Inhalt: Als
Arbeiter die Grube für den Stützpfeiler eines Karussells ausheben, das für die
Kirmes in einem kleinen Ort in der Eifel aufgebaut werden soll, finden sie ein
Skelett, gemeinsam mit einem Stahlhelm und einem Gewehr. Da es sich
offensichtlich um einen gefallenen Soldaten des 2.Weltkriegs handelt, erlahmt
das Interesse der Schaulustigen schnell, aber im Haus der Mertens, wohin die
Überreste erst einmal gebracht werden, herrscht helle Aufregung. Martha Mertens
(Manja Behrens) begreift sofort, dass es sich nur um ihren Sohn Robert (Götz
George) handeln kann, auch wenn ihr Mann Paul (Hans Mahnke) versucht, ihr diese
Ansicht auszureden. Als sie darauf beharrt, macht ihr der Bürgermeister Georg
Hölchert (Wolfgang Reichmann) klar, was es bedeutet, wenn bekannt würde, dass
Robert mitten im Ort lag. Sein Andenken und das seiner Familie wären besudelt,
denn er gelte dann als Deserteur und Vaterlandsverräter.
Diese wurden
1945 mitten im Ort standrechtlich erschossen. Während die US-Armee nur noch
wenige Kilometer entfernt weiter voranschreitet, wird der Befehl Himmlers
vorgelesen, Jeden sofort zu erschießen, der einem Deserteur hilft. Zudem gilt
das Todesurteil für einen Vaterlandsverräter auch für dessen gesamte Familie.
Während ihre kleine Tochter diese Anweisungen fröhlich nachplappert, macht sich
Martha Mertens Sorgen um ihren Sohn Robert, von dem sie schon längere Zeit
nichts mehr gehört hatte. Sie ahnt nicht, dass er sich in unmittelbarer Nähe in
ihrem Haus versteckt hält, nachdem er aus der Armee geflohen war…
Die Filme
"Der Rest ist Schweigen" (1959) und "Kirmes" (1960) nehmen
im deutschen Nachkriegsfilm bis Mitte der 60er Jahre einen Sonderstatus ein, da
sie von ihren Regisseuren Helmut Käutner und Wolfgang Staudte selbst produziert
wurden, die 1958 gemeinsam mit dem Regisseur und Produzenten Harald Braun die
"Freie Film Produktion" gegründet hatten, um unbeeinflusst von
politischen und wirtschaftlichen Gesichtspunkten Dritter ihre selbst verfassten
Drehbücher umsetzen zu können. Es blieb bei diesen zwei Filmen - vielleicht dem
frühen Tod Harald Brauns 1960 geschuldet - die beim Publikum und der Kritik
scheiterten und in Vergessenheit gerieten, obwohl viele ihrer sonstigen Filme
bis heute populär geblieben sind.
Besonders
für Wolfgang Staudte bedeutete diese Konstellation endlich die Möglichkeit,
seine kritische Auseinandersetzung mit der Zeit des Nationalsozialismus nach
seinen Vorstellungen fortzusetzen. Für seinen 1959 herausgebrachten Film
"Rosen für den Staatsanwalt" hatte er erstmals, seitdem er nicht mehr für die DEFA drehte
(unter anderen "Die Mörder sind unter uns" (1946)), auch in der
Bundesrepublik Deutschland eine positive Resonanz bei Publikum und Kritik
erfahren, nahm den ihm zuerkannten Bundesfilmpreis aber nicht an - ein offensichtliches
Bekenntnis dafür, dass ihm die kritische Relevanz des Films zu gering war.
Verglichen mit dem bis heute anerkanntesten Anti-Kriegsfilm deutscher
Produktion "Die Brücke" (1959) von Bernhard Wicki, der eine Vielzahl
von Preisen erhielt, und dem trotz seiner Thematik sehr unterhaltsamen
"Rosen für den Staatsanwalt" wird deutlich, warum "Kirmes"
keine Chance hatte - Wolfgang Staudte verzichtete darin auf jede Distanz zum
sogenannten "Durchschnittsbürger".
Stand in
"Rosen für den Staatsanwalt" die Judikative im Mittelpunkt, deren
Vertreter zum großen Teil unmittelbar vom nationalsozialistischen Regime in den
demokratischen Rechtsstaat überwechselten, ohne das ihr früheres Handeln in
Frage gestellt wurde - eine Phase, die erst jetzt offiziell aufgearbeitet wird
und deren Ergebnis Staudtes damalige Kritik weit in den Schatten stellt - und
betrachtete "Die Brücke" den nationalsozialistischen Wahnsinns, kurz
vor dem Kriegsende noch ihre Jüngsten sinnlos in den Tod zu schicken, ohne die Verantwortung
Aller dafür aufzuzeigen, verdeutlicht "Kirmes" am Mikrokosmos eines
Dorfes in der Eifel den generellen Opportunismus jedes Einzelnen, der nicht
nur ein unmenschliches Regime am Leben erhielt, sondern unfähig war, die Lehren
daraus zu ziehen.
Bevor
Staudte zu den Ereignissen in der Vergangenheit, kurz vor dem Ende des Krieges, wechselt, beschreibt
er die Feststimmung in der Gegenwart, anlässlich der jährlichen Kirmes in dem kleinen Eifelort. Die typisch penetrante Ausgelassenheit wird kurz
unterbrochen, als bei den Erdarbeiten für das Fundament eines Karussells ein
Skelett mit Stahlhelm und Gewehr gefunden wird, aber die Attraktionen des
Jahrmarkts ziehen die Aufmerksamkeit schnell wieder auf sich. Nur im Haus von
Martha (Manja Behrens) und Paul Mertens (Hans Mahnke) herrscht Aufregung, denn
Martha ist sofort klar, dass es sich bei dem Toten nur um ihren Sohn Robert
(Götz George) handeln kann. Die Anwesenden – darunter der Bürgermeister Georg
Hölchert (Wolfgang Reichmann), der Pfarrer (Fritz Schmiedel) und der Gastwirt
Balthausen (Benno Hoffmann) – widersprechen ihr zuerst, aber als sie darauf
beharrt und ihn anständig begraben lassen will, schwenken sie um und ändern
ihre Argumentation. Roberts Name steht auf dem Denkmal für die Gefallenen des
Krieges, aber wenn es bekannt werden würde, dass er hier im Ort gestorben ist,
wäre sein Andenken als Deserteur besudelt.
Wolfgang
Staudte hätte die etwa 10minütige Sequenz auch an das Ende des Films stellen
können, um die Konsequenzen aus dem damaligen Handeln im Ungewissen zu
lassen, aber ihm war nicht an einem Spannungsaufbau gelegen, sondern an der
Sichtweise der Bürger der demokratischen Bundesrepublik Deutschland auf die
kaum 15 Jahre zurückliegende Zeit der Diktatur. Die Protagonisten der
Eingangsszene spielten auch die Hauptrollen während der letzten Kriegstage und
ihre Reaktion auf den Skelettfund lassen sich bei den von Staudte geschilderten
Ereignissen um den gerade 18jährigen Robert, der desertiert war, um in seinem Heimatdorf
Unterschlupf zu suchen, nicht mehr ausblenden. Zu offensichtlich wird es, dass
sich Niemand einer Schuld bewusst ist und dass Roberts Fahnenflucht nach wie
vor als Vaterlandsverrat bewertet wird, gleichbedeutend damit, dass die
damalige Entscheidung der NSDAP, auch die Jüngsten noch in einen aussichtslosen
Kampf zu schicken, nicht verurteilt wird. Dass der jetzige
Bürgermeister Hölchert damals schon als NSDAP – Ortsgruppenleiter fungierte,
betont nicht allein die Unbelehrbarkeit der Bewohner, sondern ist signifikant
für den reibungslosen Übergang nach dem Krieg, der keine echte Zäsur brachte.
Wie nah
„Kirmes“ damit der Realität kam, lässt sich an der vehementen Ablehnung des
Films erkennen, die Staudte von Seiten der Kritik und des Publikums entgegen
schlug, und die dem Ansehen des Films einen bis heute bleibenden Schaden
zufügte. Auffällig an den geäußerten Kritikpunkten ist, dass diese nicht auf die
Kernaussage des Films eingehen, sondern nur Randaspekte benennen: die angeblich überzeichnete Figur des NSDAP-Manns, das eingeschränkte Umfeld einer
dörflichen Gemeinschaft oder den konventionellen Storyaufbau. Tatsächlich legte Staudte sehr viel Wert darauf, Einseitigkeiten zu vermeiden.
Sogar die extrem angelegte Figur des jovialen Hölchert, der nach außen hin die Ideale
Adolf Hitlers predigt, angesichts der vorrückenden US-Armee aber
vorsichtshalber Akten verbrennt und NS-Zeichen beseitigt, verhält sich wie ein typischer Machtmensch, der seinen Einfluss missbraucht. Gewalt wendet er nur dezent an. Seine Fähigkeit wider besseren Wissens auch die negativsten Situationen noch schön zu
reden, privilegiert ihn geradezu für dieses Amt - Reichmanns Darstellung haftet weder etwas satirisches, noch übertriebenes an.
Auch die
übrigen Protagonisten reagieren menschlich nachvollziehbar, wollen Robert sogar beistehen,
verlieren aber den Mut angesichts eines Regimes, das Jedem mit der Todesstrafe
droht, der einem Deserteur hilft, dabei auch die jeweilige Familie mit in die
Sippenhaftung einschließend. Sehr gut wird Staudtes differenzierter Blick an
der Figur des Pfarrers deutlich, der Robert zuerst vier Tage Asyl gewährt, bis
er ihn von Ängsten übermannt wieder wegschickt. Als in der Kapelle Teile der
Uniform Roberts gefunden werden, gerät er in Verdacht und wird brutal von
der SS verhört, verrät den Flüchtigen aber nicht. Götz George spielte den
Deserteur mit jungenhafter Attitüde, der es nicht mehr aushält, als Soldat zu
kämpfen. Er will einfach nur nach Hause, ohne dabei politische oder soldatische
Reden zu schwingen. Staudte gönnt ihm noch einen schönen Moment, als er mit der
hübschen Annette (Juliette Mayniel), einer zwangsverpflichteten französischen
Arbeiterin, eine Nacht verbringt, aber sie verrät ihn sofort, als sie unter
Druck gerät. „Kirmes“ idealisiert und verteufelt Niemanden, sondern entwirft
ein tödliches Geflecht aus Angst und Egoismus, dass selbst eine kleine, von den
großen politischen Ereignissen unberührte Dorf-Gemeinschaft – auch die US-Armee
zieht sofort weiter, weshalb die evakuierten Bewohner schnell wieder in ihre
Häuser zurückkehren können – dazu bringt, einen aus ihrer Mitte in den Tod zu
treiben.
Robert wird
nicht gefasst oder ausgeliefert, sondern erschießt sich selbst, weil er den
inneren Konflikt seiner Familie nicht mehr aushält – und wird in einem
Bombenkrater mit seinen Utensilien entsorgt, um jeden Verdacht zu vermeiden. So
schrecklich diese Ereignisse sind, so vermittelt „Kirmes“ doch Verständnis für
die Reaktionen der Dorfbewohner und erhebt sich nicht über sie. Einzig die
Figur des Ortsgruppenleiters Hölchert als willfähriger Vertreter eines
mörderischen Regimes verdient keine Nachsicht. Der wahre Schrecken zeigt sich erst
in der Gegenwart, nicht allein durch die Wahl dieses Mannes zum Bürgermeister, dessen
pragmatischer Umgang mit den neuen Verhältnissen signifikant für die generelle
Haltung dieser Zeit ist, sondern auf Grund der Weigerung, sich mit einer Phase
auseinander zu setzen, die Jeden dazu bringen konnte, gegen seine inneren
Überzeugungen zu handeln. Wolfgang Staudte ging es nicht um eine
nachträgliche Verurteilung, sondern um das Verhalten in der Gegenwart. Lieber wird ein 18jähriger Junge nach wie vor als Verräter betrachtet, als sich
der Auswirkungen und Folgen eines diktatorischen Regimes bewusst zu werden.
Von diesem
Vorwurf konnte sich 1960, als „Kirmes“ in die Kinos kam, kaum Jemand
freisprechen, zu konkret vertrat Staudte seine Meinung und zu genau traf er
damit den Nerv, dabei konsequent auf unterhaltende und damit abschwächende
Elemente in seinem Film verzichtend. An der grundsätzlichen Aussage des Films
hat sich bis heute nichts geändert, auch wenn der zeitliche Abstand den Blick
darauf erleichtert, weshalb es an der Zeit wäre, „Kirmes“ wieder einem größeren
Publikum zugänglich werden zu lassen, jenseits von kleinlichen Kritikpunkten.
"Kirmes" Deutschland 1960, Regie: Wolfgang Staudte, Drehbuch: Wolfgang Staudte, Darsteller : Götz George, Juliette Mayniel, Manja Behrens, Hans Mahnke, Wolfgang Reichmann, Fritz Schmiedel, Benno Hoffmann, Laufzeit : 96 Minuten
weitere im Blog besprochene Filme von Wolfgang Staudte:
"Die Mörder sind unter uns" (1946)
"Rosen für den Staatsanwalt" (1959)
"Herrenpartie" (1964)
"Die Herren mit der weißen Weste" (1970)
"Kommissariat 9" (TV-Serie, 1975)
"Rosen für den Staatsanwalt" (1959)
"Herrenpartie" (1964)
"Die Herren mit der weißen Weste" (1970)
"Kommissariat 9" (TV-Serie, 1975)
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