Dienstag, 30. Dezember 2014

Wenn wir alle Engel wären (1936) Carl Froelich

Christian Kempenich (Heinz Rühmann) erkundet das Kölner Nachtleben
Inhalt: Als beamteter Kanzlei-Vorsteher hat Christian Kempenich (Heinz Rühmann) eine leitende Position in dem kleinen Mosel-Ort. Er kann sich nicht nur ein Hausmädchen (Lotte Rausch) für seine Ehefrau Hedwig (Leny Marenbach) leisten, auch der Gesangslehrer Enrico Falotti (Harald Paulsen) gibt ihr privaten Unterricht. Auf Grund seiner gehobenen Stellung im Ort sieht sich Kempenich zudem als moralische Instanz, weshalb er am Himmelfahrtstag ohne Selbstzweifel zu einer Familientaufe in die Großstadt Köln fährt, die im Ort einen schlechten Ruf als Sündenpfuhl besitzt. Als er sich schon leicht angeheitert auf dem Rückweg zum Kölner Bahnhof befindet, weist er den Taxifahrer spontan an, ihn ins Vergnügungsviertel der Stadt zu fahren. Schließlich müsse er sich selbst ein Bild von den dortigen Versuchungen machen.

Hedwig Kempenich (Leny Marenbach) mit ihrem Gesangslehrer auf Moselfahrt
Seine Frau Hedwig begibt sich derweil am Nachmittag auf eine Moselfahrt mit einem Ausflugsdampfer. Ihr Gesangslehrer, der ein Auge auf die hübsche Frau geworfen hat, nutzt die Gelegenheit und folgt ihr auf das Schiff, wo er als bekannter Charmeur schnell in Form kommt. Zuerst abweisend, gefällt Hedwig vom Wein beschwipst die unterhaltsame Art des Sängers und wehrt sich auch nicht, als er sie gegenüber den begeisterten Mitfahrern als seine Frau ausgibt. Erst als sie nach langer Fahrt am Ziel ankommen und sie feststellt, dass kein Zug mehr zurückfährt, reagiert sie ernüchtert, er aber schlägt ihr vor, gemeinsam in einem Hotel zu übernachten.



"Wenn wir alle Engel wären" war schon der dritte Heinz Rühmann-Film, der 1936 in die Kinos kam - nach vier Filmen im Jahr zuvor und kurz vor der Premiere von "Lumpacivagabundus" (1936) in Österreich. Erneut spielte Heinz Rühmann einen jungen Mann zwischen Pflichtbewusstsein und Versuchung, weshalb die Besonderheit eines Films in Vergessenheit geraten scheint, ohne den es Rühmanns bekanntesten Film "Die Feuerzangenbowle" (1944) vielleicht nie gegeben hätte und der mit seinem wenig kaschierten sexuellen Subtext aus dem prüden Komödien-Einerlei der 30er Jahre herausstach, auch wenn das Drehbuch die Romanvorlage von Heinrich Spoerl leicht abschwächte. Dieser hatte es selbst verfasst, was einer Zäsur in Rühmanns Werk gleichkam, die dessen wachsenden Einfluss auf die Produktion seiner Filme kennzeichnete.


Schon 1934 hatte der Schauspieler erstmals die Hauptrolle in einer Spoerl-Verfilmung übernommen, aber "So ein Flegel" interpretierte den Roman "Die Feuerzangenbowle" sehr frei und ließ wenig von dem fantasievollen Charakter und der Hommage an selige Schulzeiten übrig. Verantwortlich für das Drehbuch war Hans Reimann, der als Co-Autor der literarischen Vorlage gilt, während Spoerl kein Mitspracherecht eingeräumt wurde. Auch „Wenn wir alle Engel wären“ geht auf ein von beiden Autoren gemeinsam verfasstes Theaterstück zurück - „Der beschleunigte Personenzug“ (1932 uraufgeführt) -, aber diesmal kam nicht nur Spoerls darauf basierende Buchvorlage von 1936 zum Zuge, ihm wurde zudem die Verantwortung für das Drehbuch übergeben, die er mit einer hohen Werktreue einlöste. Eine Initialzündung für die weitere Zusammenarbeit mit Heinz Rühmann, die zu ihren gemeinsamen Filmen „Der Gasmann“ (1941) und „Die Feuerzangenbowle“ führte, sowie zur Verfilmung des ebenfalls 1936 veröffentlichten Romans „Der Maulkorb“(1938) unter der Regie Erich Engels mit Ralph Arthur Roberts in der Hauptrolle.


Ob auch die Besetzung Carl Fröhlichs am Regie-Pult, seit 1933 NSDAP-Mitglied und betraut mit der Leitung des Gesamtverbandes der Filmherstellung und Filmverwertung, von Heinz Rühmann veranlasst wurde, bleibt Spekulation – beide drehten noch zwei weitere Filme zusammen, darunter „Der Gasmann“ – sicher lässt sich aber die Wahl Leny Marenbachs für die weibliche Hauptrolle auf seinen Einfluss zurückführen. Die beiden aus Essen stammenden Schauspieler waren zu dieser Zeit liiert, was dem frivolen Miteinander in „Wenn wir alle Engel wären“ sehr zu Gute kam. Marenbach spielte auch in ihren zwei folgenden Filmen „So ein Mustergatte“ (1937) und „Fünf Millionen suchen einen Erben“ (1938) an Rühmanns Seite, aber ihre Position veränderte sich. In „Fünf Millionen suchen einen Erben“ spielte sie nicht mehr seine Ehefrau, sondern gab die Verführerin, der Rühmann in seiner Rolle als verheirateter Erbe selbstverständlich widerstand – ein deutliches Anzeichen für die zunehmende Prüderie in seinen Filmen, von der sich „Wenn wir alle Engel wären“ noch wohltuend abhob.


Denn Heinrich Spoerl blickte tief hinter die Fassaden bürgerlicher Moral. Stilprägend für seinen Roman wie für den Film ist die "Empörung". Die leicht tuschelnde, hinter vorgehaltener Hand vorgetragene der Bewohner des kleinen Mosel-Ortes, wenn der angesehene Beamte Christian Kempenich (Heinz Rühmann) allein in die verruchte Großstadt Köln fährt, um dort bei einer Familientaufe zu verweilen, oder wenn Enrico Falotti (Harald Paulsen), stadtbekannter Charmeur, in dessen Abwesenheit seiner Frau Hedwig Kempenich (Leny Marenbach) private Gesangsstunden gibt. Oder die laute, das eigene schlechte Gewissen übertönende, wenn Christian Kempenich damit konfrontiert wird, dass aus einem Kölner Hotelzimmer Bettwäsche gestohlen wurde, in dem er angeblich mit Ehefrau genächtigt hatte, oder sich Hedwig Kempenich gegen jede Verdächtigung verwahrt, sie hätte, nachdem es auf einer Mosel-Schiffstour zu spät wurde, gemeinsam mit Falotti in einem Hotel übernachtet, um am nächsten Morgen die Heimfahrt anzutreten.

Umso mehr Beweise auftauchen, die diese Verdächtigungen erhärten, umso mehr flüchten die Ehepartner in neue, noch konstruiertere Ausreden, auch um die jeweilige Meinungshoheit zu erlangen. Denn wer scheinbar mehr Schuld auf sich geladen hat, muss sich die „ehrliche“ Empörung des Anderen gefallen lassen. Ein Zustand, der ständig zwischen den Partnern wechselt, bis sie sich trennen, obwohl ihr Umgang von Beginn an keinen Zweifel daran ließ, dass sie sich lieben und auch sexuell begehren. Doch der Gerichtsverhandlung entkommen sie damit nicht, denn für die Staatsanwaltschaft steht fest, dass das Ehepaar in Köln übernachtet hat und die Bettwäsche mitnahm.

Tatsächlich hatte Christian Kempenich den Verlockungen der Großstadt nicht widerstehen können und begab sich in ein nächtliches Vergnügungs-Etablissement – Alkohol und ein überredungsfähiges Fräulein besorgten dann den Rest. Als er am frühen Morgen in einem Hotelzimmer aufwacht, liegt sie entkleidet im Bett und er angezogen daneben, aber er kann sich an nichts mehr erinnern. Ohne sich zu verabschieden, flüchtet er schnell von diesem Ort und hört nur noch wie sie „Bubi“ hinter ihm herruft. Offensichtlich nutzte die so Zurückgelassene die Situation aus, um sich an der Bettwäsche zu bedienen. Auch seine Frau Hedwig ließ sich vom hartnäckigen Gesanglehrer erst zu einer Moselfahrt überreden, die er dann dank seines charmanten Unterhaltungstalents so weit ausdehnte, dass weder Schiff, noch Zug zum Heimatort zurückfuhren. Ob sie im Hotel eine gemeinsame Nacht mit ihm verbrachte, wer weiß?

Heinrich Spoerl ließ diese Frage in seinem Roman offen, im Film wurde dagegen der Eindruck vermittelt, dass es nicht zur letzten Konsequenz gekommen war – der einzige Schwachpunkt der filmischen Adaption. Dabei spielt es letztlich keine Rolle, ob sie tatsächlich untreu gewesen sind, denn allein die Diskrepanz zwischen ihrem nach außen hin betonten moralischen Anspruch und ihrer nicht eingestandenen Schwäche bringt sie in ihre zunehmend schwierigere Lage – und droht so ihre intakte Ehe zu zerstören. Eine wie gewohnt mit leichter Hand von Spoerl erzählte Geschichte, die dank der schnellen und witzigen Dialoge der beiden sehr gut harmonierenden Hauptdarsteller höchst unterhaltend gelingt – und ganz nebenbei eine Doppelmoral geißelt, die die tatsächlichen menschlichen Bedürfnisse leugnet. Ein für seine Entstehungszeit gewagter Film, dessen offenherziger Umgang mit der Sexualität auch der rheinländischen Mentalität zu verdanken war, die der gebürtige Düsseldorfer Spoerl authentisch wiederzugeben wusste.

"Wenn wir alle Engel wären" Deutschland 1936, Regie: Carl Froelich, Drehbuch: Heinrich Spoerl (Roman), Darsteller : Heinz Rühmann, Leny Marenbach, Elsa Dalands, Lotte Rausch, Harald PaulsenLaufzeit : 82 Minuten


weitere im Blog besprochene Filme von Carl Froelich:

Freitag, 26. Dezember 2014

Die Beine von Dolores (1957) Géza von Cziffra

Udo Jürgens im Duett mit Christa Williams
Inhalt: Nachdem der exzentrische Star des notorisch klammen Revue-Theaters „Pigalle“ das Weite gesucht hatte, erhält die begabte Tänzerin Dolores (Germaine Damar) deren Rolle in einer neu geplanten Produktion, die spontan in „Die Beine der Dolores“ umbenannt wird. Zwar vermutet die Chefin (Ruth Stephan) des Revue-Theaters persönliche Vorlieben ihres Geliebten und Choreografen (Ralf Wolter) dahinter, aber die finanziell angespannte Situation lässt ihr keine Wahl, da sich der Geschäftsmann Theobald Schreyer (Theo Lingen) mit der zugesagten Unterstützung Zeit lässt.

Dolores hat derweil ganz andere Probleme, denn ihrer Mutter (Grethe Weiser) hatte sie nie anvertraut, dass sie sich zur Tänzerin ausbilden ließ, sondern im Glauben gelassen, sie hätte einen „anständigen“ Beruf gelernt. Das neue Engagement zwingt sie aber, erst spät abends nach Hause zu kommen, was der vorsichtigen Mama nicht passt, weshalb sie behauptet, in der Klinik des Psychiaters Dr.Lorenz (Claus Biederstaedt) als Krankenschwester in der Spätschicht zu arbeiten. Dolores hatte Dr.Lorenz gerade erst kennengelernt, weshalb sie spontan diese Notlüge wählte, aber als sich ihre Mutter zur Klinik des Nervenarztes begibt, der nichts von dem Konstrukt weiß, droht das Kartenhaus zusammenzubrechen…


In Erinnerung an Udo Jürgens, gestorben am 21. Dezember 2014

Udo Jürgens in "...und du mein Schatz bleibst hier" in seinem Element am Klavier
Die Wahl des Tanz- und Schlagerfilms "Die Beine von Dolores" scheint vordergründig ungeeignet als Andenken an einen über Jahrzehnte erfolgreichen und beliebten Musiker, dessen Name erst spät in den Credits auftaucht und der hier nur zweimal als Partner von Christa Williams auftrat, deren Schlager "Onkel Tom" er im Duett mit ihr intonierte - eine typische, mit leicht exotischen Rhythmen Internationalität vortäuschende 50er Jahre Komposition, die schnell in Vergessenheit geriet. Tatsächlich verdankten viele Künstler dem seit den frühen 50er Jahren aufkommenden Schlagerfilm ("Schlagerparade", 1953) ihren Karrierestart, denn bevor sich das Fernsehen in Deutschland Anfang der 60er Jahre als Massenmedium durchsetzte, waren ihre Auftritte im Rahmen einer austauschbaren Komödienhandlung eine erste Möglichkeit, sich einem großen Publikum vorzustellen.

In "Unsere tollen Nichten" gehörte er schon zum festen Ensemble-Stamm
Für Christa Williams - ebenfalls erstmals in "Die Beine von Dolores" auf der Kinoleinwand zu sehen - wurde der Film zu einer unmittelbaren Initialzündung. Noch im selben Jahr trat sie erneut als Sängerin in "Nachts im grünen Kakadu" (1957) in Erscheinung. Weitere ähnlich geartete Rollen sollten folgen, bis sie in "Das habe ich in Paris gelernt" (1960) sogar in einer Hauptrolle an der Seite von Chris Howland besetzt wurde. 1959 war ihr erfolgreichstes Jahr - zusammen mit Gitta Lind landete sie mit "My Happiness (Immer will ich treu dir sein)" auf Platz 3 der deutschen Charts und vertrat die Schweiz beim "Grand Prix Eurovision de la Chanson Européenne", dem heutigen "Eurovision Song Contest", wo sie immerhin Vierte wurde. Für andere Gesangs-Stars wie René Carol, der die erste deutsche "Goldene Schallplatte" nach dem 2.Weltkrieg für "Rote Rosen, rote Lippen, roter Wein" (1952) erhielt, der zum Vorbild für den gleichnamigen, im folgenden Jahr herausgekommenen Film wurde, oder für die erfahrene US-Amerikanerin Olive Moorefield bedeuteten ihre Auftritte in "Die Beine von Dolores" dagegen schon Routine.

Die musikalischen Szenen durften erotisch angehaucht sein...
Auch die uncreditierten Renée Franke, seit Ende der 40er Jahre erfolgreich, und der damals schon sehr populäre Peter Alexander konnten auf eine Vielzahl von Film-Engagements verweisen, aber für Udo Jürgens blieb die Angelegenheit zäh - nicht zuletzt auch, weil der Christa Williams-Schlager untypisch für seinen Stil war. Zwar wurde er ein Jahr später in einer Nebenrolle in „Lilli, ein Mädchen aus der Großstadt“ (1958) besetzt, aber den Film-Durchbruch schaffte er erst mit "...und du mein Schatz bleibst hier" (1961), in dem er seine erste Hit-Single „Jenny“ von 1960 interpretieren durfte. Am Klavier sitzend verkörperte Udo Jürgens als Mitglied einer Studenten-Jazzband schon einen lässigen, modernen Stil, der kaum gegensätzlicher zu seinem ersten Auftritt in „Die Beine von Dolores“ hätte ausfallen können. Begleitet wurde er dabei von Gus Backus an der Gitarre, mit dem er gemeinsam in den folgenden Jahren die Rolf Olsen-Trilogie über die „Tollen Tanten“ nicht nur musikalisch prägen sollte („Unsere tollen Tanten“ (1961), „Unsere tollen Nichten“ (1963) und „Unsere tollen Tanten in der Südsee“ (1964)). Für den Sänger der Beginn seiner produktivsten Phase als Schauspieler, die für ihn aber im Gegensatz zu vielen Protagonisten des Schlagerfilms, die nach dem Ende der Ära, Mitte der 60er Jahre, vollständig aus dem Fokus des Publikums verschwanden, zu keiner Sackgasse werden sollte.

...ebenso der Dress-Code der jungen Damen (in der Mitte Germaine Damar)...
Dagegen befand sich Germaine Damar, eine begabte Tänzerin aus Luxemburg, 1957 auf dem Höhepunkt ihrer Karriere. Seit „Tanzende Sterne“ (1952) war sie zu einem großen Star im deutschen 50er Jahre Musik- und Komödienfilm („Die Drei von der Tankstelle“ (1955)) aufgestiegen und drehte allein unter Regisseur Géza von Cziffra sieben Filme, von denen ihr gemeinsamer Vierter „Die Beine von Dolores“ Damars größter Erfolg wurde. Wie gewohnt war weniger ihr schauspielerisches Vermögen als die titelgebenden Beine gefragt, die sie gekonnt einsetzte. Der Filmtitel zitierte einen Schlager von Gerhard Wendland aus dem Jahr 1951, der wiederholt angespielt wurde und auch als Name für die Revue herhalten musste, um die sich die Story dreht. Dolores Martens (Germaine Damar) wurde in der Hauptrolle besetzt, wovon ihre gestrenge Mutter (Grethe Weiser), die glaubt, ihre Tochter hätte einen „anständigen“ Beruf gelernt, aber nichts wissen darf. In ihrer Not hatte Dolores behauptet, in der Klinik des Psychiaters Dr. Hans Lorenz (Claus Biederstaedt) als Krankenschwester zu arbeiten, wovon der in sie verliebte Arzt aber nichts weiß. Als die resolute Mama überraschend in der Nervenklinik auftaucht, um einem der dortigen Ärzte dessen Tasche zurückzubringen, die tatsächlich dem Choreografen der Show (Ralf Wolter) gehört, droht die Situation zu eskalieren.

...doch darüber hinaus ging es züchtig zu.
Bis in die Nebenrollen verfügt der Film über eine damals sehr populäre Besetzung. Neben dem männlichen Co-Star Claus Biederstaedt - in den 50er Jahren nahezu omnipräsent als Schwiegermutters Liebling - sorgten Grethe Weiser, Bum Krüger, Theo Lingen, Ralf Wolter, Ruth Stephan und Gunther Phillip für die notwendige Abwechslung zwischen den Musiknummern, die erstaunlich aufwändig choreografiert und in Szene gesetzt wurden. Deren teils anzüglichen Witze ließen den Widerspruch zwischen Erotik á la Paris und den biederen 50er Jahre-Moralvorstellungen, die gewahrt bleiben mussten, noch deutlicher werden. Während auf der Tanzfläche die leicht gekleideten Damen die Beine schwangen und „Olala – c’est la vie!“ erklang, musste Grethe Weiser als fürsorgliche Mutter alles dafür tun, dass der gute Ruf ihrer Tochter gewahrt blieb, weshalb Claus Biederstaedt als zukünftiger Ehemann im weißen Doktor-Kittel geradezu zwingend zur Verfügung stand. Auf die Nachfrage der gewagt gekleideten Bedienung, warum er so gut gelaunt auf die Abfuhr von Dolores reagiert hätte, antwortet er: „Ich freu' mich, dass sie mit mir nicht gleich am ersten Abend ausgeht!“ – eine Aussage mit Signalwirkung, die beispielhaft für den Charakter des Schlagerfilms der 50er Jahre steht, dessen sexueller Subtext häufig mit möglichst viel Anstandsgeplänkel kaschiert werden musste.

Weniger Hemmungen bewies Géza von Cziffra dagegen beim Verfassen des Drehbuchs, dessen Witz sich an den gängigen Vorurteilen bediente. Besonders die Szene in der Nervenklinik, in der Mutter Martens ohne viel Federlesens von den an ihrem Verstand zweifelnden Doktoren in eine Gummizelle gesperrt wird - Gunter Phillip verkörperte „seinen“ Psychiater mit Kinnbart und Gesichtszuckungen - erfüllten alle Erwartungen an eine „Irrenanstalt“. Auch die Slapstick-Einlagen mit Theo Lingen und einer schwergewichtigen dunkelhäutigen Sängerin, denen der Boden beim Tanzen unter den Füßen weggezogen wird, so dass sie in einem Trampolin herumzappeln, geben ein deutliches Zeichen damaligen Humorverständnisses. Einzig Grethe Weiser mit ihrer resoluten Art ist es zu verdanken, dass diese Momente nur wenig in Erinnerung bleiben. Weder verliert sie die Contenance, als sie in der Gummizelle landet, noch lässt sie sich aus der Ruhe bringen, als herauskommt, dass sowohl ihre Tochter, als auch ihr Ehemann in dem Revue-Theater beschäftigt sind. Souverän behält sie die Meinungshoheit und lässt daran deutlich werden, dass die Story sowieso nur eine Funktion hatte – als oberflächlich unterhaltende Rahmenhandlung für eine Vielzahl von Gesangs- und Tanznummern, die die damaligen Stars auch ins rechte Bild rückten, darunter erstmals auch Udo Jürgens.

"Die Beine von Dolores" Deutschland 1957, Regie: Géza von Cziffra, Drehbuch: Géza von Cziffra, Gustav Kampendonk, Darsteller : Germaine Damar, Claus Biederstaedt, Grethe Weiser, Ralf Wolter, Ruth Stephan, Theo Lingen, Gunther Phillip, Bum Krüger, Udo Jürgens, René CarolLaufzeit : 99 Minuten

 weitere im Blog besprochene Filme von Géza von Cziffra:

"Banditen der Autobahn" (1955)

Montag, 15. Dezember 2014

Sünde mit Rabatt (1968) Rudolf Lubowski

Inhalt: Wie jeden Abend bereiten sich die Angestellten des in einer Großstadt gelegenen Nacht-Clubs auf ihre Arbeit vor. Während einige Damen in den Hinterzimmern ihre Freier empfangen, beginnt im Veranstaltungsraum das Show-Programm, bestehend aus Gesangs- und Stripteasenummern, jederzeit streng kontrolliert von ihrer Chefin (Margarethe Reinhardt), die sich gerne zu ihren gut betuchten Gästen an den Tisch setzt.

Auch Martina (Eva Astor) gehört zu dem weiblichen Ensemble, hat aber gerade Ärger mit ihrem Zuhälter (Karl Arnold), der sie mit dem gemeinsamen Kind im Stich gelassen hat. Er will keine feste Beziehung, sondern kümmert sich lieber um seine anderen Mädchen. Als Martina am nächsten Tag auf einem Waldstück, weit vor der Stadt, ermordet aufgefunden wird, gerät er bei dem ermittelnden Kommissar (Claus Holm) in Verdacht...


Vom "blauen Meer" auf den Strich - ein 60er Jahre Schicksal

Schon Anfang der 60er beschwor Margarethe Reinhardt die Gefahren für die Moral...
Die soziokulturellen Veränderungen in der Nachkriegs-BRD, besonders hinsichtlich der damit einhergehenden sexuellen Liberalisierung, blieben im 50er Jahre Kino noch ein Randaspekt, verbunden mit moralisierenden Warnungen vor den Gefahren für die Jugend. Der populäre Unterhaltungsfilm - vorzugsweise der Heimatfilm und sein naher Verwandter, der Musikfilm - versorgte sein Publikum dagegen konsequent mit einem idealisierten, konservativ geprägten Familienbild, das zunehmend die Realitäten negierte und Anfang der 60er Jahre Gefahr lief, hoffnungslos altmodisch zu wirken - Gift für den Erfolg an der Kinokasse. Entsprechend entstanden vermehrt Filme, die zumindest phasenweise gewagtere Konstellationen zwischen den Geschlechtern zuließen, auch wenn sie letztlich der propagierten Moral treu blieben. Ein Versuch, modern, aber nicht zu anstößig zu wirken.

...junger Frauen, gespielt von der Sängerin Eva Astor in ihrer ersten Rolle,...
Diese Gratwanderung ist sehr schön an dem Heimat-/Musikfilm "Auf Wiedersehen am blauen Meer" (1962) abzulesen, der noch ganz traditionell mit Förster und hübscher Bauerntochter vor einem beeindruckenden Bergpanorama beginnt. Doch die Story nach einer Idee von Margarethe Reinhardt entwickelt sich schnell in eine andere Richtung, beschreibt den schicken Jäger (Toni Sailer) als Frauenhelden, der einer attraktiven Dame (Hannelore Cremer) nach einer gemeinsamen Nacht nach Italien folgt, wo er erkennen muss, dass er dort nur als billiger Gigolo angesehen wird, der sich aushalten lässt. Auch Christa (Eva Astor) aus seinem Bergdorf, mit der er im Jahr zuvor kurz zusammen war, kommt nach Italien, weil sie sich eine Karriere als Sängerin erhofft, stattdessen aber an einen fiesen Yachtbesitzer gerät, der sie mit KO-Tropfen gefügig machen will. Klar, dass der Held noch rechtzeitig eingreift und die Maid wieder heil zurück zur Alm bringt, aber die Handlung fand größtenteils außerhalb der heimatlichen Berge statt und bediente das Publikum stattdessen mit anrüchigem Italien-Flair.

...die als jungfräuliche Christa noch rechtzeitig gerettet wird.
Die Botschaft des Films war eindeutig. Das Fremde - unbekannt und verführerisch - bedrohte die Moral, aber diese Sichtweise ließ sich angesichts der fortschreitenden sexuellen Liberalisierung in Deutschland nicht mehr halten. Zudem verlangte das Publikum nach Einsichten in die Etablissements der Halbwelt. Entsprechend ist der 1968 entstandene Film „Sünde mit Rabatt“ in seiner Mischung aus moralischem Zeigefinger und voyeuristischem Spektakel nicht nur beispielhaft für diese Entwicklung, sondern seine Gene lassen sich bis tief in die heile Welt des 50er Jahre Heimatfilms zurückverfolgen. Mit Claus Holm als ermittelndem Kommissar („Wenn die Alpenrosen blüh‘n“ (1955)) und Adrian Hoven („Heimatland“ (1955)) gehörten zwei wichtige Protagonisten des Heimatfilms zum Ensemble, aber mehr noch steht die Karriere der österreichischen Schlagersängerin Eva Astor prototypisch für die sich wandelnden Frauenrollen.

Als Prostituierte wird sie Ende der 60er dagegen ihrem Schicksal überlassen.
In "Auf Wiedersehen am blauen Meer" gab sie noch das anständige Mädchen, das rechtzeitig aus den Händen eines schmierigen Lüstlings befreit wird. In „St. Pauli Herbertstraße“ (1965) spielte sie zwar erneut eine brave Landwirtstochter, doch bevor der Held die Szene betrat, wurde sie vergewaltigt und geriet auf der Reeperbahn in die Hände von Zuhältern. In „Sünde mit Rabatt“, ihrem dritten Film, verkörperte Eva Astor die erfahrene Prostituierte Martina, die jeden Abend ihrer Arbeit in einem Nacht-Club nachgeht, der von einer wohlhabenden Bürgerschicht frequentiert wird. Geografisch liegt der Handlungsort Karlsruhe zwar nah an idyllischen Schwarzwaldhöhen, aber moralisch trennen ihn Welten von den noch Anfang der 60er Jahre propagierten Heimatfilm-Idealen. Diese Entwicklung geht konkret auf Margarethe Rheinhardt zurück, deren Ideen die Basis aller drei Filme bildeten und die in „Sünde mit Rabatt“ selbst eine kleine Rolle als Chefin spielte.

Nicht mehr das "blaue Meer", sondern die Lichter der Großstadt unterlegten...
Parallelen zu Eva Astor lassen sich auch in Hannelore Cremers Karriere als Schauspielerin feststellen. Erstmals stand sie in dem Heimatfilm „Der Orgelbauer von St.Marien“ (1961) als berechnende Städterin vor der Kamera – ein Rollentypus, den sie in „Auf Wiedersehen am blauen Meer“ fortführte, in dem sie als selbstbewusste Inhaberin verschiedener Nachtlokale in Italien auftrat, die sich Männern nicht unterordnet. Nach einigen TV-Rollen in den 60er Jahren (unter anderen „Match“ (Hilfe, ich bin noch Jungfrau, 1969), Regie Wolfgang Becker) traf sie 1970 ebenfalls auf Regisseur Rudolf Lubowski, dessen „Wer weint denn schon im Freudenhaus?“ thematisch an „Sünde mit Rabatt“ anknüpfte.

...Rheinhardts dritten Film mit Paula Braend als "Puffmutter".
Zuvor hatte der Kinderbuchautor und Musiker Lubowski nur bei dem Heimatfilm-Komödien-Sequel „Zwei Bayern in Bonn“ (1962) Regie geführt, aber seine Anfänge gehen auf die Bearbeitung des österreichischen Nachkriegsfilms „Asphalt“ (1951) über das Schicksal "Einer Jugend, die frühreif und ohne Illusionen, ohne Aufsicht und ohne Führung aufwächst. Die durch schlechte Beispiele und Leichtsinn auf die falsche Bahn gerät" (Off-Text des Trailers) zurück, dass er unter dem Titel „Die Minderjährigen“ 1959 stark umgeschnitten und mit zusätzlich gedrehten Szenen in die deutschen Kinos brachte. Ein Thema, dass ihn wiederholt antrieb. 1974 erschien sein Hörspiel "Angelika und der Fremde", mit dem er vor dem „guten Onkel“ mit Sätzen wie "Schön weh getan hat dir's, kleine süße Sau“ warnen wollte, wodurch er stark in die Kritik geriet, sich missverstanden fühlte und sich lieber mit dem "Abenteuer Jesu in Hörspielform" befassen wollte, um seine tatsächlichen Beweggründe deutlich werden zu lassen (Quelle: Der Spiegel 31/1974). Weder von Lubowski, noch von der Initiatorin Margarethe Reinhardt sind jüngere Arbeiten bekannt, aber erst ihre Geschichte ermöglicht eine Annäherung an den mit religiös-moralischem Aufklärungswillen gedrehten Sexploitation-Film „Sünde mit Rabatt“.


Ein später Heimatfilm ?

Schon der Filmtitel, der die alttestamentarische „Sünde“ mit einem schnöden Preisnachlass kombinierte, lässt an der Intention eines Films keinen Zweifel, der über die dokumentarisch angehauchten Bordell-Szenen, regelmäßig eingestreute Nacktdarstellungen und die Alltagsprobleme der Prostituierten eine Art Strafe Gottes legte, die in Form eines Serienmörders die jungen Frauen heimsuchte. Die mehr nebenher laufende Kriminalhandlung erinnert in ihrem Versuch, ständig neue Verdächtige zu kreieren, um am Ende eine möglichst unwahrscheinliche Lösung zu präsentieren, an die Edgar-Wallace-Filme, verfolgte damit aber einen anderen Zweck – die Betonung der allgegenwärtigen Gefahr, die Derjenigen droht, die ihren Körper verkauft.

Trotzdem blieb der warnende Effekt schwach, denn Lubowski und Reinhardt befriedigten mit frivolen Bühnenauftritten, Gesangseinlagen und tiefen Einblicken ins Liebesdienstgewerbe vor allem die voyeuristische Erwartungshaltung eines Publikums, das sich stellvertretend auch im Film wiederfand. Wahrscheinlich ernst gemeint, wirken die Bilder der bürgerlichen Besucherschar im Zuschauerraum des Nachtclubs - betuchte Ehepaare, Geschäftsmänner, Junggesellen-Gruppen – aus heutiger Sicht fast satirisch in der Demaskierung eines Publikums, dass sich nach außen hin über moralische Abgründe mokierte, heimlich aber gerne dabei zusah.

Ähnlich hatten auch die klassischen Heimatfilme zuerst große Emotionen und dramatische Konflikte vor den Zuschauern aufgetürmt, um am Ende wieder die gewohnte Ordnung herzustellen. In „Auf Wiedersehn am blauen Meer“ war das noch gelungen, „St.Pauli Herbertstraße“ vermittelte zumindest noch die Illusion, dass Wunden heilen könnten. Doch die 60er Jahre hatten tiefe Spuren hinterlassen, verschneite Berggipfel waren karg eingerichteten Bordellzimmern gewichen, aus denen es für die Protagonistinnen kein Entkommen mehr zu geben schien. Margarethe Reinhardt hatte in jedem ihrer Filme die größere Keule geschwungen, zuletzt unterstützt von Lubowski, der ihre Idee zu einem Drehbuch verfasste, aber „Sünde mit Rabatt“ gelang nicht mehr als Appell für eine solide Lebensführung, sondern wurde unbewusst zum melancholisch stimmenden, die inneren Widersprüche entlarvenden Abbild einer Gesellschaft im Wandel.

"Sünde mit Rabatt" Deutschland 1968, Regie: Rudolf Lubowski, Drehbuch: Rudolf Lubowski, Margarethe Reinhardt (Idee), Darsteller : Eva Astor, Karl Arnold, Paula Brandt, Margarethe Reinhardt, Claus Holm, Adrian Hoven, Mona BaptisteLaufzeit : 88 Minuten

Lief am zweiten Tag des 1. Auswärtigen Sondergipfel des Hofbauer Kommando in Frankfurt/Main vom 07. bis 09.11.2014

Mittwoch, 19. November 2014

Frankfurt Kaiserstraße (1981) Roger Fritz

Inhalt: Rolf (Dave Balko) möchte noch ein letztes Mal mit seiner Freundin Susanne (Michaela Karger) schlafen, bevor er am nächsten Tag seinen Wehrdienst bei der Bundeswehr in Frankfurt antreten muss. Leider werden sie von ihrem Vater (Horst Richter) gestört, der gar nicht begeistert von Rolf ist, und dessen Vater ebenfalls froh ist, dass sein Sohn für 15 Monate aus dem Taunus-Städtchen verschwindet. Doch sie haben die Rechnung ohne Susanne gemacht, die spontan entscheidet, nach Frankfurt zu ziehen, um in der Nähe Rolfs zu bleiben – zu ihrem Onkel Ossi (Kurt Raab), der in einer festen Beziehung mit Tonino (Gene Reed) in der Kaiserstraße lebt.

Dort entwickeln sich parallel dramatische Ereignisse. Von Johnny Klewer (Hanno Pöschl) eingefädelt, verüben zwei seiner Männer einen Bombenanschlag auf einen konkurrierenden Geschäftsmann. Es geht um die Macht in der Drogen- und Bordell-Szene. Klewer ist für seine geschickte Anwerbung junger Prostituierter bekannt. Erst gibt er sich charmant und großzügig, bis er die verliebten Mädchen auf den Strich schickt. Auch die hübsche Susanne fällt ihm sofort ins Auge…


Roger Fritz, Ende des 2. Weltkriegs knapp 9 Jahre alt, wuchs als Mitglied der ersten Nachkriegs-Generation inmitten der sozialen Veränderungen der 50er Jahre auf und erlebte intensiv die Phase früher Jugendauflehnung und des Rock'n Roll, wie sie in dem nach einem Will Tremper Drehbuch entstandenen Film "Die Halbstarken" (1956) thematisiert wurde. Nicht zufällig verdankte er einer Bildreportage über diesen Film den Start seiner Karriere als Schauspieler, denn die Nähe zum Zeitgeist zeichnete auch seinen weiteren Fortgang als Drehbuchautor und Regisseur aus. Nachdem er Luchino Visconti bei dessen Episode für "Boccaccio '70" (1962) assistiert hatte, schuf er mit Filmen wie "Mädchen, Mädchen" (1967) oder "Mädchen mit Gewalt" (1970) exemplarische Werke über die entstehenden sozialen Konflikte auf Grund der fortschreitenden sexuellen Liberalisierung und Emanzipationsbewegung.

Danach folgte ein Jahrzehnt mit TV-Arbeiten und intensiverer Schauspiel-Tätigkeit bis Fritz parallel zu seinen Engagements unter der Regie Rainer Werner Fassbinders ("Berlin Alexanderplatz" (1980), "Lili Marleen" (1981)) noch einen letzten Kinofilm drehte - ausgerechnet eine Produktion der "Lisa-Film", die ihren Erfolg seit Mitte der 60er Jahre Exploitation-Filmen ("El caníbal" (Jungfrau unter Kannibalen, 1980)) oder Sex-Komödien ("Drei Schwedinnen in Oberbayern" (1977)) verdankte. Auch "Frankfurt Kaiserstraße" schien diese Erwartungen zu erfüllen, denn keine Großstadt-Region hatte Anfang der 80er Jahre einen schlechteren Ruf in Sachen Drogen-Kriminalität und Prostitution als Frankfurts Bahnhofsviertel – genau der richtige Stoff für ein Publikum, dass nach moralischen Abgründen gierte.

Entsprechend plakativ kommt der Film zur Sache. Nachdem Hauptdarstellerin Michaela Karger, eine ganz dem damaligen Schönheitsideal entsprechende junge Frau, in ihrer Rolle als noch nicht 18jährige Susanne in einer Liebesszene mit ihrem Freund Rolf (Dave Balko) blank gezogen hatte, wird der zentrale Handlungsort „Frankfurt Kaiserstraße“ mit einem perfiden Bomben-Anschlag zwischen rivalisierenden Banden vorgestellt. Hanno Pöschl als schmierig-schöner Zuhälter Johnny Klewer versucht auf diese Weise sein Macht-Territorium auszubauen und verfügt selbstverständlich über die notwendigen Aufreißer-Utensilien wie Cabriolet und ein feudales Liebesnest, um naive Mädchen erst verliebt und dann zu Prostituierten zu machen. Die Story bemühte sich gar nicht erst, irgendein Klischee auszulassen, sondern entwarf vor dem Hintergrund von Bordellen, Nachtclubs und Sex-Shops einen anti-bürgerlichen Mix, in denen Gewalt und wechselnde Sexual-Partner selbstverständlich zu sein scheinen.

Trotz dieser reißerischen Anlage, widerstand Roger Fritz der naheliegenden Versuchung, die Vorurteile gegenüber den hier lebenden Menschen zu bestätigen, sondern nahm sie ernst mit ihren alltäglichen Problemen. Damit bewies er erneut Gespür für eine Zeit, deren liberale Anmutung täuschte. Zwar hatten sich die sozialen Veränderungen in den 70er Jahren manifestiert, wurde die Pornografie legalisiert und der Paragraf 1356 BGB modernisiert, der bis 1977 geregelt hatte, dass Frauen nur mit Erlaubnis des Ehemanns (oder Vaters) eine Arbeit annehmen durften, aber in den Köpfen war das vielfach noch nicht angekommen. Besonders der Kontrast Stadt/Land war nach wie vor groß, weshalb Susannes spontane Entscheidung, ihr Elternhaus und damit ihren autoritären Vater (Horst Richter) zu verlassen und zu ihrem schwulen Onkel Ossi (Kurt Raab) nach Frankfurt zu ziehen, kein selbstverständlicher Schritt war. Sie will in Rolfs Nähe sein, der dort seinen Wehrdienst antreten muss.

Auch dessen Ärger mit seinem Vater, als dieser erfährt, dass er mit der Tochter des örtlichen Gasthofbesitzers eine intime Beziehung hat, weshalb er Schwierigkeiten innerhalb der dörflichen Gemeinschaft befürchtet, beruhte auf einer tief verankerten Doppelmoral, die Susannes Vater Sex  mit seiner Angestellten erlaubte, die Liebesbeziehung zwischen den beiden jungen Menschen aber untersagte. In der Beschreibung dieses Konfliktpotentials, das sich mit Susannes Ankunft in der ihr unbekannten Großstadt noch steigert, verzichtete Fritz auf Übertreibungen. Zwar bekommt Rolf – nicht bereit, sich klaglos unterzuordnen -  Probleme bei der Grundausbildung mit seinem Zugführer, braucht Susanne einen Job und tauchen erste Missverständnisse zwischen den Liebenden auf, die sich jeweiligen Versuchungen ausgesetzt sehen, aber davon erzählt der Film mit einer nachvollziehbaren Normalität, die in direktem Gegensatz zum hartgesottenen „Kaiserstraßen“-Klischee steht.

Susannes strenger Vater steckt seiner Tochter noch Geld zu, bevor sie ihn in Richtung Frankfurt verlässt. Die Szenen bei der Bundeswehr kommen trotz des geltungsbedürftigen Obergefreiten, Saufgelagen und Rolfs kurzem Knastaufenthalt wegen unerlaubter Entfernung von der Truppe ohne die typischen Militär-Extreme aus, sondern beschreiben das stimmige Bild einer Armee zwischen autoritärer Vergangenheit und langsam durchdringender Demokratisierung. Obwohl Rolf fremdgeht, hat die Liebesbeziehung zwischen ihm und Susanne noch eine Chance, aber besonders der selbstbewussten, ihre Sexualpartner frei wählenden Chris (Ute Zielinski) und dem schwulen Paar Tonino (Gene Reed) / Onkel Ossi begegnete Fritz mit einer Selbstverständlichkeit und Sympathie, die keineswegs die Meinung der damaligen Mehrheit widerspiegelte.

Vielleicht lässt sich darin der Grund finden, warum „Frankfurt Kaiserstraße“ trotz der Sex-Szenen und seines Exploitation-Charakters nie den Status eines „Party-Films“ erlangte und heute nahezu vergessen ist. Der von Roger Fritz mit Laiendarstellern (für Michaela Karger, Ute Zielinski und Rolf Belko blieben es die einzigen tragenden Rollen) und Kollegen aus dem Fassbinder-Kreis (Kurt Raab, Hanno Pöschl, Isolde Barth) gedrehte Film passt in kein Schema – reißerisch und plakativ aufgemacht, verbirgt sich dahinter ein sensibler, über das Frankfurter Lokalkolorit hinausgehender Blick in die frühen 80er Jahre, verbunden mit einem hohen Maß an Toleranz für seine Figuren. Leider wurde es Roger Fritz‘ letzte Regie-Arbeit.

Lief als Eröffnungsfilm des 1. Auswärtigen Sondergipfel des Hofbauer Kommando in Frankfurt/Main vom 07. bis 09.11.2014

"Frankfurt Kaiserstraße" Deutschland 1981, Regie: Roger Fritz, Drehbuch: Georg EnsorDarsteller : Michaela Karger, Dave Balko, Hanno Pöschl, Kurt Raab, Ute Zielinski, Gene ReedLaufzeit : 87 Minuten

weitere im Blog besprochene Filme von Roger Fritz:

Freitag, 14. November 2014

Tanja - die Nackte von der Teufelsinsel (1967) Julius Hofherr

Inhalt: Bei ihrem Versuch, mit ihrem Auto weiter in ein Waldgebiet hinein zu fahren wird Tanja (Anne Famos) von einem Jäger (Gregor Uhlberg) aufgehalten. Nachdem sie ihr Fahrzeug abgestellt hat, lässt er es sich nicht nehmen, der jungen Biologie-Studentin, die mit ihrem Fotoapparat die Tierwelt dokumentieren möchte, die schönsten Einblicke in diesen Landstrich zu zeigen. Leider kann er sich ihr nur kurz widmen, da er am nächsten Tag zu einer Weiterbildung muss - nicht aber, ohne sie auf eine kleine Bergsee-Insel hinzuweisen, deren Natur noch unberührt ist. Dass diese den Namen „Teufels-Insel“ trägt, hält Tanja für einen Scherz.

Mit einem Ruderboot gelangt sie zum anderen Ufer, um ein paar Tage allein in der freien Natur zu verbringen. Begeistert von der Tier- und Pflanzenwelt der Insel, entledigt sie sich bald aller Kleidung und begibt sich auf Entdeckungstour…


Nur einmal kurz zu Beginn des Films zeigen sich die Spuren der Zivilisation, als Tanja (Anne Famos) von dem Jäger (Gregor Uhlberg) gebeten wird, nicht weiter mit ihrem Auto in den Wald hinein zu fahren. Die junge Biologiestudentin folgt dem erfahrenen Waidmann und lässt sich von ihm die hiesige Tierwelt zeigen, die sie mit ihrer Kamera dokumentieren möchte. Offensichtlich ungern lässt er die hübsche Blondine allein, um an einer Weiterbildung teilzunehmen, aber nicht ohne ihr noch einen Tipp zu geben. Inmitten eines Bergsees befindet sich eine menschenleere Insel, genannt „Die Teufelsinsel“, mit einer unberührten Fauna und Flora – ideal für die Beobachtung der Natur. Nur mit leichtem Gepäck versehen wechselt Tanja zum anderen Ufer, schläft in einem kleinen Zelt und wird zunehmend eins mit ihrer Umgebung. Erst noch notdürftig mit einem Bikini aus geflochtenen Gräsern bekleidet, entledigt sie sich bald jeden Ballasts und wird Teil der Natur.

Der Filmtitel suggeriert Erotik und Suspense, aber das täuscht. Viel mehr geschieht nicht in "Tanja - die Nackte von der Teufelsinsel", dessen intensive Tier- und Landschaftsaufnahmen zur Entschleunigung einer knapp über 60 Minuten andauernden Handlung beitragen, in der die schöne Nackte mit derselben Unschuld betrachtet wird wie die unberührte Natur. Außer in einer kurzen Episode mit zwei jungen Frauen, die Tanja mit Proviant versorgen und sich sogleich unverkrampft ihrer natürlichen Lebensweise anschließen, bleiben Dialoge sparsam – begleitet wird die Handlung nur von gelegentlichen an Wilhelm Busch erinnernden Schüttelreimen aus dem Off, die ein wenig unfreiwillige Komik verbreiten.

Trotz der geschickten Montage des Schwarz-Weiß-Films lässt sich nicht übersehen, dass er aus zwei unabhängig gedrehten Teilen zusammengesetzt wurde. Die Spielhandlung um Tanja dient als Leitfaden für die dokumentarischen Tieraufnahmen, deren Bandbreite weit über die Fauna einer kleinen Bergsee-Insel hinausgeht – einmal erklettert Tanja sogar Felsgestein, um Gemsen zu beobachten. Gedreht wurden die Tanja-Szenen offensichtlich am Ufer eines Sees, aber die Insel als Handlungsort hatte - neben der Legende um einen angeblich hier hausenden Teufel - die Funktion, die Abgeschiedenheit Tanjas von ihrer Außenwelt noch zu betonen. Herausgekommen ist ein Film, der sich in seiner Mischung aus Naturdokumentation und Nacktaufnahmen unter Verzicht auf jede Handlungszuspitzung jeder Einordnung entzieht und doch ein Abbild der soziokulturellen Veränderungen nach dem Krieg wurde.

Die Faktenlage ist dünn. Von Regisseur, Drehbuchautor und Kameramann in Personalunion Julius Hofherr lässt sich kein anderes Werk finden, Tanja-Darstellerin Anne Famos spielte noch eine Nebenrolle in Schott-Schöbingers "Andrea - ein Blatt im Wind" (1968) und über die übrigen Darsteller, von denen nur der als Jäger agierende Gregor Uhlberg namentlich aufgeführt wurde, ist nichts bekannt. Die Spur führt zu Produzent Hubert Schonger, der auch als Regisseur und Drehbuchautor schon auf ein sehr umfangreiches Oevre zurücksehen konnte, in dessen Mittelpunkt Naturaufnahmen, Märchen- und Heimatfilme standen. Schon 1923 gründete er die Produktionsgesellschaft „Naturfilm Hubert Schonger“, unter deren Ägide in den 20er und frühen 30er Jahren eine große Anzahl Natur- und Kulturfilme („Storch in Not“, 1927), aber auch Sportfilme („Die deutschen Leichtathleten rüsten zur Olympiade“, 1928) und Auftragsarbeiten für die NSDAP entstanden („Hakenkreuz am Stahlhelm“, 1933). Wahrscheinlich stammen große Teile der Tieraufnahmen in „Tanja – die Nackte von der Teufelsinsel“ aus diesem Fundus, wofür auch die teilweise sehr grobkörnigen Aufnahmen sprechen.

Ab Mitte der 30er Jahre konzentrierte sich Schonger zunehmend auf Märchenfilme (Schneeweißchen und Rosenrot“ 1938), bevor er mit „Bergkristall“ (1949, Regie Harald Reinl), einen der ersten Heimatfilme nach dem Krieg produzierte, bei dem er auch am Drehbuch mitwirkte. Neben den Märchenfilmen folgten weitere Heimatfilme („Hubertusjagd“ 1959), aber die neugegründete „Schlongerfilm GmbH“ förderte auch junge Regisseure wie Peter Fleischmann, Marran Gosov und Klaus Lemke, die zu den Protagonisten des „Neuen deutschen Kinos“ gehören. Kurz vor „Tanja – die Nackte von der Teufelsinsel“ produzierte er Lemkes Kurzfilm „Henker Tom“ (1966) mit Werner Enke in der Hauptrolle, der wenig später Berühmtheit in dem Schwabing-Film „Zur Sache Schätzchen“ (1968) erlangen sollte. Parallel drehte Marran Gosov den 20minüter „Pfeiffer“ (1967) mit Marthe Keller, bevor er ein Jahr später die erotische Komödie „Engelchen – oder die Jungfrau von Bamberg“ (1968) herausbrachte.

Offensichtlich stand Schonger dem jungen deutschen Kino nah, aber mehr noch setzte „Tanja - die Nackte von der Teufelsinsel“ die inhaltliche Linie zwei seiner eigenen Regie-Arbeiten fort. Schon der in der Schweiz entstandene „Paradies auf Erden“ (1950, auch bekannt als „Das nackte Paradies“) und „Paradies ohne Sünde“ (1963) nach einem Drehbuch Peter Fleischmanns kombinierten die Schönheit der Natur mit dem Wunsch nach einem freien, ungezwungenen Leben. Das „Paradies“ verstand sich als ein Ort natürlicher Nacktheit wie er auch in „Das verbotene Paradies“ (1958) über die Entstehung der Freikörperkultur thematisiert wurde. Dieser spielerische, die parallele Hippie-Bewegung zitierende Charakter zeichnet auch „Tanja - die Nackte von der Teufelsinsel“ aus, der trotz des für seine Entstehungszeit hohen Anteils an Nacktaufnahmen keinen Voyeurismus bediente, sondern beinahe märchenhafte Züge annahm.

"Tanja - die Nackte von der Teufelsinsel" Deutschland 1967, Regie: Julius Hofherr, Drehbuch: Julius Hofherr, Darsteller : Anne Famos, Gregor UhlbergLaufzeit : 63 Minuten

Lief am dritten Tag des 1. Auswärtigen Sondergipfel des Hofbauer Kommando in Frankfurt/Main vom 07. bis 09.11.2014

Dienstag, 11. November 2014

Tausend Takte Übermut (1965) Ernst Hofbauer

Die Männer (Thomas Alder und Kurt Liederer) haben einen Plan
Inhalt: Die Plattenfirma „Melodia“ steht kurz vor der Pleite, da sie nicht über genug Zugpferde verfügt, die Umsatzzahlen versprechen. Deshalb sollen Firmenanwalt Dr. Peter Hold (Kurt Liederer) und Manfred Reiner (Thomas Alder) an die italienische Adria-Küste fahren, wo die so erfolgreiche, wie exzentrische Sängerin Sherry Davis (Hannelore Auer), begleitet von ihrer Privatsekretärin gerade ihren Urlaub verbringt, verbunden mit einigen Gesangs-Auftritten. Manfred Reiner soll seinen Erfolg bei Frauen auch bei der vor kurzem geschiedenen Sherry wirken lassen, um sie als Ehefrau fest an die „Melodia“ zu binden. Dafür hat er einen psychologisch ausgefeilten Plan geschmiedet, den er am Urlaubsort angekommen sogleich in die Tat umsetzt. Er will die eitle Sherry mit Missachtung strafen, wodurch er sich ihre Aufmerksamkeit verspricht.

Das Objekt ihrer Begierde (Hannelore Auer)
Doch er ist nicht der Einzige, der etwas im Schilde führt. Michaela Andreas (Margitta Scherr) checkt als glamouröse Erscheinung im Hotel ein, um den Vater ihres Verlobten (Gus Backus), ihren Chef Robert Hilman (Harry Hardt), von sich zu überzeugen, denn dieser ist gegen ihre Verbindung, da er sie für eine „graue Maus“ hält. Er ahnt nicht, dass sie weiß, dass er inkognito in seinem eigenen Hotel als Gast nach dem Rechten sehen will…







Schlagerfilm goes Erotikfilm - das langsame Ende eines Genres

Vater (Harry Hardt) und Sohn (Gus Backus) sind unterschiedlicher Meinung
Ernst Hofbauers zweiter Schlagerfilm "Tausend Takte Übermut" blieb nach "Ferien in St.Tropez" (1964) nicht nur sein letzter Ausflug in die seit den frühen 50er Jahren populären Kino-Filme um aktuelle Gesangsstars und Sternchen, sondern wurde einer der letzten Vertreter dieses aussterbenden Genres, das vor der tagesaktuelleren Fernseh-Konkurrenz kapitulierte. Auch für Vivi Bach, mit mehr als zehn Schlagerfilmen seit ihrem Debüt in "Gitarren klingen leise durch die Nacht" (1960) die wichtigste Protagonistin der Spät-Phase des Genres, leitete "Tausend Takte Übermut" das Ende ihrer Kino-Karriere ein. In "Komm mit zur blauen Adria" (1966), einem ähnlich konzipierten Schlagerfilm, der wenig später ebenfalls nach einem Drehbuch Thomas Billians entstand, hatte sie nur noch einen Gastauftritt - eine ohne Zusammenhang zur eigentlichen Handlung hinein geschnittene, früher gedrehte Gesangsszene.

Manfred Schnelldorfer als singender Taxifahrer
Parallel zu „Tausend Takte Übermut“ produzierte Dr. Karl-Heinz Busse noch „Ich kauf‘ lieber einen Tirolerhut“ (1965), der nur drei Wochen später in den deutschen Kinos anlief. Billian hatte neben dem Drehbuch auch die Regie übernommen, assistiert von Gündisch, aber trotz Gus Backus, Hannelore Auer und Manfred Schnelldorfer auf dem Höhepunkt seiner kurzen Karriere als Schlagersänger konnte der Niedergang nicht mehr aufgehalten werden, wurde diese Produktion auch die letzte für Busse, der als Drehbuchautor im Heimatfilm begonnen hatte („Die Fischerin vom Bodensee“, 1956), bevor er zwischen 1962 und 1965 noch sechs späte Musikfilme beisteuerte. Ernst Hofbauer setzte seine Regie-Tätigkeit stattdessen bei „Die Liebesquelle“(1966) fort - mit Hans-Jürgen Bäumler in der Hauptrolle, der Schnelldorfer nicht nur als Eiskunstlauf-Star ablöste. Damit bewies Hofbauer früh Weitsicht, denn trotz der Heimatfilm-Komödien-Attitüde, machte der Film aus seiner sexuellen Ausrichtung kein Geheimnis mehr, setzte ausführlich auf Nuditäten und gab ihm die Gelegenheit, die erotischen Anspielungen seiner Schlagerfilme zu konkretisieren.

Der Geschäftsführer (Fritz Benscher) verfolgt eigene Interessen
In den 50er Jahren wurde noch versucht, den sexuellen Subtext des Musikfilms mit seinen leicht geschürzten Sängerinnen und Tänzerinnen mit möglichst tugendhaftem Verhalten der Protagonisten zu deckeln. Inzwischen durfte das Genre dank der fortschreitenden Liberalisierung mehr wagen - eine Konsequenz, die die seltsamsten Blüten trieb, denn so sehr es die Frauen und Männer zwischendurch krachen ließen, zuletzt hatte alles wieder seine schönste „Pärchen“-Ordnung. In dieser Hinsicht bildet auch „Tausend Takte Übermut“ keine Ausnahme, aber bis am Ende jedes Töpfchen sein Deckelchen findet, verzichtete Hofbauer anders als noch in „Ferien in St.Tropez“ auf familiäre Elemente und ließ keinen Zweifel daran, worum es tatsächlich geht – um Sex.

Vater und Sohn mit der begehrten Michaela (Margitta Scherr)
Zwar wurde die Handlung erneut an Mittelmeer-Gestaden angesiedelt – diesmal geben die italienische Adria und Venedig den stimmigen Hintergrund ab – aber Urlaub macht hier keiner der Protagonisten. Als Anlass der Story dient die drohende Pleite der Plattenfirma „Melodia“, weshalb Manfred Reiner (Thomas Alder), begleitet von seinem Freund und Anwalt Dr. Peter Hold (Kurt Liederer), mit dem Auftrag nach Italien geschickt wird, die glamouröse Sängerin Sherry Davis (Hannelore Auer) zu verführen, damit sie einen Vertrag bei seiner Firma unterschreibt. Während Reiner seine vermeintlich erfolgsversprechende Strategie bei der exzentrischen Sängerin anwendet, will Industriellen-Sohn Frank (Gus Backus) seinem Vater Robert Hilman (Harry Hardt) seine Braut schmackhaft machen. Dem präsidialen Hilman ist die in seiner Firma arbeitende, ihm persönlich unbekannte Sekretärin Michaela Andreas (Margitta Scherr) als Schwiegertochter zu wenig vorzeigbar, aber ihr gelingt es mühelos, den an die Adria gereisten Senior vom Gegenteil zu überzeugen.

Gunter Phillip (noch) in seinem Element
Auch sein Aufenthalt kommt nicht ohne Hintergedanken aus, denn er will inkognito als Gast die Qualitäten seines Hotelpersonals überprüfen, die sich als äußerst dürftig erweist, da der Geschäftsführer Theodor Rassel (Fritz Benscher) und sein Portier Pizzanini (Fritz Korn) vor allem an ihrer persönlichen Bereicherung interessiert sind. Größtenteils verbringt Hilman aber seine Zeit mit der reizvollen Michaela, was seinen Sohn später zu der Bemerkung verleitet, warum er sie nicht gleich selbst heiratet. Nicht ganz unbegründet, denn zwischen dem Alten und der jungen Frau knistert es deutlich mehr als zwischen dem geplanten Liebespaar. Leider kommt es nicht zu dieser Konsequenz, ebenso wie Gunther Phillip in gewohnter Aufschneider-Rolle nicht den drei Mädels frönen darf, die ihm generös von der Hotelleitung zur Verfügung gestellt wurden. Bevor er zum Zuge kommt taucht seine Ehefrau (Edith Hancke) auf, die den Möchtegern-Casanova brachial zur Räson bringt.

Vivi Bach als witzige Telefonistin
Doch diese Konzessionen lassen nicht übersehen, mit welcher Ironie Billian und Hofbauer an den Filmstoff herangingen, bekannte Verwechslungs-Komödienelemente zitierten – Gunther Phillip wagte sogar den Jerry-Lewis-Sprung – und den italienischen Schlagersänger Peppino di Capri mit Besen als Arbeiter auf dem Hoteldach inszenierten, was heute noch lässig wirkt. Besonders Vivi Bach, in „Holiday in St.Tropez“ gewohnt seriöser Mittelpunkt des irren Geschehens, bewies hier ihr komödiantisches Talent und persiflierte ihre Rolle als blonder Blickfang. Selbstverständlich kommt am Ende auch sie wieder unter die Haube, ebenso wie das geschiedene Schlagerpaar Hannelore Auer und Rex Gildo als „Rick Tanner“ wieder zusammenfindet, aber diesen am Ende im Minuten-Takt verabreichten Happy-Ends fehlt jede Ernsthaftigkeit, um das zuvorige frivole Treiben noch zu kaschieren.

"Tausend Takte Übermut" Deutschland 1965, Regie: Ernst Hofbauer, Drehbuch: Hans Bilian, Max Rottmann, Darsteller : Vivi Bach, Hannelore Auer, Thomas Alder, Kurt Liederer, Rex Gildo, Gunther Phillip, Harry Hardt, Fritz Benscher, Gus Backus, Edith Hancke, Margitta Scherr, Adi BerberLaufzeit : 93 Minuten

Lief am ersten Abend des 1. Auswärtigen Sondergipfel des Hofbauer Kommando in Frankfurt/Main vom 07. bis 09.11.2014

weitere im Blog besprochene Filme von Ernst Hofbauer:

"Holiday in St.Tropez" (1964)
"Schwarzer Markt der Liebe" (1966)
"Schulmädchen-Report - Was Eltern nicht für möglich halten" (1970)