Dienstag, 30. Dezember 2014

Wenn wir alle Engel wären (1936) Carl Froelich

Christian Kempenich (Heinz Rühmann) erkundet das Kölner Nachtleben
Inhalt: Als beamteter Kanzlei-Vorsteher hat Christian Kempenich (Heinz Rühmann) eine leitende Position in dem kleinen Mosel-Ort. Er kann sich nicht nur ein Hausmädchen (Lotte Rausch) für seine Ehefrau Hedwig (Leny Marenbach) leisten, auch der Gesangslehrer Enrico Falotti (Harald Paulsen) gibt ihr privaten Unterricht. Auf Grund seiner gehobenen Stellung im Ort sieht sich Kempenich zudem als moralische Instanz, weshalb er am Himmelfahrtstag ohne Selbstzweifel zu einer Familientaufe in die Großstadt Köln fährt, die im Ort einen schlechten Ruf als Sündenpfuhl besitzt. Als er sich schon leicht angeheitert auf dem Rückweg zum Kölner Bahnhof befindet, weist er den Taxifahrer spontan an, ihn ins Vergnügungsviertel der Stadt zu fahren. Schließlich müsse er sich selbst ein Bild von den dortigen Versuchungen machen.

Hedwig Kempenich (Leny Marenbach) mit ihrem Gesangslehrer auf Moselfahrt
Seine Frau Hedwig begibt sich derweil am Nachmittag auf eine Moselfahrt mit einem Ausflugsdampfer. Ihr Gesangslehrer, der ein Auge auf die hübsche Frau geworfen hat, nutzt die Gelegenheit und folgt ihr auf das Schiff, wo er als bekannter Charmeur schnell in Form kommt. Zuerst abweisend, gefällt Hedwig vom Wein beschwipst die unterhaltsame Art des Sängers und wehrt sich auch nicht, als er sie gegenüber den begeisterten Mitfahrern als seine Frau ausgibt. Erst als sie nach langer Fahrt am Ziel ankommen und sie feststellt, dass kein Zug mehr zurückfährt, reagiert sie ernüchtert, er aber schlägt ihr vor, gemeinsam in einem Hotel zu übernachten.



"Wenn wir alle Engel wären" war schon der dritte Heinz Rühmann-Film, der 1936 in die Kinos kam - nach vier Filmen im Jahr zuvor und kurz vor der Premiere von "Lumpacivagabundus" (1936) in Österreich. Erneut spielte Heinz Rühmann einen jungen Mann zwischen Pflichtbewusstsein und Versuchung, weshalb die Besonderheit eines Films in Vergessenheit geraten scheint, ohne den es Rühmanns bekanntesten Film "Die Feuerzangenbowle" (1944) vielleicht nie gegeben hätte und der mit seinem wenig kaschierten sexuellen Subtext aus dem prüden Komödien-Einerlei der 30er Jahre herausstach, auch wenn das Drehbuch die Romanvorlage von Heinrich Spoerl leicht abschwächte. Dieser hatte es selbst verfasst, was einer Zäsur in Rühmanns Werk gleichkam, die dessen wachsenden Einfluss auf die Produktion seiner Filme kennzeichnete.


Schon 1934 hatte der Schauspieler erstmals die Hauptrolle in einer Spoerl-Verfilmung übernommen, aber "So ein Flegel" interpretierte den Roman "Die Feuerzangenbowle" sehr frei und ließ wenig von dem fantasievollen Charakter und der Hommage an selige Schulzeiten übrig. Verantwortlich für das Drehbuch war Hans Reimann, der als Co-Autor der literarischen Vorlage gilt, während Spoerl kein Mitspracherecht eingeräumt wurde. Auch „Wenn wir alle Engel wären“ geht auf ein von beiden Autoren gemeinsam verfasstes Theaterstück zurück - „Der beschleunigte Personenzug“ (1932 uraufgeführt) -, aber diesmal kam nicht nur Spoerls darauf basierende Buchvorlage von 1936 zum Zuge, ihm wurde zudem die Verantwortung für das Drehbuch übergeben, die er mit einer hohen Werktreue einlöste. Eine Initialzündung für die weitere Zusammenarbeit mit Heinz Rühmann, die zu ihren gemeinsamen Filmen „Der Gasmann“ (1941) und „Die Feuerzangenbowle“ führte, sowie zur Verfilmung des ebenfalls 1936 veröffentlichten Romans „Der Maulkorb“(1938) unter der Regie Erich Engels mit Ralph Arthur Roberts in der Hauptrolle.


Ob auch die Besetzung Carl Fröhlichs am Regie-Pult, seit 1933 NSDAP-Mitglied und betraut mit der Leitung des Gesamtverbandes der Filmherstellung und Filmverwertung, von Heinz Rühmann veranlasst wurde, bleibt Spekulation – beide drehten noch zwei weitere Filme zusammen, darunter „Der Gasmann“ – sicher lässt sich aber die Wahl Leny Marenbachs für die weibliche Hauptrolle auf seinen Einfluss zurückführen. Die beiden aus Essen stammenden Schauspieler waren zu dieser Zeit liiert, was dem frivolen Miteinander in „Wenn wir alle Engel wären“ sehr zu Gute kam. Marenbach spielte auch in ihren zwei folgenden Filmen „So ein Mustergatte“ (1937) und „Fünf Millionen suchen einen Erben“ (1938) an Rühmanns Seite, aber ihre Position veränderte sich. In „Fünf Millionen suchen einen Erben“ spielte sie nicht mehr seine Ehefrau, sondern gab die Verführerin, der Rühmann in seiner Rolle als verheirateter Erbe selbstverständlich widerstand – ein deutliches Anzeichen für die zunehmende Prüderie in seinen Filmen, von der sich „Wenn wir alle Engel wären“ noch wohltuend abhob.


Denn Heinrich Spoerl blickte tief hinter die Fassaden bürgerlicher Moral. Stilprägend für seinen Roman wie für den Film ist die "Empörung". Die leicht tuschelnde, hinter vorgehaltener Hand vorgetragene der Bewohner des kleinen Mosel-Ortes, wenn der angesehene Beamte Christian Kempenich (Heinz Rühmann) allein in die verruchte Großstadt Köln fährt, um dort bei einer Familientaufe zu verweilen, oder wenn Enrico Falotti (Harald Paulsen), stadtbekannter Charmeur, in dessen Abwesenheit seiner Frau Hedwig Kempenich (Leny Marenbach) private Gesangsstunden gibt. Oder die laute, das eigene schlechte Gewissen übertönende, wenn Christian Kempenich damit konfrontiert wird, dass aus einem Kölner Hotelzimmer Bettwäsche gestohlen wurde, in dem er angeblich mit Ehefrau genächtigt hatte, oder sich Hedwig Kempenich gegen jede Verdächtigung verwahrt, sie hätte, nachdem es auf einer Mosel-Schiffstour zu spät wurde, gemeinsam mit Falotti in einem Hotel übernachtet, um am nächsten Morgen die Heimfahrt anzutreten.

Umso mehr Beweise auftauchen, die diese Verdächtigungen erhärten, umso mehr flüchten die Ehepartner in neue, noch konstruiertere Ausreden, auch um die jeweilige Meinungshoheit zu erlangen. Denn wer scheinbar mehr Schuld auf sich geladen hat, muss sich die „ehrliche“ Empörung des Anderen gefallen lassen. Ein Zustand, der ständig zwischen den Partnern wechselt, bis sie sich trennen, obwohl ihr Umgang von Beginn an keinen Zweifel daran ließ, dass sie sich lieben und auch sexuell begehren. Doch der Gerichtsverhandlung entkommen sie damit nicht, denn für die Staatsanwaltschaft steht fest, dass das Ehepaar in Köln übernachtet hat und die Bettwäsche mitnahm.

Tatsächlich hatte Christian Kempenich den Verlockungen der Großstadt nicht widerstehen können und begab sich in ein nächtliches Vergnügungs-Etablissement – Alkohol und ein überredungsfähiges Fräulein besorgten dann den Rest. Als er am frühen Morgen in einem Hotelzimmer aufwacht, liegt sie entkleidet im Bett und er angezogen daneben, aber er kann sich an nichts mehr erinnern. Ohne sich zu verabschieden, flüchtet er schnell von diesem Ort und hört nur noch wie sie „Bubi“ hinter ihm herruft. Offensichtlich nutzte die so Zurückgelassene die Situation aus, um sich an der Bettwäsche zu bedienen. Auch seine Frau Hedwig ließ sich vom hartnäckigen Gesanglehrer erst zu einer Moselfahrt überreden, die er dann dank seines charmanten Unterhaltungstalents so weit ausdehnte, dass weder Schiff, noch Zug zum Heimatort zurückfuhren. Ob sie im Hotel eine gemeinsame Nacht mit ihm verbrachte, wer weiß?

Heinrich Spoerl ließ diese Frage in seinem Roman offen, im Film wurde dagegen der Eindruck vermittelt, dass es nicht zur letzten Konsequenz gekommen war – der einzige Schwachpunkt der filmischen Adaption. Dabei spielt es letztlich keine Rolle, ob sie tatsächlich untreu gewesen sind, denn allein die Diskrepanz zwischen ihrem nach außen hin betonten moralischen Anspruch und ihrer nicht eingestandenen Schwäche bringt sie in ihre zunehmend schwierigere Lage – und droht so ihre intakte Ehe zu zerstören. Eine wie gewohnt mit leichter Hand von Spoerl erzählte Geschichte, die dank der schnellen und witzigen Dialoge der beiden sehr gut harmonierenden Hauptdarsteller höchst unterhaltend gelingt – und ganz nebenbei eine Doppelmoral geißelt, die die tatsächlichen menschlichen Bedürfnisse leugnet. Ein für seine Entstehungszeit gewagter Film, dessen offenherziger Umgang mit der Sexualität auch der rheinländischen Mentalität zu verdanken war, die der gebürtige Düsseldorfer Spoerl authentisch wiederzugeben wusste.

"Wenn wir alle Engel wären" Deutschland 1936, Regie: Carl Froelich, Drehbuch: Heinrich Spoerl (Roman), Darsteller : Heinz Rühmann, Leny Marenbach, Elsa Dalands, Lotte Rausch, Harald PaulsenLaufzeit : 82 Minuten


weitere im Blog besprochene Filme von Carl Froelich:

Freitag, 26. Dezember 2014

Die Beine von Dolores (1957) Géza von Cziffra

Udo Jürgens im Duett mit Christa Williams
Inhalt: Nachdem der exzentrische Star des notorisch klammen Revue-Theaters „Pigalle“ das Weite gesucht hatte, erhält die begabte Tänzerin Dolores (Germaine Damar) deren Rolle in einer neu geplanten Produktion, die spontan in „Die Beine der Dolores“ umbenannt wird. Zwar vermutet die Chefin (Ruth Stephan) des Revue-Theaters persönliche Vorlieben ihres Geliebten und Choreografen (Ralf Wolter) dahinter, aber die finanziell angespannte Situation lässt ihr keine Wahl, da sich der Geschäftsmann Theobald Schreyer (Theo Lingen) mit der zugesagten Unterstützung Zeit lässt.

Dolores hat derweil ganz andere Probleme, denn ihrer Mutter (Grethe Weiser) hatte sie nie anvertraut, dass sie sich zur Tänzerin ausbilden ließ, sondern im Glauben gelassen, sie hätte einen „anständigen“ Beruf gelernt. Das neue Engagement zwingt sie aber, erst spät abends nach Hause zu kommen, was der vorsichtigen Mama nicht passt, weshalb sie behauptet, in der Klinik des Psychiaters Dr.Lorenz (Claus Biederstaedt) als Krankenschwester in der Spätschicht zu arbeiten. Dolores hatte Dr.Lorenz gerade erst kennengelernt, weshalb sie spontan diese Notlüge wählte, aber als sich ihre Mutter zur Klinik des Nervenarztes begibt, der nichts von dem Konstrukt weiß, droht das Kartenhaus zusammenzubrechen…


In Erinnerung an Udo Jürgens, gestorben am 21. Dezember 2014

Udo Jürgens in "...und du mein Schatz bleibst hier" in seinem Element am Klavier
Die Wahl des Tanz- und Schlagerfilms "Die Beine von Dolores" scheint vordergründig ungeeignet als Andenken an einen über Jahrzehnte erfolgreichen und beliebten Musiker, dessen Name erst spät in den Credits auftaucht und der hier nur zweimal als Partner von Christa Williams auftrat, deren Schlager "Onkel Tom" er im Duett mit ihr intonierte - eine typische, mit leicht exotischen Rhythmen Internationalität vortäuschende 50er Jahre Komposition, die schnell in Vergessenheit geriet. Tatsächlich verdankten viele Künstler dem seit den frühen 50er Jahren aufkommenden Schlagerfilm ("Schlagerparade", 1953) ihren Karrierestart, denn bevor sich das Fernsehen in Deutschland Anfang der 60er Jahre als Massenmedium durchsetzte, waren ihre Auftritte im Rahmen einer austauschbaren Komödienhandlung eine erste Möglichkeit, sich einem großen Publikum vorzustellen.

In "Unsere tollen Nichten" gehörte er schon zum festen Ensemble-Stamm
Für Christa Williams - ebenfalls erstmals in "Die Beine von Dolores" auf der Kinoleinwand zu sehen - wurde der Film zu einer unmittelbaren Initialzündung. Noch im selben Jahr trat sie erneut als Sängerin in "Nachts im grünen Kakadu" (1957) in Erscheinung. Weitere ähnlich geartete Rollen sollten folgen, bis sie in "Das habe ich in Paris gelernt" (1960) sogar in einer Hauptrolle an der Seite von Chris Howland besetzt wurde. 1959 war ihr erfolgreichstes Jahr - zusammen mit Gitta Lind landete sie mit "My Happiness (Immer will ich treu dir sein)" auf Platz 3 der deutschen Charts und vertrat die Schweiz beim "Grand Prix Eurovision de la Chanson Européenne", dem heutigen "Eurovision Song Contest", wo sie immerhin Vierte wurde. Für andere Gesangs-Stars wie René Carol, der die erste deutsche "Goldene Schallplatte" nach dem 2.Weltkrieg für "Rote Rosen, rote Lippen, roter Wein" (1952) erhielt, der zum Vorbild für den gleichnamigen, im folgenden Jahr herausgekommenen Film wurde, oder für die erfahrene US-Amerikanerin Olive Moorefield bedeuteten ihre Auftritte in "Die Beine von Dolores" dagegen schon Routine.

Die musikalischen Szenen durften erotisch angehaucht sein...
Auch die uncreditierten Renée Franke, seit Ende der 40er Jahre erfolgreich, und der damals schon sehr populäre Peter Alexander konnten auf eine Vielzahl von Film-Engagements verweisen, aber für Udo Jürgens blieb die Angelegenheit zäh - nicht zuletzt auch, weil der Christa Williams-Schlager untypisch für seinen Stil war. Zwar wurde er ein Jahr später in einer Nebenrolle in „Lilli, ein Mädchen aus der Großstadt“ (1958) besetzt, aber den Film-Durchbruch schaffte er erst mit "...und du mein Schatz bleibst hier" (1961), in dem er seine erste Hit-Single „Jenny“ von 1960 interpretieren durfte. Am Klavier sitzend verkörperte Udo Jürgens als Mitglied einer Studenten-Jazzband schon einen lässigen, modernen Stil, der kaum gegensätzlicher zu seinem ersten Auftritt in „Die Beine von Dolores“ hätte ausfallen können. Begleitet wurde er dabei von Gus Backus an der Gitarre, mit dem er gemeinsam in den folgenden Jahren die Rolf Olsen-Trilogie über die „Tollen Tanten“ nicht nur musikalisch prägen sollte („Unsere tollen Tanten“ (1961), „Unsere tollen Nichten“ (1963) und „Unsere tollen Tanten in der Südsee“ (1964)). Für den Sänger der Beginn seiner produktivsten Phase als Schauspieler, die für ihn aber im Gegensatz zu vielen Protagonisten des Schlagerfilms, die nach dem Ende der Ära, Mitte der 60er Jahre, vollständig aus dem Fokus des Publikums verschwanden, zu keiner Sackgasse werden sollte.

...ebenso der Dress-Code der jungen Damen (in der Mitte Germaine Damar)...
Dagegen befand sich Germaine Damar, eine begabte Tänzerin aus Luxemburg, 1957 auf dem Höhepunkt ihrer Karriere. Seit „Tanzende Sterne“ (1952) war sie zu einem großen Star im deutschen 50er Jahre Musik- und Komödienfilm („Die Drei von der Tankstelle“ (1955)) aufgestiegen und drehte allein unter Regisseur Géza von Cziffra sieben Filme, von denen ihr gemeinsamer Vierter „Die Beine von Dolores“ Damars größter Erfolg wurde. Wie gewohnt war weniger ihr schauspielerisches Vermögen als die titelgebenden Beine gefragt, die sie gekonnt einsetzte. Der Filmtitel zitierte einen Schlager von Gerhard Wendland aus dem Jahr 1951, der wiederholt angespielt wurde und auch als Name für die Revue herhalten musste, um die sich die Story dreht. Dolores Martens (Germaine Damar) wurde in der Hauptrolle besetzt, wovon ihre gestrenge Mutter (Grethe Weiser), die glaubt, ihre Tochter hätte einen „anständigen“ Beruf gelernt, aber nichts wissen darf. In ihrer Not hatte Dolores behauptet, in der Klinik des Psychiaters Dr. Hans Lorenz (Claus Biederstaedt) als Krankenschwester zu arbeiten, wovon der in sie verliebte Arzt aber nichts weiß. Als die resolute Mama überraschend in der Nervenklinik auftaucht, um einem der dortigen Ärzte dessen Tasche zurückzubringen, die tatsächlich dem Choreografen der Show (Ralf Wolter) gehört, droht die Situation zu eskalieren.

...doch darüber hinaus ging es züchtig zu.
Bis in die Nebenrollen verfügt der Film über eine damals sehr populäre Besetzung. Neben dem männlichen Co-Star Claus Biederstaedt - in den 50er Jahren nahezu omnipräsent als Schwiegermutters Liebling - sorgten Grethe Weiser, Bum Krüger, Theo Lingen, Ralf Wolter, Ruth Stephan und Gunther Phillip für die notwendige Abwechslung zwischen den Musiknummern, die erstaunlich aufwändig choreografiert und in Szene gesetzt wurden. Deren teils anzüglichen Witze ließen den Widerspruch zwischen Erotik á la Paris und den biederen 50er Jahre-Moralvorstellungen, die gewahrt bleiben mussten, noch deutlicher werden. Während auf der Tanzfläche die leicht gekleideten Damen die Beine schwangen und „Olala – c’est la vie!“ erklang, musste Grethe Weiser als fürsorgliche Mutter alles dafür tun, dass der gute Ruf ihrer Tochter gewahrt blieb, weshalb Claus Biederstaedt als zukünftiger Ehemann im weißen Doktor-Kittel geradezu zwingend zur Verfügung stand. Auf die Nachfrage der gewagt gekleideten Bedienung, warum er so gut gelaunt auf die Abfuhr von Dolores reagiert hätte, antwortet er: „Ich freu' mich, dass sie mit mir nicht gleich am ersten Abend ausgeht!“ – eine Aussage mit Signalwirkung, die beispielhaft für den Charakter des Schlagerfilms der 50er Jahre steht, dessen sexueller Subtext häufig mit möglichst viel Anstandsgeplänkel kaschiert werden musste.

Weniger Hemmungen bewies Géza von Cziffra dagegen beim Verfassen des Drehbuchs, dessen Witz sich an den gängigen Vorurteilen bediente. Besonders die Szene in der Nervenklinik, in der Mutter Martens ohne viel Federlesens von den an ihrem Verstand zweifelnden Doktoren in eine Gummizelle gesperrt wird - Gunter Phillip verkörperte „seinen“ Psychiater mit Kinnbart und Gesichtszuckungen - erfüllten alle Erwartungen an eine „Irrenanstalt“. Auch die Slapstick-Einlagen mit Theo Lingen und einer schwergewichtigen dunkelhäutigen Sängerin, denen der Boden beim Tanzen unter den Füßen weggezogen wird, so dass sie in einem Trampolin herumzappeln, geben ein deutliches Zeichen damaligen Humorverständnisses. Einzig Grethe Weiser mit ihrer resoluten Art ist es zu verdanken, dass diese Momente nur wenig in Erinnerung bleiben. Weder verliert sie die Contenance, als sie in der Gummizelle landet, noch lässt sie sich aus der Ruhe bringen, als herauskommt, dass sowohl ihre Tochter, als auch ihr Ehemann in dem Revue-Theater beschäftigt sind. Souverän behält sie die Meinungshoheit und lässt daran deutlich werden, dass die Story sowieso nur eine Funktion hatte – als oberflächlich unterhaltende Rahmenhandlung für eine Vielzahl von Gesangs- und Tanznummern, die die damaligen Stars auch ins rechte Bild rückten, darunter erstmals auch Udo Jürgens.

"Die Beine von Dolores" Deutschland 1957, Regie: Géza von Cziffra, Drehbuch: Géza von Cziffra, Gustav Kampendonk, Darsteller : Germaine Damar, Claus Biederstaedt, Grethe Weiser, Ralf Wolter, Ruth Stephan, Theo Lingen, Gunther Phillip, Bum Krüger, Udo Jürgens, René CarolLaufzeit : 99 Minuten

 weitere im Blog besprochene Filme von Géza von Cziffra:

"Banditen der Autobahn" (1955)

Montag, 15. Dezember 2014

Sünde mit Rabatt (1968) Rudolf Lubowski

Inhalt: Wie jeden Abend bereiten sich die Angestellten des in einer Großstadt gelegenen Nacht-Clubs auf ihre Arbeit vor. Während einige Damen in den Hinterzimmern ihre Freier empfangen, beginnt im Veranstaltungsraum das Show-Programm, bestehend aus Gesangs- und Stripteasenummern, jederzeit streng kontrolliert von ihrer Chefin (Margarethe Reinhardt), die sich gerne zu ihren gut betuchten Gästen an den Tisch setzt.

Auch Martina (Eva Astor) gehört zu dem weiblichen Ensemble, hat aber gerade Ärger mit ihrem Zuhälter (Karl Arnold), der sie mit dem gemeinsamen Kind im Stich gelassen hat. Er will keine feste Beziehung, sondern kümmert sich lieber um seine anderen Mädchen. Als Martina am nächsten Tag auf einem Waldstück, weit vor der Stadt, ermordet aufgefunden wird, gerät er bei dem ermittelnden Kommissar (Claus Holm) in Verdacht...


Vom "blauen Meer" auf den Strich - ein 60er Jahre Schicksal

Schon Anfang der 60er beschwor Margarethe Reinhardt die Gefahren für die Moral...
Die soziokulturellen Veränderungen in der Nachkriegs-BRD, besonders hinsichtlich der damit einhergehenden sexuellen Liberalisierung, blieben im 50er Jahre Kino noch ein Randaspekt, verbunden mit moralisierenden Warnungen vor den Gefahren für die Jugend. Der populäre Unterhaltungsfilm - vorzugsweise der Heimatfilm und sein naher Verwandter, der Musikfilm - versorgte sein Publikum dagegen konsequent mit einem idealisierten, konservativ geprägten Familienbild, das zunehmend die Realitäten negierte und Anfang der 60er Jahre Gefahr lief, hoffnungslos altmodisch zu wirken - Gift für den Erfolg an der Kinokasse. Entsprechend entstanden vermehrt Filme, die zumindest phasenweise gewagtere Konstellationen zwischen den Geschlechtern zuließen, auch wenn sie letztlich der propagierten Moral treu blieben. Ein Versuch, modern, aber nicht zu anstößig zu wirken.

...junger Frauen, gespielt von der Sängerin Eva Astor in ihrer ersten Rolle,...
Diese Gratwanderung ist sehr schön an dem Heimat-/Musikfilm "Auf Wiedersehen am blauen Meer" (1962) abzulesen, der noch ganz traditionell mit Förster und hübscher Bauerntochter vor einem beeindruckenden Bergpanorama beginnt. Doch die Story nach einer Idee von Margarethe Reinhardt entwickelt sich schnell in eine andere Richtung, beschreibt den schicken Jäger (Toni Sailer) als Frauenhelden, der einer attraktiven Dame (Hannelore Cremer) nach einer gemeinsamen Nacht nach Italien folgt, wo er erkennen muss, dass er dort nur als billiger Gigolo angesehen wird, der sich aushalten lässt. Auch Christa (Eva Astor) aus seinem Bergdorf, mit der er im Jahr zuvor kurz zusammen war, kommt nach Italien, weil sie sich eine Karriere als Sängerin erhofft, stattdessen aber an einen fiesen Yachtbesitzer gerät, der sie mit KO-Tropfen gefügig machen will. Klar, dass der Held noch rechtzeitig eingreift und die Maid wieder heil zurück zur Alm bringt, aber die Handlung fand größtenteils außerhalb der heimatlichen Berge statt und bediente das Publikum stattdessen mit anrüchigem Italien-Flair.

...die als jungfräuliche Christa noch rechtzeitig gerettet wird.
Die Botschaft des Films war eindeutig. Das Fremde - unbekannt und verführerisch - bedrohte die Moral, aber diese Sichtweise ließ sich angesichts der fortschreitenden sexuellen Liberalisierung in Deutschland nicht mehr halten. Zudem verlangte das Publikum nach Einsichten in die Etablissements der Halbwelt. Entsprechend ist der 1968 entstandene Film „Sünde mit Rabatt“ in seiner Mischung aus moralischem Zeigefinger und voyeuristischem Spektakel nicht nur beispielhaft für diese Entwicklung, sondern seine Gene lassen sich bis tief in die heile Welt des 50er Jahre Heimatfilms zurückverfolgen. Mit Claus Holm als ermittelndem Kommissar („Wenn die Alpenrosen blüh‘n“ (1955)) und Adrian Hoven („Heimatland“ (1955)) gehörten zwei wichtige Protagonisten des Heimatfilms zum Ensemble, aber mehr noch steht die Karriere der österreichischen Schlagersängerin Eva Astor prototypisch für die sich wandelnden Frauenrollen.

Als Prostituierte wird sie Ende der 60er dagegen ihrem Schicksal überlassen.
In "Auf Wiedersehen am blauen Meer" gab sie noch das anständige Mädchen, das rechtzeitig aus den Händen eines schmierigen Lüstlings befreit wird. In „St. Pauli Herbertstraße“ (1965) spielte sie zwar erneut eine brave Landwirtstochter, doch bevor der Held die Szene betrat, wurde sie vergewaltigt und geriet auf der Reeperbahn in die Hände von Zuhältern. In „Sünde mit Rabatt“, ihrem dritten Film, verkörperte Eva Astor die erfahrene Prostituierte Martina, die jeden Abend ihrer Arbeit in einem Nacht-Club nachgeht, der von einer wohlhabenden Bürgerschicht frequentiert wird. Geografisch liegt der Handlungsort Karlsruhe zwar nah an idyllischen Schwarzwaldhöhen, aber moralisch trennen ihn Welten von den noch Anfang der 60er Jahre propagierten Heimatfilm-Idealen. Diese Entwicklung geht konkret auf Margarethe Rheinhardt zurück, deren Ideen die Basis aller drei Filme bildeten und die in „Sünde mit Rabatt“ selbst eine kleine Rolle als Chefin spielte.

Nicht mehr das "blaue Meer", sondern die Lichter der Großstadt unterlegten...
Parallelen zu Eva Astor lassen sich auch in Hannelore Cremers Karriere als Schauspielerin feststellen. Erstmals stand sie in dem Heimatfilm „Der Orgelbauer von St.Marien“ (1961) als berechnende Städterin vor der Kamera – ein Rollentypus, den sie in „Auf Wiedersehen am blauen Meer“ fortführte, in dem sie als selbstbewusste Inhaberin verschiedener Nachtlokale in Italien auftrat, die sich Männern nicht unterordnet. Nach einigen TV-Rollen in den 60er Jahren (unter anderen „Match“ (Hilfe, ich bin noch Jungfrau, 1969), Regie Wolfgang Becker) traf sie 1970 ebenfalls auf Regisseur Rudolf Lubowski, dessen „Wer weint denn schon im Freudenhaus?“ thematisch an „Sünde mit Rabatt“ anknüpfte.

...Rheinhardts dritten Film mit Paula Braend als "Puffmutter".
Zuvor hatte der Kinderbuchautor und Musiker Lubowski nur bei dem Heimatfilm-Komödien-Sequel „Zwei Bayern in Bonn“ (1962) Regie geführt, aber seine Anfänge gehen auf die Bearbeitung des österreichischen Nachkriegsfilms „Asphalt“ (1951) über das Schicksal "Einer Jugend, die frühreif und ohne Illusionen, ohne Aufsicht und ohne Führung aufwächst. Die durch schlechte Beispiele und Leichtsinn auf die falsche Bahn gerät" (Off-Text des Trailers) zurück, dass er unter dem Titel „Die Minderjährigen“ 1959 stark umgeschnitten und mit zusätzlich gedrehten Szenen in die deutschen Kinos brachte. Ein Thema, dass ihn wiederholt antrieb. 1974 erschien sein Hörspiel "Angelika und der Fremde", mit dem er vor dem „guten Onkel“ mit Sätzen wie "Schön weh getan hat dir's, kleine süße Sau“ warnen wollte, wodurch er stark in die Kritik geriet, sich missverstanden fühlte und sich lieber mit dem "Abenteuer Jesu in Hörspielform" befassen wollte, um seine tatsächlichen Beweggründe deutlich werden zu lassen (Quelle: Der Spiegel 31/1974). Weder von Lubowski, noch von der Initiatorin Margarethe Reinhardt sind jüngere Arbeiten bekannt, aber erst ihre Geschichte ermöglicht eine Annäherung an den mit religiös-moralischem Aufklärungswillen gedrehten Sexploitation-Film „Sünde mit Rabatt“.


Ein später Heimatfilm ?

Schon der Filmtitel, der die alttestamentarische „Sünde“ mit einem schnöden Preisnachlass kombinierte, lässt an der Intention eines Films keinen Zweifel, der über die dokumentarisch angehauchten Bordell-Szenen, regelmäßig eingestreute Nacktdarstellungen und die Alltagsprobleme der Prostituierten eine Art Strafe Gottes legte, die in Form eines Serienmörders die jungen Frauen heimsuchte. Die mehr nebenher laufende Kriminalhandlung erinnert in ihrem Versuch, ständig neue Verdächtige zu kreieren, um am Ende eine möglichst unwahrscheinliche Lösung zu präsentieren, an die Edgar-Wallace-Filme, verfolgte damit aber einen anderen Zweck – die Betonung der allgegenwärtigen Gefahr, die Derjenigen droht, die ihren Körper verkauft.

Trotzdem blieb der warnende Effekt schwach, denn Lubowski und Reinhardt befriedigten mit frivolen Bühnenauftritten, Gesangseinlagen und tiefen Einblicken ins Liebesdienstgewerbe vor allem die voyeuristische Erwartungshaltung eines Publikums, das sich stellvertretend auch im Film wiederfand. Wahrscheinlich ernst gemeint, wirken die Bilder der bürgerlichen Besucherschar im Zuschauerraum des Nachtclubs - betuchte Ehepaare, Geschäftsmänner, Junggesellen-Gruppen – aus heutiger Sicht fast satirisch in der Demaskierung eines Publikums, dass sich nach außen hin über moralische Abgründe mokierte, heimlich aber gerne dabei zusah.

Ähnlich hatten auch die klassischen Heimatfilme zuerst große Emotionen und dramatische Konflikte vor den Zuschauern aufgetürmt, um am Ende wieder die gewohnte Ordnung herzustellen. In „Auf Wiedersehn am blauen Meer“ war das noch gelungen, „St.Pauli Herbertstraße“ vermittelte zumindest noch die Illusion, dass Wunden heilen könnten. Doch die 60er Jahre hatten tiefe Spuren hinterlassen, verschneite Berggipfel waren karg eingerichteten Bordellzimmern gewichen, aus denen es für die Protagonistinnen kein Entkommen mehr zu geben schien. Margarethe Reinhardt hatte in jedem ihrer Filme die größere Keule geschwungen, zuletzt unterstützt von Lubowski, der ihre Idee zu einem Drehbuch verfasste, aber „Sünde mit Rabatt“ gelang nicht mehr als Appell für eine solide Lebensführung, sondern wurde unbewusst zum melancholisch stimmenden, die inneren Widersprüche entlarvenden Abbild einer Gesellschaft im Wandel.

"Sünde mit Rabatt" Deutschland 1968, Regie: Rudolf Lubowski, Drehbuch: Rudolf Lubowski, Margarethe Reinhardt (Idee), Darsteller : Eva Astor, Karl Arnold, Paula Brandt, Margarethe Reinhardt, Claus Holm, Adrian Hoven, Mona BaptisteLaufzeit : 88 Minuten

Lief am zweiten Tag des 1. Auswärtigen Sondergipfel des Hofbauer Kommando in Frankfurt/Main vom 07. bis 09.11.2014