Sonntag, 31. März 2013

Heute heiratet mein Mann (1956) Kurt Hoffmann


Inhalt: Thesi Petersen (Liselotte Pulver) ist geschieden und lebt in einer kleinen Atelier-Wohnung über den Dächern Hamburgs. Die junge Mode-Designerin weiß ihren Charme einzusetzen und verkauft dem Chef eines Modehauses alle ihre Entwürfe, obwohl dieser sich zuerst ablehnend zeigt. Weniger souverän reagierte sie kurz zuvor, als sie von ihrem Zahnarzt (Werner Finck) erfuhr, dass ihr Ex-Mann (Johannes Heesters) erneut heiraten will.

Sie erinnert sich an ihre kleinlichen Streitigkeiten, die damals zur Scheidung geführt hatten, und plant, mit einem aufregenden Kleid unangemeldet zu der Verlobungsfeier gehen. Als sie am Nachmittag an der Alster spazieren geht, findet sie es angesichts der vielen Paare seltsam, allein zu sein, aber zufällig lernt sie über eine Bekannte Georg Lindberg (Paul Hubschmid), einen deutschen Diplomaten, und dessen Freund Niki Springer (Charles Regnier), einen Schriftsteller, kennen. Spontan beschließt sie, beide Männer zu der Verlobungsfeier ihres Ex-Mannes mitzunehmen...


Die Kombination war vielversprechend - Komödienspezialist Kurt Hoffmann wählte mit Annemarie Selinkos Roman "Heute heiratet mein Mann" eine populäre Drehbuch-Grundlage für seinen neuen Film und besetzte wieder Liselotte Pulver in der weiblichen Hauptrolle, mit der er ein Jahr zuvor mit "Ich denke oft an Piroschka" einen großen Erfolg gefeiert hatte. Obwohl Kurt Hoffmanns leichter Inszenierungsstil und Liselotte Pulver als selbstbewusst auftretende junge Frau wie gewohnt überzeugen konnten, ist "Heute heiratet mein Mann" in Vergessenheit geraten zwischen ihrer "Piroschka"-Rolle und Helmut Käutners "Die Zürcher Verlobung" (1957), in dem sie erneut auf Paul Hubschmid treffen sollte. Zurecht, denn anders als den genannten Filmen und Hoffmanns kommendem Film mit Liselotte Pulver "Bekenntnisse des Hochstaplers Felix Krull" (1957), gelang es "Heute heiratet mein Mann" nicht, sich vom Mief der 50er Jahre zu befreien.

Dabei nimmt Liselotte Pulver als junge Mode-Designerin Thesi Petersen, die allein in einer Hamburger Dachwohnung lebt und ihr Leben lässig schmeißt, hier ihre moderne Frauenrolle aus "Die Zürcher Verlobung" schon vorweg, ebenso wie Werner Finck schon als Zahnarzt zu sehen ist, der zum Auslöser der weiteren Verwicklungen wird. Arglos und unwissend, wer sich gerade auf seinem Patientenstuhl befindet, ist er voll des Lobes für den Architekten des neuen Krankenhauses Robert Petersen (Johannes Heesters) und erwähnt dessen geplante Hochzeit mit der jungen Karin Nielsen (Gundula Korte), Tochter des wohlhabenden Unternehmers Karl Nielsen (Gustav Knuth). Erst als Thesi Petersen seine Praxis wieder verlässt, begreift er, dass sie die Ex-Frau ist, der er zuvor ganz selbstverständlich die Allein-Schuld an der ersten gescheiterten Ehe des Architekten gegeben hatte.

Scheidungen waren Mitte der 50er Jahre noch keineswegs an der Tagesordnung, weshalb der selbstverständliche Umgang damit überrascht, zudem kombiniert mit einer Frau, die in der jungen Bundesrepublik ihren eigenen Weg zu gehen scheint. Doch dieser zukunftsweisende Eindruck eines guten Beginns verschwindet schnell zugunsten einer altbackenen Story, die nur noch davon bestimmt wird, die geschiedenen Eheleute wieder zusammen zu bringen. Nachdem Thesi die Informationen von ihrem Zahnarzt erhalten hatte, spielen realistische Dinge wie ihr Job oder ihr Selbstverständnis als Frau keine Rolle mehr - sie will nur noch mit einem aufreizenden Kleid in die Verlobungsfeier ihres Ex-Mannes platzen und dabei kommt ihr die Bekanntschaft mit den attraktiven Herren Georg Lindberg (Paul Hubschmid) und Niki Springer (Charles Regnier), die sie in einem Café an der Alster kennenlernt, gerade recht. Dass sie die Trennung von ihrem Mann noch nicht überwunden hätte, wie Georg angesichts dieser Aktion zurecht mutmaßt, weist Thesi weit von sich - eine Lüge, die Niemand glauben wird.

Die weiteren, den Großteil des Films einnehmenden Handlungsabläufe, lassen sich in wenigen Sätzen zusammenfassen. Nach dem gelungenen Auftritt mit schickem Abendkleid und zwei sie begleitenden Männern auf der Verlobungsfeier, lässt sich Thesi von dem Diplomaten Georg Lindberg nach mehreren vergeblichen Versuchen doch dazu überreden, ihn zu heiraten und mit ihm nach Mexiko zu gehen, erkrankt glücklicherweise einen Tag vor der Abreise an Scharlach und wird täglich von ihrem Ex-Mann im Krankenhaus besucht. Nach wochenlanger Quarantäne trennt sie sich wieder von Georg, während auch ihr Ex seine Hochzeitsfeierlichkeiten absagt - es kommt zum erwartet guten Ende.

Die hier gezeigten Geschlechterrollen und die Eingriffe in Annemarie Selinkos literarische Vorlage, verraten noch eine deutliche Nähe zum konservativen Zeitgeist der 50er Jahre, worüber auch die gut aufgelegten Nebendarsteller und Hoffmanns schmissiger Stil nicht hinweg täuschen können. Selinko gliederte die 1940 erschienene Geschichte um ein geschiedenes Ehepaars in eine komplexe Handlung ein, die unmittelbar auf die damaligen Ereignisse in Europa reagierte. Der Widerstand gegen die Nationalsozialisten, dem sich Selinko später selbst anschloss, wurde bestimmend für die persönlichen Konsequenzen der Handelnden, auch für Thesis Rückkehr zu ihrem Mann. Dass Hoffmann auf die politischen Aspekte verzichtete und die Story als reine Komödie inszenierte, war legitim, nahm den Protagonisten aber ihre charakterliche Tiefe und ließ sie oberflächlich agieren.

Schon der Grund für das Scheitern der Ehe von Thesi und Robert, der in Rückblicken erzählt wird, ist in seiner Nichtigkeit eine Bestätigung der Vorurteile des Zahnarztes. Offensichtlich hatte Thesi als nicht arbeitende Hausfrau viel Zeit, um ständig die Einrichtung umzustellen, was zu Streitigkeiten mit ihrem Abends spät nach der Arbeit nach Hause kommenden Mann führte. Ein harmloses Wortgefecht genügte schon, damit sie ihre Koffer packte. Der Film verzichtet darauf, weitere Folgen einer Scheidung zu zeigen - eine für Frauen in den 50er Jahren noch einschneidende Konsequenz - um den Eindruck, ein sich immer noch liebendes Paar hätte sich aus geringfügigen Gründen getrennt, nicht zu gefährden. Noch unwahrscheinlicher ist Robert Petersens geplante Hochzeit mit der zwar hübschen, aber bieder-braven Karin Nielsen, die ständig von zwei alten Frauen bewacht wird. Die einzige sympathische Figur der Industriellenfamilie ist das von Gustav Knuth gespielte Familienoberhaupt, das sich ganz selbstverständlich eine junge Geliebte (Ingrid van Bergen) leisten darf und damit Lebensfreude ausstrahlt, während die Frauen nur vorwurfsvoll moralische Verfehlungen geißeln.

Während die Männer alle gut bezahlte Jobs haben und trotz ihres gehobenen Alters attraktiv sind - Johannes Heesters spielte mit 53 Jahren den "jungen" Architekten und Bräutigam, der 55jährige Gustav Knuth den "älteren" Liebhaber und zukünftigen Schwiegervater - werden die Frauen nur in die Kategorien jung und hübsch oder alt und knöchern unterteilt. Man könnte über die im Vergleich zu ihren Kolleginnen deutlich älteren männlichen Darsteller hinweg sehen, da nicht das tatsächliche, sondern das gespielte Alter maßgebend sein sollte, aber besonders Heesters wirkt mit seinen Verniedlichungen gegenüber seinen "Frauchen" wie ein typischer "Sugar-Daddy", was Liselotte Pulvers anfänglich selbstbewusstes Auftreten zunehmend relativiert und sie in die damals beliebte Rolle des lebenslustigen, aber noch etwas unreifen Dings verfällt. Wenigstens ihre geplante Hochzeit mit dem netten, aber natürlich langweiligen Georg brauchte Niemanden zu überzeugen - zu offensichtlich beruhte diese Entscheidung nur darauf, ihren Frust über die geplante Hochzeit ihres Ex-Mannes zu kanalisieren.

"Heute heiratet mein Mann" ist eine harmlose Filmkomödie, der die Entstehung in den 50er Jahren deutlich anzumerken ist. Das wäre nicht weiter bemerkenswert, wären die Voraussetzungen nicht so vielversprechend gewesen. Dass Annemarie Selinkos Vorlage nur auszugsweise genutzt wurde, war dem damaligen Zeitgeist zu verdanken, dem Regisseur Kurt Hoffmann und Liselotte Pulver in ihren Filmen allerdings häufig widerstanden - hier leider nicht.

"Heute heiratet mein Mann" Deutschland 1956, Regie: Kurt Hoffmann, Drehbuch: Eberhard Keindorff, Johanna Sibelius, Annemarie Selinko (Roman), Darsteller : Liselotte Pulver, Johannes Heesters, Paul Hubschmid, Charles Regnier, Gustav Knuth, Lina Carstens, Ingrid van Bergen, Werner Finck, Laufzeit : 91 Minuten

weitere im Blog besprochene Filme von Kurt Hoffmann:
"Drei Männer im Schnee" (1955)
"Das Wirtshaus im Spessart" (1958)
"Wir Wunderkinder" (1958)
"Das Spukschloss im Spessart" (1960)
"Schloss Gripsholm" (1963)
"Herrliche Zeiten im Spessart" (1967)

Freitag, 29. März 2013

Krambambuli (1940) Karl Köstlin


Inhalt: Der herumziehende Gelegenheitsarbeiter Thomas Werndl (Rudolf Prack) entdeckt zufällig einen jungen Hund, der weggelaufen war, und nimmt ihn mit sich. Weil dieser so begeistert an seinem Glas riecht, nennt er ihn "Krambambuli", nach dem Wacholderschnaps, den er zuvor daraus getrunken hatte. Schon kurz darauf will ihm ein Wirt Krambambuli abkaufen, aber als Werndl darauf den Hund ansieht, entscheidet er sich gegen einen Verkauf.

Ein Jahr später sind Krambambuli und er ein eingespieltes Duo, was auch daran deutlich wird, dass der Hund für Beide die Nahrung stiehlt. Als er dabei von Anna (Viktoria von Ballasko) ertappt wird, entschließt sich Werndl spontan an deren Hof eine Arbeit als Knecht anzunehmen. Allerdings hat ihre Mutter (Elise Aulinger) hier das Sagen, die ihn zwar einstellt, aber nicht gerne sieht, wie er mit Anna herumturtelt. Diese soll nämlich den Jäger Barthel Raunegger (Sepp Rist) heiraten...


Marie von Ebner-Eschenbachs 1883 erschienene Novelle "Krambambuli" bot sich für diverse Interpretationen geradezu an, denn ihre Geschichte über eine bedingungslose Treue, ließ sich mit wenigen Veränderungen ideologisch nutzen. Entscheidend dafür ist die Gewichtung unter den einzelnen Parteien, die unterschiedliche Charaktere und damit gesellschaftliche Haltungen repräsentieren.

Bei Ebner-Eschenbach steht die Figur des Jägers im Mittelpunkt, der einem Landstreicher einen Hund für 12 Flaschen Wacholderschnaps der Marke "Krambambuli" abkauft, wodurch der Hund erst seinen Namen erhält. Die Beziehung zwischen Hund und Jäger erfährt eine Vielzahl von Beanspruchungen - erst der harte, disziplinierte Erziehungsprozess bis der Hund sich dem Jäger unterordnet, dann die Wegnahme durch die Gräfin, die den Hund für ihren Mann beansprucht, die Rückkehr von Krambambuli zu dem Jäger, nachdem er beim Grafen jedes Futter verweigerte, bis zum Duell des Jägers mit dem wildernden Landstreicher. Krambambuli - zwischen beiden Männern hin und her gerissen – entscheidet sich wieder für seinen früheren Herrn, obwohl dieser ihn für Schnaps verkauft hatte.

Ebner-Eschenbach betonte damit eine Entscheidung, die schwer nachvollziehbar ist. Liebe und Treue sind bedingungslos, so die Aussage, mit der Ebner-Eschenbach den eigenen, frühen Verlust ihrer Mutter verarbeitete. Selbst die liebevollste Stiefmutter konnte später nicht mehr dieselbe instinktive Nähe herstellen. Nachdem Krambambuli bei dem erschossenen Wilderer verweilt, lässt der Jäger enttäuscht von ihm ab - eine Entscheidung, die er gegen seine eigenen Gefühle fällt. Später, nach langen Irrwegen, stirbt Krambambuli auf seiner Türschwelle, bevor ihn der Jäger, der ihn inzwischen zu finden versuchte, retten kann. Bei Ebner-Eschenbach gibt es am Ende nur Verlierer.

Über diese Konsequenz verfügt keine der Verfilmungen, weshalb es überrascht, dass die erste, während der Zeit des Nationalsozialismus 1940 entstandene Filmversion, nicht nur dem literarischen Original noch am nächsten kommt, sondern die hier vorgenommenen Veränderungen stilbildend für die späteren Verfilmungen blieben. Der entscheidende Unterschied liegt in der Gewichtung des Landstreichers, die bei Ebner-Eschenbach bewusst funktional, ohne tiefere emotionale Ausarbeitung, angelegt war. Durch die starke Diskrepanz – hier der zwar strenge, aber sehr liebevolle und anständige Charakter des Jägers, dort der Landstreicher und Wilderer, der seinen Hund für Alkohol verkauft – entsteht erst der tiefe Eindruck einer Treue, die über den von Menschen ersonnenen Regeln von Recht und Moral steht. Diesem Konzept unterwarf sich keine der Verfilmungen, die im Gegenteil jeweils betonten, welch inniges Verhältnis der Landstreicher zu seinem Hund entwickelte.

Entsprechend vermittelt der Beginn  in „Krambambuli“ das Gegenteil von Ebner- Eschenbachs Intention. Nachdem Thomas Werndl (Rudolf Prack) sich des jungen Hundes angenommen hatte, den er jaulend auf der Straße antraf, geht er mit ihm hungrig in ein Wirtshaus, ohne über Geldmittel zu verfügen. Nachdem er sich zuvor schon heimlich eine Wurst eingesteckt hatte, nutzt er das Interesse des Wirtes an dem Hund, um noch weiteres Essen abzustauben. Der Wirt bietet ihm fünf Gulden für „Krambambuli“ – wie ihn Werndl kurz vorher taufte, nachdem er an dessen Schnapsglas leckte – lässt sich sogar auf sechs Gulden hoch handeln, aber Werndl schlägt das Geschäft nach einem Blick in das Gesicht des Hundes aus, obwohl das Geld für ihn ein Vermögen wäre. Der Film greift damit das Motiv des Verkaufs zwar auf, wandelt aber die Sympathien zugunsten des Landstreichers und Gelegenheitsarbeiters.

Die zweite stilbildende Veränderung betrifft die Rolle des weiblichen Geschlechts. Anders als in Ebner-Eschenbachs Novelle, in der die Frauen nur eine Nebenrolle spielen, wird der Konflikt zwischen Jäger und Landstreicher noch dadurch zugespitzt, dass sie um dieselbe Frau werben. Thomas Werndl lernt Anna (Viktoria von Ballasko) kennen, als diese seinen Hund dabei ertappt, wie er eine Wurst stiehlt. Spontan bewirbt er sich um eine Stelle als Knecht auf dem Bauernhof, die er auch von Annas Mutter (Elise Aulinger) erhält. Diese sieht es allerdings nicht gern, das Thomas um Anna wirbt, denn sie hat ihre Tochter dem Jäger (Sepp Rist) versprochen, der im Gegensatz zu dem Vagabunden eine anständige Partie darstellt. Im Gegensatz zu der späteren Verfilmung der Novelle („Heimatland“ 1955), begeht „Krambambuli“ noch nicht den Fehler, die Rolle des Hundes zugunsten der Auseinandersetzung um die Frau zu vernachlässigen. Zu einer echten Konfrontation wegen Anna kommt es nicht, da sie frühzeitig eine klare Entscheidung fällt, und die Männer nur zu Gegenspielern unter unglücklichen Umständen werden.

Bemerkenswert ist, dass die Figur des Gelegenheitsarbeiters 1940 nicht dafür genutzt wurde, ihn als Störenfried einer bürgerlichen Gesellschaft heraus zu stellen wie es in der Nachkriegszeit in „Heimatland“ geschah. Rudolf Prack, der in beiden Filmen mitwirkte, wurde in den 50er Jahren, auf dem Höhepunkt seiner Popularität, als Jäger besetzt, während er hier noch den Vagabunden spielte, der zwar ein Außenseiter bleibt, aber dessen Werdegang als Verkettung tragischer Ereignisse dargestellt wurde. Ähnliches, nur mit umgekehrten Vorzeichen, lässt sich auch über seinen Gegenspieler, den Jäger, feststellen. Kein böses Wort über den Nebenbuhler hört man von ihm, auch nicht gegenüber Anna, deren kurze Irritation er akzeptiert. Doch anders als in der literarischen Vorlage, in der der Hund eine sofortige Anziehungskraft auf den Jäger ausübte, kümmert er sich erst um diesen, nachdem ihn Anna in ihre Obhut bekam, da der Vagabund ins Gefängnis musste. Dieses Motiv, das bei Ebner-Eschenbach nicht vorkommt, blieb später auch in „Heimatland“ erhalten, um so den Charakter einer höheren Gewalt zu betonen, durch den es zur Trennung zwischen Krambambuli und seinem Herrn kommt. Ebner-Eschenbachs Intention einer nicht nachvollziehbaren Treue des Hundes zu seinem Herrn wurde damit unterlaufen.

Die negative Rolle obliegt stattdessen dem weiblichen Geschlecht. Besonders Annas Mutter als diktatorische Bäuerin, die auch ihren sympathischen Bruder unterdrückt, erfüllte das Klischee einer herrischen Alten, die einem braven Kerl die Luft zum Atmen nicht gönnt. Entsprechend gestaltet sich auch die Szene, die zum Bruch zwischen Anna und Thomas und damit letztlich zu dessen Niedergang führt. Während Mutter und Tochter am Sonntag zur Kirche gehen, nutzen der Onkel und Thomas den friedlichen Moment, um gemeinsam ein Glas Most zu trinken, den die Bäuerin ausnahmsweise aus dem Keller holen ließ. Vom ungewohnten Glück berauscht, trinken die Männer ein Glas nach dem anderen und werden entsprechend angetrunken angetroffen. Dass dieser harmlose Moment den Anlass für die Bäuerin bietet, Thomas vom Hof zu weisen, macht deutlich, wer hier als Auslöser für dessen Unglück angesehen werden sollte.

Diese Geschlechterrollen verweisen am ehesten auf den Entstehungszeitraum während der Zeit des Nationalsozialismus. Sämtliche männliche Rollen behielten trotz ihrer unterschiedlichen Charaktere einen sympathischen Gestus, während das weibliche Geschlecht nur in der Figur der blonden Anna das Klischee der guten Ehefrau erfüllte. Selbst daran, dass Thomas zum Wilderer wird - der einzige Grund, warum er mit dem Jäger in Konflikt gerät - , trägt allein die verführerische und selbstverständlich dunkelhaarige Kathrein (Paula Pfluger) die Schuld, die den armen Kerl dazu verleitet, ihr billiges Wildbret für ihr Restaurant zu schießen.

Trotz dieser unterschwelligen Ausrichtung, die dem generellen, auch noch in den 50er Jahren vorhandenen Zeitgeist entsprach, blieb „Krambambuli“ vor allem in der Betonung der Rolle des Hundes erstaunlich nah an Ebner-Eschenbachs Vorlage. Die Konfrontation des Jägers mit der Konsequenz, dass eine strenge Erziehung kein Garant dafür ist, Vertrauen und Liebe zu erwerben, und damit der Zwang, seine eigenen Wertevorstellungen in Frage zu stellen, erhob diese Interpretation über seine Nachfolger. Einzig der Mut fehlte, die Entscheidung des Hundes für den Vagabunden ohne nachvollziehbaren Grund zu akzeptieren. Trotz dieser Anpassung an den Publikumsgeschmack verzichtete der Film auf ein billiges Happy – End und vermittelte auch eine Ebene des Scheiterns.

"Krambambuli" Deutschland 1940, Regie: Karl Köstlin, Drehbuch: Friedrich Perkonig, Marie von Ebner-Eschenbach (Novelle)Darsteller : Rudolf Prack, Sepp Rist, Victoria von Ballasko, Elise Aulinger, Paula Pfluger, Laufzeit : 73 Minuten

Donnerstag, 28. März 2013

La Habanera (1937) Detlef Sierck


Inhalt: Gemeinsam mit ihrer alten Tante Ana (Julia Serda) reist die Schwedin Astree (Zarah Leander) nach Puerto Rico und ist sofort von der mittelamerikanischen Insel, ihren Bewohnern und nicht zuletzt ihrer Musik begeistert. Don Pedro (Ferdinand Marian), ein mächtiger Großgrundbesitzer, wirbt um sie, aber ihre Tante möchte schnell wieder abreisen, da sie im Gegensatz zu ihrer Nichte nur Missfallen empfindet. Schon auf dem Schiff hört Astree noch einmal die Klänge der „Habanera“ und beschließt spontan, auf Puerto Rico zu bleiben und Don Pedro zu heiraten.

10 Jahre später ist von der damaligen Begeisterung nichts mehr übrig. Während ihr eifersüchtiger Ehemann streng über sie wacht, sind Astree die Lebensverhältnisse auf der Insel zunehmend zuwider und sie sehnt sich nach ihrer schwedischen Heimat zurück. In diesem Geiste erzieht sie gegen den Willen ihres Mannes ihren inzwischen 9jährigen Sohn - der einzige Grund, warum sie sich noch nicht von ihm getrennt hatte. Doch als mit Dr.Nagel (Karl Matell), einem Jugendfreund Astrees, und seinem brasilianischen Kollegen zwei Ärzte auf die Insel kommen, um das Puerto-Rico-Fieber zu bekämpfen, spitzt sich die Lage zu…


"La Habanera" beweist, dass es auch 1937 in Deutschland während der Zeit des Nationalsozialismus möglich war, Filme zu drehen, die intelligent unterhalten konnten, differenzierte Charaktere boten und mit authentischen Emotionen berührten. Trotzdem war es signifikant für die Situation engagierter Künstler dieser Zeit, dass Regisseur Detlev Sierck, der wenig später als "Douglas Sirk" nach Hollywood ging und berühmt wurde, den Drehort Teneriffa nützte, um sich mit seiner jüdischen Frau aus Deutschland abzusetzen.

Dabei gefiel Göbbels "La Habanera" ungemein, obwohl der Film keinerlei Zugeständnisse an faschistisches Gedankengut aufweist, sondern im Gegenteil die Begegnung zweier fremder Welten differenziert und auch aus heutiger Sicht modern wiedergibt. Aber auch ihm konnte spätestens nach Siercks letztem Film "Zu neuen Ufern" nicht entgangen sein, wie virtuos der Regisseur auf der Klaviatur der Emotionen zu spielen in der Lage war und wie konkret und gleichzeitig spielerisch ihm die Balance gelang, nicht in Kitsch oder Klischees abzugleiten - außer er bediente sich diesen Stilmitteln bewusst. Um ihre demagogischen Ziele zu erreichen, galten diese Fähigkeiten als sehr nützlich für die Nationalsozialisten, weshalb sie sich um Sierck bemühten - eine "Umarmung", der er sich nur durch Flucht entziehen konnte.

Wer nicht floh war Zarah Leander, die nach ihren großen Erfolgen in Siercks Filmen "Zu neuen Ufern" und "La Habanera" zum populärsten UFA-Star aufgebaut wurde. Betrachtet man sie in "La Habanera", ist das nicht erstaunlich, denn trotz ihrer großen, schlanken Gestalt und ihres klassisch schönen Gesichts, konnte sie schwärmerisch und mädchenhaft wirken. Gleichzeitig hinterließ sie den Eindruck einer stolzen, ehrlichen Frau und sang mit ihrer tiefen, erotischen Stimme wunderschöne, gefühlvolle Lieder. Allerdings vermied sie einen zu engen Kontakt mit den Nazis - so gibt es keinerlei Fotos, die sie zusammen mit Adolf Hitler zeigen, obwohl dieser sich mit fast allen populären UFA-Stars schmückte.

Doch neben Zarah Leander, die als Schwedin Astree (ein die Authentizität fördernder Schachzug von Sierck) das weibliche Objekt der Begierde gibt, liegt es besonders an den männlichen Darstellern, dass "La Habanera" auch aus heutiger Sicht noch modern und vielschichtig wirkt. Hervorzuheben ist hier Ferdinand Marian, der das egoistische, autoritäre Auftreten des Großgrundbesitzers Don Pedro mit der inneren Zerrissenheit und Unsicherheit gegenüber Astree verband. Astree und er hatten sich bei einem Stierkampf kennengelernt, einem für Sierck typischen Beginn, da er die Grundsituationen seiner Filme jeweils sehr schnell herzustellen pflegte.

Astree wird von ihrer älteren Tante Ana (Julia Serda) begleitet, die die damalige (und vielfach noch heutige) bürgerliche Einstellung verkörpert. Ihr ist das mittelamerikanische Puerto Rico zu heiß und unwirtlich, die hier lebende Bevölkerung zu unzivilisiert und fremd. Schnell will sie wieder nach Schweden zurück, aber Astree entscheidet sich spontan auf der Insel zu bleiben, nicht zuletzt deshalb, weil der Klang der "Habanera" sie auf dem Schiff einholt und sie wieder unweigerlich an Land zieht. Dort fällt sie Don Pedro in die Arme und heiratet ihn. Noch während der Hochzeit erhält sie ein Telegramm der Tante, die ihr darin als Hochzeitsgeschenk die "Kosten für die Scheidung" schenkt. Schnitt - Zeitsprung von zehn Jahren.

Für den Aufbau des Plots benötigt Sierck kaum 15 Minuten und zeigt hier schon in einem frühen Filme seine große erzählerische Meisterschaft. Ohne zu polarisieren oder Extreme zu nutzen, arbeitet er den tragischen Konflikt heraus. Die Tante, die an ihrer Abneigung gegen Astrees Ehemann keinen Zweifel ließ, ist keine überlegene Figur, sondern verkörpert eine damals weit verbreitete Meinung des "zivilisierten" Europas gegenüber scheinbar unterentwickelten Ländern wie Puerto Rico. Eine Haltung, die Sierck entlarvt und demaskiert, die er aber umgekehrt ebenfalls auf Seiten der Südamerikaner beschreibt. Don Pedros alte Hausdame steht stellvertretend für die Haltung gegenüber den Europäern, die als unerwünschte Eindringlinge angesehen werden. Auch hier hält sich Sierck nicht mit Andeutungen auf, sondern zeigt, wie die alte Dame verächtlich den Ring aus dem Fenster wirft, den ihr Astree kurz zuvor geschenkt hatte. Es bahnt sich ein komplexer, schwer lösbarer Konflikt an.

Der Zeitsprung um 10 Jahre hat die Situation zwischen den Eheleuten verändert. Astree hat einen neunjährigen Sohn, der aus Sicht seines Vaters zu wenig in seinem Geiste und damit zu europäisch erzogen wird. Astree verabscheut ihren Mann und das Leben auf der Insel und will ihn verlassen, hat aber Angst ihren Sohn zu verlieren. Ferdinand Marians Spiel ist großartig, denn hinter seiner äußerlichen Strenge bleibt immer die innere Verzweiflung darüber zu spüren, dass seine Frau ihn nicht mehr liebt. Selbst nachdem sie ihn öffentlich gedemütigt hatte, bleibt er äußerlich beherrscht und greift zu keinen brachialen Mitteln. Es ist wenig nachvollziehbar, warum der von Marian gespielte Inselherrscher in der Regel als negative Figur beschrieben wird. Diese oberflächliche Interpretation fußt noch auf der damalige Denkweise, die offensichtlich später nicht mehr hinterfragt wurde. Zarah Leander, die durch ihre Kindergesänge mit ihrem kleinen Sohn zusätzlich als Mutter hochstilisiert wurde, wurde zur eindeutigen Identifikationsfigur und damit stand der sie scheinbar unterdrückende Don Pedro auf verlorenem Posten.

Heute lässt sich das Spiel der Beiden differenzierter betrachten. So wirkt Zarah Leander in ihrer Rolle ungerecht und verbohrt, nicht bereit sich auf ein anderes Land - über eine romantische Begeisterung hinaus - einzulassen. Don Pedro dagegen ist anzumerken, wie sehr ihn seine europäische Frau begeistert, auch wenn er viele ihrer Denkweisen ablehnt und die ihm anerzogenen Verhaltensmuster nicht abzulegen in der Lage ist. In dieser Situation wirkt er fast angreifbar und schwach und Detlev Sierck vermittelt Sympathie für ihn, da er Don Pedro einen letzten Augenblick des Glücks noch gönnt.

Sierck war mit dieser komplexen Sichtweise seiner Zeit so weit voraus, dass sie heute deutlicher hervor tritt als zur Entstehungszeit des Films. Darüber hinaus verbindet er die Geschichte um diese unglückliche Liebe mit einem spannenden Geschehen um gefährliche Viren, die regelmäßig als "Puerto Rico"-Fieber die Insel heimsuchen und viele Tote fordern. Zusätzlich kommen damit der schwedische Arzt Dr.Nagel (Karl Matell) und sein brasilianischer Kollege Dr.Gomez ins Spiel, die vom schwedischen Tropeninstitut nach Puerto Rico geschickt wurden.

Obwohl sie Leben retten wollen, werden sie mit Ablehnung empfangen, denn den reichen Potentaten der Insel sind die Ärzte ein Dorn im Auge, da sie befürchten, dass Puerto Rico, sollte die Krankheit allgemein bekannt werden, im internationalen Handel geächtet wird und damit ihre Geschäfte schlecht laufen. Diese Kapitalisten scheinen unmittelbar nordamerikanischen oder europäischen Ländern entsprungen, womit Sierck Klischees gegenüber Südamerika vermeidet, aber auch die gegen die Krankheit kämpfenden Ärzte haben nicht nur edle Seiten. Besonders Dr.Nagel, ein alter Jugendfreund von Astree, der sie immer noch liebt, vergreift sich bei seinem Drängen im Ton und erntet damit eine unerwartete Reaktion. Bei Sierck gibt es keine eindimensionalen Charaktere und keine einfachen Lösungen.

"La Habanera" ist ein herausragender Film, der auch heute noch uneingeschränkt empfohlen werden kann. Es ist eine traurige Fußnote des Schicksals, dass der überragend spielende Ferdinand Marian wenige Jahre später von den Nationalsozialisten in der Rolle des "Süß" in dem Propagandawerk "Jud Süß" (1941) von Veit Harlan missbraucht wurde. Auch Detlev Sierck benötigte viele Jahre, um als "Douglas Sirk" wieder Erfolg zu haben. Letztlich gelang ihm das erst, als er wieder auf seinen Stil aus "La Habanera" zurück griff.

"La Habanera" Deutschland 1937, Regie: Detlef Sierck, Drehbuch: Gerhard Menzel, Darsteller : Zarah Leander, Ferdinand Marian, Karl Martell, Julia Serda, Boris Alekin, Laufzeit : 93 Minuten

weitere im Blog besprochene Filme von Detlef Sierck / Douglas Sirk:
"Magnificent obsession" (Die wunderbare Macht, 1954)
"All that heaven allows" (Was der Himmel erlaubt, 1955)
"The tarnished angels" (Duell in den Wolken, 1957)

Mittwoch, 27. März 2013

Strafbataillon 999 (1960) Harald Philipp


Inhalt: Während des 2.Weltkriegs genügten kleine Verfehlungen, um wegen Hochverrats oder Feigheit vor dem Feind angeklagt zu werden, in der Regel gefolgt von einem schnell vollzogenen Todesurteil. Doch als der Russland-Feldzug ins Stocken kam, benötigte die Wehrmacht jeden gesunden Mann, weshalb das Strafbataillon 999 ins Leben gerufen wurde, wo wegen geringer Verbrechen vorbestrafte Männer, Kommunisten oder Deserteure versammelt wurden, die zu sogenannten "Himmelsfahrtkommandos" ins Feld geschickt wurden.

Auch Ernst Deutschmann (Georg Thomas), ein Bakteriologe, wurde zum Dienst in dem Strafbataillon verurteilt, weil man ihm Selbstverstümmelung vorwarf, um sich dem Wehrdienst zu entziehen. Tatsächlich unternahm er einen Selbstversuch, um ein Serum zu entwickeln, aber er stand der SS im Wege, weshalb Dr.Kukil (Ernst Schröder), ein ehrgeiziges Parteimitglied, ein entsprechendes Gutachten verfasste. Im Lager trifft er auf weitere, ähnlich bestrafte Soldaten wie den ehemaligen Offizier Von Bartlitz (Werner Hessenland), der gegen den Befehl seiner Vorgesetzten gehandelt hatte, als er mit einem Rückzug das Leben seiner Soldaten rettete. Sie und die anderen verurteilten Kameraden geraten in die Fänge des Hauptfeldwebels Krüll (Werner Peters), der als Schleifer gefürchtet ist...


Als "Strafbataillon 999" 1960 in die deutschen Kinos kam, war das Urteil über den Film schon gesprochen. Die Geschichte basierte auf einem Roman des zwar sehr erfolgreichen, aber vom Feuilleton missachteten Vielschreibers Heinz G.Konsalik, dessen Werke zur Trivialliteratur gezählt werden - eine Einschätzung, die den Autor selbst nicht störte, da er sich seiner großen Leserschaft sicher sein konnte. Auf Grund dieses Erfolges war ein Jahr zuvor mit "Der Arzt von Stalingrad" erstmals einer seiner Romane verfilmt worden, aber diesmal schrieb Konsalik auch am Drehbuch, gemeinsam mit Wolfgang Menge, der bei der Fernsehserie "Stahlnetz" (ab 1958) schon ein gutes Händchen für kontroverse Stoffe bewiesen hatte.

Trotzdem wurde der Film nicht als seriöse Auseinandersetzung mit der Thematik begriffen, obwohl das "Strafbataillon 999" einen hohen Bekanntheitsgrad während des Krieges besaß und bis dahin noch keine historische Aufarbeitung erfahren hatte. Tatsächlich hatte es Konsalik mit der Realität nicht immer genau genommen, wie eine historische Studie Jahrzehnte später feststellen sollte. Er hatte die Situation übertrieben, indem er behauptete, die Männer wären ständig schikaniert und teilweise unbewaffnet an die Front geschickt worden, obwohl die Einheiten auch seriös befehligt wurden, und er hatte den Widerstands-Geist des Strafbataillons nicht erwähnt. Hitler musste die Division (die damals schon trotz ihrer Größe "Bataillon" genannt wurde) mehrfach verlegen oder zurückziehen lassen, da sie - von den politischen Häftlingen unterwandert - Angriffsstrategien verriet oder in großer Zahl zum Gegner überlief.

Zudem hatte Konsalik zur Identifikation einige edle Charaktere entworfen, die nicht nur aus fadenscheinigen Gründen verurteilt worden waren, sondern trotz dieser ungerechten Behandlung jederzeit mutig und fair - auch gegenüber ihrem Heimatland - blieben. Ähnlich wie in der "08/15" - Trilogie von 1954/55 machen zwar feige und sadistische Vorgesetzte den Soldaten das Leben schwer, aber Nazis gab es in der Wehrmacht offensichtlich keine. Einzig zu Beginn, als der Arzt Ernst Deutschmann (Georg Thomas) zu Unrecht wegen Selbstverstümmelung in Berlin verurteilt wird - er hatte im Selbstversuch ein von ihm entwickeltes Serum getestet - werden die Insignien der Machthaber sichtbar, während unter den Soldaten weder Hitlergruß, noch sonst irgendwelche Elogen an den "Führer" zu existieren scheinen.

Auch Sonja Ziemann, der einzige Star des Films, hatte - von kleinen Zugeständnissen an ein weibliches Publikum einmal abgesehen - vor allem die Funktion, den Unterschied zwischen den Schreibtischtätern in Berlin und den tapferen Kämpfern an der Front noch zu betonen. Julia Deutschmann (Sonja Ziemann) versucht die Verurteilung ihres Mannes wieder aufheben zu lassen und muss sich dabei mit dem windigen Arzt und Parteimitglied Dr. Kukill (Ernst Schröder), dessen Gutachten ausschlaggebend für das Urteil war, und dem zuständigen Standartenführer der SS auseinandersetzen. Doch während ihr Mann in Russland in Lebensgefahr gerät und Bomben über Berlin fallen, haben die Herren nur Augen für die schöne Julia, die sie mit eindeutigen Absichten bedrängen.

Der Vorwurf einer historisch ungenauen Darstellung und die Verharmlosung der Rolle der Wehrmacht ist gerechtfertigt, aber darüber hinaus macht "Strafbataillon 999" wenig falsch. So plakativ und mit einfachen Mitteln zuspitzend Konsalik vorgeht, so beeindruckend konkret ist der Film. Schon die ersten Szenen, die beispielhaft die Rigorosität zeigen, mit der die Männer zum Tode oder zum "Strafbataillon 999" verurteilt werden - letztlich gleichbedeutend mit einem Todesurteil - sind von schockierender Wirkung und beleuchten kritisch die unmenschliche Vorgehensweise der Gesetzesvertreter. Auch die Offiziere im Strafbataillon halten sich nicht zurück in ihrer Verachtung für die "Verbrecher", die in ihrer Einheit Dienst schieben müssen, und haben keine Probleme damit, sie in Todeskommandos zu verheizen - Nachschub steht ja genügend zur Verfügung.

Zwar gibt es mit Oberleutnant Obermaier (Heinz Weiss) eine menschlich anständige Ausnahme, aber dem gegenüber steht mit Hauptfeldwebel Krüll (Werner Peters) ein kleingeistiger Feigling, der als sadistischer Schleifer die Soldaten schikaniert. Entscheidend für die Wirkung des Films und seine für die Entstehungzeit Ende der 50er Jahre erstaunlich kritische Haltung, ist nicht diese vertraute Konstellation, sondern das der Film keine Konzessionen an die damaligen (und heutigen) Publikumserwartungen macht. Die langen Kriegshandlungen zum Ende des Films verdeutlichen nur die ausweglose Situation, in die die Soldaten geschickt wurden, und vermitteln keine heroischen Gefühle. Im Gegenteil verhöhnt das konsequente Ende jeden anständigen Gestus und lässt keinen Zweifel an einem Menschen verachtenden System.

"Strafbataillon 999" Deutschland 1960, Regie: Harald Phillip, Drehbuch: Wolfgang Menge, Harald Philip, Heinz G.Konsalik (Roman), Darsteller : Sonja Ziemann, Werner Peters, Georg Thomas, Ernst Schröder, Heinz Weiss, Laufzeit : 104 Minuten

weitere im Blog besprochene Filme von Harald Philipp:


Dienstag, 26. März 2013

Kleider machen Leute (1940) Helmut Käutner


Inhalt: Schneidergeselle Wenzel (Heinz Rühmann) bleibt abends noch in der Werkstatt, um den Frack für den Bürgermeister fertig zu nähen. Doch nachts beginnen seine Fantasien mit ihm durchzugehen und er schneidert sich den Frack selbst auf den Leib. Als am Morgen sein Chef den Bürgermeister empfängt, um ihm das gute Stück anzuziehen, kann Wenzel die Katastrophe nicht mehr verhindern und wird achtkantig rausgeschmissen – ohne Geld, nur mit dem Frack und wenigen Habseligkeiten bei sich.

Schwermütig sieht er in dem kalten Winter seinem Tod entgegen. Ein Puppenspieler (Erich Ponto), der den armen Wenzel versucht hatte zu trösten, sieht eine Kutsche halten und überzeugt den Kutscher davon, dass es sich bei dem Schneidergesellen um eine hochstehende Persönlichkeit handelt. Dieser glaubt darauf, in ihm den russischen Grafen zu erkennen, den er abholen sollte, aber nicht angetroffen hatte. Wenzel will zuerst nicht einsteigen, bis ihn Nettchen (Hertha Feiler), deren Kutsche verunglückt war, bittet, sie in die Nachbarstadt mitzunehmen. Er willigt ein und erzeugt mit seiner Ankunft große Aufregung unter den Bürgern und Honoratioren…


Der ersten Zusammenarbeit von UFA-Star Heinz Rühmann und Regisseur Helmut Käutner sollte erst viele Jahre später mit "Der Hauptmann von Köpenick" (1956) eine weitere folgen, zudem unter umgekehrten Vorzeichen. Heinz Rühmann erfreute sich 1940 seit Jahren großer Popularität und drehte mehrere Filme jährlich, während Käutners erster im Jahr zuvor gedrehter Film "Kitty und die Weltkonferenz" von der Zensurbehörde verboten worden war. Dagegen hatte Käutner 1956 viel Renomée erworben und war zu einem Stil prägenden Regisseur aufgestiegen, während hinter Heinz Rühmann schwierige Jahre nach dem Ende des 2.Weltkriegs lagen, die nicht zuletzt mit seiner zwiespältigen Beziehung zu den nationalsozialistischen Machthabern zusammen hing.

Für Käutners zweiten Film bedeutete die Besetzung Rühmanns und dessen Ehefrau Hertha Feiler in der weiblichen Hauptrolle die Chance, dass dieser von der Zensur verschont bleiben würde, da sie großen Einfluss im Propaganda-Ministerium besaßen. Zudem hatte er als Vorlage für sein Drehbuch mit "Kleider machen Leute" eine Novelle aus dem zweiten Teil des Novellenzyklus "Die Leute von Seldwyla"  von Gottfried Keller gewählt, die dieser zwischen 1860 und 1875 geschrieben hatte. Der Schweizer Schriftsteller Keller gilt heute als Meister des "bürgerlichen Realismus" des 19.Jahrhunderts, der die sozialen Verhältnisse seiner Zeit genau beschrieb und auch kritisch betrachtete, aber die Verlegung der Handlung in die Schweiz des vorigen Jahrhunderts machte aus diesem Stoff ein Lustspiel mit gemäßigt ironischen Anspielungen, das von der nationalsozialistischen Zensur als reiner Unterhaltungsfilm eingestuft wurde.

Tatsächlich wäre es zu viel der Interpretation, erkenne man in der Geschichte um den unfreiwilligen Hochstapler eine unterschwellige Kritik am Nationalsozialismus, aber dank Gottfried Kellers Grundlage kam die Rolle Rühmanns, obwohl er erneut als einfacher Mann des Volkes besetzt wurde, ohne die üblichen Klischees aus. Auch in den kurz zuvor und danach entstandenen Filmen "5 Millionen suchen einen Erben" (1938) oder "Der Gasmann" (1941) wurde er der Versuchung ausgesetzt, mehr sein zu können als es seinem einfachen Stand entsprach. Nur kurz erlag er jeweils dem Lockruf (des Geldes), um letztlich seinen ihm zustehenden Platz wieder einzunehmen - nicht ohne in "Der Gasmann" noch vor Gericht (komödiantisch) abgestraft zu werden. So eindeutig die Botschaft war - zudem ganz im Sinn der Machthaber - so beliebt machten diese Rollen Heinz Rühmann beim Großteil der Kinobesucher. "Kleider machen Leute" hat dagegen einen exakt gegensätzlichen Aufbau, schon weil die Versuchung, in die Rühmann zu Beginn gerät, auf seinem Fehlverhalten beruht.

Anstatt den Frack für den Bürgermeister korrekt fertigzustellen, erliegt der Schneidergeselle Wenzel (Heinz Rühmann) einen Moment lang seinen Träumen und kürzt das noble Kleidungsstück auf seine eigene Größe. Am nächsten Morgen wieder bei klarem Verstand, kann er nicht mehr verhindern, dass der Bürgermeister den viel zu kleinen Frack bemängelt und er von seinem Meister rausgeschmissen wird - statt einer anständigen Bezahlung mit dem Kleidungsstück als Abfindung. Dieses wird zu seiner Eintrittskarte in die bessere Gesellschaft, obwohl Wenzel sich mit Worten und Taten dagegen wehrt. Selbst Fluchtversuche werden unterbunden.

Kellers Novelle führt in eine Zeit zurück, in der jedes Detail der Bekleidung etwas über die gesellschaftliche Position seines Trägers verriet. Ein Verstoß gegen diese Regeln galt als unmöglich, weshalb Wenzels Frack für seine Umgebung mehr Bedeutung hatte, als sein Verhalten oder seine Sprache. Im Gegenteil wird jedes widersprüchliche Benehmen so interpretiert, dass es wieder in die vorgefasste Meinung, Wenzel sei in Wirklichkeit ein incognito reisender russischer Graf, passt. Wirklich geändert hat sich an dieser äußerlichen Beurteilung von Mitbürgern bis heute nichts, auch wenn sich die Insignien des Erfolges inzwischen geändert haben. Dass Wenzel diese Posse irgendwann mitmacht, liegt an Nettchen (Hertha Feiler), der Tochter des wohlhabenden Tuchmachers, in die er sich spontan verliebt. Zudem unterstützt der richtige russische Graf seine Position, da ihm das die Freiheit lässt, weiter unerkannt zu agieren.

Der Unterschied zu den typischen Rühmann-Komödien liegt nicht nur darin, dass er sich zuerst gegen die Versuchung wehrt, um ihr dann doch zu erliegen, sondern das sein Objekt der Liebe aus einer gesellschaftlich höheren Schicht stammt, anstatt das es sich wie üblich um das "liebe Frauchen" von nebenan handelt. Ein Happy-End war entsprechend nur möglich, wenn Wenzel seinen bisherigen Stand verlassen würde, worin Gottfried Kellers Intention lag. Dieser hatte es nicht auf den kleinen Schneidergesellen abgesehen, sondern auf die hohen Herren, deren Irrtum Konsequenzen haben sollte. Heinz Rühmann alias Wenzel versucht zwar noch, sich der Schande durch Flucht zu entziehen, aber Nettchen will nicht nur seine Frau werden, sondern ihre gesellschaftliche Position selbstbewusst verteidigen.

"Kleider machen Leute" hat teilweise einen märchenhaften Gestus, auch bedingt durch Käutners poetische, an Gemälde erinnernde Schwarz-Weiß-Bilder, die besonders in den Traumsequenzen und den Fastnacht-Szenen einen wunderschönen, unwirklich scheinenden Charakter annehmen. Damit wies er schon früh auf seinen am französischen "poetischen Realismus" orientierten Stil hin, den er in "Unter den Brücken" (1945) zu absoluter Reife brachte. Aber auch wenn der Inhalt des Films wenig realistisch erscheint, erzählt er doch ganz sanft von der Auflehnung gegen eine bestehende Ordnung.

"Kleider machen Leute" Deutschland 1940, Regie: Helmut Käutner, Drehbuch: Helmut Käutner, Gottfried Keller (Novelle), Darsteller : Heinz Rühmann, Hertha Feiler, Erich Odemar, Hilde Sessak, Erich Ponto, Laufzeit : 99 Minuten

weitere im Blog besprochene Filme von Helmut Käutner:

Montag, 25. März 2013

Ich denke oft an Piroschka (1955) Kurt Hoffmann

Inhalt: Während er im Sommer 1955 mit dem Zug fährt, denkt Andreas (Gunnar Möller) an die Zeit vor 30 Jahren zurück, als der damalige Student den Sommer in Ungarn verbrachte. Auf der Reise in die Puszta lernte er in Budapest Greta (Wera Frydtberg) kennen, erlebte einen wunderschönen Tag mit ihr und verabredet sich mit ihr in ein paar Wochen am Plattensee.

Doch in den kommenden Wochen sollte sein Leben von der 17jäjrigen Piroschka (Liselotte Pulver) bestimmt werden, der Tochter des Bahnhofvorstehers des Ortes, an dem er seine Ferien verbringt. Obwohl sie sich näher kommen, fährt Andreas heimlich an den Plattensee, um Greta wieder zu treffen, nachdem er von ihr einen Brief erhalten hatte. Doch er hat die Rechnung ohne Piroschka gemacht, die ihm nachfährt…


Es gibt Filme, die in Würde altern - man sieht ihnen an, dass sie nicht mehr ganz auf der Höhe der Zeit sind, aber ihr Thema bleibt aktuell. So wie in "Ich denke oft an Piroschka", der eine Sehnsucht beschreibt, die Niemand ehrlich von sich weisen wird - die Sehnsucht nach einer romantischen Liebesgeschichte. Im Mittelpunkt steht Andreas (Gunnar Möller), der sich bei einer Zugfahrt im Jahr 1955 an den Sommer des Jahres ’25 zurück erinnert und damit an das Mädchen Piroschka (Lieselotte Pulver). Zwar lagen 30 Jahre zwischen der damaligen Gegenwart und dem geschilderten Geschehen, aber die moralischen Standards, besonders bezüglich der Beziehung zwischen Mann und Frau, hatten sich in dieser Zeit kaum verändert.

Verändert hatten sich aber die politischen Verhältnisse, so dass es 1925, kurz nach dem Ende der KuK Monarchie Österreich-Ungarn, noch deutlich leichter war nach Ungarn zu reisen. 1955 dagegen lag Ungarn hinter dem „eisernen Vorhang“, was erklärt, warum der Film die ungarische Folklore so stark betonte. Aus heutiger Sicht sind diese Szenen etwas gewöhnungsbedürftig. Nicht wegen ihrer Qualität, sondern wegen des inszenatorischen Stil, der vermittelt, in der Puszta fände täglich ein Volksfest statt und die hier gezeigten Tänze und Gesänge wären von spontaner, natürlicher Anmutung. Dabei ist es offensichtlich, dass hier ausgebildete Tänzer und Sänger am Werk sind. Hinzu kommt noch das ungarische ("Paprika") Temperament, besonders verkörpert von den "ur-ungarischen" Volksschauspielern Gustav Knuth und Rudolf Vogel, die hier in tragenden Nebenrollen zu sehen sind. Zwar war es 1925 in Ungarn nicht ungewöhnlich, deutsch zu sprechen, aber untereinander wird kaum Jemand in dieser Sprache kommuniziert haben, wie es hier regelmäßig geschieht.

Diese Details sind der Entstehungszeit des Films geschuldet. Doch darüber lässt es sich leicht hinwegsehen, denn die Story selbst ist zeitlos, was besonders dem Spiel von Liselotte Pulver zu verdanken ist, deren Popularität dank dieser Rolle deutlich zunahm. Seit sie in „Föhn“ (1950) an der Seite von Hans Albers gleich eine dramatische Rolle gespielt hatte, war sie zu einer beliebten Komödien-Darstellerin geworden. Allerdings in heute größtenteils vergessenen Filmen, darunter „Klettermaxe“ (1952), ihrem ersten Film unter Regisseur Kurt Hoffmann, zu dessen bevorzugter Schauspielerin sie später werden sollte (unter anderen „Das Wirtshaus im Spessart“ (1958)). Hoffmann selbst hatte sich seit seinem ersten Film - „Paradies der Junggesellen“ (1939) mit Heinz Rühmann in der Hauptrolle - schon einen Namen als Regisseur für Unterhaltungsfilme gemacht, auch mit „Quax, der Bruchpilot“ (1941), der einer der Lieblingsfilme Adolf Hitlers wurde. Die Nähe zu nationalsozialistischem Gedankengut blieb in seinen vor 1945 entstandenen Filmen allerdings rudimentär, weshalb Hoffmann nach dem Krieg ohne Einschränkungen als Regisseur weiter arbeiten konnte.

Liselotte Pulver gelang es, ihre Rolle als 17-jährige junge Frau natürlich und ohne Übertreibungen zu gestalten. Ihr Temperament, ihre Sehnsüchte und ihre Gefühle bleiben authentisch, so dass ihre (Schweizer) Herkunft keine Rolle spielte - sie ist verliebt und wirkt in ihrer unabhängigen Art selbstbewusst und modern. Der wohl erzogene und gebildete Andreas erscheint dagegen altmodísch, funktioniert in seiner leicht linkischen Art aber auch heute noch als Identifikationsfigur für einen jungen, unerfahrenen Mann. Beinahe erscheint es unwirklich, dass ein solcher Typ von zwei Frauen begehrt wird, denn darum geht es in diesem Film, der keine lineare Geschichte erzählt, sondern die Atmosphäre eines Sommers einfängt.

Andreas begegnet auf der Hinreise zu seinem Ferienaufenthalt in der ungarischen Puszta Greta, mit der er einen romantischen, aber letztlich nicht erfolgreichen Abend in Budapest verlebt. Endlich am Ziel seiner Reise angekommen, lernt er Piroschka kennen, die Tochter des Bahnhofvorstehers und verbringt mit ihr ein paar schöne Wochen bis er Post von Greta bekommt. Heimlich reist er zu ihr an den Plattensee, aber Piroschka lässt ihn nicht aus den Augen.

“Ich denke oft an Piroschka“ verzichtet nicht nur auf lustspielartige Verwechslungen oder besonders komödiantische Szenen, sondern bleibt im Gegenteil ernst in der Darstellung eines unbeschwerten Sommers. Traumwandlerisch umging Hoffmann die Gefahren von Klischees und Kitsch, und schuf etwas außergewöhnliches und zeitloses, nicht nur für den deutschen Film - eine wirklich schöne romantische Liebesgeschichte.

"Ich denke oft an Piroschka" Deutschland 1955, Regie: Kurt Hoffmann, Drehbuch: Per Schwenzen, Joachim wedekind, Hugo Hartung (Roman), Darsteller : Liselotte Pulver, Gunnar Möller, Gustav Knuth, Rudolf Vogel, Wera Frydtberg, Laufzeit : 93 Minuten

weitere im Blog besprochene Filme von Kurt Hoffmann:

"Quax, der Bruchpilot" (1941)
"Drei Männer im Schnee" (1955)
"Heute heiratet mein Mann" (1956)
"Das Wirtshaus im Spessart" (1958)
"Wir Wunderkinder" (1958)
"Das Spukschloss im Spessart" (1960)
"Schloss Gripsholm" (1963)
"Herrliche Zeiten im Spessart" (1967)

Samstag, 23. März 2013

Ein Mann geht durch die Wand (1959) Ladislao Vajda


Inhalt: Herr Buchsbaum (Heinz Rühmann) hat es sich in seinem Leben eingerichtet. Er arbeitet als Finanzbeamter 3.Klasse in einem Büro für Mahnschreiben, lebt alleine in seiner kleinen Wohnung, besitzt kaum soziale Kontakte und seine größte Freude ist es, des abends in sein Briefmarkenalbum zu sehen und von fremden Ländern zu träumen.

Jede unvorhergesehene Veränderung reißt ihn aus seiner scheinbaren Selbstzufriedenheit und bereitet ihm schlechte Laune - egal ob es die neue Nachbarin ist, die ihn im Treppenhaus beschimpft, oder die dilettantische Klaviermusik, die ihn bei seiner abendlichen Meditation stört. Doch erst als mit Herrn Pickler (Hubert von Meyerinck) ein neuer Chef die Büroleitung übernimmt, wird er aus seiner Lethargie gerissen, denn dieser Despot macht ihm das Leben äußerst schwer.

Da kommt ihm eine neu entdeckte Fähigkeit zu Hilfe, die er nachts plötzlich entdeckt - er kann durch Wände gehen...

Heinz Rühmann befand sich nach schwierigen Nachkriegsjahren, die auch mit seiner Rolle im III. Reich zusammenhingen, seit Mitte der 50er Jahre wieder in der Erfolgsspur und drehte einen Kassenknüller nach dem anderen. Inmitten der Vielzahl erfolgreicher Komödien ("Charleys Tante" (1956), "Vater sein dagegen sehr" (1957), "Der brave Soldat Schwejk" (1960)) und moralisch belehrender Filme ( "Der Pauker" (1958), "Der Jugendrichter" (1960)) stechen die zwei Filme hervor, die Rühmann gemeinsam mit dem ungarischen Regisseur Ladislao Vajda drehte - "Es geschah am helllichten Tage" (1958) und "Ein Mann geht durch die Wand".

Obwohl sich beide Filme einem extremen bzw. fantastischem Thema widmeten, waren sie der Wirklichkeit der jungen Bundesrepublik näher als scheinbar realistischere Themen mit Rühmann als Lehrer, Richter oder allein erziehender Vater, denn bei diesen handelte es sich eher um Pseudo-Dramen, in denen Rühmann zwar ein humanistisches Bild seiner Figuren zeichnen konnte, die aber letztendlich nur die moralischen Ansichten ihrer Zeit bestätigten. Während Rühmanns Rollen auch immer Vorbildcharakter hatten und stellvertretend für eine generelle Haltung standen, konzentrierten sich die Filme unter Vajda auf eine individuelle Persönlichkeit. Der Unterschied blieb auch dem damaligen Publikum nicht verborgen, welches "Ein Mann geht durch die Wand" an den Kinokassen durchfallen ließ.

Dabei scheint der Film im Gegensatz zu "Es geschah am helllichten Tage" wieder auf Rühmanns angestammte Rolle als "Kleiner Mann" zurückzugreifen, der sich innerhalb einer scheinbar übermächtigen Umwelt behaupten muss. Doch hier gelang Rühmann als Herr Buchsbaum eine komplexere Sicht auf einen Verlierer, der als Beamter 3.Klasse mit dem Verfassen von Steuer-Mahnschreiben sein Dasein fristet. Seine sozialen Kontakte beschränken sich auf den Besuch eines Malers (Rudolf Rhomberg), dem er sein Erlebnisse mitteilt, während dieser – oft gar nicht zuhörend - seine nicht gegenständliche Kunst malt und ihn ständig um Geld bittet. Rühmann bleibt in seiner Darstellung immer langsam, spricht ruhig ohne besonderen Charme oder Witz und entwirft überzeugend eine Figur, die ihr Leben schon hinter sich hat und in ihrer (Selbst-)Zufriedenheit vor allem nicht gestört werden will. Hätte nicht der Sympathieträger Heinz Rühmann diese Figur verkörpert, wäre Herr Buchsbaum als verschrobener Zeitgenosse angesehen worden.

Dessen Leben wird erst empfindlich zerstört, als er einen neuen Chef bekommt. Statt des gemütlich, freundlichen Vorgesetzten, der ihn sehr schätzte, bekommt er es mit Pickler (Hubert von Meyerinck) zu tun, dessen Name Programm ist, da er über das Gemüt einer preußischen Pickelhaube verfügt. In dieser deutlich überzeichneten, in ihrer Bösartigkeit einseitigen Figur, treffen sich zwei scheinbar gegensätzliche Strömungen - die Vergangenheit mit ihrer autoritätsgläubigen Unterwürfigkeit und die Moderne in ihrer unmenschlichen Effektivität. Durch die Auseinandersetzung mit diesem allgemeinen Feindbild bekommt die Figur des Herrn Buchsbaum erst Profil, denn dieser wehrt sich gegen die Tiraden des neuen Chefs und nutzt seine überraschenden Fähigkeiten, ihn in den Wahnsinn zu treiben.

Zwischen diesen Vorgängen kommt es zu einer Schlüsselszene: Buchsbaum trifft seinen alten Lehrer, der sich darüber wundert, wieso es sein ehemaliger Klassenprimus nicht zu einer besseren Position gebracht hatte. Buchsbaum antwortet ihm, dass sein Leben voller unüberwindbarer Wände sei, worauf dieser entgegnet, dass es keine Wände gäbe, die man nicht bezwingen könnte. Dieser philosophische Ansatz wird in dem nach Marcel Aymé’s Novelle entstandenen Script geschickt umgesetzt, indem Buchsbaum eines Abends zufällig erkennt, dass er durch Wände gehen kann. Überzeugend spielt Rühmann einen Mann, der sich über diese Fähigkeit keineswegs freut, da diese eine unerwünschte Individualisierung bedeutet und erst als der Leidensdruck durch den neuen Vorgesetzten zu groß wird, beginnt er sich seiner neuen Möglichkeiten zu bedienen.

Mit dem Auftauchen des Herrn Pickler verliert „Ein Mann geht durch die Wand“ zunehmend seine Linie und entwickelt sich von der genau beobachteten Psyche eines Einzelgängers, dessen Lebensform durchaus auch ein kritisches Bild auf die Bundesrepublik und ihre Erwartungshaltung an seine Bürger wirft, zu einem typischen Rühmann-Lustspiel. Das liegt keineswegs an dem intelligenten Einfall, seinen Protagonisten durch die Wand gehen zu lassen, sondern ist der Tatsache geschuldet, Rühmann wieder die schon mehrfach gespielte Rolle des einfachen, aber anständigen Bürgers wiederholen zu lassen, die der großen Versuchung zwar einen Moment erliegt, aber letztlich den Pfad der Tugend nicht verlässt.

Die Figur des Herrn Pickler ist zu übertrieben, um damit ernsthaft Kritik an dem Gebaren von Vorgesetzten zu üben, weswegen dessen Demontage fast schmerzhaft populistisch wirkt. Die späteren „Supermann“-Episoden, in denen mit viel Presse-Brimborium Buchsbaums Fähigkeiten begleitet werden, sind natürlich unterhaltend – auch weil Rühmann inzwischen abgeklärter als zu Beginn agiert - ,aber sie verdeutlichen auch die verpassten Chancen, die das Thema in sich barg. Anstatt mit dieser „Super-Fähigkeit“ einen Weg aus der gesellschaftlichen Anpassung zu finden und damit „echte“ Wände zu durchqueren, erfährt Rühmanns Figur nur dahingehend eine Entwicklung, dass er im gesellschaftlichen Sinne „Erfolg“ hat – letztlich ist er am Ende angepasster als zu Beginn. Die Therapie war erfolgreich.

Trotzdem bleibt – neben dem Unterhaltungswert – ein positiver Eindruck zurück, weil die Darstellungen übertriebene Reaktionen vermeiden und selbst das unvermeidliche Happy-End subtil umgesetzt ist. Man muss dem Film im Zeitkontext der späten 50er Jahre und auch hinsichtlich der Erwartungen des Publikums an Heinz Rühmann zugestehen, dass er in seiner ruhigen Erzählform, die auf typische komödiantische Elemente größtenteils verzichtete, trotz der Aufweichung des Konzepts, ein auch aus heutiger Sicht nachvollziehbares Bild der Bundesrepublik entwirft und im Detail entlarvend bleibt.

"Ein Mann geht durch die Wand" Italien 1959, Regie: Ladislao Vajda, Drehbuch: Hans Jacoby, Marcel Aymé (Roman), Darsteller : Heinz Rühmann, Hubert Von Meyerinck, Rudolf Vogel, Nicole Courcel, Peter Vogel, Lina Carstens, Fritz Eckhardt, Laufzeit : 99 Minuten


weitere im Blog besprochene Filme von Ladislao Vajda: