Inhalt: Jean
Antoine Carell (Luis Trenker) ist ein erfahrener und leidenschaftlicher
Bergsteiger, der seine Zeit am liebsten allein in den Bergen verbringt, weit ab
von den Auswirkungen eines Bergsteiger-Tourismus, der die Gefahren am Berg
nicht richtig einzuschätzen weiß. Getrieben wird er von dem Gedanken, als
Erster das Matterhorn zu besteigen, weshalb er ständig auf der Suche nach der
richtigen Route ist. Von den italienischen Landsleuten seines Heimatortes wird
er deshalb als lebensmüder Spinner verspottet - selbst Felicitas (Heidemarie
Hatheyer) darf er nicht heiraten, da ihr Vater die Verbindung zwischen ihnen
ablehnt.
Das ändert
sich, als bekannt wird, dass Carell gemeinsam mit dem von ihm geschätzten
englischen Bergsteiger Whymper (Herbert Dirmoser) einen Weg von Zermatt aus
gehen will, da diese Strecke realistisch erscheint. Das hätte aber zur Folge,
dass damit die Schweiz das Ausgangsland zur Erstbesteigung wäre, was die
Italiener verhindern wollen. Sie zwingen Carell dazu, mit einem italienischen
Team von Italien aus den Versuch zu starten, und untergraben dafür das
Vertrauensverhältnis zwischen Carell und Whymper…
Angesicht
der Entstehungszeit 1938 und des heroisch klingenden Filmtitels ließe sich "Der
Berg ruft!" leicht als typisches Propagandawerk einordnen, zumal Luis
Trenker, der zusammen mit Fritz Lang die "Nationalsozialistische
Betriebsorganisation Abt.Regie" gründete (von Fritz Lang immer bestritten), hier Regie führte und die
Hauptrolle übernahm. Während der Stummfilmzeit hatte der Südtiroler Bergsteiger
Trenker mit der damaligen Schauspielerin Leni Riefenstahl zusammengearbeitet
(„Der heilige Berg“, 1926) und 1930 in „Der Sohn der weißen Berge“ erstmals die
Regie übernommen. Später war er von Südtirol nach Berlin gezogen war, um von hier aus
seine Arbeiten zu organisieren. Allerdings ist diese Betrachtungsweise zu
oberflächlich, denn Luis Trenker bestand immer auf eine eigene künstlerische
Verantwortung, verbat sich den Einfluss der Nationalsozialisten und wurde
deshalb später als "deutschfeindlich" eingestuft und mit einem Berufsverbot
belegt.1940 kehrte er deshalb nach Italien zurück, wo zu diesem Zeitpunkt noch
die Faschisten unter Mussolini regierten. Nicht ohne Grund hatte Trenker nach
dem Ende des zweiten Weltkrieges Probleme wieder Fuß zu fassen, da er als
Opportunist galt, der zuvor zu lange "mit den Wölfen geheult" hatte.
Bei "Der
Berg ruft!", bei dem es sich um ein Remake des 1928 entstandenen Stummfilms
„Der Kampf ums Matterhorn“ handelt, in dem Trenker auch schon die Hauptrolle
spielte, hatte er noch unbeschränkte Arbeitsbefugnis, was dem Film in seiner
Gratwanderung zwischen einer von Leni Riefenstahl beeinflussten Ästhetik und
einer eigenständigen Story anzumerken ist. In grandiosen Aufnahmen von dem
Furcht einflößenden Berg, vermittelt sich die Überlegenheit der Natur, aber
auch der Reiz, die Herausforderung anzunehmen – zumindest für einen echten
Kerl. Die optische Inszenierung der Menschen verfolgt dagegen eindeutige
Wertungen. Während Luis Trenkers kerniges Antlitz häufig von Unten im Gegenlicht
aufgenommen ist, was ihm einen überlegenen Charakter verleiht, sieht die Kamera
auf seinen „Freund“, der hier die lächerliche Figur abgibt, nur gut
ausgeleuchtet von oben. Jeder Typus – die strenge Mutter, Großstadtmenschen,
Frauen generell oder andere Bergsteiger – werden von der Kamera gemäß ihrer
Qualifikation oder Bedeutung wertend eingefangen. Trotz dieser fragwürdigen Gestaltung
bleibt der Eindruck einer atmosphärisch dichten Ästhetik, die das Leben in den
kleinen kargen Bergdörfern am Fuße eines alles überragenden Berges authentisch
wiedergibt.
Erfüllte
Trenker mit seiner Bildsprache die Erwartungen der nationalsozialistischen
Propaganda an einen „heroisch“ wirkenden Film, lässt sich an der Story, die sich an
der wahren Begebenheit der Erstbesteigung des "Matterhorn" im Jahr 1865
orientierte, besonders hinsichtlich der Gestaltung der Charaktere erkennen, warum
Trenker bald Probleme mit Göbbels Ministerium bekommen sollte. „Der Berg ruft!“ lässt
deutlich werden, dass Leistungssport und der damit verbundene Patriotismus
keine Erfindung der Neuzeit sind. Die Erstbesteigung eines wichtigen Berges war
von höchster nationaler Bedeutung, bei der es nicht nur darum ging, wer den
Berg zuerst bestieg, sondern in diesem Fall auch von welcher Seite, da sich das
Matterhorn genau auf der Grenze zwischen Italien und der Schweiz befindet.
Damit sind auch entsprechende finanzielle Interessen verbunden. So will das
schweizerische Zermatt den Ort als touristisches Ziel vermarkten, von dem aus
die Erstbesteigung gelang. Entsprechend stark wird von Seiten der verschiedenen
Interessenten Druck auf die Berg-Spezialisten ausgeübt, von denen verlangt
wird, dass sie sich der nationalen Sache unterordnen sollen, obwohl sie von der
Bevölkerung als Spinner und lebensmüde "Freaks" angesehen werden. Ihr
einziger Nutzen liegt darin, der Nation Ehre zu machen, was sie zu „Stars“
werden lässt, die, falls ihnen ihr riskantes Vorhaben nicht gelingt, genauso schnell
wieder fallen gelassen werden – in dieser konkreten Beschreibung von
Patriotismus und Starkult ist „Der Berg ruft“ von erstaunlich kritischer
Konsequenz.
Der von
Luis Trenker gespielte italienische Bergsteiger Carrel ist davon getrieben,
einen geeigneten Weg auf das Matterhorn zu finden. Innerhalb seines
Heimatdorfes wird er deshalb verachtet, als Nichtsnutz verspottet und auch als
zukünftiger Schwiegersohn abgelehnt, denn der Vater von Felicitas (Heidemarie
Hatheyer) verbietet ihr die Beziehung mit ihm. Zudem interessieren ihn keine
nationalen Interessen, weshalb er sich mit dem einzigen von ihm respektierten Bergsteiger,
dem Engländer Whymper (Herbert Dirmoser), verabredet, gemeinsam auf das
Matterhorn zu klettern – zudem noch von der Schweiz aus, da die Besteigung von
hier machbarer erscheint. Doch damit hat Carrel die Rechnung ohne seine Landsleute
gemacht. Dieselben, die ihn soeben noch beschimpften, wollen ihn nun zwingen,
für Italien in den Wettkampf einzusteigen – selbstverständlich von Italien aus
mit einem italienischen Team. Dafür versuchen sie die Freundschaft zwischen Carrel
und Whymper zu zerstören.
Trenker
lässt dank seiner Bildgestaltung keinen Zweifel daran, welche Charaktere er für
anständig hält. Dazu gehören nicht die patriotischen, staatsgläubigen
Durchschnittsbürger oder die Honoratioren, sondern die von der Masse
verachteten Individualisten - eine Aussage, die der nationalsozialistischen
Propaganda widersprach. Doch Trenkers Haltung ist eindeutig - für ihn sind die
gestählten, der Natur verbundenen Bergliebhaber, die wahren Größen. Sein Film
wurde ein Loblied auf den Individualismus und die innere Konsequenz des
Einzelgängers, hier am Archetypus des einsamen Bergsteigers erzählt, während
die sonstige Bevölkerung als hasserfüllter, nationalistischer Pöbel sehr
negativ geschildert wird. So hat sich ein in grandiosen schwarz - weiß Bildern
gefilmtes Bergdrama mit einem alles überragenden, Furcht einflößenden Berg im Zentrum
des Geschehens seine Faszination bis heute bewahrt.
"Der Berg ruft!" Deutschland 1938, Regie: Luis Trenker, Drehbuch: Luis Trenker, Hans Sassmann, Richard Billinger, Carl Haensel (Roman), Darsteller : Luis Trenker, Herbert Dirmoser, Heidemarie Hatheyer, Lucie Höflich, Umberto Sacripante, Laufzeit : 95 Minuten
weitere im Blog besprochene Filme von Luis Trenker:
"Von der Liebe besiegt" (1956)
weitere im Blog besprochene Filme von Luis Trenker:
"Von der Liebe besiegt" (1956)
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