mit dem Kleidungsstück als Abfindung. Dieses wird zu seiner Eintrittskarte in die bessere Gesellschaft, obwohl Wenzel sich mit Worten und Taten dagegen wehrt. Selbst Fluchtversuche werden unterbunden.

Kellers Novelle führt in eine Zeit zurück, in der jedes Detail der Bekleidung etwas über die gesellschaftliche Position seines Trägers verriet. Ein Verstoß gegen diese Regeln galt als unmöglich, weshalb Wenzels Frack für seine Umgebung mehr Bedeutung hatte, als sein Verhalten oder seine Sprache. Im Gegenteil wird jedes widersprüchliche Benehmen so interpretiert, dass es wieder in die vorgefasste Meinung, Wenzel sei in Wirklichkeit ein incognito reisender russischer Graf, passt. Wirklich geändert hat sich an dieser äußerlichen Beurteilung von Mitbürgern bis heute nichts, auch wenn sich die Insignien des Erfolges inzwischen geändert haben. Dass Wenzel diese Posse irgendwann mitmacht, liegt an Nettchen (Hertha Feiler), der Tochter des wohlhabenden Tuchmachers, in die er sich spontan verliebt. Zudem unterstützt der richtige russische Graf seine Position, da ihm das die Freiheit lässt, weiter unerkannt zu agieren.

Der Unterschied zu den typischen Rühmann-Komödien liegt nicht nur darin, dass er sich zuerst gegen die Versuchung wehrt, um ihr dann doch zu erliegen, sondern das sein Objekt der Liebe aus einer gesellschaftlich höheren Schicht stammt, anstatt das es sich wie üblich um das "liebe Frauchen" von nebenan handelt. Ein Happy-End war entsprechend nur möglich, wenn Wenzel seinen bisherigen Stand verlassen würde, worin Gottfried Kellers Intention lag. Dieser hatte es nicht auf den kleinen Schneidergesellen abgesehen, sondern auf die hohen Herren, deren Irrtum Konsequenzen haben sollte. Heinz Rühmann alias Wenzel versucht zwar noch, sich der Schande durch Flucht zu entziehen, aber Nettchen will nicht nur seine Frau werden, sondern ihre gesellschaftliche Position selbstbewusst verteidigen.

"Kleider machen Leute" hat teilweise einen märchenhaften Gestus, auch bedingt durch Käutners poetische, an Gemälde erinnernde Schwarz-Weiß-Bilder, die besonders in den Traumsequenzen und den Fastnacht-Szenen einen wunderschönen, unwirklich scheinenden Charakter annehmen. Damit wies er schon früh auf seinen am französischen "poetischen Realismus" orientierten Stil hin, den er in "Unter den Brücken" (1945) zu absoluter Reife brachte. Aber auch wenn der Inhalt des Films wenig realistisch erscheint, erzählt er doch ganz sanft von der Auflehnung gegen eine bestehende Ordnung.

"Kleider machen Leute" Deutschland 1940, Regie: Helmut Käutner, Drehbuch: Helmut Käutner, Gottfried Keller (Novelle), Darsteller : Heinz Rühmann, Hertha Feiler, Erich Odemar, Hilde Sessak, Erich Ponto, Laufzeit : 99 Minuten

weitere im Blog besprochene Filme von Helmut Käutner:

Keine Kommentare:

Kommentar veröffentlichen