Freitag, 31. Mai 2013

Große Freiheit Nr.7 (1944) Helmut Käutner

Inhalt: Die Padua, das Schiff auf dem Fiete (Gustav Knuth) und Jens (Günther Lüders) als Seeleute arbeiten, hat endlich wieder im Hamburger Hafen angelegt. Sie freuen sich Hannes (Hans Albers) wieder zu sehen, der als „Singender Seemann“ in der „Großen Freiheit“ auf der Reeperbahn auftritt. Nach vielen Jahren gemeinsamer Seefahrt hatte Hannes sich entschlossen an Land zu bleiben, da ihn sein Bruder um viel Geld betrogen hatte und ihm dadurch die Chance nahm, eine Ausbildung zu finanzieren, um nicht nur als einfacher Matrose zur See fahren zu können.

Doch trotz seines Erfolges auf der Reeperbahn ist er nicht glücklich, weshalb er nur unwillig zu seinem Bruder geht, als dieser ihn an sein Sterbebett ruft. Wiederholt macht er ihm Vorwürfe für das, was er ihm angetan hat, aber sein Bruder denkt nur an Gisa (Ilse Werner), seine frühere Geliebte, um die er sich nicht mehr gekümmert hatte. Er bittet Hannes, zu Gisa aufs Land zu fahren, wo sie bei ihrer Mutter auf dem Bauernhof arbeitet. Als er kurz darauf stirbt, kann Hannes trotz seines Grolls nicht anders, als seinen letzten Wunsch zu erfüllen. Gisa leidet unter den ständigen Vorwürfen ihrer Mutter, sich unverheiratet auf einen Mann eingelassen zu haben. Sie hält auch Hannes für unmoralisch, was dieser energisch von sich weist, aber er bietet Gisa an, mit ihm nach Hamburg zu kommen, wo er für sie sorgen wird. Erst zögert sie, aber nach erneuten Anschuldigungen ihrer Mutter entschließt sie sich, Hannes zu begleiten...


Obwohl Helmut Käutner 1943 wegen „Romanze in Moll“ mit dem Propaganda-Ministerium in Konflikt geraten war, da der melodramatische Film zu sehr einen individuellen Lebensentwurf herausstrich, durfte er mit „Große Freiheit Nr.7“ den ersten Agfa-Farbfilm der Terra - Filmgesellschaft drehen, der mit Hans Albers in der Hauptrolle als Würdigung der deutschen Handelsmarine gedacht war. Dazu gab es klare Vorgaben seitens des Ministeriums. Im Film durfte nichts auf den fortgeschrittenen Krieg hinweisen, sondern sollte eine positive Grundstimmung vorherrschen, um das Volk bei Laune zu halten. Um gegen diese Richtlinien nicht zu verstoßen, setzten in dieser Phase viele Regisseure auf historische oder fantastische Geschichten wie „Münchhausen“ (1943) unter der Regie von Josef von Báky, in dem Hans Albers die Titelrolle übernommen hatte. Auch die Gattung des Musikfilms galt als unverfänglich – ein Genre, das Regisseur Käutner vertraut war. Mit „Wir machen Musik“ hatte er zuletzt 1942 einen erfolgreichen Vertreter auf die Leinwand gebracht - mit Ilse Werner an der Seite von Marika Rökk.

Entsprechend versprach auch "Die große Freiheit Nr.7" eine mit vielen populären Nummern gespickte Musikrevue (unter anderen „La Paloma“ und „Auf der Reeperbahn nachts um halb eins“) zu werden, mit dem "Blonden Hans" Albers und Ilse Werner in den Hauptrollen und populären Komödianten wie Gustav Knuth und Günther Lüders in Nebenrollen. Dank nur weniger Aufnahmen im Hamburger Hafen – der größte Teil der Dreharbeiten fand in Prag statt – konnte Käutner Hinweise auf den Krieg vermeiden, verzichtete aber auch sonst auf jeden konkreten Bezug zur politischen Realität, obwohl die Handlung in der damaligen Gegenwart stattfand. Doch dieser äußerliche Anschein täuschte, denn Helmut Käutner nutzte die abwechslungsreiche Geschichte um Liebe, Reeperbahn und die Sehnsucht nach dem Meer, um ein authentisches Zeitbild zu schaffen, geprägt von nachvollziehbaren menschlichen Emotionen. Schon der geplante Titel „Große Freiheit“ stieß im Propagandaministerium auf Ablehnung, weshalb der mögliche Symbolcharakter mit der Hinzufügung der Hausnummer 7 abgeschwächt werden musste. Trotzdem fand Käutners Film keine Gnade vor den Augen Joseph Goebbels, dem die Handlung zu schwermütig und pessimistisch angelegt war, weshalb der Film nicht zur Aufführung kam. Selbst nach dem Krieg wurde „Große Freiheit Nr.7“ nicht empfohlen, da die Handlungsweise der Protagonisten als moralisch verwerflich galt.

Zwar beginnt der Film humorvoll, wenn sich die beiden Hamburger Seeleute Fiete (Gustav Knuth) und Jens (Günther Lüders) vor dem Landgang mit einem Kölner Kollegen über die Qualitäten ihrer jeweiligen Heimatstädte in die Haare kommen, aber schon als sie ihren alten Freund Hannes (Hans Albers) im Lokal „Große Freiheit Nr.7“ zu besuchen, wo er jeden Abend als „Singender Seemann“ auftritt, wird Wehmut spürbar. Hannes war lange Zeit gemeinsam mit Fiete und Jens auf dem Viermast-Schoner „Padua“ über die Meere gesegelt, bevor er sich entschieden hatte, an Land zu bleiben. Obwohl ihm die Herzen bei seinen Auftritten zufliegen, ist der eingefleischte Seemann Hannes mit seinem Job auf der Reeperbahn unglücklich, den er hatte annehmen müssen, weil ihn sein Bruder mehrfach um sein Geld betrogen hatte und ihm dadurch die Chance genommen wurde, eine Ausbildung auf See zu machen. Doch trotz seiner stattlichen Erscheinung bleibt er gutmütig bis zur Naivität, weshalb er gegen seine ursprüngliche Absicht auch den letzten Wunsch seines Bruders erfüllt und ihm auf dessen Sterbebett verspricht, sich um dessen ehemalige Geliebte Gisa (Ilse Werner) zu kümmern.

Diese lebt weit von Hamburg entfernt wieder bei ihrer Mutter auf einem Bauernhof, wo sie nach dem Tod des Vaters tatkräftig mitarbeiten muss. In wenigen Szenen schildert Käutner, welchen Anfeindungen sie in der ländlichen Gegend ausgesetzt ist, da sie sich nicht wie ein anständiges Mädchen verhalten hatte. Sogar ihre Mutter schämt sich für sie, weshalb Hannes nicht viele Worte braucht, um sie dazu zu überreden, wieder nach Hamburg zurückzukehren. Käutner versucht gar nicht erst, Gisas Handlungsweise zu relativieren, sondern schildert sie als junge Frau, die ein Faible für direkt und frech daher kommende Kerle hat, ohne deshalb ihren Anstand in Frage zu stellen. Auch bei Hannes hinterlässt die hübsche Gisa einen großen Eindruck, weshalb er sich gerne um sie kümmert und sie zu sich in seine Wohnung nimmt, obwohl sich die Leute schnell das Maul darüber zerreißen.

Doch es ist seine Figur, die das kommende Missverständnis erst herauf beschwört. Während sie einfach ihre Emotionen lebt, kann er nicht aus seiner Haut. Weder erkennt er, dass er nicht Gisas Typ ist, noch dass ihn Anita (Hilde Hildebrand), die Chefin der „Großen Freiheit“, liebt. Käutner macht kein Geheimnis daraus, dass auch hier die Gesetze der Reeperbahn gelten. Ganz offensichtlich machen sich die Mädchen an die Matrosen heran, um Geld zu verdienen. Aus heutiger Sicht wirkt die damalige Anmache fast romantisch, aber das ist nur der veränderten Sichtweise auf die Sexualität geschuldet. Zudem spielt Günther Lüders den verprellten Seemann Jens auch in seinem Unglück mit einer gewissen Komik, was seine Enttäuschung etwas abschwächt. Hannes singt zwar dort, sieht sich aber moralisch über seiner Umgebung stehend, weshalb Anita für ihn nicht als „ernste“ Beziehung in Frage kommt. Stattdessen verbietet er Gisa, die sich seine Auftritte ansehen will, dorthin zu gehen, weil sich das für ein anständiges Mädchen nicht gehört. Dabei hätte das seine Chancen bei ihr wahrscheinlich erhöht, denn als Sänger ist er charmant und lässig, während er sonst versucht, besonders solide aufzutreten. Gisa lernt dagegen mit Willem (Hans Söhnker) genau den Typen kennen, auf den sie steht, obwohl es offensichtlich ist, dass er den Umgang mit Frauen gewöhnt ist.

Käutner schert sich in „Große Freiheit Nr.7“ weder um die Erwartungshaltung des Publikums, noch um irgendeine ausgleichende Gerechtigkeit, die es in der Realität nicht gibt. Gisa lebt ihre Emotionen, unabhängig von pragmatischen Erwägungen und trotz ihrer schlechten Erfahrungen mit Hannes’ Bruder, auch Willem, der stolz ist, kein Seemann zu sein, sondern bei Blohm & Voss arbeitet, will nicht auf seinen Spaß verzichten – an ihnen verdeutlicht Käutner, dass Unvernunft keine Entwicklung der letzten Jahrzehnte ist, sondern dank der gepredigten Moralvorstellungen damals nicht existieren durfte. Am ehrlichsten und zuverlässigsten ist Anita, aber sie kann die Vorurteile nicht überwinden und wird zur tragischen Figur des Films. Vordergründig scheint Hannes’ Tragik größer, da er von Gisa zurückgewiesen wird, aber letztlich bleibt seine Braut die See. Er musste an Land scheitern, da er die dortigen Regeln nicht verstand. Den Seeleuten der Handelsmarine mit Hannes an der Spitze gehören die Sympathien, aber der Film lässt auch deutlich werden, dass sie vor echter Verantwortung an Land damit auch fliehen.

Käutner nutzte den Agfa-Film, um mit satten Farben und starken hell/dunkel Kontrasten seine am poetischen Realismus orientierte Bildsprache fortzuführen, wie er sie zuvor in seinen Schwarz/Weiß Filmen schon entwickelt hatte und in seinem folgenden Film „Unter den Brücken“ zur Meisterschaft führen sollte. Auch thematisch bleibt er dem Realismus nah, schildert das Leben in Hamburg lakonisch und ohne seine Figuren zu bewerten. Wie in Hannes melancholischen Liedern ist das Dasein eine Abfolge von Glück und Trauer, ohne Garantien auf irgendein Gelingen – eine der nationalsozialistischen Ideologie gänzlich widersprechende Sichtweise. „Große Freiheit Nr. 7“ hat sich seine Zeitlosigkeit nicht nur wegen seiner unvergesslichen Lieder und Hans Albers eindrucksvollem Spiel bis heute bewahrt.

"Große Freiheit Nr. 7" Deutschland 1944, Regie: Helmut Käutner, Drehbuch: Helmut Käutner, Richard Nicolas, Darsteller : Hans Albers, Ilse Werner, Hans Söhnker, Hilde Hildebrand, Gustav Knuth, Günther Lüders, Laufzeit : 106 Minuten

weitere im Blog besprochene Filme von Helmut Käutner:

Donnerstag, 30. Mai 2013

Die Bande des Schreckens (1960) Harald Reinl

Inhalt: Als ein älterer Mann (Otto Collin) eine Bank betritt, um Geld abzuheben, steht plötzlich Inspector Long (Joachim Fuchsberger) vor ihm und bezeichnet ihn als den gesuchten Schwerverbrecher Clay Shelton. Zuerst bestreitet der Beschuldigte noch diese Anschuldigung, aber die ihm gestellte Falle schnappt zu und auch sein Fluchtversuch bleibt vergebens. Er wird zum Tode verurteilt, aber bevor er seinem Henker vorgeführt wird, wird ihm noch sein letzter Wunsch erfüllt – bis auf Mrs. Ravenstock (Elisabeth Flickenschild) sind alle an seiner Festnahme und Verurteilung beteiligten Personen versammelt. Trotz seiner Hinrichtung droht Shelton, sie danach der Reihe nach zu töten. Eine verwegene Behauptung, gegen die Inspector Long sogleich eine Wette eingeht.

Die er schon kurz danach zu verlieren scheint, denn er entgeht nur knapp einem Attentat. Im Gegensatz zu dem Schützen, den er ermordet auffindet. Zudem erfährt er von seinem Chef, Sir Archibald (Ernst F. Fürbringer), dass Shelton schon vor dem Vollzug der Todesstrafe vergiftet worden war. Der Täter kann sich nur unter den Anwesenden befunden haben. Long gibt seinen Plan auf, den Polizeidienst zu quittieren, sondern sucht einen Mörder, der scheinbar wieder aus dem Grab gestiegen ist, indem sich nur Steine und die Liste mit den zukünftigen Opfern befindet…


Planmäßig übernahm beim dritten Edgar Wallace-Film der Rialto Produktionsgesellschaft wieder Harald Reinl den Regiestuhl von Jürgen Roland, der zuvor "Der rote Kreis" (1960) gedreht hatte. Sie sollten sich abwechseln, aber Roland nahm nach "Der grüne Bogenschütze" (1961) seinen Abschied vom Wallace-Universum, weshalb dieser anfängliche Rhythmus nur kurze Zeit Bestand hatte und sich der Kreis der Regisseure sukzessive erweitern sollte.

Hatte der Täter in Reinls "Der Frosch mit der Maske" (1959) einen Froschstempel am Tatort hinterlassen und zierte der titelgebende rote Kreis die Opfer des Mörders im zweiten Edgar-Wallace-Film, ist es hier eine verkrampft in die Höhe gereckte Hand, die die Bedrohung versinnbildlicht, aber damit hören die Gemeinsamkeiten schon auf. Erstmals wurde mit "Die Bande des Schreckens" einer der Wallace-Geschichten verfilmt, deren Opferkreis klar definiert ist - ein beliebtes Subgenre, dass Edgar Wallace mehrfach verwendete (unter anderen in "Das indische Halstuch" (verfilmt 1963)) und Agatha Christie mit "Und dann gabs keines mehr..." (Originaltitel "Ten little niggers") 1939 so exzellent umsetzte, dass sie damit den erfolgreichsten Kriminalroman aller Zeiten schuf. Der Vorteil dieser Konstellation liegt in der klaren Struktur, die die Spannung innerhalb eines begrenzten Personenkreises aufbaut und damit dem späteren Slasher-Film den Weg bereitete.

Die Konsequenz des Christie-Romans - ein in sich abgeschlossener Raum, der Täter muss sich unter den Anwesenden befinden - besaß der 1926 erschienene "The terrible people" noch nicht, denn Wallace erzählte vordergründig eine Gruselstory über einen hingerichteten Mörder. Clay Shelton (Otto Collin) wird in der ersten Szene des Films von Inspector Long (Joachim Fuchsberger) in einer Bank gefasst und wenig später seinem Henker vorgeführt. Zuvor wird ihm noch sein letzter Wunsch erfüllt, der ihm die Gelegenheit gibt, allen an seiner Festnahme und Verurteilung Beteiligten, persönlich ihren baldigen Tod zu versprechen. Auch wenn die Anwesenden - darunter der Richter, der Staatsanwalt und natürlich der zum Chefinspector beförderte Long - diese Drohung verständlicherweise nicht ernst nehmen, wirkt diese Szene konstruiert und unrealistisch, denn warum sollten sie einem verurteilten Mörder diese infame Gelegenheit geben ?

Zumal Long vorhat seinen Dienst zu quittieren, um seinen Vater (Fritz Rasp) bei dessen Bankgeschäften zu unterstützen. Doch nachdem ein Attentat auf ihn begangen wurde - der ihn verfehlende Schütze wurde daraufhin selbst ermordet - und er von seinem Chef Sir Archibald (Ernst F. Fürbringer) erfährt, dass Shelton schon vor seiner Hinrichtung vergiftet wurde, kann er den Fall noch nicht zu den Akten legen. Wer die Wallace-Romane kennt, weiß, dass der Autor niemals eine fantastische Lösung wählte, sondern auch für die unwahrscheinlichsten Fälle einen natürlichen Täter hervor zauberte. Das Spiel mit dem Geist von Shelton, in dessen Sarg sich nur Steine und eine Liste mit den zukünftigen Opfern befand, soll ein wenig Grusel verbreiten, aber zur Sache kommt Reinl in dem Moment, indem das Vorgeplänkel vorbei ist und sich die schon reduzierte Anzahl der von Shelton bedrohten Personen zu einem Golfturnier treffen - natürlich unter strenger polizeilicher Bewachung. Wagt es der Mörder trotzdem, sein schändliches Spiel weiter zu treiben?

Ausgehend von der literarischen Vorlage fehlt in "Die Bande des Schreckens" das in den ersten zwei Filmen betonte Londoner Flair mit schummrigen Bars und finsterer Hafengegend, denn die Handlung findet meist in mondänen Villen und in ländlichen Gegenden statt. Trotzdem schuf Reinl unter der Verwendung eines starken Hell/Dunkel-Kontrasts eine dichte Atmosphäre für die in der zweiten Hälfte des Films stringente Handlung, die ihre Situation zum Ende hin geschickt zuspitzt und mit einer nachvollziehbaren Lösung überrascht. Verlassen konnte er sich dabei auf die schon erfahrenen Mitstreiter Fritz Rasp, Dieter Eppler, Ulrich Beiger, Ernst F.Fürbringer und natürlich Eddie Arent, der hier seine Rolle als skurriler Polizeifotograf erstmals als komischer Side-Kick zum Helden interpretierte, nachdem er in den ersten beiden Filmen noch ernsthafter geblieben war.

Joachim Fuchsberger fährt nicht nur denselben Wagen, den er schon als amerikanischer Erbe in "Der Frosch mit der Maske" nutzte, er tritt auch genauso salopp auf. Diesmal ist er trotz seines Polizeiberufs ein Sohn aus reichem Haus, weshalb sein Werben um die schöne Nora Sanders (Karin Dor, damalige Ehefrau von Regisseur Reinl, die anders als ihre beiden Vorgängerinnen noch mehrfach die Wallace-Filme bereichern sollte) auch als adäquat angesehen werden kann, obwohl ihre Chefin Mrs. Ravenstock (Elisabeth Flickenschildt), die auch von Shelton bedoht wird, anderer Meinung ist. Die Theaterschauspielerin Flickenschildt, die ihre erfolgreiche Karriere während der Zeit des Nationalsozialismus begonnen hatte, wurde für die Verkörperung eines älteren, arrogant selbstbewussten Frauentyps, der trotz seiner damenhaften Attitüde kein Blatt vor den Mund nimmt, stilbildend im Wallace-Film.

Aus heutiger Sicht lässt sich ihre markante Erscheinung, deren bewusst übertriebenes Spiel Selbstironie spüren lässt, kaum wegdenken - damals wurde sie eindeutig negativ besetzt. Mit Ulrich Beiger als schmierigem Anwalt Mr.Henry, fehlte auch der Mann mittleren Alters nicht, der in selbstgefälliger Weise um die junge Schönheit wirbt - ebenfalls eine stark überzeichnete Wallace-Figur, die dem Liebespaar erwartungsgemäß nicht gefährlich werden konnte. In fast allen Wallace-Krimis kam eine Liebesgeschichte vor, aber sie war stärker mit der Handlung verzahnt und wurde langsamer entwickelt. Fuchsberger ging in seinen Rollen dagegen immer gnadenlos direkt vor, keinen Moment an seiner männlichen Überlegenheit zweifelnd. Karin Dor kokettiert zu Beginn anstandshalber mit ein wenig Widerstand, den sie aber bald aufgibt, um in den Armen des Helden zu landen.

"Die Bande des Schreckens" ist trotz typischer Logikschwächen einer der besseren Wallace-Krimis, zudem stimmig von Harald Reinl in Szene gesetzt, aber er ist auch signifikant für den großen Erfolg, den die Verfilmungen an der Kinokasse hatten. Durften auf der einen Seite eine Vielzahl an Morden stattfinden und finsterste Bösewichte angenehmen Grusel verbreiten, bleibt die Welt hier trotzdem noch überschaubar. Obwohl die Handlung in der Gegenwart stattfindet, wird die Todesstrafe bei Schwerverbrechen noch mit absoluter Selbstverständlichkeit angewendet. Auch jeder negative Charakterzug, ob selbstgefällig, geldgierig, eitel oder verlogen, verringert die Lebenserwartung erheblich. Dabei sind es diese zwiespältigen Figuren, die den Wallace-Kosmos erst ausmachen, denn sie gewähren einen kurzen Blick in menschliche Abgründe, um dem Betrachter am Ende das gute Gefühl zu vermitteln, dass die Wirklichkeit doch gar nicht so schlimm ist.

"Die Bande des Schreckens" Deutschland 1960, Regie: Harald Reinl, Drehbuch: Wolfgang Schnitzler, J.Joachim Bartsch, Edgar Wallace (Roman), Darsteller : Joachim Fuchsberger, Karin Dor, Elisabeth Flickenschild, Dieter Eppler, Ernst F. Fürbringer, Ulrich Beiger, Fritz Rasp, Eddie ArentLaufzeit : 88 Minuten

weitere im Blog besprochene Filme von Harald Reinl:

Sonntag, 26. Mai 2013

Der Gasmann (1941) Carl Froelich

Inhalt: Hermann Knittel (Heinz Rühmann), Beamter der Berliner Gaswerke, befindet sich kurz vor der Ankunft am Anhalter Bahnhof, als ihn ein fremder Mann (Walter Steinbeck) anspricht, der noch mit einem Pyjama bekleidet ist, womit er im Zug zur allgemeinen Belustigung beiträgt. Dieser bittet Knittel darum, ihm seinen Anzug zu verkaufen, damit er unerkannt den Bahnhof verlassen könnte. Knittel reagiert irritiert, wodurch er den Preis unbewusst in die Höhe treibt. Bis die Männer ihre Bekleidung tauschen und der kleine Beamte einen Scheck in Höhe von 10.000 Reichsmark in den Händen hält - eine für ihn unvorstellbar hohe Summe.

Zuerst noch ganz begeistert, beschließt er, nachdem er seine Frau (Anni Ondra) zu Hause nicht antraf, doch lieber zur Behörde zu gehen, um den Vorfall anzuzeigen. Nachdem er sich in den endlos scheinenden Gängen mehrfach verlaufen hatte, gerät er scheinbar an die richtige Stelle. Doch anstatt seine Befindlichkeiten zu verstehen, wird er von den Herren mit Fragen unter Druck gesetzt: hat er einem Verbrecher geholfen oder eine Notlage ausgenutzt, um einen Wucherpreis zu erzielen? – Er behauptet, der Scheck wäre sowieso nicht gedeckt, um sich der Situation zu entziehen, und begibt sich sofort zu einer Bank. Zu seiner eigenen Überraschung erhält er das Geld ohne weitere Probleme – eine verführerische Situation, die ihn erst in Schwierigkeiten bringen wird…


Davon ausgehend, dass Heinz Rühmann als Hauptdarsteller und Autor Heinrich Spoerl, entscheidend zum großen Erfolg der "Feuerzangenbowle" (1944) beigetragen haben, hätte der drei Jahre zuvor gedrehte Film "Der Gasmann" ein ähnlicher, weit über seine Entstehungszeit hinaus, bekannt bleibender Film werden können. Dass er es nicht wurde und im Gesamtwerk Rühmanns eher eine untergeordnete Rolle spielt, macht eine genauere Betrachtung des Films "Der Gasmann" so interessant.

Der größte Unterschied zu Heinrich Spoerls erstem Roman „Die Feuerzangenbowle“ von 1933 zeigt sich in der Entstehungsgeschichte zu „Der Gasmann“, denn der Autor schrieb ihn Ende der 30er Jahre in Berlin in Folge der erfolgreichen Verfilmungen von „Die Feuerzangenbowle" (in der ersten Fassung von 1934 unter dem Titel "So ein Flegel" heraus gebracht),  "Wenn wir alle Engel wären" (1936)  und "Der Maulkorb" (1938). Im Gegensatz zu seinen früheren Romanen, die der gebürtige Düsseldorfer in seiner rheinländischen Heimat ansiedelte, spielte "Der Gasmann" konsequenterweise in der deutschen Hauptstadt, lässt darüber hinaus aber neue Ideen vermissen. Die Geschichte ist eine leicht veränderte Variante von "Wenn wir alle Engel wären“, ohne dessen hintergründige, selbstkritische Komplexität. Statt von einem nachvollziehbaren, die damaligen moralischen Standards provozierenden Seitensprung zu erzählen, muss in „Der Gasmann“ eine übertrieben konstruierte Situation als Auslöser für die weiteren Ereignisse herhalten.

Der Beamte der Berliner Gaswerke Knittel (Heinz Rühmann) kehrt nach einer kurzen Dienstreise mit dem Zug nach Berlin zurück, als ein sichtlich erregter Mann in einem Pyjama (Walter Steinbeck), ihn dazu bewegen will, ihm seinen Anzug zu verkaufen. Desto mehr sich der Zug dem Anhalter-Bahnhof nähert, umso höher steigt der Preis, bis Knittel sich selbst im Pyjama wieder findet mit einem Scheck über 10.000 Reichsmark in der Hand. Angesichts der Preisverhandlungen, die sich zuerst noch unter 1.000 Reichsmark bewegten, überrascht die hohe Summe, denn auch ein deutlich niedrigerer Tausenderbetrag hätte seinen Zweck erfüllt, bedenkt man Knittels Monatsgehalt von etwa 270 Reichsmark. Diese Summe hatte nicht nur etwas Sensationelles an sich, weshalb Knittel zuerst an einen schlechten Scherz glaubte, sondern sollte dem Protagonisten vor allem die Sympathien erhalten. Denn wer würde bei 10.000 Reichsmark nicht weich werden? – Anders als in Spoerls sonstigen Romanen, die sich an alltäglichen menschlichen Verhaltensmustern orientierten, fehlt diesem Beginn der Realitätsbezug.

Zudem schwächte Spoerl in seinem Drehbuch die im Roman entlarvendere Betrachtung des Charakters, angesichts der großen Versuchung, ab. Die Filmcrew unter der Leitung von Carl Froelich, inzwischen Präsident der Reichsfilmkammer, der Spoerls "Wenn wir alle Engel wären" ebenfalls mit Heinz Rühmann in der Hauptrolle 1936 noch wesentlich frivoler inszeniert hatte, wagte diese Komplexität 1941 offensichtlich nicht mehr, als Kinofilme ausschließlich beschwerdefrei unterhalten sollten. Dem zunehmenden Hang zur Prüderie ist es zu verdanken, dass Rühmann als Knittel selbst in Momenten "größter Verfehlungen" brav und bieder blieb. Im Roman wirkten seine Eskapaden, heimlich auszugehen und sich eine Geliebte (Erika Helmke) zuzulegen, der er zudem einen Parfümladen finanziert - dabei seiner Frau Erika (Anny Ondra) vorschwindelnd, mit einem Nebenjob Geld zu verdienen - noch gewagt, aber im Film scheint der einfache Angestellte nie Spaß daran zu finden, sondern wird nur von seiner Geliebten nach Strich und Faden ausgenommen, ohne auf seine (leiblichen) Kosten zu kommen - eine so unglaubwürdige, wie konstruierte Konstellation. Heinz Rühmann sollte in seiner Rolle ein geistiger Täter bleiben, der der Versuchung (über einen offensichtlich mehrere Wochen andauernden Zeitraum) nicht wirklich erliegt - für das Publikum eine noch verzeihliche Sünde. Wie verlogen diese Konzeption war, wird an seinem Schwager deutlich, der ihn überwachen sollte. Nachdem Knittel ihn mit "geliehenen" 50 Reichsmark bestochen hatte, hat dieser kein Problem damit, sofort mit einem „netten Fräulein“ zu verschwinden - er durfte sich menschlich fehlbar verhalten.

Knittel erkennt dagegen selbstkritisch die Oberflächlichkeit seines Handelns und kehrt reumütig in den Schoss der Familie zurück. Spörls Buchvorlage ist in dieser Hinsicht wesentlich differenzierter und ließ keinen Zweifel daran, dass Knittel den Versuchungen tatsächlich erlegen war, was auch dessen Rückkehr ins traute Heim erschwerte. Von schlechtem Gewissen geplagt überträgt er deshalb seiner Frau den üppigen Rest der großen Geldsumme, die darüber sofort eigenmächtig verfügt und ebenfalls den materiellen Versuchungen erliegt. Während der Roman ein Gleichgewicht zwischen den Geschlechtern beibehielt, kommt Erika Knittel im Film deutlich schlechter weg. Ihre Kaufsucht wirkt angesichts des "schnell" zur Vernunft gekommenen Ehemanns, der sich angeblich nichts vorzuwerfen hat, maßlos - und ist schließlich schuld daran, dass Knittel zu Unrecht vor Gericht landet.

Man könnte die oberflächliche Komödie vom kleinen Beamten, der einmal groß rauskommen möchte, schnell vergessen, besäße die Inszenierung für ihre Entstehungszeit nicht einige außergewöhnliche Details. Der Film verstieß gegen das damalige Gebot Goebbels, Realitätsbezüge zu vermeiden, um die Bevölkerung vom Alltag abzulenken. Zwar wird der Krieg nicht explizit erwähnt, aber die Nachrichten, die Knittel im "Angriff am Abend" liest, sind von aktuellem Zeitbezug und betreffen Roosevelts Haltung zum Kriegseintritt der USA (natürlich aus Sicht der NSDAP interpretiert). Dazu gibt es erstaunlich realistische Einblicke, die auch die Geldknappheit der Bevölkerung nicht aussparen. Besonders der Weg zu den Behörden, den Knittel mehrfach beschreitet, wirkt Furcht erregend und verdeutlicht schon in einer frühen Szene, als er die Sache mit dem Scheck noch anzeigen will, wie auch lautere Absichten argumentativ ins Gegenteil gewandelt wurden. Später als die Polizei früh am Morgen bei Knittel klingelt und ihm dabei ihre Marke zeigt, sieht er gar nicht hin, wohl wissend, dass Niemand sonst um diese Zeit vor der Tür steht.

Nicht nur Deutschland wirkt in "Der Gasmann" wenig freundlich, auch die Filmkomödie beweist nur in wenigen Momenten Humor. Interessanterweise gilt der Film in vielen Publikationen als "Propagandafilm", ist es aber nicht im üblichen Sinne einer kritiklosen Verherrlichung. Offensichtlich galt es, der eigenen Bevölkerung die Grenzen aufzuzeigen. Obwohl Knittel nur dezent vom Pfad der Tugend abwich, gerät er durch sein Verhalten in große Gefahr, der er nur durch einen glücklichen Zufall am Ende entkommt. Das die Polizeimethoden und das Gerichtsverfahren - angesichts der Tatsache, dass man Knittel immerhin des Landesverrats verdächtigt - verharmlosend dargestellt werden, ist der äußerlichen Komödienform geschuldet, wird damals aber nicht missverstanden worden sein. Im Gegensatz zur Buchvorlage, die das behördliche Tun auch etwas spöttisch betrachtete und damit in das heiter menschliche Geschehen mit einbezog, sind im Film alle offiziellen Vertreter des Staates von unbeirrbarem Ernst und nur da sich Knittel als unschuldig erweist, bleibt er ungeschoren. Rühmann, der in seiner Rolle den „Hitlergruß“ zeigte – das einzige Mal in einem seiner Filme – wird so zum Vorbild des kleinen Mannes, der weiß, das Anstand und Ruhe erste Bürgerpflicht ist. Eine Umkehrung der Intention Heinrich Spörls, der in seinen Romanen immer Verständnis für die allzumenschlichen Verfehlungen zeigte.

Aus heutiger Sicht ergibt sich ein zwiespältiges Bild. Oberflächlich betrachtet erzählt der Film eine harmlos wirkende Geschichte mit einem typisch agierenden Rühmann als "kleinem Mann" auf Abwegen. Die realistische Sichtweise auf Behördenwillkür wirkt zudem fast gewagt. Bedenkt man aber, wie fortgeschritten 1941 schon die Judenverfolgung (Knittel verirrt sich in ein Büro mit der Aufschrift "Arier-Nachweis"), die Jagd auf Andersdenkende und der Krieg waren, dann zeigt sich hinter der Komödienfassade ein erschreckendes Bild Deutschlands.

"Der Gasmann" Deutschland 1941, Regie: Carl Froelich, Drehbuch: Heinrich Spoerl (Roman), Darsteller : Heinz Rühmann, Anni Ondra, Walter Steinbeck, Erika Helmke, Gisela SchlüterLaufzeit : 89 Minuten

weitere im Blog besprochene Filme von Carl Froelich:

Mittwoch, 22. Mai 2013

Liane, das Mädchen aus dem Urwald (1956) Eduard von Bosordy


Inhalt: Eine internationale Gruppe um Thoren (Hardy Krüger) und die Ärztin Dr. Jacqueline Goddard (Irene Galter) forscht im afrikanischen Dschungel, als Thoren plötzlich eine verwilderte junge, weiße Frau (Marion Michael) entdeckt, was ihm zuerst Niemand glaubt. Doch wenig später, nachdem er von afrikanischen Stammeskriegern überwältigt wurde, ist sie es, die ihm die Freiheit schenkt, denn sie wird im Dschungel als Göttin verehrt. Als Thoren noch überlegt, wie er sich ihr nähern könnte, wird das Mädchen von anderen Mitgliedern der Gruppe gefangen und ins Lager gebracht.

Um ihre Identität festzustellen – sie trägt ein Amulett mit einem „L“ – funken sie ihre Entdeckung in die Welt hinaus, worauf auch der Hamburger Reeder Amelongen (Rudolf Forster) aufmerksam wird, der seine damals 2jährige Enkelin bei einem Schiffsunglück in der Region verloren glaubte. Sie hieß Liane und die Beschreibung könnte passen. In Begleitung von Thoren und dem Afrikaner Tanga (Jean Pierre Faye) wird Liane nach Hamburg gebracht, um sie dem Reeder vorzustellen, aber nicht alle freuen sich über ihre Ankunft…


Die Wildnis fernab zivilisatorischer Errungenschaften erlaubte eine Ausnahme von vorherrschenden konservativen Moralvorstellungen. Das galt nicht nur in literarischer Form, sondern frühzeitig für den Film, der "Tarzan" schon in der Stummfilmzeit eine leicht geschürzte Jane zur Seite stellen konnte, deren gemeinsames Leben im Baumhaus die Fantasien beflügelte, so brav dieses auch geschildert wurde. Der Mitte der 50er Jahre in Deutschland veröffentlichte Roman „Liane, das Mädchen aus dem Urwald“ der sonst unbekannt gebliebenen Schriftstellerin Anne Day-Helveg bediente sich ungeniert dieser "Tarzan" - Thematik, um die Geschichte eines weißen und - wie sich später herausstellen sollte - deutschen Mädchens im Dschungel zu erzählen, dass nicht zum muskelbepackten Helden, sondern zum Opfer verschiedener Interessen wird.

Am trivialen Inhalt dieser Story bestand kein Zweifel, aber die Mischung aus afrikanischer Exotik und einem blonden deutschen Mädchen war so erfolgreich, dass die filmische Umsetzung nicht lange auf sich warten ließ. Anders als künstlerisch ambitionierte Werke, sind es die am Massengeschmack orientierten Filme, die den damaligen Zeitgeist exakter widerspiegeln können, was die Analyse jenseits der inhaltlichen Qualität interessant werden lässt. Die Story selbst ist von so einfacher Machart, dass sie mit wenigen Worten zusammen gefasst werden kann - eine internationale Forschergruppe entdeckt im afrikanischen Dschungel zufällig eine junge hellhäutige Frau, fängt sie und bringt sie nach Deutschland, wo sie sich als Enkeltochter eines reichen Hamburger Reeders herausstellt. Da dieser schon seinen Neffen als Alleinerben eingesetzt hatte, gefährdet sie dessen Position, was dieser mit verbrecherischen Mitteln zu verhindern versucht.

Nicht dieser vorhersehbare Ablauf, sondern die Details, hinsichtlich der Geschlechterrollen, der Bewertung der Nationalitäten bis zur modernen Unternehmungsführung, lassen tief in die bundesrepublikanische Seele Mitte der 50er Jahre blicken. Das Projekt "Liane, das Mädchen aus dem Urwald" wurde entsprechend strategisch angegangen. Mit dem österreichischen Kameramann, Drehbuchautor und Regisseur Eduard von Bosordy stand ein erfahrener Leiter zur Verfügung, der schon in den 30er Jahren mehrere Abenteuerfilme gedreht hatte ("Kautschuk" (1938), "Kongo-Express" (1939)) und nach dem Krieg vor allem Komödien inszenierte, darunter kurz zuvor "Dany, bitte schreiben Sie" (1956) mit Sonja Ziemann und Rudolf Prack in den Hauptrollen. Der schillernde Drehbuchautor Ernst von Salomon hatte schon bei der Umsetzung der „08/15“-Trilogie bewiesen, dass er keine Berührungsängste vor populären Stoffen hatte und mit Hardy Krüger verpflichtete man einen jungen, aufstrebenden Darsteller für die männliche Hauptrolle, der nicht ohne Grund einer der wenigen auch in Hollywood erfolgreichen deutschen Schauspieler werden sollte. Es ist vor allem seiner lässigen, sich nie ganz ernst nehmenden Umsetzung der Rolle zu verdanken, dass die hier gezeigten Klischees noch halbwegs erträglich blieben.

Die Auswahl der weiblichen Hauptrolle war nicht nur die schwierigste Aufgabe, sondern lässt die Veränderungen in der Bewertung von Erotik und Sexualität seit Mitte der 50er Jahre besonders deutlich werden. Heute in einer Zeit ständiger Verfügbarkeit von Pornografie, wäre es publizistischer Selbstmord eine 16jährige für eine Nacktrolle zu verpflichten – der Verdacht, damit pädophile Neigungen zu bedienen, läge zu nah, auch weil eine junge Erwachsene die Rolle gleichwertig spielen könnte. Die damaligen Produzenten des Films benötigten dagegen einen besonders unschuldig wirkenden, jugendlichen Typ, um die sehr dezenten Nacktbilder auf die Leinwand bringen zu können. Jede direkte Erotik musste vermieden werden, wozu auch Marion Michaels betont verspieltes Agieren beitrug. Selbst als sie die Hand von Thoren (Hardy Krüger) auf ihre bedeckte Brust legt - ein von ihr im Dschungel erlerntes Zeichen, um Zuneigung auszudrücken – vermittelt diese Handlung keine Sexualität. Das gilt auch für ihr Vorleben im Dschungel, denn obwohl sie in Tanga (Jean Pierre Faye) einen afrikanischen Beschützer hat, der auch mit ihr nach Deutschland reist („Er darf in der Küche essen“), war es unvorstellbar, das sie etwas miteinander gehabt hätten. Sie verliebt sich selbstverständlich in den deutschen Protagonisten, drückt diese Gefühle aber mit kindlicher Begeisterung aus, auf die Hardy Krüger mit einem gewissen väterlichen Verständnis reagiert, die Liebkosungen dabei freundlich abwehrend – Marion Michael durfte gar nicht erwachsen wirken.

Wie verlogen und kalkuliert diese Konstellation war, wird an der zweiten weiblichen Rolle offensichtlich, der französischen Ärztin Dr. Jacqueline Goddard (Irene Galter), die auch in Thoren verliebt ist. Durch einen Zufall erfährt er davon, macht aber deutlich, dass sie ihm zu intelligent und gebildet sei. Heute wäre eine solche Aussage ein Armutszeugnis für einen coolen Typen – zumindest würde es keiner mehr zugeben – damals war die Botschaft eindeutig. Die Beziehung des moralisch integren, männlichen Helden, der im Gegensatz zu den übrigen weißen Männern sogar die afrikanischen Ureinwohner für menschliche Wesen hält - wenn auch zweiter Klasse - zu einer unschuldigen, zu beschützenden jungen blonden Frau, war die Idealform der Erotik. Diese musste so unterschwellig wie möglich formuliert werden, um zwar einen gewissen Skandal hervorzurufen, den Film letztlich aber fast ungeschnitten in die Kinos zu bekommen. Die Rechnung ging an den Kinokassen auf, nicht aber für Marion Michael, deren früher Erfolg in dieser wenig die Reputation fördernden Rolle die erwartbaren Konsequenzen nach sich zog. Nachdem mit einem noch schwächeren Sequel „Liane, die weiße Sklavin“ (1957) finanziell nachgelegt wurde, reichte es später trotz einer schauspielerischen Ausbildung nicht mehr für weitere Erfolge. Nach schweren Depressionen entschied sich Marion Michael 1979 in die DDR umzuziehen, da die Menschen aus ihrer Sicht dort harmonischer miteinander umgingen.

Mit dem Österreicher Reggie Nalder verkörperte ein auf Finsterlinge festgelegter Mime den Gegenspieler Viktor Schöninck, der die Firma seines Onkels Theo Amelongen (Rudolf Forster) leitet und durch das Wiederauftauchen von Enkeltochter Liane (Marion Michael) seine Rolle als Alleinerbe gefährdet sieht. Doch schon bevor er sein intrigantes Spiel beginnt, wird er als Firmenchef diskreditiert. Ein Besuch seines Onkels in dessen Büro genügt diesem, um zu erkennen, dass statt tüchtiger Arbeiter nur junge Damen im Vorraum sitzen, die sich die Fingernägel lackieren. Was der alte Patriarch vom modernen Berufsleben hält, steht damit außer Frage, so wie sich Lianes Erziehung darauf beschränkt, die Höflichkeitsformeln zu lernen und in Pumps über Hamburgs von Luxuskarossen befahrenen Straßen zu stöckeln. Dass sie am Ende wieder in den Dschungel zurückkehrt, bedeutet keineswegs eine Kritik an der deutschen Zivilisation, sondern ermöglicht nur, erneut einen Schuss Exotik und barbusige afrikanische Tänzerinnen zu zeigen, deren Anblick der deutschen Prüfstelle - im Gegensatz zu dem der nackten weißen Frau - keinen Anlass zur Sorge bot. Damit schließt sich der Kreis eines Films, der einerseits ein rückwärts gewandtes Weltbild betonte, andererseits keine Hemmungen darin zeigte, sexuell verklemmte Bedürfnisse zu bedienen.

"Liane, das Mädchen aus dem Urwald" Deutschland 1956, Regie: Eduard von Bosordy, Drehbuch: Ernst von Salomon, Thomas Fough, Anne Day-Helveg (Roman), Darsteller : Marion Michael, Hardy Krüger, Irene Galter, Peter Mosbacher, Rudolf Forster, Reggie Nalder, Laufzeit : 78 Minuten

Montag, 20. Mai 2013

Drei Männer im Schnee (1955) Kurt Hoffmann


Inhalt: Der Geheimrat Schlüter (Paul Dahlke) ist zwar schwerreich und Direktor eines großen Konzerns, hat sich aber eine kindliche Lebensfreude bewahrt, die seine Tochter Hildegard (Nicole Heesters), seinen Diener Johann Kesselhut (Günther Lüders) und die Gouvernante Frau Kunkel (Margarete Haagen) regelmäßig in helle Aufregung stürzt. Diesmal hat Schlüter unter dem falschen Namen Schulze den zweiten Platz eines Preisausschreibens seiner eigenen Firma belegt und beabsichtigt als einfacher Mann die gewonnene Reise an einen mondänen Wintersportort auch anzutreten. Er akzeptiert, dass Kesselhut nicht als sein Diener, sondern als wohlhabender Tourist ebenfalls dorthin reist, um ein wenig auf ihn aufzupassen. Er weiß aber nicht, dass seine Tochter hinter seinem Rücken die Hotelleitung informieren wollte, dabei aber unterbrochen wurde, was ungeahnte Konsequenzen nach sich ziehen sollte.

Den ersten Preis hatte Dr. Fritz Hagedorn (Klaus Biederstädt) gewonnen, der die Reise lieber in Geld ausbezahlt bekommen hätte. Der studierte Werbefachmann ist arbeitslos und schämt sich, dass er noch seiner Mutter (Alma Seidler) zu Lasten ist. Doch eine Umwandlung in Geld ist nicht möglich, weshalb er in die verschneiten Berge reist. Zwar in Kenntnis gesetzt, dass ein verkappter Millionär ankommen wird, aber im Unwissen über dessen Identität, glaubt die Hotelleitung in ihm den reichen Fabrikbesitzer zu erkennen und hofiert ihn zu Hagedorns Überraschung, während Herr Schlüter, vermeintlich ein armer Schlucker, mit Verachtung behandelt wird… 


Erich Kästner schrieb seinen Roman "Drei Männer im Schnee" während seines von den Nationalsozialisten verhängten Berufsverbots, weshalb dieser 1934 zuerst in der Schweiz veröffentlicht wurde. Eventuelle Bezüge zur damaligen gesellschaftspolitischen Realität in Deutschland sind trotzdem nicht zu erkennen, denn Kästner konzentrierte sich auf eine originelle Konstellation, die später noch mehrfach Drehbuchautoren beschäftigen sollte - der Tausch eines armen mit einem reichen Mann und die Reaktion ihrer Umgebung auf diese Verwechslung.

Soziologisch handelt es sich um ein interessantes Thema, denn es entlarvt die Behauptung als Lüge, dass man sich bei seinem Urteil auf seinen Verstand verlassen könnte. Gerade Hoteldirektor Kühne (Hans Olden) und Portier Polter (Fritz Imhoff) bilden sich viel auf ihre Menschenkenntnisse ein, weshalb ihre Reaktion bei drei neuen Gästen in ihrem mondänen Wintersport-Hotel sehr unterschiedlich ausfällt. Während der angeblich wohlhabende Johann Kesselhut (Günther Lüders) wie jeder solvente Gast behandelt wird, ist das bei Dr. Fritz Hagedorn (Claus Biederstädt) und Herrn Schulze (Paul Dahlke) völlig anders. Die Beiden hatten den Hotelaufenthalt bei einem Preisausschreiben der Schlüter-Werke gewonnen und passen nicht in die übrige Gesellschaft, da sie sich kostspielige Vergnügungen wie Ski zu fahren oder teure Restaurantaufenthalte nicht leisten können.

Allerdings gab es vor ihrer Ankunft einen geheimnisvollen Anruf im Hotel, der darauf hinwies, dass es sich bei einem der beiden Herren, die ein Preisausschreiben gewonnen hatten, in Wirklichkeit um den Millionär Geheimrat Schlüter handeln soll, was für reichlich Aufregung sorgt. Da Herr Hagedorn aus Sicht der Hotelleitung einen seriösen Eindruck macht, bekommt er prompt eine Suite zur Verfügung gestellt, während Herr Schulze in die unbeheizte Besenkammer muss, weil man den armen Schlucker möglichst schnell wieder loswerden will. Natürlich spricht sich die Geschichte vom heimlichen Millionär schnell herum, was auch gewisse Damen auf den Plan ruft, die nach einem solventen Ehemann suchen. Doch sie unterliegen alle einem Irrtum, denn tatsächlich ist der ärmliche Herr Schulze der echte Millionär. Und Herr Kesselhut ist dessen Diener, der auf diese Weise ein bisschen auf ihn aufpassen soll.

Erich Kästner und Regisseur Kurt Hoffmann, der mit „Das fliegende Klassenzimmer“ schon ein Jahr zuvor einen Kästner-Roman verfilmt hatte und auch diesmal um eine werkgetreue Umsetzung bemüht war, befriedigen mit dieser Geschichte emotionale Grundbedürfnisse. Mit freudiger Gelassenheit kann der Betrachter dabei zusehen, wie dem vermeintlich armen Schlucker das Leben schwer gemacht wird, während der anständige, aber arme Typ aus dem Volke, der Anfang der 50er Jahre als Arbeitsloser noch der Mutter auf der Tasche liegt (und sich dafür angemessen schämt), von den arroganten Hotelleitern verwöhnt wird. Über die reichen, nicht mehr ganz jungen zickigen Frauen, die sich zwecks Wohlstandserhaltung mit allen Mitteln dem vermeintlichen Millionär an den Hals schmeißen, lässt es sich ebenfalls leicht lästern, während sich der so Begehrte in ein anständiges junges Mädel verliebt (Nicole Heesters), ohne zu Wissen, dass diese die Tochter des echten Millionärs ist.

Keine Frage, "Drei Männer im Schnee" ist die Umsetzung eines Wunschtraums, aber die Story macht es sich zu leicht und bedient nur klischeehafte Ressentiments, ohne das kritische Potential, dass diese Konstellation bietet, dafür zu nutzen, einen zwar humorvollen, aber auch entlarvenden Blick auf die Auswirkungen plötzlichen Reichtums bzw. Armut zu zeigen. Paul Dahlke als Geheimrat verliert auch bei den größten Erniedrigungen nie seine Souveränität. Sein Selbstbewusstsein ist offensichtlich so stabil, dass weder ein ungeheiztes Zimmer, noch die skandalöse Verpflichtung, unentgeltlich Eis fegen zu müssen, seiner Laune schadet. Zudem wirkt diese Form der erzwungenen Arbeitsrekrutierung eines vermeintlich armen, aber zahlenden Gastes stark übertrieben und soll den Betrachter zusätzlich gegen die Hotelleitung einnehmen. Hätten diese ihn loswerden wollen, hätte ein einfacher Rausschmiss genügt, aber an einer realistischen Darstellung war den Machern nicht gelegen.

Doch während die Handlung um den Geheimrat noch eine ansatzweise kritische Sichtweise andeutet, verfällt der Film bei der Figur des Dr. Hagedorn endgültig ins Seichte. Claus Biederstaedt ist in seiner Rolle eine Spur zu wohlerzogen, zu bescheiden und anständig. Die Vorzugsbehandlung im Hotel ist ihm selbstverständlich peinlich, die Damen, die sich ihm an den Hals schmeißen, unangenehm und sein ganzes Denken wird nur davon bestimmt, endlich eine Arbeit zu finden, damit er seiner armen Mutter nicht mehr zur Last fällt. Nicht einen Moment gerät er in den Sog der Verführung, fühlt sich durch die Behandlung gebauchpinselt oder lässt es sich einfach nur ungeniert gut gehen. Dagegen flirtete selbst Heinz Rühmann in einer kalkulierten Komödie wie „Der Gasmann“ (1941), die die Bevölkerung während des Krieges ablenken sollte, einen Moment lang mit der Versuchung, bevor er sich wieder dem moralischen Anstand hingab. Das Hagedorn sich mit dem scheinbar armen Herrn Schulze anfreundet, ist nur folgerichtig und nutzt ihnen in doppelter Hinsicht  – der Reiche erhält einen echten Freund und der Arme bekommt die richtigen Beziehungen. Dass der Geheimrat zudem noch eine hübsche Tochter hat, die auf diese Weise an einen Ehemann gerät, der es nicht auf ihr Erbe abgesehen hat, lässt alles in Wohlgefallen aufgehen.

Vielleicht war diese Art Unterhaltung, die flott inszeniert, gut gespielt und mit witzigen Dialogen daher kommt, Mitte der 50er Jahre in der BRD einfach notwendig, denn was Dr.Hagedorn hier an Wohltaten widerfährt, war nur noch wenig zu steigern. Die sanfte Kritik an arroganten und selbstüberheblichen Menschen und die Geschichte vom Aufstieg eines bescheidenen Mannes aus dem Bürgertum zum reichen Schwiegersohn, erinnert an ein Märchen, bei dem am Ende der Held die Prinzessin heiraten darf. Unrealistisch, aber motivierend.

Doch die Klischeehaftigkeit der Charaktere und das einseitige Gut-Böse-Schema lassen in ihrer freudvollen Erfüllung vorhandener Vorurteile übersehen, dass hier nicht die Durchlässigkeit einer modernen Gesellschaft gepredigt wird, sondern die Erhaltung hierarchischer Strukturen. Der Firmenchef besitzt eine natürliche Autorität und ist ein freundlicher und selbstloser Mann, mit dem man auch seinen Spaß haben kann, während Frauen generell – außer es handelt sich um jungfräuliche, heiratsfähige und hübsche Mädchen - und niedere Angestellte hier nur als egoistische und gemeine Zeitgenossen geschildert werden. Auch der scheinbare Aufstieg eines einfachen Bürgers, den Dr. Fritz Hagedorn hier erlebt, täuscht die Chancen einer modernen Gesellschaft vor, denn die Handlung korrigiert nur das, was von Beginn an offensichtlich ist – das ein so feiner, bescheidener und gebildeter Mensch wie Dr.Fritz Hagedorn zur gesellschaftlichen Elite gehört. „Drei Männer im Schnee“ war ein typisches Kind der 50er Jahre, das seine unterschwellige Botschaft geschickt unter dem Deckmantel einer optimistisch stimmenden, menschelnden Komödie verbarg. 

"Drei Männer im Schnee" Österreich 1955, Regie: Kurt Hoffmann, Drehbuch: Erich Kästner (Roman), Darsteller : Paul Dahlke, Claus Biederstaedt, Günther Lüders, Nicole Heesters, Margarethe Haagen, Fritz Imhoff, Laufzeit : 89 Minuten

weitere im Blog besprochene Filme von Kurt Hoffmann:

Samstag, 18. Mai 2013

08/15 In der Heimat (1955) Paul May


Inhalt: 1945 - kurz vor dem Ende des 2.Weltkrieges. Die amerikanischen Truppen rücken immer weiter vor, während sich Leutnant Asch (Joachim Fuchsberger) mit seiner Einheit ebenfalls der Heimat nähert. Allerdings ohne militärische Systematik, denn das Land befindet sich längst im Chaos.

Überall versuchen sich die Menschen schon auf die neuen Zeiten einzustellen, entfernen Parteiabzeichen oder ziehen sich als Soldaten zivile Kleidungsstücke an. Einige versuchen auch noch von der Situation zu profitieren und scheuen sich dabei nicht, über Leichen zu gehen...


Herbert Asch (Joachim Fuchsberger), inzwischen zum Leutnant befördert, nähert sich mit seiner Einheit dem heimatlichen Stützpunkt. Allerdings kann von einem geordneten Rückzug nicht mehr die Rede sein, denn das Land befindet sich im Frühling 1945, kurz vor dem Ende des 2.Weltkrieges, in Auflösung. Während die amerikanischen Truppen, ohne noch auf großen Widerstand zu treffen, die einzelnen Ortschaften übernehmen und neue Organisationen aufbauen, versuchen sich die Deutschen auf diese Verhältnisse einzustellen. Alles was eine zu große Nähe zur nationalsozialistischen Partei beweisen könnte, wird hastig entfernt, während viele Soldaten versuchen an Zivilkleidung zu kommen, um so der Gefangenschaft zu entgehen.

"08/15 - In der Heimat" vermittelt diese Übergangsphase in einer Authentizität, wie sie im Film ähnlich nicht mehr zu sehen war. Bernhard Wickis "Die Brücke" (1959) konzentrierte sich auf das letzte sinnlose Gefecht kurz vor dem Ende des Krieges, in dem Jugendliche in politischer Verblendung zu einem Zeitpunkt geopfert wurden, als es längst geboten war, die Waffen niederzulegen. "08/15 – In der Heimat" verwendete dieses Motiv ebenfalls, aber als ein Ereignis von vielen, weshalb der sinnlose Tod zweier Hitlerjungen an Prägnanz verliert. Wolfgang Staudtes "Die Mörder sind unter uns" (1946) beschäftigte sich mit der unmittelbaren Phase nach dem Krieg. Die Verdrängung der eigenen Vergangenheit spielte hier eine entscheidende Rolle und damit die Problematik, Schuldige zur Verantwortung zu ziehen, aber das totale Chaos wie es hier gezeigt wurde, war schon wieder einer gewissen Ordnung gewichen.

Nicht nur inhaltlich, auch inszenatorisch verließ der dritte Teil die gewohnte Ordnung. Erstmals findet die Story nicht mehr innerhalb militärischer Einheiten statt, denn die Soldaten sind nur noch auf sich allein gestellt. Stattdessen bestimmen zwei Kriegsverbrecher die Handlung. Oberst Hauk (Hannes Schiel) und sein Adjutant Oberleutnant Greifer (Michael Janisch), bei denen es sich in Wirklichkeit um Vertreter des Sicherheitsdienstes der SS handelt, haben sich fälschlicherweise Wehrmachts-Uniformen angezogen, um sich diverse Reichtümer anzueignen. Sie nutzen die allgemeine Verunsicherung und scheuen bei ihren Unternehmungen weder Folter noch Mord. Asch durchschaut schnell ihre wahren Beweggründe und macht sich zusammen mit Kowalski (Peter Carsten) auf die Verfolgung.

Während in „08/15 – zweiter Teil“ ein von der Berliner Zentrale geschickter Hauptmann für die "böse Tat" (in diesem Fall ein Angriff auf russische Soldaten) zuständig war, ist Kirst hier in der Schuldzuweisung noch rigoroser. Die negative Darstellung der SS-Sturmbannführer, die es zudem wagten, Armee-Uniformen anzuziehen, steht stellvertretend für deren alleinige Schuld an den Kriegsverbrechen. Auch die weiteren hier geschilderten rücksichtslosen Maßnahmen an der „Heimatfront“, haben mit dem tapfer kämpfenden Landser nichts zu tun - Todesstrafen für geringe Vergehen wegen angeblicher Wehrkraftzersetzung, alte Männer und Kinder, die in ein letztes Gefecht geschickt werden, nur weil einige wenige Verblendete immer noch an den Sieg glauben, während sich die Zivilbevölkerung genauso schnell an die Brust der Besatzer schmeißt, wie sie sich von ihren bisherigen politischen Überzeugungen verabschiedet.

Die Soldaten werden dagegen erneut zu "Opfern" der Umstände, denn Asch und seine Kameraden verhalten sich weit weniger flexibel, geraten in Gefangenschaft und müssen hilflos zusehen, wie schnell sich ihre Landsleute an die neuen Verhältnisse anpassen. Zum Schluss tritt Asch, unfreiwilliger Held der drei „08/15“ – Filme, als unerwünscht ab, womit Kirst das Lebensgefühl vieler ehemaliger Soldaten traf, die teilweise erst wenige Jahre zuvor aus der Kriegsgefangenschaft zurückkehrten, während die junge Bundesrepublik schon ihr Wirtschaftwunder erlebte. Damit wagte sich Kirst zwar erneut weit vor, hinterlässt im dritten Teil aber trotzdem den zwiespältigsten Eindruck.

Bisherige Konstanten, die in den zwei ersten Teilen von Bedeutung waren, wurden im abschließenden Teil nicht mehr aufgegriffen. Aschs Ehefrau, die dieser im zweiten Teil betrogen hatte (eine für die damalige Zeit bemerkenswerte Konsequenz) - und damit auch ihr gemeinsames Kind – existieren hier nicht mehr. Auch Aschs Schwester Ingrid, die mit ihrer BDM-Begeisterung für das nationalsozialistische Element in den ersten beiden Teilen sorgte und als Geliebte der tragischen Figur Vierbein versagte, wurde thematisch fallen gelassen. Selbst beim Wiedersehen Aschs mit seinem Vater finden sie keine Erwähnung mehr. Dieser Bruch in der sonst konsequent eingehaltenen Kontinuität der drei Filme - selbst O.E.Hasse spielt als Oberbefehlshaber hier wieder eine wichtige Rolle -  verdeutlicht, dass Aschs moralisches Verhalten in „08/15 – zweiter Teil“ der Erwartung an eine Identifikationsfigur nicht entsprochen hatte, weshalb er hier wieder zum Junggesellen wurde. Entsprechend unverkrampft kann er sich gegenüber einem Offiziersliebchen (Renate Ewert) verhalten, die er ungeniert mitnimmt - einem allein stehenden Mann ließ man diesen Flirt durchgehen.

Auch der generelle Fatalismus, der für „08/15 – zweiter Teil“ signifikant war, lässt sich in „08/15 – In der Heimat“ nicht mehr feststellen. Hinterließen die Soldaten im russischen Winter noch einen demoralisierten und ungepflegten Eindruck, tritt Leutnant Asch hier wieder adrett mit vorbildlicher Frisur auf und selbst Kowalski zeigt sich frisch rasiert. Bedenkt man, dass sie seit sechs Jahren in einem Krieg kämpfen, dessen Niederlage sich schon lange abzeichnete, ist ihnen das weder psychisch noch physisch anzumerken. Offensichtlich ging „08/15 –zweiter Teil“ für das damalige Empfinden zu weit in der Beschreibung des Verlusts jeder soldatischer Disziplin, denn obwohl „08/15 – In der Heimat“ den Niedergang Deutschlands noch steigerte und von strukturierten militärischen Aktionen nicht mehr die Rede sein konnte, hinterlassen die Wehrmachtssoldaten hier einen psychisch und physisch deutlich besseren Eindruck.

Durch die enge Verzahnung mit dem Zivilleben in Deutschland - in den ersten beiden Teilen fand die Handlung fast ausschließlich innerhalb des Militärs statt -  wird im letzten Teil der Trilogie erst offensichtlich, dass kontroverse Themen wie die Existenz von Konzentrationslagern - und damit die gezielte Verfolgung von Juden und politisch anders Denkender – vollständig ausgespart wurden, womit der Film die in den 50er Jahren noch verbreitete Haltung betonte, der "Durchschnittsbürger" hätte davon nichts bemerkt. Betrachtet man die Gestaltung der Identifikationsfigur Asch, dessen Intelligenz im Umgang mit seinen Vorgesetzten und sein frühes Durchschauen der Nationalsozialisten, lässt sich diese Behauptung nicht aufrecht erhalten. Kirst und Regisseur Paul May deshalb Verharmlosung vorzuwerfen, fällt schwer, denn „08/15 – In der Heimat“ ist in vielen Details erstaunlich kritisch, die Abschwächungen und Kompromisse, besonders hinsichtlich der Konsequenzen nach dem 2.Teil, verdeutlichen aber auch, bis zu welchem Punkt das Publikum damals bereit war, in dieser Hinsicht mitzugehen. 

"08/15 In der Heimat" Deutschland 1955, Regie: Paul May, Drehbuch: Ernst Von Salomon, Hans Hellmut Kirst (Roman)Darsteller : Joachim Fuchsberger, O.E.Hasse, Hans Christian Blech, Gustav Knuth, Emmerich Schrenk, Helen Vita, Renate Ewert, Mario Adorf, Laufzeit : 92 Minuten


weitere im Blog besprochene Filme von Paul May: