Sonntag, 23. Juni 2013

Der Berg ruft! (1938) Luis Trenker

Inhalt: Jean Antoine Carell (Luis Trenker) ist ein erfahrener und leidenschaftlicher Bergsteiger, der seine Zeit am liebsten allein in den Bergen verbringt, weit ab von den Auswirkungen eines Bergsteiger-Tourismus, der die Gefahren am Berg nicht richtig einzuschätzen weiß. Getrieben wird er von dem Gedanken, als Erster das Matterhorn zu besteigen, weshalb er ständig auf der Suche nach der richtigen Route ist. Von den italienischen Landsleuten seines Heimatortes wird er deshalb als lebensmüder Spinner verspottet - selbst Felicitas (Heidemarie Hatheyer) darf er nicht heiraten, da ihr Vater die Verbindung zwischen ihnen ablehnt.

Das ändert sich, als bekannt wird, dass Carell gemeinsam mit dem von ihm geschätzten englischen Bergsteiger Whymper (Herbert Dirmoser) einen Weg von Zermatt aus gehen will, da diese Strecke realistisch erscheint. Das hätte aber zur Folge, dass damit die Schweiz das Ausgangsland zur Erstbesteigung wäre, was die Italiener verhindern wollen. Sie zwingen Carell dazu, mit einem italienischen Team von Italien aus den Versuch zu starten, und untergraben dafür das Vertrauensverhältnis zwischen Carell und Whymper…


Angesicht der Entstehungszeit 1938 und des heroisch klingenden Filmtitels ließe sich "Der Berg ruft!" leicht als typisches Propagandawerk einordnen, zumal Luis Trenker, der zusammen mit Fritz Lang die "Nationalsozialistische Betriebsorganisation Abt.Regie" gründete (von Fritz Lang immer bestritten), hier Regie führte und die Hauptrolle übernahm. Während der Stummfilmzeit hatte der Südtiroler Bergsteiger Trenker mit der damaligen Schauspielerin Leni Riefenstahl zusammengearbeitet („Der heilige Berg“, 1926) und 1930 in „Der Sohn der weißen Berge“ erstmals die Regie übernommen. Später war er von Südtirol nach Berlin gezogen war, um von hier aus seine Arbeiten zu organisieren. Allerdings ist diese Betrachtungsweise zu oberflächlich, denn Luis Trenker bestand immer auf eine eigene künstlerische Verantwortung, verbat sich den Einfluss der Nationalsozialisten und wurde deshalb später als "deutschfeindlich" eingestuft und mit einem Berufsverbot belegt.1940 kehrte er deshalb nach Italien zurück, wo zu diesem Zeitpunkt noch die Faschisten unter Mussolini regierten. Nicht ohne Grund hatte Trenker nach dem Ende des zweiten Weltkrieges Probleme wieder Fuß zu fassen, da er als Opportunist galt, der zuvor zu lange "mit den Wölfen geheult" hatte.

Bei "Der Berg ruft!", bei dem es sich um ein Remake des 1928 entstandenen Stummfilms „Der Kampf ums Matterhorn“ handelt, in dem Trenker auch schon die Hauptrolle spielte, hatte er noch unbeschränkte Arbeitsbefugnis, was dem Film in seiner Gratwanderung zwischen einer von Leni Riefenstahl beeinflussten Ästhetik und einer eigenständigen Story anzumerken ist. In grandiosen Aufnahmen von dem Furcht einflößenden Berg, vermittelt sich die Überlegenheit der Natur, aber auch der Reiz, die Herausforderung anzunehmen – zumindest für einen echten Kerl. Die optische Inszenierung der Menschen verfolgt dagegen eindeutige Wertungen. Während Luis Trenkers kerniges Antlitz häufig von Unten im Gegenlicht aufgenommen ist, was ihm einen überlegenen Charakter verleiht, sieht die Kamera auf seinen „Freund“, der hier die lächerliche Figur abgibt, nur gut ausgeleuchtet von oben. Jeder Typus – die strenge Mutter, Großstadtmenschen, Frauen generell oder andere Bergsteiger – werden von der Kamera gemäß ihrer Qualifikation oder Bedeutung wertend eingefangen. Trotz dieser fragwürdigen Gestaltung bleibt der Eindruck einer atmosphärisch dichten Ästhetik, die das Leben in den kleinen kargen Bergdörfern am Fuße eines alles überragenden Berges authentisch wiedergibt.

Erfüllte Trenker mit seiner Bildsprache die Erwartungen der nationalsozialistischen Propaganda an einen „heroisch“ wirkenden Film, lässt sich an der Story, die sich an der wahren Begebenheit der Erstbesteigung des "Matterhorn" im Jahr 1865 orientierte, besonders hinsichtlich der Gestaltung der Charaktere erkennen, warum Trenker bald Probleme mit Göbbels Ministerium bekommen sollte. „Der Berg ruft!“ lässt deutlich werden, dass Leistungssport und der damit verbundene Patriotismus keine Erfindung der Neuzeit sind. Die Erstbesteigung eines wichtigen Berges war von höchster nationaler Bedeutung, bei der es nicht nur darum ging, wer den Berg zuerst bestieg, sondern in diesem Fall auch von welcher Seite, da sich das Matterhorn genau auf der Grenze zwischen Italien und der Schweiz befindet. Damit sind auch entsprechende finanzielle Interessen verbunden. So will das schweizerische Zermatt den Ort als touristisches Ziel vermarkten, von dem aus die Erstbesteigung gelang. Entsprechend stark wird von Seiten der verschiedenen Interessenten Druck auf die Berg-Spezialisten ausgeübt, von denen verlangt wird, dass sie sich der nationalen Sache unterordnen sollen, obwohl sie von der Bevölkerung als Spinner und lebensmüde "Freaks" angesehen werden. Ihr einziger Nutzen liegt darin, der Nation Ehre zu machen, was sie zu „Stars“ werden lässt, die, falls ihnen ihr riskantes Vorhaben nicht gelingt, genauso schnell wieder fallen gelassen werden – in dieser konkreten Beschreibung von Patriotismus und Starkult ist „Der Berg ruft“ von erstaunlich kritischer Konsequenz.

Der von Luis Trenker gespielte italienische Bergsteiger Carrel ist davon getrieben, einen geeigneten Weg auf das Matterhorn zu finden. Innerhalb seines Heimatdorfes wird er deshalb verachtet, als Nichtsnutz verspottet und auch als zukünftiger Schwiegersohn abgelehnt, denn der Vater von Felicitas (Heidemarie Hatheyer) verbietet ihr die Beziehung mit ihm. Zudem interessieren ihn keine nationalen Interessen, weshalb er sich mit dem einzigen von ihm respektierten Bergsteiger, dem Engländer Whymper (Herbert Dirmoser), verabredet, gemeinsam auf das Matterhorn zu klettern – zudem noch von der Schweiz aus, da die Besteigung von hier machbarer erscheint. Doch damit hat Carrel die Rechnung ohne seine Landsleute gemacht. Dieselben, die ihn soeben noch beschimpften, wollen ihn nun zwingen, für Italien in den Wettkampf einzusteigen – selbstverständlich von Italien aus mit einem italienischen Team. Dafür versuchen sie die Freundschaft zwischen Carrel und Whymper zu zerstören.

Trenker lässt dank seiner Bildgestaltung keinen Zweifel daran, welche Charaktere er für anständig hält. Dazu gehören nicht die patriotischen, staatsgläubigen Durchschnittsbürger oder die Honoratioren, sondern die von der Masse verachteten Individualisten - eine Aussage, die der nationalsozialistischen Propaganda widersprach. Doch Trenkers Haltung ist eindeutig - für ihn sind die gestählten, der Natur verbundenen Bergliebhaber, die wahren Größen. Sein Film wurde ein Loblied auf den Individualismus und die innere Konsequenz des Einzelgängers, hier am Archetypus des einsamen Bergsteigers erzählt, während die sonstige Bevölkerung als hasserfüllter, nationalistischer Pöbel sehr negativ geschildert wird. So hat sich ein in grandiosen schwarz - weiß Bildern gefilmtes Bergdrama mit einem alles überragenden, Furcht einflößenden Berg im Zentrum des Geschehens seine Faszination bis heute bewahrt.

"Der Berg ruft!" Deutschland 1938, Regie: Luis Trenker, Drehbuch: Luis Trenker, Hans Sassmann, Richard Billinger, Carl Haensel (Roman), Darsteller : Luis Trenker, Herbert Dirmoser, Heidemarie Hatheyer, Lucie Höflich, Umberto Sacripante, Laufzeit : 95 Minuten 

weitere im Blog besprochene Filme von Luis Trenker: 

"Von der Liebe besiegt" (1956)

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