Sonntag, 27. März 2016

Die Spalte 1971 Gustav Ehmck

Inhalt: Ein Teenager legt ein kleines Bündel auf die Gleise, doch bevor der herankommende Zug es überfahren kann, rettet eine ältere Frau das Baby vor dem sicheren Tod. Sie behält die kleine Sophie bei sich und zieht sie auf, doch nachdem sie gestorben ist, kommt ihre Enkeltochter in ein katholisches Erziehungsheim. Ihre Mutter, die sie damals töten wollte, schreibt ihr einmal aus dem Gefängnis, aber darüber hinaus gibt es keine familiäre Bindung für die Heranwachsende.


Für die Erzieher ist Sophie (Gerhild Berktold) ein hoffnungsloser Fall, dem sie nur mit absoluter Strenge zu begegnen wissen. Wenig überraschend bricht die inzwischen 15jährige mit Unterstützung ihrer Kameradinnen aus dem Heim aus und landet mittellos auf den Münchner Straßen. Ein junger Mann (Axel Schiessler) wird auf das ziellos umherstreifende hübsche Mädchen aufmerksam, spricht sie an und bietet ihr seine Hilfe an. Dankbar nimmt sie an und die Beiden kommen sich schnell näher…

Rückblick auf den 15.Hofbauer Kongress vom 07.01. bis 11.01.2016

"Die Spalte" war ein Schock. Traf schon "Perle der Karibik" (1971) ins Mark, hallte die Wirkung meines persönlichen Abschluss-Films noch lange auf der Heimfahrt nach, während parallel "Mädchen beim Frauenarzt" (1971) das offizielle Programm beendete. Nicht nur der Schrecken saß tief, auch die Überraschung war groß. Die mir aus dieser Zeit bekannten Sex-Filme bedienten sich gerne den zahlreichen Gefahren der neuen Freiheit, nutzten diese aber vor allem als Anlass für ausschweifende Nacktdarstellungen. Für den meist männlichen Voyeur blieb alles ein großer Spaß. 

Den trieb Regisseur Ehmck dem Betrachter hier gründlich aus. Ursache dafür, warum "Die Spalte" danach schnell wieder in der Versenkung verschwand. Einzig auf einem italienischsprachigen Video wurde der Film Anfang der 90er Jahre noch einmal veröffentlicht. Die Screenshots stammen sowohl von dem Video (Beispiel oben links), wie der Aufführung im Nürnberger Komm-Kino (Beispiel oben rechts). 



"Die Spalte" kam im April 1971 in die deutschen Kinos, exakt zwischen dem Start von "Schulmädchen-Report - Was Eltern nicht für möglich halten" (1970) und dessen Nachfolger "Schulmädchen Report 2 - Was Eltern den Schlaf raubt" (1971). Die Reihe an Filmen, die das Erotik-Bedürfnis eines ausgehungerten deutschen Publikums Anfang der 70er Jahre befriedigen sollten, ließe sich beliebig verlängern. Die meisten von ihnen schafften es später auf diverse Videoträger und prägen bis heute das Bild einer harmlos-verruchten Sexwelle in Folge der 68er Generation. Dabei durfte der pädagogische Zeigefinger nicht fehlen, der den Nacktdarstellungen das nötige moralische Gegengewicht verlieh, um ein Abrutschen ins Schmuddel-Image zu vermeiden. Nur so ließen sich die hohen, weit in bürgerliche Schichten vordringenden Besucherzahlen erreichen. Der Widerspruch, voyeuristische Bedürfnisse zu befriedigen, gleichzeitig aber vor den Gefahren von Promiskuität und optischer Zurschaustellung für junge Frauen zu warnen, wurde zum Abbild einer sich nach außen hin modern und aufgeklärt gebenden Gesellschaft.

Übertreibung gehörte im jungen Sexfilm zum Geschäft. Einerseits durfte die weibliche Jugend hemmungslos ihren Trieb ausleben, andererseits wimmelte es nur so von Profiteuren ihrer frisch entdeckten sexuellen Freiheit. Vergewaltiger, Zuhälter und Spanner lauerten an jeder Ecke. Ingrid Steeger stirbt am Ende in „Ich, ein Groupie“ (1970) nackt und drogenabhängig auf Berlins Straßen, in Alois Brummers „Gefährlicher Sex frühreifer Mädchen“ (1971) steht gleich zu Beginn ein Hausmeister wegen angeblicher „Unzucht mit Minderjährigen“ vor Gericht, und in den „Schulmädchen-Report“-Filmen fand sich immer ein Busfahrer, Lehrer oder Familienvater, der die Unschuld jungfräulicher Mädchen bedrohte. Ernst nahm das Niemand. Im Gegenteil tanzten die Darstellerinnen so freizügig auf der Leinwand herum, dass die Schuldfrage schon geklärt war. Die Männer reagierten quasi nur und bestätigten damit das bis heute tief verwurzelte Vorurteil, die Frauen hätten sie durch ihr Verhalten und ihre Optik erst motiviert.

Auch in „Die Spalte“ fällt am Ende ein solcher Satz. „Keine Frau kann gegen ihren Willen zur Prostitution gezwungen werden“, sagt ein Polizist. Die vorherige Handlung belehrte den Betrachter eines Besseren. Es ist die Geschichte eines ungewollten Mädchens. Als Säugling rettet ihre Großmutter sie vor dem Tod. Sie wächst bei ihr auf, kommt aber nach deren Ableben in ein katholisches Erziehungsheim. Ihre Mutter, die sie damals auf die Zuggleise legte, schreibt ihr einmal aus dem Gefängnis - für ihre Betreuerin nur der Anlass, die Rechtschreibfehler korrigieren zu lassen. Sophie (Gerhild Berktold) befindet sich auf der untersten Sprosse der gesellschaftlichen Leiter – ein Dasein, dass Anfang der 70er Jahre über keinerlei Reputation verfügte. Im Heim gilt ausschließlich das Prinzip der Strenge und Sophie bestätigt mit ihrem Verhalten diese Vorgehensweise – renitent, unbelehrbar und offensichtlich frühreif gilt sie als hoffnungsloser Fall.

Ohne zu moralisieren oder emotional zu schüren, entfaltete Regisseur Gustav Ehmck die Geschichte eines unaufhaltsamen Niedergangs. Die damals 17jährige Gerhild Berktold, die nur ein weiteres Mal ebenfalls unter Ehmcks Regie in einem Kinofilm auftrat ("Heiß und kalt", 1972), darüber hinaus aber unbekannt blieb, spielte die Sophie mit größter Natürlichkeit und vollem Körpereinsatz. Sie ist sehr hübsch, aber ihre Nacktheit bediente keinen Voyeurismus. Im Gegenteil betonte Ehmck damit ihre totale Abhängigkeit – Sex dient in „Die Spalte“ fast ausschließlich der Erniedrigung und zur Machtausübung.

Trotzdem verfiel der Film nicht in Einseitigkeit. Der Regisseur und sein Autor Christian Rolf zeigten keine Berührungsängste bei der Widergabe der Realität vor dem Münchner Hintergrund: kleine deutsche Zuhälter, ein türkischer Platzhirsch (Dursun Firat), bürgerliche Freier und sexuelle Dienstleistungen für griechische Gastarbeiter im Keller eines Restaurants. Auch Sophie eignet sich nicht zur Identifikation - zu sperrig, naiv und ungebildet ist ihr Charakter. Aber ihr Verhalten ist immer nur Reaktion auf ihre Armut und soziale Abhängigkeit. Dank seines dokumentarischen Stils bewahrte der Film den notwendigen Abstand, um das Geschehen erträglich zu gestalten, mehr noch aber um dessen generellen Charakter zu betonen. Sophia ist kein Einzelschicksal. Eine linke Aktionsgruppe versucht die Mädchen von der Straße zu holen. Für die Polizei kein Grund zur Freude, denn die Zuhälter machen ihnen deutlich weniger Ärger, als die aufmüpfigen Studenten – Ruhe ist bekanntlich die erste Bürgerpflicht.

Gewalt, Ausbeutung und Prostitution sind in „Die Spalte“ kein Spiel zwischen Männer-Fantasie und moralischer Entrüstung, sondern erbarmungslose Realität. Auch als Warnung vor freizügiger Sexualität eignete sich die Figur der Sophie nicht, deren Schicksal mit den kecken Gymnasiastinnen aus dem „Schulmädchen-Report“ nichts gemein hat. In den Augen der Allgemeinheit galt sie von Beginn an als Verlorene. Eine Haltung, die auch „Die Spalte“ zu spüren bekam. Sex, nackte Tatsachen und ein bisschen Gefahr durften sein, aber ohne den Betrachter mit echten Problemen und seinen eigenen Vorurteilen zu konfrontieren. Der Geist, der hinter der im Sexfilm gepflegten Ambivalenz von Voyeurismus und moralischem Zeigefinger stand, sorgte auch dafür, dass „Die Spalte“ schnell in Vergessenheit geriet.

"Die Spalte" Deutschland 1971, Regie: Gustav Ehmck, Drehbuch: Christian Rolf, Darsteller : Gerhild Berktold, Dursun Firat, Axel Schiessler, Werner Umberg, Silvia Lasch, Maxi Maxi, Armin RichterLaufzeit : 85 Minuten

Sonntag, 13. März 2016

Das Spukschloss im Salzkammergut (1966) Rolf Olsen, Hans Billian

Udo (Jürgens) und seine Eva (Gertraud Jesserer) im Beziehungs-Clinch
Inhalt: Nachdem Manfred (Schnelldorfer) Hannelore (Auer) nach drei Jahren in den USA und Zwischenstopp auf Mallorca mit seinem Alfa Spider am Flughafen abgeholt hatte, umkurven sie entspannt den Wolfgangsee und kommen auf alte Zeiten zu sprechen – genauer auf Udo (Jürgens) und dessen amouröses Abenteuer, das im Ehehafen endete.

Der Beginn klingt allerdings wenig vielversprechend, denn anstatt ihn auf seiner Tournee zu begleiten, wollte seine Freundin (Gertraud Jesserer) eine eigene Karriere als Schauspielerin starten. Ob so viel weiblichen Widerspruchsgeists, blieb Udo nur der Bruch und er gesellte sich allein zu seiner international besetzten Show-Truppe, die im selben alten Schloss am Neusiedler See landete wie die notorisch klamme Theatergruppe, der sich seine Freundin angeschlossen hatte. Klar, dass das nicht lange gut gehen konnte… 

Rückblick auf den 15.Hofbauer Kongress vom 07.01. bis 11.01.2016

"Das Spukschloss im Salzkammergut" erfreute am dritten Tag des 15. Hofbauer-Kongresses die Herzen mit seinem Mix aus Musik- und Heimatfilm sowie platter Komödie - ganz den populären Vorbildern "Das Spukschloss im Spessart" (1960) und Billians erster Regie-Arbeit "Übermut im Salzkammergut" (1963) verpflichtet, aus deren Titeln die Produktionsgesellschaft raffiniert einen "neuen" Titel zusammensetzte. Es wurde ihr letzter Akt, war aber insofern konsequent, weil auch der Film nichts Neues bot.

Das Filmplakat verweist auf ihre Absichten. Udo Jürgens sieht darauf deutlich "flotter" aus als in den Filmaufnahmen, die mehr als drei Jahre zuvor entstanden waren. Und als Stars wurden neben ihm Hannelore Auer und Manfred Schnelldorfer groß aufgeführt, die mit der eigentlichen Filmhandlung genauso wenig zu tun hatten, wie das "Spukschloss" im Salzkammergut steht. Sie sollten der Resteverwertung nur einen modernen Anstrich geben.






"Mercie, chérie" sang Udo Jürgens am 5. März 1966 in Luxemburg und gewann den 11. Grand Prix Eurovision de la Chanson Européenne für Österreich - vielleicht der entscheidende Grund, warum "Das Spukschloss im Salzkammergut" am 23. November 1966 noch das Licht der Kinoleinwand erblickte.

"Da steht Udo ganz groß drauf" meint Eva - wohl eine optische Täuschung...
Heimatfilm und Schlagerfilm waren in den frühen 60er Jahren eine Allianz eingegangen, um der darbenden Branche auf die Beine zu helfen, aber inzwischen war nur noch ein leises Röcheln zu vernehmen (siehe den Essay "Der Weg in die Moderne - der Heimatfilm der Jahre 1958 bis 1969 "). Udo Jürgens, dessen Karrierebeginn eng mit dem Schlagerfilm verbunden war ("Die Beine von Dolores" (1957)), hatte Anfang 1964 in "Unsere tollen Tanten in der Südsee" seinen letzten Filmauftritt, bevor er sich ausschließlich auf den Gesang konzentrierte. Der deutsche Verleihtitel "Siebzehn Jahr, blondes Haar" für die italienisch-deutsche Co-Produktion "La battaglia dei mods", September 1966 herausgekommen, war reiner Etikettenschwindel, erst in "Das Spukschloss im Salzkammergut" tauchte Udo Jürgens tatsächlich noch ein letztes Mal als Schauspieler aus der Versenkung auf.

...denn seine "Internationale Show-Gruppe" reist per Bus durch die Provinz
Es bedarf nicht allzu viel Fantasie, um die Entstehung des Films als Resteverwertung der "Music House" - Production Company am Ende ihrer kurzen Existenz zu erkennen. Udo Jürgens‘ einziger Song im Film "Das kann auch dir gescheh'n" stammte aus dem Jahr 1962, weshalb viel dafür spricht, dass Regisseur Rolf Olsen die von ihm erdachte Story um den Streit einer Schauspieltruppe und einer tingelnden Music-Show direkt nach "Hochzeit am Neusiedler See" abdrehte, der Ende 1963 in die Kinos kam. Die Besetzung um das Protagonisten-Paar Getraud Jesserer und Udo Jürgens sowie bekannte Darsteller wie Ruth Stephan, Mady Rahl, Oskar Sima oder Rudolf Schündler war bis in kleine Nebenrollen identisch, gedreht wurde jeweils vor dem Hintergrund des Neusiedler Sees im Burgenland und Rocco Granata  trat in beiden Filmen auf – auch sein 1966 gesungener „Tango d’amore“ stammte aus dem Jahr 1962. 


Von 1963 bis 1966 – ein Quantensprung

Hannelore Auer ganz 1966
Verräterisch sind auch die Angaben zum Drehbuch in den Credits. Idee und Ausführung stammten von Rolf Olsen, Hans Billian hatte es nur bearbeitet. Dass Olsen an der letztlichen Kino-Fassung von „Das Spukschloss im Salzkammergut“ aktiv beteiligt war, ist unwahrscheinlich. Obwohl fast gleichaltrig gibt es keinen weiteren Berührungspunkt in ihren umfangreichen Oevres. Dem erfahrenen Schlagerfilm-Spezialisten Billian blieb es allein überlassen, eine Modernisierung einzuleiten. Er montierte neben die handlungsintegrierten Musiknummern einige ortsfremde, aber aktuelle Schlager, darunter zwei von Peggy March. Sein größter Regie-Eingriff galt einer zusätzlichen Rahmenhandlung, mit der er den Film im Salzkammergut verortete und in die Gegenwart von 1966 versetzte. Zuerst sollten die Bilder eines Düsen-Jets internationales Flair vermitteln, bevor der Olympionike und Teilzeit-Sänger Manfred Schnelldorfer Hannelore Auer im Alfa-Spider um den Wolfgangsee kutschierte. Deren Lied „Nur mein Herz bleibt in Mallorca“ spielte nicht nur auf die zunehmende Reisefreude der Deutschen an, die frivol und selbstbewusst agierende Auer ließ auch die Protagonisten der Haupthandlung alt aussehen.

Udo und Gertraud ganz 1963
Gegen sie wirkte Udo Jürgens im Anzug mit akkuratem Haarschnitt entsprechend der altbackenen Story wie ein Musterschüler. Da kann Hannelore Auer in der Rahmenhandlung noch so oft „den Udo“ erwähnen, im Film hebt er sich nur durch seinen wenig sympathischen Umgang mit seiner Freundin Eva (Gertraud Jesserer) ab, deren Wunsch, als Schauspielerin berufstätig sein zu wollen, er lächerlich findet – der daraus entstehende Streit zu Beginn der Handlung war noch ganz dem traditionellen Geschlechter-Rollenbild zu verdanken. Dass Udo sich darüber hinaus nicht zu schade war, die geringen Erfolgsaussichten der kräftig dilettierenden Darsteller-Riege um seine Freundin am „Spukschloss“ zu torpedieren, war eine unnötige Dramatisierung dieser Thematik. Den Produzenten muss die dünne Story bewusst gewesen sein, weshalb sie den einzigen Höhepunkt des Films gleich zu Beginn schon vorwegnahmen – die zentral gelegene 2minütige Spukszene im Schloss, in der die Schauspieler die arroganten Musiker aus dem Schlaf schrecken. Vermutlich der einzige Grund neben Udo Jürgens‘ gewachsener Popularität, Olsens unveröffentlichte Filmrolle aus der Mottenkiste zu holen.

Die schauspielernde Konkurrenz
Bleibt nur noch die Frage, warum die so schmählich behandelte Verlobte am Ende ihren Udo doch heiratet? – Die Antwort findet sich im Jahr 1963, als der weibliche Wunsch nach einem eigenen Einkommen noch wenig populär war und Udos Verhalten als legitim galt. Nun ist 1966 nicht als Jahr des emanzipatorischen Durchbruchs in die Geschichte eingegangen, aber die Gesellschaft veränderte sich Mitte der 60er Jahre rasant und Hannelore Auers abschließende Verteidigung der Haltung Udos klang nur noch halbherzig – die Erwartung des Publikums an Typen, die cool und modern wirken wollten, hatte sich verändert. Es kann entsprechend ausgeschlossen werden, dass Udo Jürgens seine einmalige Wiederauferstehung auf der Leinwand begrüßte – auch für Manfred Schnelldorfer blieb es der letzte Auftritt in einem Kinofilm.

Das Händchen macht Schluss
Parallel feierte Rolf Olsen „heiße Nächte“ in Frankfurt, („In Frankfurt sind die Nächte heiß“ (1966)) und Billian beteiligte sich wenig später an der spanisch-deutschen Co-Produktion „Das Haus der tausend Freuden“ (1967), bevor er es „Pudelnackt in Oberbayern“ (1969) trieb. Hannerlore Auer ließ es derweil bei "Suzanne - die Wirtin von der Lahn" (1967) krachen. Auf die „Sex-Karte“ hatte Billian bei seiner Frischzellenkur noch verzichtet, zu brav kam Olsens 63er Vorlage daher. Irgendwie aus der Zeit gefallen, aber in der von Billian zusammengeschusterten Vielfalt ein wunderschöner Abgesang auf Heimat- und Musikfilm.

"Das Spukschloss im Salzkammergut" Deutschland 1966Regie: Rolf Olsen, Hans Billian, Drehbuch: Rolf Olsen, Hans Billian, Darsteller : Udo Jürgens, Gertraud Jesserer, Hannelore Auer, Manfred Schnelldorfer, Ruth Stephan, Oskar Sima, Mady Rahl, Ilse Peternell, Laufzeit : 82 Minuten

weitere im Blog besprochene Filme von Rolf Olsen

"Der letzte Ritt nach Santa Cruz" (1964) 
"Heubodengeflüster" (1967) 
"Der Arzt von St.Pauli" (1968)

Sonntag, 6. März 2016

Perle der Karibik (1981) Manfred Stelzer

Inhalt: Diethard (Diethard Wendtland) arbeitet als Vertreter für Lexika und lebt allein in einer neu bezogenen Sozialbauwohnung in einem noch im Bau befindlichen Block. Sein Tagesablauf ist gut organisiert und er hat ein paar Ersparnisse zur Seite gelegt, aber zu seinem Glück fehlt ihm noch eine Ehefrau. Auch Kontaktanzeigen brachten bisher keinen Erfolg – trotz des Stichworts „Idealer Partner". Entsprechend aufmerksam reagiert er, als er die asiatische Ehefrau eines Kunden (Horst Pinnow) kennenlernt. Sie wurde dem Mittvierziger von einem auf ausländische Frauen spezialisierten Institut vermittelt.

Diethard hebt sein Geld ab und investiert es nicht nur in eine Ehefrau, sondern auch in die Einrichtung seiner Wohnung. Der erste Weg, nachdem er die junge Frau aus der Karibik (Alisa Saltzmann) am Flughafen abholte, führt sie zum Standesamt, wo die Ehe sogleich geschlossen wird. Auch das weitere Zusammenleben als Mann und Frau wurde von Diethard schon exakt vorausgeplant…






Rückblick auf den 15.Hofbauer Kongress vom 07.01. bis 11.01.2016

"Perle der Karibik" (wie der Film ohne Artikel korrekt heißt) lief am letzten Tag des 15. Hofbauer-Kongresses und konfrontierte mich mit meiner Vergangenheit. Der über einen Abzweig des Stadtrings gebaute terrassierte Wohnblock, der in Stelzers Film eine wichtige atmosphärische Rolle einnahm, ließ mich sofort erschaudern, als ich ihn 1982 das erste Mal sah. Und übte gleichzeitig eine große Faszination auf mich aus. Bis heute gehört er für mich zu den prägnantesten Gebäuden der westberliner Phase bis zum Mauerfall.

Dank Stelzer, der ein Jahr zuvor noch auf der Baustelle drehte, erhielt ich einen Einblick in den Komplex, der mir bisher verwehrt blieb. Ganz abgesehen davon, dass mir 1982 nicht bewusst war, wie neu der Wohnblock war, der ähnlich wie das nicht weit entfernt liegende raumschiffartige Kongresszentrum in einer Zeit - Mitte der 70er Jahre - konzipiert wurde, die noch vom unbedingten Fortschrittglauben geprägt war. Anfang der 80er Jahre zeigten sich erste Risse - eine Entwicklung, die in Stelzers Film gegenwärtig ist.


Die Geschichte vom deutschen Mann, der sich eine Ehefrau aus dem Ausland besorgt, war 1981 nicht mehr neu. Das Institut, an das sich Diethard (Diethard Wendtland) wendet, um per Katalog eine Bestellung aufzugeben, hatte sich auf die Vermittlung solcher Ehen spezialisiert. Ein nicht ganz billiger Service, der aber professionell abgewickelt wird: pünktlich erreicht die gewünschte junge Frau (Alisa Saltzman) den Flughafen in Berlin-Tegel, ausgestattet mit den geeigneten Papieren, um sofort am Standesamt geheiratet werden zu können. Diethard hatte alle Vorbereitungen abgeschlossen, war zuvor schon in eine neue Wohnung in einem noch im Bau befindlichen Block eingezogen und hatte sie ehegerecht mit Doppelbett und Einbauküche eingerichtet. Exakter lässt sich ein solches Arrangement auch in heutigen Internet-Zeiten kaum planen.

Ebenso wenig hat sich die landläufige Meinung über diese Art der Beziehungsanbahnung in den letzten Jahrzehnten geändert und Regisseur Manfred Stelzer bemühte sich auch nicht, gängige Klischees außer Kraft zu setzen. Herr Diethard ist ein besonders steifes Exemplar Mann, dessen geringe Fähigkeit zur Empathie offensichtlich beim Verkauf von Lexika aufgebraucht wird. Bei einem Termin hatte der Vertreter die asiatische Ehefrau eines Kunden kennengelernt, der sich sehr zufrieden über diese Verbindung äußerte. Einzig das undurchdringliche ständige Lächeln seiner Frau irritiere ihn, gab dieser zu bedenken, weshalb Diethard sich für eine andere Variante entschied - eine „Perle der Karibik“. Mit der vorhersehbaren Konsequenz. Zwischen den Beiden entsteht keine Nähe und das Arrangement scheitert.

Gerade auf Grund der klaren Voraussetzungen – sie sucht wirtschaftliche Sicherheit, er eine Sexualpartnerin und Hausfrau – besitzen diese nach jahrtausendealten Regeln geschlossenen Verbindungen nicht selten gute Chancen. Hätte der Regisseur einen umgänglichen Typ Mann in den Mittelpunkt gestellt, hätte ihre Beziehung vielleicht halten können. Doch darum ging es Manfred Stelzer nicht. Die organisierte Eheschließung zweier Menschen unmittelbar nach ihrer ersten Begegnung geschieht hier im Stil einer Versuchsanordnung. Über ihre genaue Herkunft und die näheren Beweggründe der jungen Frau erfährt der Zuschauer ebenso wenig, wie über die Vergangenheit und sozialen Umstände des 41jährigen Diethard. Im Stil seiner vorherigen Dokumentarfilme („Monarch“ (1980)) nutzte Stelzer die Thematik der Partnervermittlung für den Blick auf sein eigentliches Interesse – auf Deutschland.

Im Hintergrund das Bauschild mit der innenliegenden Autobahn...
Berlin-West Anfang der 80er Jahre ist ein Ort der Kälte. Der noch im Bau befindliche Neubaublock, den Stelzer als Hintergrund wählte, ist bis heute eines der markantesten Beispiele für die Schaffung neuen Wohnraums bei größtmöglicher Verkehrs-Mobilität. Turmartig erhebt sich der Wohn-Koloss über die Stadtautobahn. Detailliert ist das im Film nicht zu sehen, aber wiederholt fängt die Kamera das Bauschild ein und konfrontiert die junge Frau aus der Karibik mit den noch aktiven Bautätigkeiten, sobald sie die vier Wände der Sozialbauwohnung verlässt. Ihr Versuch, diese in einen aus ihrer Sicht lebenswerten Raum zu verwandeln, scheitert sowohl an den baulichen Voraussetzungen, als auch an ihrem Ehemann, der die aus seiner Sicht artfremde Nutzung mit Pflanzen und Früchten ablehnt.

...und Beanboats (Alisa Saltzman) Blick hoch zu den Terrassen.
Erneut ließe sich die mangelnde Toleranz und Flexibilität des Ehemanns als Ursache anführen, aber Diethard ist weder frustriert, noch besonders autoritär. Und er bemüht sich, seiner neuen Frau die Eingewöhnung zu erleichtern. Er besorgt vermeintlich vertraute Utensilien aus ihrer Heimat und ist auch beim Haushaltsgeld nicht knausrig. Seine Unzufriedenheit und aufkommende Strenge entstehen aus seiner Fassungslosigkeit gegenüber dem Verhalten der jungen Frau, die aus seiner Sicht das Geld für unnütze Dinge ausgibt, die Wohnung verschandelt und die Aufgaben einer Hausfrau nicht erfüllt. Diethard steht bei Stelzer für den Geist eines gut organisierten, allein rationale Beweggründe gelten lassenden Deutschlands, kombiniert mit einer männlichen Haltung, die durch ein Jahrzehnt Emanzipation verunsichert ist. Diethards Ehe mit einer Frau aus dem Ausland entsprang nicht zuletzt auch dem Wunsch nach der Aufrechterhaltung der gewohnten Geschlechterrollen.

In Stelzers Film werden Form und Inhalt zu einer Einheit. „Die Perle der Karibik“ ist klar strukturiert und linear erzählt. Der Film interessiert sich weder für Vergangenheit, noch Zukunft, sondern beschreibt eine Gegenwart, in der für das Irrationale und Spontane kein Platz vorhanden ist. Es wird nicht als Chance, sondern als Bedrohung empfunden. Stelzer stilisierte Deutschland auf diese Weise zu einem Ort, an dem selbst Lebensfreude bis in die privatesten Nischen organisiert wird. Dank seines dokumentarischen Stils und des Verzichts auf emotionale Zuspitzungen bewahrte Stelzer die notwendige Distanz zu seinen Protagonisten und urteilte nicht. Seine generelle Sicht spiegelt die zwangsläufige Konsequenz wider. Die junge Frau aus der Karibik verschwindet und Diethard setzt sein normiertes Leben allein fort - verloren sind sie Beide.

"Perle der Karibik" Deutschland 1981, Regie: Manfred Stelzer, Drehbuch: Manfred Stelzer, Wolfgang Quest, Axel Voigt, Darsteller : Diethard Wendtland, Alisa Saltzman, Alfred Edel, Horst Pinnow, Gertrud HoffmannLaufzeit : 81 Minuten