Inhalt:
Eine internationale Gruppe um Thoren (Hardy Krüger) und die Ärztin Dr.
Jacqueline Goddard (Irene Galter) forscht im afrikanischen Dschungel, als
Thoren plötzlich eine verwilderte junge, weiße Frau (Marion Michael) entdeckt,
was ihm zuerst Niemand glaubt. Doch wenig später, nachdem er von afrikanischen
Stammeskriegern überwältigt wurde, ist sie es, die ihm die Freiheit schenkt,
denn sie wird im Dschungel als Göttin verehrt. Als Thoren noch überlegt, wie er
sich ihr nähern könnte, wird das Mädchen von anderen Mitgliedern der Gruppe
gefangen und ins Lager gebracht.
Um ihre
Identität festzustellen – sie trägt ein Amulett mit einem „L“ – funken sie ihre
Entdeckung in die Welt hinaus, worauf auch der Hamburger Reeder Amelongen (Rudolf
Forster) aufmerksam wird, der seine damals 2jährige Enkelin bei einem
Schiffsunglück in der Region verloren glaubte. Sie hieß Liane und die Beschreibung
könnte passen. In Begleitung von Thoren und dem Afrikaner Tanga (Jean Pierre
Faye) wird Liane nach Hamburg gebracht, um sie dem Reeder vorzustellen, aber
nicht alle freuen sich über ihre Ankunft…
Die Wildnis
fernab zivilisatorischer Errungenschaften erlaubte eine Ausnahme von
vorherrschenden konservativen Moralvorstellungen. Das galt nicht nur in
literarischer Form, sondern frühzeitig für den Film, der "Tarzan"
schon in der Stummfilmzeit eine leicht geschürzte Jane zur Seite stellen
konnte, deren gemeinsames Leben im Baumhaus die Fantasien beflügelte, so brav
dieses auch geschildert wurde. Der Mitte der 50er Jahre in Deutschland
veröffentlichte Roman „Liane, das Mädchen aus dem Urwald“ der sonst unbekannt
gebliebenen Schriftstellerin Anne Day-Helveg bediente sich ungeniert dieser
"Tarzan" - Thematik, um die Geschichte eines weißen und - wie sich
später herausstellen sollte - deutschen Mädchens im Dschungel zu erzählen, dass
nicht zum muskelbepackten Helden, sondern zum Opfer verschiedener Interessen
wird.
Am
trivialen Inhalt dieser Story bestand kein Zweifel, aber die Mischung aus
afrikanischer Exotik und einem blonden deutschen Mädchen war so erfolgreich,
dass die filmische Umsetzung nicht lange auf sich warten ließ. Anders als
künstlerisch ambitionierte Werke, sind es die am Massengeschmack orientierten
Filme, die den damaligen Zeitgeist exakter widerspiegeln können, was die
Analyse jenseits der inhaltlichen Qualität interessant werden lässt. Die Story
selbst ist von so einfacher Machart, dass sie mit wenigen Worten zusammen
gefasst werden kann - eine internationale Forschergruppe entdeckt im
afrikanischen Dschungel zufällig eine junge hellhäutige Frau, fängt sie und
bringt sie nach Deutschland, wo sie sich als Enkeltochter eines reichen
Hamburger Reeders herausstellt. Da dieser schon seinen Neffen als Alleinerben
eingesetzt hatte, gefährdet sie dessen Position, was dieser mit
verbrecherischen Mitteln zu verhindern versucht.
Nicht
dieser vorhersehbare Ablauf, sondern die Details, hinsichtlich der
Geschlechterrollen, der Bewertung der Nationalitäten bis zur modernen
Unternehmungsführung, lassen tief in die bundesrepublikanische Seele Mitte der
50er Jahre blicken. Das Projekt "Liane, das Mädchen aus dem Urwald"
wurde entsprechend strategisch angegangen. Mit dem österreichischen Kameramann,
Drehbuchautor und Regisseur Eduard von Bosordy stand ein erfahrener Leiter zur
Verfügung, der schon in den 30er Jahren mehrere Abenteuerfilme gedreht hatte
("Kautschuk" (1938), "Kongo-Express" (1939)) und nach dem
Krieg vor allem Komödien inszenierte, darunter kurz zuvor "Dany, bitte
schreiben Sie" (1956) mit Sonja Ziemann und Rudolf Prack in den
Hauptrollen. Der schillernde Drehbuchautor Ernst von Salomon hatte schon bei
der Umsetzung der „08/15“-Trilogie bewiesen, dass er keine Berührungsängste vor
populären Stoffen hatte und mit Hardy Krüger verpflichtete man einen jungen,
aufstrebenden Darsteller für die männliche Hauptrolle, der nicht ohne Grund
einer der wenigen auch in Hollywood erfolgreichen deutschen Schauspieler werden
sollte. Es ist vor allem seiner lässigen, sich nie ganz ernst nehmenden
Umsetzung der Rolle zu verdanken, dass die hier gezeigten Klischees noch halbwegs
erträglich blieben.
Die Auswahl
der weiblichen Hauptrolle war nicht nur die schwierigste Aufgabe, sondern lässt
die Veränderungen in der Bewertung von Erotik und Sexualität seit Mitte der
50er Jahre besonders deutlich werden. Heute in einer Zeit ständiger
Verfügbarkeit von Pornografie, wäre es publizistischer Selbstmord eine
16jährige für eine Nacktrolle zu verpflichten – der Verdacht, damit pädophile
Neigungen zu bedienen, läge zu nah, auch weil eine junge Erwachsene die Rolle
gleichwertig spielen könnte. Die damaligen Produzenten des Films benötigten
dagegen einen besonders unschuldig wirkenden, jugendlichen Typ, um die sehr
dezenten Nacktbilder auf die Leinwand bringen zu können. Jede direkte Erotik musste
vermieden werden, wozu auch Marion Michaels betont verspieltes Agieren beitrug.
Selbst als sie die Hand von Thoren (Hardy Krüger) auf ihre bedeckte Brust legt
- ein von ihr im Dschungel erlerntes Zeichen, um Zuneigung auszudrücken –
vermittelt diese Handlung keine Sexualität. Das gilt auch für ihr Vorleben im
Dschungel, denn obwohl sie in Tanga (Jean Pierre Faye) einen afrikanischen
Beschützer hat, der auch mit ihr nach Deutschland reist („Er darf in der Küche
essen“), war es unvorstellbar, das sie etwas miteinander gehabt hätten. Sie
verliebt sich selbstverständlich in den deutschen Protagonisten, drückt diese
Gefühle aber mit kindlicher Begeisterung aus, auf die Hardy Krüger mit einem
gewissen väterlichen Verständnis reagiert, die Liebkosungen dabei freundlich
abwehrend – Marion Michael durfte gar nicht erwachsen wirken.
Wie
verlogen und kalkuliert diese Konstellation war, wird an der zweiten weiblichen
Rolle offensichtlich, der französischen Ärztin Dr. Jacqueline Goddard (Irene
Galter), die auch in Thoren verliebt ist. Durch einen Zufall erfährt er davon,
macht aber deutlich, dass sie ihm zu intelligent und gebildet sei. Heute wäre
eine solche Aussage ein Armutszeugnis für einen coolen Typen – zumindest würde
es keiner mehr zugeben – damals war die Botschaft eindeutig. Die Beziehung des
moralisch integren, männlichen Helden, der im Gegensatz zu den übrigen weißen
Männern sogar die afrikanischen Ureinwohner für menschliche Wesen hält - wenn
auch zweiter Klasse - zu einer unschuldigen, zu beschützenden jungen blonden Frau,
war die Idealform der Erotik. Diese musste so unterschwellig wie möglich formuliert
werden, um zwar einen gewissen Skandal hervorzurufen, den Film letztlich aber
fast ungeschnitten in die Kinos zu bekommen. Die Rechnung ging an den
Kinokassen auf, nicht aber für Marion Michael, deren früher Erfolg in dieser
wenig die Reputation fördernden Rolle die erwartbaren Konsequenzen nach sich
zog. Nachdem mit einem noch schwächeren Sequel „Liane, die weiße Sklavin“
(1957) finanziell nachgelegt wurde, reichte es später trotz einer
schauspielerischen Ausbildung nicht mehr für weitere Erfolge. Nach schweren
Depressionen entschied sich Marion Michael 1979 in die DDR umzuziehen, da die
Menschen aus ihrer Sicht dort harmonischer miteinander umgingen.
Mit dem
Österreicher Reggie Nalder verkörperte ein auf Finsterlinge festgelegter Mime
den Gegenspieler Viktor Schöninck, der die Firma seines Onkels Theo Amelongen
(Rudolf Forster) leitet und durch das Wiederauftauchen von Enkeltochter Liane
(Marion Michael) seine Rolle als Alleinerbe gefährdet sieht. Doch schon bevor
er sein intrigantes Spiel beginnt, wird er als Firmenchef diskreditiert. Ein
Besuch seines Onkels in dessen Büro genügt diesem, um zu erkennen, dass statt
tüchtiger Arbeiter nur junge Damen im Vorraum sitzen, die sich die Fingernägel
lackieren. Was der alte Patriarch vom modernen Berufsleben hält, steht damit außer
Frage, so wie sich Lianes Erziehung darauf beschränkt, die Höflichkeitsformeln zu
lernen und in Pumps über Hamburgs von Luxuskarossen befahrenen Straßen zu
stöckeln. Dass sie am Ende wieder in den Dschungel zurückkehrt, bedeutet
keineswegs eine Kritik an der deutschen Zivilisation, sondern ermöglicht nur,
erneut einen Schuss Exotik und barbusige afrikanische Tänzerinnen zu zeigen,
deren Anblick der deutschen Prüfstelle - im Gegensatz zu dem der nackten
weißen Frau - keinen Anlass zur Sorge bot. Damit schließt sich der Kreis eines
Films, der einerseits ein rückwärts gewandtes Weltbild betonte, andererseits
keine Hemmungen darin zeigte, sexuell verklemmte Bedürfnisse zu bedienen.
"Liane, das Mädchen aus dem Urwald" Deutschland 1956, Regie: Eduard von Bosordy, Drehbuch: Ernst von Salomon, Thomas Fough, Anne Day-Helveg (Roman), Darsteller : Marion Michael, Hardy Krüger, Irene Galter, Peter Mosbacher, Rudolf Forster, Reggie Nalder, Laufzeit : 78 Minuten
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