Mittwoch, 28. Mai 2014

Und Jimmy ging zum Regenbogen (1971) Alfred Vohrer

Inhalt: Manuel Aranda (Alain Noury) landet in Wien, um die Leiche seines ermordeten Vaters zu überführen, ahnt aber nicht, dass er seit seiner Ankunft beobachtet wird. Ein Profi-Killer wurde auf ihn angesetzt, der verhindern soll, dass Aranda zu viel über die Hintergründe des Todes seines Vaters erfährt. Der junge Mann hat viele Fragen, denn er begreift nicht, warum dieser von einer alten Frau getötet wurde, die danach mit einer Zyankali-Kapsel Selbstmord beging.

Für die Polizei scheint die Angelegenheit geklärt, weshalb er auf eigene Faust auf Spurensuche geht. Als er am Grab der Mörderin Valerie Steinfeld (Ruth Leuwerik) erstmals deren Nichte Irene Waldegg (Doris Kunstmann) begegnet, ist schon das Gewehr des Killers auf ihn gerichtet, aber bevor dieser abdrücken kann, wird er selbst durch einen gezielten Schuss getötet – ein Vorgang, von dem Manuel Aranda nichts erfährt. Offensichtlich gibt es Interessenten, die nichts gegen seine Nachforschungen haben, sondern sich Vorteile davon versprechen…


Die Simmel-Offensive der frühen 70er Jahre

Zwar gelang dem österreichischen Journalisten und Schriftsteller Johannes Mario Simmel mit seinem Roman "Es muss nicht immer Kaviar sein" schon 1960 ein großer Erfolg, der es auch zu einer zeitnahen Verfilmung mit O.W. Fischer in der Hauptrolle brachte, aber erst Regisseur Alfred Vohrer begann 1971, nach seinem Abschied von dem Edgar-Wallace-Franchise mit "Der Mann mit dem Glasauge" (1969), mit sieben innerhalb von drei Jahren gedrehten Simmel-Filmen dessen schriftstellerisches Werk umfassend für das Kino zu adaptieren. Gemeinsam mit dem Autor Manfred Purzer, dessen moderner, von den späten 60er Jahren beeinflusster Stil  - sein erstes Drehbuch schrieb er zu "Komm nur, mein liebstes Vögelein" (1968), Regie Rolf Thiele - auch die aus den 50er und 60er Jahren stammenden Romane entsprechend des Publikumsgeschmacks Anfang der 70er Jahre modernisierte.

Nachdem sie zuvor bei "Inspektor Perrack greift ein" (1970) schon einmal erfolgreich zusammengearbeitet hatten, starteten sie die Simmel-Reihe mit dessen aktuellen Beststeller "Und Jimmy ging zum Regenbogen". Der eintretende Erfolg an den Kinokassen zog in schneller Abfolge weitere Verfilmungen nach sich, deren Chronologie zufällig wirkt. "Liebe ist nur ein Wort" (1971) basierte auf einem 1963 erschienenen Roman, "Der Stoff, aus dem die Träume sind" (1972) griff dagegen wieder Simmels neueste Veröffentlichung auf, bevor mit "Und der Regen verwischt jede Spur" (1972) ein Film im "Simmel-Stil" nachgeschoben wurde - eine Methodik, die an die späten Edgar-Wallace-Verfilmungen erinnerte, deren Drehbücher nicht mehr nach den Original-Romanen, sondern im „Wallace-Style“ verfasst wurden. Das Drehbuch dazu erdachte Purzer gemeinsam mit dem französischen Autor Michel Gast („Die Klosterschülerinnen“ (1972)) nach einer Kurzgeschichte von Alexander Puschkin.

Bei den 1973 folgenden Verfilmungen "Alle Menschen werden Brüder" und "Gott schützt die Liebenden“ kamen erneut ältere Romane von 1967 und 1957 zu Ehren, bevor Vohrer nach dem brandneuen Bestseller "Die Antwort kennt nur der Wind" 1974 seinen letzten Beitrag ablieferte. Manfred Purzer schrieb noch das Drehbuch zu dem 1962 erschienenen Roman „Bis zur bitteren Neige“, den der Fernsehregisseur Gert Oswald herausbrachte. Mit dem neunten Film der Simmel-Reihe „Lieb Vaterland magst ruhig sein“ (1976) auf Basis des letzten noch nicht verfilmten Simmel-Romans der 60er Jahre setzte Roland Klick, Regisseur und Autor in Personalunion, den vorläufigen Schlusspunkt.

Dass die seit mehr als 10 Jahren populären Romane Johannes Mario Simmels erst Anfang der 70er Jahre im großen Stil verfilmt wurden, war kein Zufall. Bei dem frühen „Es muss nicht immer Kaviar sein“ handelte es sich um eine gemäßigte Satire auf internationale Gepflogenheiten im Agenten-Milieu, deren Anspielungen nicht wehtaten, aber Simmels bevorzugte, seine eigene jüdische Vergangenheit reflektierende Beschäftigung mit den Verbrechen der Nazi-Zeit und deren mangelhafte Aufarbeitung in der Bundesrepublik nach dem Krieg, benötigte die gesellschaftspolitischen Veränderungen Ende der 60er Jahre, um auch im Kino große Publikumsschichten zu erreichen. Simmel bettete seine dramatischen Hintergründe in einen unterhaltenden Kontext, der ihm zu seinem eigenen Leidwesen über Jahrzehnte den Vorwurf der Trivialität einbrachte, der sich für Vohrer aber als ideal erwies. Erst die dezenten kritischen Aspekte verliehen den meist mit einer Liebesgeschichte verbundenen, publikumswirksam inszenierten Thrillern die notwendige Modernität, um sie aus der Masse herauszuheben, erwiesen sich für die Reputation der Simmel-Romane beim Feuilleton aber als wenig förderlich.


Und Jimmy ging zum Regenbogen

"Und Jimmy ging zum Regenbogen" kann in dieser Hinsicht als prototypisch gelten, denn obwohl sich Vohrers erster Simmel-Film mit der bis heute aktuellen Thematik von Naziverbrechern auseinandersetzte, die nach dem Krieg ein bürgerliches Dasein führen konnten - auch dank der Interessen staatlicher Behörden - blieb er als reiner Unterhaltungsfilm in einer zunehmend verblassenden Erinnerung. Der junge französische Darsteller Alain Noury, der noch in "Und der Regen verwischt jede Spur" von Vohrer in der Hauptrolle besetzt wurde, und die ebenfalls in zwei Simmel-Filmen auftretende Doris Kunstmann verkörperten ein im Stil der frühen 70er Jahre attraktives Paar, deren Annäherung Vohrer mit einer weichgezeichneten Linse und romantischer Musik ins Bild rückte, die die innere Tragik ihrer Begegnung noch betonen sollte. In der Kombination mit den knallharten Interessen der widerstreitenden englischen, französischen und US-amerikanischen Geheimdienste - wie in fast allen Vohrer-Simmel-Verfilmungen mit Herbert Fleischmann als charismatischem Mittelpunkt - entwickelte sich daraus ein Verwirrspiel, das die jeweiligen Motive und inneren Zusammenhänge lange im Ungewissen belässt.

Manuel Aranda (Alain Noury) war nach Wien gekommen, um die Leiche seine Vaters zu überführen, aber die seltsamen Umstände seines Todes - eine alte Bibliothekarin hatte ihn ermordet, um danach mit einer Zyankali-Kapsel Selbstmord zu begehen - lassen ihm keine Ruhe, weshalb er sich gegen den Willen der Behörden um die Aufklärung der näheren Hintergründe bemüht. Schon am Grab der Mörderin Valerie Steinfeld, an dem er deren Nichte Irene Waldegg (Doris Kunstmann) erstmals begegnet, in die er sich sofort verliebt, entgeht er nur knapp und ohne sein Wissen einem Mordanschlag, dessen Hintergründe sich dem Betrachter zu diesem Zeitpunkt nicht erschließen. Denn Aranda hatte mit der gefährlich werdenden Suche nach der Vergangenheit seines Vaters noch nicht begonnen.

In Rückblenden aus der Zeit des Nationalsozialismus beginnt der Film eine parallele Handlung mit Valerie Steinfeld (Ruth Leuwerik) im Zentrum, deren jüdischer Ehemann geflohen ist und deren gemeinsamer Sohn Heinz (Franz Elkins) als Halbjude zunehmend in die Mühlen der Rassenpolitik gerät. Gemeinsam mit dem engagierten Anwalt Dr. Forster (Horst Tappert) versucht Valerie zu beweisen, dass sie ihren Mann betrogen hätte, und ihr Sohn nicht von diesem abstammt. Diese Szenen beeindrucken in der Konfrontation mit einer Gerichtsbarkeit, die über die Wahrheit dieser Schutzbehauptung urteilen soll, und demaskieren die Verlogenheit der rassistischen Argumentation. Besonders das der Halbjude Heinz trotz seiner Benachteiligung ein glühender Nazi ist, der seinen Vater hasst und seinen "Freispruch" sofort zum Eintritt in die Waffen-SS nutzt, bleibt als Symbol für die ideologische Verblendung in Erinnerung.

Diese Szenen verfehlen ihre kritische Wirkung nicht, aber sie gehen in einer mehr als 2stündigen Laufzeit unter, die sich nicht auf die tragischen Konsequenzen der mangelnden Aufarbeitung von Nazi-Verbrechen beschränkte. Als hätte die Begegnung des Sohnes des Ermordeten mit der Nichte der Mörderin nicht genügt, um an Hand einer langsamen Aufklärung der Hintergründe für Spannung zu sorgen, kombinierte Simmel den Plot noch mit Geheimdienstinteressen, chemischen Waffen, Experimenten an Menschen und einer Vielzahl an Nebenschicksalen, die allein einen ganzen Film wert gewesen wären. Judy Winter als Prostituierte und Doppelagentin, sowie Horst Frank als SS-Mann, der sie trotz des Wissens über ihre Rolle verehrt, hätten eine tiefer gehende Betrachtung verdient gehabt, aber angesichts der Fülle an Themen und Schicksalen gelang es dem Film nicht, mehr als ein wenig an der Oberfläche zu kratzen.

Um "Und Johnny ging zum Regenbogen" - ein Zitat, dass zur Entschlüsselung eines Geheim-Codes führt – eine weiter gehende gesellschaftskritische Dimension zuzubilligen, bleibt der Film zu plakativ und klischeehaft. Besonders die Initialzündung der Story - der Grund für den Mord an dem alten Mann - wird zu sehr an den äußeren Umständen festgemacht, so perfide und menschenverachtend diese auch waren. Eine charakterliche Entwicklung der Betroffenen innerhalb von drei Jahrzehnten wurde dagegen nicht in Betracht gezogen. So offensichtlich diese Schwächen sind, sollten sie nicht übersehen lassen, dass nur auf diese Weise der Zugang zu großen Publikumskreisen gelang. Sowohl Simmels Roman, als auch Vohrers filmische Umsetzung spiegeln den Zeitgeist der frühen 70er Jahre nahezu ideal wider, als die noch sehr konservativ geprägte Gesellschaft erst langsam begann, sich der Auseinandersetzung mit ihrer unmittelbaren Vergangenheit zu nähern.

"Und Jimmy ging zum Regenbogen" Deutschland, Österreich 1971, Regie: Alfred Vohrer, Drehbuch: Manfred Purzer, Johannes Mario Simmel (Roman), Darsteller : Alain Noury, Doris Kunstmann, Horst Frank, Horst Tappert, Judy Winter, Ruth Leuwerik, Herbert Fleischmann, Heinz Baumann, Klaus SchwarzkopfLaufzeit : 133 Minuten

weitere im Blog besprochene Filme von Alfred Vohrer: 

"Bis dass das Geld euch scheidet" (1960)

Samstag, 17. Mai 2014

Schwarzer Kies (1961) Helmut Käutner

Inhalt: Am Checkpoint zum Armeegelände kommt es zu Wartezeiten für die LKW-Fahrer, die den schwarzen Kies für den Bau einer Landebahn anliefern. Den handgreiflichen Streit zwischen einem deutschen Fahrer und einem Amerikaner nutzt Otto Krahne (Wolfgang Büttner) sofort zur Abstempelung weiterer Lieferscheine an Robert (Helmut Wildt), der damit Kies auf eigene Rechnung verkaufen kann. Ein anderer Fahrer schmeißt einen Stein nach einem bellenden Hund, trifft ihn damit aber so unglücklich, dass dieser tot liegen bleibt. Robert nimmt sich dessen auffälliges Halsband und wirft ihn auf den Kieshaufen, wo der Kadaver zugeschüttet wird.

Nachdem der Wagen ihres Mannes, Major John Gaines (Hans Cossy), liegengeblieben war, lässt sich Inge (Ingmar Zeisberg) von einem LKW-Fahrer mitnehmen, um Hilfe zu holen. Zuerst reagiert sie nicht auf Robert, aber dieser macht kein Geheimnis daraus, dass er sie sofort wieder erkannte. Vor einigen Jahren, kurz nach dem Krieg, waren sie ein Paar - bis sich Inge von ihm trennte, weil sie an der Seite des attraktiven, aber unsteten Mannes keine Zukunft mehr sah. Robert, der ein Zimmer in einem der Bordelle bewohnt, in denen die US-Soldaten Ablenkung suchen, flirtet selbstbewusst mit ihr, ohne zu ahnen, dass sie verheiratet ist. Er erfährt, dass sie ihren Hund sucht, erzählt ihr aber nichts von dessen Tod, sondern nutzt seinen Wissensvorteil für einen weiteren Annäherungsversuch… 


"Hart und direkt, mit erotischen und brutalen Realitäten..."

sollte "Schwarzer Kies" (ursprünglich geplanter Titel "Haut auf Haut") nach Aussage seines Regisseurs Helmut Käutner werden und auf diese Weise die Realität im Jahr 1960 abbilden, um "alle deutschen Tabus zu durchstoßen". Eine so provokante, wie überraschende Aussage, denn Käutners Filme zeichneten sich von Beginn an durch ihre authentische Darstellung menschlicher Verhaltensweisen aus. "Große Freiheit Nr. 7" (1943) spielte vor dem Hintergrund von Liebe, Sex und Prostitution und gemeinsam mit dem Autoren und Produzenten Walter Ulbrich hatte Käutner schon am Drehbuch zu "Unter den Brücken" (1945) zusammen gearbeitet, der einfühlsam eine Geschichte von einer Frau zwischen zwei Männern erzählte.

Dem Subtext einer modernen, die sozialen Veränderungen realistisch betrachtenden Sichtweise blieb Käutner auch nach dem Krieg treu, vermied aber eine direkte Konfrontation. Das änderte sich Ende der 50er Jahre als er mit Wolfgang Staudte und Harald Braun eine eigene Produktionsgesellschaft gründete, um ihre Vorstellungen ohne Konzessionen umsetzen zu können. Wegen Brauns frühem Tod entstanden mit "Der Rest ist Schweigen" (1959, Regie Käutner) und "Kirmes" (1960, Regie Staudte) nur zwei Filme unter eigener Hoheit. "Schwarzer Kies" - die letzte Produktion der 1956 reprivatisierten "Universum Film AG" - vertrat zwar eine ähnlich kompromisslose Haltung, setzte aber auf reines Unterhaltungs- und Spannungs-Kino, ohne konkrete Gesellschaftskritik zu üben. Wenig wohlwollend, aber zurecht rückte ihn die zeitgenössische Presse in die Nähe französischer Thriller, denn besonders die Parallelen zu Clouzots „Le salaire de la peur“ (Lohn der Angst, 1954) sind offensichtlich.

Nicht allein wegen der hart gesottenen LKW-Fahrer, die den schwarzen Kies für die Düsenjäger-Startbahn anliefern, sondern mehr noch wegen des Hintergrunds einer von den Verheißungen des US-Kapitalismus abhängigen Sozialisation. Lebten bei Clouzot die Menschen im Schatten einer Öl-Raffinerie, setzen sie in „Schwarzer Kies“ ihre Hoffnungen auf die US-Armee, um deren Territorium sich Geschäftemacher, Betrüger, Vergnügungslokale und Bordelle angesiedelt haben – bevölkert von Frauen und Männern, die in der Illusion leben, irgendwann mit den Taschen voller Geld den Absprung zu schaffen. Doch anders als in „Lohn der Angst“ befinden sie sich nicht in einer abgelegenen Einöde, sondern mitten in Deutschland, in Sichtweite gepflegter Reihenhausanlagen, womit der Film einen Angriff auf die Scheinmoral der frühen 60er Jahre wagte. Die beiden Protagonisten Inge (Ingmar Zeisberg) und Robert (Helmut Wildt) symbolisierten die gegensätzlichen Positionen eines unsteten, abenteuerlichen Lebens und eines bürgerlichen Daseins, ohne als Identifikation dienen zu können.

Wildt verkörperte in seinem ersten Film den selbstständigen LKW-Fahrer Robert Neidhardt, der einen Teil seiner Kies-Lieferungen an die Amerikaner vortäuscht, um das Material schwarz zu verkaufen. Das funktioniert dank gefälschter Lieferscheine, die ihm Otto Krahne (Wolfgang Büttner) besorgt, der auch mit anderen Fahrern zusammenarbeitet und plant, mit dem verdienten Geld seinen Lebensabend luxuriös im Ausland zu verbringen. 15 Jahre nach dem Ende des Krieges hat sich der Respekt vor den Amerikanern längst verflüchtigt und ist, frei von jedem Schuldbewusstsein, rein wirtschaftlichen Motiven gewichen. Neidhardt ist gleichzeitig Profiteur und Opfer. Ein attraktiver, selbstbewusst auftretender Mann, der nach dem Krieg nicht mehr ins geregelte Leben zurückgefunden hat. Er bewohnt ein einfaches Zimmer in einem Nachtclub, wird von einer Prostituierten (Anita Höfer) geliebt, ohne deren Gefühle zu erwidern, und lebt ziellos in den Tag hinein. Das ändert sich als er zufällig Inge wieder trifft, die er als Anhalterin mitnimmt. Der Wagen ihres Mannes Major John Gaines (Hans Cossy), Befehlshaber des Stützpunkts, hatte eine Panne.

Inges Werdegang verlief entgegen gesetzt, nachdem sie sich getrennt hatten. Details über ihre gemeinsame Zeit werden nur angedeutet, aber trotz der nach wie vor vorhandenen erotischen Anziehungskraft, entschied sie sich, ihn zu verlassen, um ein materiell gesichertes und sozial anerkanntes Leben zu führen. Alles in „Schwarzer Kies“ atmet die Folgen des Krieges. Nicht mehr in der unmittelbaren Konsequenz von Zerstörung oder Hunger, sondern in der unbändigen und gleichzeitig unerfüllbaren Sucht nach Sicherheit und Glück. Das propagierte geordnete Leben existiert hier ebenso wenig, wie emotional gefestigte Menschen. Ein junges Paar – die jungfräuliche Anni (Edeltraut Elsner) und der US-Soldat Bill (Peter Nestler) – scheint aus der vergnügungssüchtigen Masse herauszutreten, stirbt aber bei einem von Neidhardt verschuldeten Unfall. Die wahre Ursache erfährt nur der Betrachter. Bill war die Genehmigung für ihre geplante Hochzeit vom US-Konsulat verweigert worden, da Anni aus der DDR stammt, aber er versuchte noch, sie zum Sex zu bewegen, ohne ihr diese Konsequenz mitzuteilen. Als sie sich wehrt, losreißt und er ihr auf die Straße folgt, kommt es zu dem Unglück.

Angesichts der fatalistischen Mischung aus Egoismus, Sex und Gewalt, die Käutner in kräftigen Schwarz-Weiß-Bildern entwarf, erstaunen die kritischen Stimmen nicht, die dem Film damals Klischees und einseitige Charakterisierungen attestierten. „Schwarzer Kies“ bemühte sich weder um Differenzierungen, noch Ausgewogenheit, traf damit aber den Nerv einer Zeit, die schon deutliche Schatten in Richtung der sozialen Veränderungen der späten 60er Jahre warf. Wie missverstanden sein Film wurde, wird auch an der Anklage wegen Antisemitismus deutlich, der sich Käutner durch den Zentralrat der Juden ausgesetzt sah. In einer Szene beschimpft einer der Gäste den Club-Besitzer mit „Saujud“, nachdem dieser ihn mehrfach freundlich aufgefordert hatte, wegen der US-Soldaten auf patriotisches Liedgut aus der Juke-Box zu verzichten. Käutners gegenteilige Absicht lag darin, den latent vorhandenen Hass gegenüber Juden in der Bevölkerung hervorzuheben, aber allein dass ein ehemaliger KZ-Häftling – die Kamera erfasst nach dem Streit dessen tätowierten Code am Unterarm - ein Bordellbetreiber sein sollte, genügte schon als Affront.

Diese Szene kann beispielhaft für einen Film gelten, hinter dessen Fassade Anfang der 60er Jahre Niemand zu sehen bereit war. Selbst die seriöse „Zeit“ verstieg sich zu dem Urteil eines „durchschnittlichen Kriminalfilm mit einer langweiligen Polizei“, obwohl „Schwarzer Kies“ nichts weniger als ein Kriminalfilm ist. Die Polizei nimmt nur eine Nebenrolle als gelegentlicher Störenfried ein, ohne wirklich ernst genommen zu werden. Das Verschwinden des jungen Paares – Neidhardt entsorgte die Leichen im Kies unter der Startbahn – wird nicht als Verbrechen erkannt, sondern Annis DDR-Herkunft zugeschoben. Als kommunistische Spionin hätte sie Bill verführt, der mit ihr hinter den eisernen Vorhang geflohen wäre. So die einhellige Meinung, die jedes Einfühlungsvermögen über die gängigen Vorurteile hinaus vermissen lässt.

Eine Haltung, der sich Käutners Film generell ausgesetzt sah und die darin gipfelte, dass „Schwarzer Kies“ gemeinsam mit seinem Nachfolgefilm „Der Traum von Lieschen Müller“ (1961) als „Schlechteste Leistung eines bekannten Regisseurs“ im Jahr 1961 ausgezeichnet wurde. Vergeben von der Jury „Preis der jungen Filmkritik“, die sich parallel zum „Oberhausener Manifest“ um eine Erneuerung des deutschen Films bemühte und Regisseure wie Helmut Käutner zur Vergangenheit zählte (passend titelte der „Spiegel“: „Papas Kies“). Ein absurdes Urteil, denn von der Bildsprache abgesehen, deren schwere Schwarz-Weiß-Optik an Käutners vom poetischen Realismus beeinflusste frühe Filme erinnert, verwies „Schwarzer Kies“ in seiner so mitreißenden, wie zerstörerischen Mischung aus Maßlosigkeit und Hedonismus unmittelbar in die Zukunft.

"Schwarzer Kies" Deutschland 1961, Regie: Helmut Käutner, Drehbuch: Helmut Käutner, Walter Ulbrich, Darsteller : Ingmar Zeisberg, Helmut Wildt, Hans Cossy, Wolfgang Büttner, Anita Höfner, Laufzeit : 107 Minuten

weitere im Blog besprochene Filme von Helmut Käutner:

Freitag, 2. Mai 2014

Ein Herz spielt falsch (1953) Rudolf Jugert

Zum 90.Geburtstag von Ruth Leuwerik am 23.04.2014:

Inhalt: Peter van Booven (O.W. Fischer), ständig pleite und von seinen Gläubigern verfolgt, will die junge Gerda (Gertrud Kückelmann) dazu überreden, ihr gemeinsames Kind abtreiben zu lassen. Mehr als ein kurzes Abenteuer wäre das zwischen ihnen nicht gewesen und sie würden auch nicht zusammenpassen. Ohne ihr Unglück weiter zu beachten, begibt er sich zu dem Chefarzt Professor Linz (Carl Wery), der mit seinem Vater befreundet war, um ihn um einen Eingriff bei Gerda zu bitten. Zuerst ihm wohlwollend begegnend, verweigert der Arzt empört Van Boovens Ansinnen und wirft ihn aus seiner Praxis.

Als er aus dem Krankenhaus tritt, begegnet er Sybilla Zander (Ruth Leuwerik), einer ehemaligen Klassenkameradin, die sich wegen ihrer Schmerzen am Hinterkopf bei dem mit ihr befreundeten Professor untersuchen lassen will. Er erkennt die unscheinbare, allein stehende junge Frau aus reichem Hause sofort wieder, die sich nicht verändert hat – schon während der Schulzeit hatte er sie „Alte Schachtel“ genannt. Wenig später kehrt er nochmals ins Krankenhaus zurück, da er seinen Hut vergaß, und wird zufällig Zeuge eines Gesprächs unter Ärzten, in dem Professor Linz seine tödliche Diagnose äußert. Sybilla hat seiner Meinung nach nur noch sechs Monate zu leben. Wieder in seiner kleinen Wohnung, erfährt er von seiner Vermieterin (Lina Carstens), dass ein ungehobelter Kerl nach ihm gefragt hätte, der bald wieder kommen will. Peter van Booven fasst einen perfiden Plan…


Ein Abenteurer, dem die Gläubiger im Nacken sitzen und dessen einzige Reaktion darauf, dass seine Geliebte schwanger ist, darin liegt, sich bei einem Arzt um eine Abtreibung zu bemühen, hört in dessen Praxis zufällig mit, dass eine frühere Klassenkameradin an einem unheilbaren Tumor leidet und nur noch wenige Monate zu leben hat. Zwar machte er sich schon damals über das altmodische, unscheinbare Aussehen der Industriellentochter lustig, aber angesichts des verlockenden Erbes, dass auf einen Schlag seine Probleme lösen könnte, setzt er seinen gesamten Charme ein, um ihre frühere Bekanntschaft wieder aufzufrischen. Mit Erfolg, denn die nach einer Operation noch geschwächte junge Frau, die nichts von ihrem tatsächlichen Zustand weiß - der mit ihr befreundete Arzt wagt es nicht, sie über ihren baldigen Tod aufzuklären - freut sich über dessen Aufmerksamkeiten und verliebt sich in den attraktiven Mann.

Angesichts dieser Schmonzette überrascht es nicht, dass der Text als Fortsetzungsroman Anfang der 50er Jahre in der "Hör Zu" veröffentlicht wurde, geschrieben von deren langjährigen Chefredakteur Eduard Rhein unter dem Pseudonym Hans-Ulrich Horster. Entsprechend geringschätzig fielen die Kommentare der zeitgenössischen Kritiker ("oberflächlich konstruiert", "konventionell und falsch im Stoff") für einen Filmplott aus, der auch in heutigen Komödien vorstellbar wäre. Erst die Zusammenführung zweier gegensätzlicher kaum vorstellbarer Menschen unter emotional zugespitzten Bedingungen, die folgerichtig zu geschlechtsimmanenten Charakter Veränderungen führen - aus dem hässlichen Entchen wird ein schöner Schwan und aus dem egoistischen Schwerenöter ein verantwortungsvoller Ehemann. Äußerlich beschreitet "Ein Herz spielt falsch" genau diesen Weg, aber es wird deutlich, wie zeitlos, konkret und stimmig Regisseur Rudolf Jugert und seine Drehbuchautorin Erna Fentsch, Ehefrau von Carl Wery und mehrfache Mitstreiterin Jugerts („Ich heiße Niki“, 1952), die Romanvorlage umsetzten.

Dank seines Charmes vermied O.W. Fischer eine gänzlich unsympathische Gestaltung des berechnend vorgehenden männlichen Protagonisten Peter van Booven, aber an Konsequenz ließ er es nicht missen. Die von ihm schwangere Gerda (Gertrud Kückelmann) weist er zurück, bis sie sich das Leben nehmen will. Mit der Erinnerung an seinen verstorbenen Vater versucht er dessen Freund Professor Linz (Carl Wery) zu einer Abtreibung zu überreden und für den Blumenstrauß, mit dem er bei seiner früheren Klassenkameradin Sybilla Zander (Ruth Leuwerik) am Krankenbett Eindruck schinden will, verkauft er ein Andenken an den gefallen Sohn seiner Vermieterin (Lina Carstens). Selbst heute ließe sich kaum ein männlicher Filmstar auf das Risiko ein, eine ähnlich negativ besetzte Hauptfigur zu spielen, die Anfang der 50er Jahre zudem gegen die sehr viel konservativeren moralischen Standards verstieß. So überzeichnet diese Figur angelegt wurde, so authentisch vermittelt sie die häufig gebrochenen Lebensläufe in der Nachkriegszeit. O.W. Fischer spielte van Booven als Getriebenen, der nach dem Krieg die Kontrolle über sein Leben verloren hat und dem jedes Mittel recht ist, um seiner Notlage zu entkommen. Trotz dessen Charakterlosigkeit fiel es damals nicht schwer, sich mit dessen Situation zu identifizieren.

Ruth Leuwerik verkörperte das Gegenteil – eine altmodisch wirkende junge Frau, die von geradezu atemberaubender Verlässlichkeit und innerer Ruhe ist. Schon während ihrer gemeinsamen Schulzeit nannte sie Van Booven eine „Alte Schachtel“, aber diese Bezeichnung erweist sich hier als Prädikat. Denn im Gegensatz zu den üblichen Geschichten vom „Hässlichen Entchen“ ändert sie sich nicht, sondern gewinnt in den Augen des Betrachters gerade dadurch, dass sie sich selbst treu bleibt. Ruth Leuwerik, die zuvor schon zwei Filme an der Seite Dieter Borsches gedreht hatte und mit „Königliche Hoheit“ (1953, Regie Harald Braun) noch im selben Jahr eine weitere Zusammenarbeit folgen ließ, wurde durch „Ein Herz spielt falsch“ endgültig zum großen Filmstar. Zwei weitere gemeinsame Filme mit O.W. Fischer unter der Regie Helmut Käutners („Bildnis einer Unbekannten“ (1954) und „Ludwig II.: Glanz und Elend eines Königs“ (1955)) gaben Ruth Leuwerik erneut die Gelegenheit, einen selbstbewussten und eigenständigen Frauen - Typus zu spielen, der auch viel über ihre enge Zusammenarbeit mit Braun, Käutner und Jugert aussagt, die die frühen Jahre ihrer Karriere prägten und mit denen sie auch später wiederholt zusammen arbeitete.

Harald Braun, der einen Großteil der Käutner-Filme der 50er Jahre produzierte (bis er früh 1960 starb), besetzte sie erstmals in einer Hauptrolle in „Vater braucht eine Frau“ (1951) und Rudolf Jugert, seit Käutners erstem Film „Kitty und die Weltkonferenz“ (1939) als Regie-Assistent an dessen Seite tätig - bis er 1948 in „Film ohne Titel“ selbst erstmals die Regie übernahm – profitierte in „Ein Herz spielt falsch“ ungemein von Leuweriks exaktem und unaufgeregtem Spiel. Ihre Präsenz, die auch in den letzten Minuten des Films, als ihr Tod unmittelbar bevorsteht, jedes Abgleiten in Kitsch verhindert und O.W. Fischers schnelle Wandlung vom Saulus zum Paulus in den Hintergrund drängt, verlieh dem Film die notwendige Seriosität, um hinter dem klischeehaften Treiben den Angriff auf die damaligen Moralvorstellungen zu erkennen. „Ein Herz spielt falsch“ klingt zwar nach schicksalsschwerem Liebesdrama, aber Jugerts ein hohes Tempo vorlegender Unterhaltungsfilm wagte die Grobheit menschlicher Abgründe um eine zentrale Frauenfigur, die sich keinen gängigen Vorurteilen anbiederte.

"Ein Herz spielt falsch" Deutschland 1953, Regie: Rudolf Jugert, Drehbuch: Erna Fentsch, Hans-Ulrich Hörster, Darsteller : Ruth Leuwerik, O.W. Fischer, Carl Wery, Getrud Kückelmann, Lina Carstens, Günther Lüders, Gert Fröbe, Ernst F. Fürbringer, Rudolf VogelLaufzeit : 98 Minuten

weitere im Blog besprochene Filme von Rudolf Jugert: