Dienstag, 24. Dezember 2013

Herrenpartie (1964) Wolfgang Staudte

Inhalt: Gemeinsam mit seinem Sohn Herbert (Götz George) und dem heimatlichen Männer-Gesangsverein, dem er vorsteht, verbringt Friedrich Hackländer (Hans Nielsen) seinen Urlaub in Jugoslawien an der Adria - selbstverständlich jederzeit bereit, in ein gemeinsames Lied zur Erbauung ihrer Umgebung einzustimmen. Auch vor ihrer Abfahrt zu einem neuen Ziel genießen sie noch einmal den Applaus, der für längere Zeit ihr letzter sein wird.

Auf Grund von Straßenbauarbeiten werden sie mit ihrem Kleinbus zu einem Umweg gezwungen, der sie über Serpentinen durch die karge Felslandschaft führt. Als ihnen das Benzin ausgeht, sind sie gezwungen den Wagen abzustellen, aber zu ihrer Freude entdecken sie ein Dorf ganz in der Nähe, von wo sie sich Hilfe erhoffen. Tatsächlich scheint ihr Ankunft sämtliche Bewohner aus den Häusern zu treiben, bei denen es sich ausschließlich um schwarz gekleidete Frauen handelt. Doch willkommen sind sie nicht...


Nach dem frühen Tod des Regisseurs und Produzenten Harald Braun endete 1960 das Projekt der gemeimsam mit Wolfgang Staudte und Helmut Käutner gegründeten Produktionsfirma FFP, die mit  "Der Rest ist Schweigen" (1959) und "Kirmes" (1960) zwei Filme herausgebracht hatte, die sich ohne die zu dieser Zeit notwendigen Relativierungen der jüngeren deutschen Vergangenheit gewidmet hatten. Im Gegensatz zu dem satirischen Film "Rosen für den Staatsanwalt" (1959), den Staudte zuvor erfolgreich in die Kinos gebracht hatte, verzichteten sie in ihrer ernsthaften Auseinandersetzung auf Konzessionen an den Publikumsgeschmack, weshalb sie bei der Kritik und an der Kinokasse durchfielen.

Nach "Kirmes" dauerte es vier Jahre - zwischendurch arbeitete Wolfgang Staudte für das Fernsehen ("Die Rebellion", 1962) oder verfilmte Klassiker wie die "Dreigroschenoper" (1962) - bis er noch einmal die Gelegenheit bekam, einen gesellschaftskritischen Film zu drehen - nach einem Drehbuch von Werner Jörg Lüddecke, mit dem er 1951 erstmals bei "Das Beil von Wandsbek" zusammen gearbeitet hatte. Der Film kam eher zufällig in einer deutsch-jugoslawischen Co-Produktion zustande, denn ursprünglich war Staudte das Manuskript zu dem Kriminal-Thriller "Der Sturm wird schweigen" angeboten worden, das er dankend ablehnte. In der Regel waren es damals Karl-May-Verfilmungen, die unter deutsch-jugoslawischer Hoheit entstanden - die jugoslawische Firma "Avala" war 1964 noch an "Old Shatterhand" und "Der Schut" beteiligt - aber als Lüddecke, statt wie gefordert "Der Sturm wird schweigen" zu überarbeiten, sein Drehbuch zu "Herrenpartie" vorlegte, war nicht nur Staudte, sondern auch die jugoslawische Seite sofort damit einverstanden.

Autor Lüddecke hatte zuvor schon mit "Nachts, wenn der Teufel kam" (1956) und "Das Totenschiff" (1959) bewiesen, das er kritische Themen unterhaltsam zu präsentieren wusste. Nach seiner Novelle entstand 1965 mit "Morituri" (1965) ein Hollywood-Film mit Marlon Brando und Yul Brynner in den Hauptrollen und für Regisseur Jürgen Roland lieferte er später die Drehbücher zu "Die Engel von St. Pauli" (1969), "St. Pauli Report" (1971) und "Zinksärge für die Goldjungen" (1973). Auch "Herrenpartie" ist die Verortung im Unterhaltungsfilm deutlich anzumerken - die achtköpfige Männer-Gesangsgruppe um deren Leiter Friedrich Hackländer (Hans Nielsen), Dirigent Werner Drexel (Rudolf Platte), sowie dem jungen, durchtrainierten Götz George als Hackländers Sohn Herbert absolviert ihre Dialoge im hohen Tempo und kommt schnell zur Sache. Der Beginn des Films, wenn sich Herbert (Götz George) mit offenem Hemd am Strand von Freunden verabschiedet, während die älteren Herren alle in Shorts am Bus noch schnell ein Ständchen zum Besten geben, erinnert nicht zufällig an eine Komödie.

Diesen Charakter behält "Herrenpartie" bis zum Schluss, häufig untermalt von rhythmisch-jazziger Musik oder dem Gesang der Männergruppe. Auch die naiv bis selbstgefälligen Kommentare zu Land und Leute in dem bei den Deutschen sehr beliebten Urlaubsland an der Adria und dem nicht ohne Eigenlob betonten Ansinnen, als höflicher Gast im Ausland auftreten zu wollen, weist Parallelen zu diversen Komödien der 50er und 60er Jahre auf, in denen deutsche Touristen, meist als Nebenfiguren auftretend, karikiert wurden. Als die acht Männer nach einer Autopanne - der Benzintank ist leer und die nächste Tankstelle weit entfernt - in ein abgelegenes Bergdorf verschlagen werden, dass nur von Frauen bewohnt wird, scheinen alle Voraussetzungen an eine konstruierte Komödien-Handlung erfüllt.

Doch das Gegenteil tritt ein, ohne dass es die acht Männer merken. Vollständig auf Urlaub, Sonnenschein und gute Laune eingestellt, verstehen sie die feindselige Haltung der in Schwarz gekleideten Frauen lange Zeit nicht. Selbst als diese weder bereit sind ihnen zu helfen, noch sie in irgendeiner Form willkommen heißen, glauben sie an ein Missverständnis auf Grund der Sprachbarriere und versuchen mit gutem Willen das Eis zu brechen - mit einem gesanglichen, zackig deutschen Willkommensgesang. "Herrenpartie" lässt nicht einfach zwei Welten, sondern zwei unterschiedliche Filmgenres aufeinander prallen. Während der Charakter der Story um die Männergruppe ihren unterhaltenden Gestus, auch als es zu Streitigkeiten zwischen den Protagonisten kommt, nicht verliert - die gefährliche Tragweite des Geschehens wird den Deutschen nie ganz bewusst - schildert Staudte die Lebensverhältnisse der jugoslawischen Frauen als Drama im neorealistischen Stil.

Sie haben die Hinrichtung ihrer Männer und Söhne durch die deutschen Soldaten im 2.Weltkrieg bis heute nicht überwunden und leben in fortdauernder Trauer. Miroslava (Mira Stupica) erkennt im Verhalten der deutschen Touristen das der früheren Besatzer wieder - ein Eindruck, der sich mit jedem weiteren Schritt der Männer, es sich im Ort ohne die Hilfe der Einwohner einzurichten, verstärkt, bis sich die Situation zuspitzt. Vergleichbar zu der anfänglich karikaturhaft wirkenden Gestaltung der Deutschen, scheint auch der seit fast zwanzig Jahren unverändert andauernde Hass der Frauen zuerst überzeichnet, aber zunehmend erweisen sich sämtliche Verhaltensmuster als Abbild der Realität.

Den Männern fehlt jedes Einfühlungsvermögen für die Situation der Frauen, da sie ihre eigene Rolle während der Zeit des Nationalsozialismus verdrängt haben und sich keiner Schuld bewusst sind. Gleichzeitig verfallen sie angesichts der ihnen entgegen gebrachten und als ungerecht empfundenen Feindseligkeit in typische Muster, die den Eindruck der Einwohnerinnen noch verstärken, es mit deutschen Eindringlingen zu tun zu haben. Mit Herbert und der einzig nicht schwarz gekleideten, jung und modern wirkenden Seja (Milena Dravic) verfügen beide Seiten über scheinbar unbelastete Charaktere, die aber nicht als Vorbild idealisiert werden. Herbert freundet sich mit der kleinen Lia, dem einzigen Kind des Dorfes, an, deren Vertrauen den Männern später das Leben retten wird, und übt auch einige Male heftig Kritik, aber er bleibt trotzdem ein homogener Teil der Gruppe und bricht nicht mit ihr, ebenso wie Seja zwar versucht, Miroslava in ihrem Feldzug gegen die deutschen "Spießer" zurückzuhalten, nicht aber ihre solidarische Haltung mit den anderen Frauen verrät und zur versöhnlichen Anführerin wird.

"Herrenpartie" vermeidet in einer nur selten erreichten Konsequenz jede Eindeutigkeit. Nichts in diesem Film lässt sich einseitig bewerten, beginnend bei einem Stil, dessen Interpretation als "pendelnd zwischen politischer Satire und Schicksalstragödie" erst die Hilflosigkeit verdeutlicht, dem Film irgendeinen Rahmen geben zu wollen. Staudte und Lüddecke gelang es, widerstreitende Empfindungen gleichzeitig zuzulassen – Schuld und Unschuld, Hass und Verzeihen lassen sich hier genauso wenig auseinander dividieren wie tragische oder komische Momente. Wenn Friedrich Hackländer zum Schluss „Wir Deutschen sind immer bereit, schnell zu vergessen“ sagt, dann ist diese Aussage sowohl komisch, als auch tragisch in ihrer Ignoranz, und der Anblick der geistig verwirrten Mutter, die der Gesangsgruppe hinterher läuft, um ihnen selbst gebackenes Brot für ihren Sohn anzubieten, dessen Tod durch Erschießen sie nicht verkraftet hat, ist in seiner Absurdität gleichzeitig zum Lachen und zum Weinen.

Diese Komplexität, die nicht beruhigt und weder Lösungen, noch eindeutig Schuldige präsentiert, wurde „Herrenpartie“ zum Verhängnis – bis heute wurde Staudtes Film nicht rehabilitiert, dessen Aufführung in „Cannes“ von der damaligen deutschen Regierung untersagt wurde und ihm heftige persönliche Kritik einbrachte. Unterhaltung oder politisches Kino? – „Herrenpartie“ entschied sich nicht, wählte keinen künstlerisch zurückhaltenden, ausgewogenen Gestus, sondern nahm sich einer ernsten Thematik in Form einer Räuberpistole an, indem er einen deutschen Männer-Gesangsverein in den Bergen Montenegros auf eine Horde wilder Witwen treffen ließ, die zu Waffen und Sprengsätzen greifen – eine explosive Mischung, die in diesem grandiosen und in seiner Unfassbarkeit einmaligen Film nichts von ihrer Wirkung verloren hat.

"Herrenpartie" Deutschland, Jugoslawien 1964, Regie: Wolfgang Staudte, Drehbuch: Werner Jörg Lüddecke, Arsen Diklic, Wolfgang Staudte, Darsteller : Götz George, Hans Nielsen, Rudolf Platte, Herbert Tiede, Mira Stupica, Milena Dravic, Laufzeit : 87 Minuten

weitere im Blog besprochene Filme von Wolfgang Staudte:

Donnerstag, 19. Dezember 2013

Schulmädchen-Report - Was Eltern nicht für möglich halten (1970) Ernst Hofbauer

Inhalt: Während des Besuchs der weiblichen Oberprima in einer großen Fabrikanlage kommt es zu einem skandalösen Vorfall. Als die Lehrerin eine ihrer Schülerinnen vermisst, läuft sie zurück zu dem Bus, mit dem sie gekommen waren, um sie zu suchen. Und findet sie – gemeinsam mit dem Busfahrer beim Sex auf der Rückbank. Selbstverständlich meldet sie das Verhalten der Schülerin dem Direktor, der daraufhin die Lehrerkonferenz einberuft, um ihren Verweis von dem Gymnasium zu beraten.

Zuvor soll auch der Elternrat dazu gehört werden, der sich einstimmig empört zeigt. Einzig der Psychologe Dr. Bernauer (Günter Kieslich) ergreift Partei für die Schülerin. Mit weiteren Beispielen aus seiner Berufspraxis versucht er den Eltern zu vermitteln, wie sich junge Mädchen heutzutage verhalten…


Ein Film wie "Schulmädchen-Report - Was Eltern nicht für möglich halten", der 1970 eine zehn Jahre andauernde Fortsetzungs-Welle lostrat, gilt heute als rückständig, nur noch dazu geeignet, um sich über die ersten, noch sehr verklemmten Gehversuche eines beginnenden neuen sexuellen Zeitalters zu amüsieren. Auch die wenigen, zurückhaltenden Nacktaufnahmen haben jeden Sensationscharakter verloren, ganz abgesehen von den konstruierten, von Laien gespielten Sexgeschichten, die männlich geprägte Fantasien an allzeit promiskuitiv veranlagte junge Frauen bedienten.

Tatsächlich waren die Macher mit diesem Format ihrer Zeit voraus. Der Psychologe Günther Hunold hatte seit den frühen 60er Jahren Sexualforschung betrieben und 1969 ein Buch mit Gesprächsprotokollen herausgebracht, in dem 14 bis 20jährige junge Frauen von ihren sexuellen Erfahrungen berichteten. Produzent Wolf C. Hartwig, der dieses Buch zum Anlass für seinen Film nahm, bewies schon 1957 mit "Liebe, wie die Frau sich wünscht", dass er die Dynamik der sich verändernden moralischen Standards begriffen hatte, und engagierte mit Ernst Hofbauer einen Regisseur, der mit "Schwarzer Markt der Liebe" (1966) und "Heisses Pflaster Köln" (1967) ebenfalls früh das Potential der zunehmenden Liberalisierung auf der Kinoleinwand erkannte. Doch nicht wegen seiner Nacktdarstellungen wurde der erste „Schulmädchen-Report“ zum überragenden Erfolg an der Kino-Kasse – in dieser Hinsicht hatten schon viele Erotik-Filme der späten 60er Jahre mehr vorzuweisen – sondern aus der Kombination mit einer realistischen, die bürgerliche Gesellschaft polarisierenden Thematik: dem sich verändernden Sexualverhalten junger Frauen, das als Anzeichen einer wachsenden Emanzipationsbewegung gewertet wurde.

Um sich dem Film jenseits heutiger Trash-Gelüste nähern zu können, ist es notwendig sich die historische Schnittstelle vor Augen zu führen, zu der der Film 1970 in die Kinos kam. Weder hatten junge Frauen gerade erst eine neue Einstellung zum Sex entwickelt, noch hatte diese auch nur annähernd den Grad einer Normalität erreicht, wie es die Spielszenen im Film weismachen wollten. Der entscheidende Schritt zur sexuellen Revolution war die Erfindung der Anti-Baby-Pille Anfang der 60er Jahre, die ein Jahrzehnt einleitete, dass mit freier Liebe, Kommunen und Drogen-Exzessen vor allem bürgerliche Fantasien befeuern sollte. Damit zusammenhängende Ereignisse, meist im Milieu von Rock-Bands oder Film-Stars angesiedelt, wurden medial ausgeschlachtet – auch in den Jugendzeitschriften Mitte der 60er Jahre wurde das sexuelle Erwachen schon ausführlich thematisiert - wodurch aus heutiger Sicht häufig der falsche Eindruck entsteht, 1970 hätte schon eine liberalere Haltung vorgeherrscht.

Doch die moralischen Standards hatten sich zu diesem Zeitpunkt kaum verändert. Im Gegenteil galten freie Liebe, lange Haare, Studentenproteste oder Rock-Musik als Ausdruck einer anti-bürgerlichen Haltung, der die große Mehrheit der Bevölkerung kritisch gegenüber stand. Zwar traten junge Frauen in den Großstädten selbstbewusster auf, aber das sollte nicht darüber hinwegtäuschen, dass die Grenze zur Rufschädigung nach wie vor sehr schmal war – ein sexuell offensives Vorgehen, wie es die Darstellerinnen im Film an den Tag legten, konnte sich keine Frau leisten, auch die solidarische Haltung mit ihrer vom Verweis bedrohten Mitschülerin war unvorstellbar. Entsprechend unrealistisch sind die meisten der im Film gezeigten Spielszenen, aber sie bedienten die Vorurteile aufs trefflichste – letztlich der Auslöser für den Geschlechter übergreifenden Massenansturm auf die Kinosäle. Schon die Szene zu Beginn, die die Versammlung des Elternrats auslöst, um über den Schulverweis der beim Sex mit dem Busfahrer erwischten Schülerin zu beraten, führte direkt in die feuchtesten Vorstellungen von einer moralisch entarteten weiblichen Jugend.

Abgesehen davon, dass der Busfahrer auch heute noch größte Probleme bekäme (und mit Sicherheit seinen Job verlöre), ist besonders die Zurschaustellung des Geschlechtsakts fernab jeder Realität. Selbst vorausgesetzt, sie hätte es vor lauter Geilheit nicht mehr ausgehalten, hätte sich die Schülerin einen versteckteren Ort suchen können, an dem sie nicht mittendrin gestört wird – die Lehrerin musste sie quasi erwischen. Als Ausnahmefall wäre eine solche Szene noch vorstellbar, aber der „Schulmädchen-Report“ nimmt diese per Psychologen zum Anlass, ein grundsätzliches Plädoyer über das veränderte weibliche Sexualverhalten zu halten. Mit weiteren, ähnlich gearteten Beispielen untermauert Dr. Bernauer vor dem Elternrat seine These, um damit den Schulverweis der Schülerin zu verhindern. Allen diesen Storys ist neben den gewährten Blicken auf nackte weibliche Körper gemein, dass die Sexualität ausschließlich von den Frauen ausgeht. Männer werden zu passiven Profiteuren der auf diese Weise dokumentierten gesellschaftlichen Veränderungen, was die Spielszenen als das outet, was sie tatsächlich sind – Ausdruck männlicher Wunschvorstellungen.

Trotzdem wäre es falsch, den „Schulmädchen-Report“ als reines Vehikel für sensationslüsterne Zuschauer zu betrachten, denn das hätte nicht zu dessen nachhaltigen Erfolg geführt. Hartwig und Hofbauer zeigten ein gutes Gespür für die damaligen Tendenzen, die aus den Aussagen der jungen Frauen heraus zu hören sind, die von Friedrich von Thun hinsichtlich ihrer sexuellen Erfahrungen befragt wurden. Seltsamerweise werden diese in heutigen Betrachtungen oft als „Fake“ angesehen, obwohl sie sich im Gegensatz zu den Spielszenen wesentlich näher am damaligen Zeitgeist befanden. Unabhängig davon, wie viele Frauen Thun interviewen musste, um an diese privaten Informationen zu gelangen, oder ob einzelne davon gestellt waren, vermittelten sie das reale Bild einer neuen weiblichen Generation – weder promiskuitiv, noch auf der Suche nach dem nächsten sexuellen Kick, wie es die Spielszenen vorgaukelten, sondern selbstbewusst agierend.

Damit wagte sich der „Schulmädchen-Report“ 1970 weit mehr hinaus als mit den ausgedachten Sex-Szenen, die aber dank des erfolgreichen Plädoyers des Psychologen letztlich auch ihre, die konservative Moral herausfordernde, Funktion erfüllten. So übertrieben, amateurhaft und unfreiwillig komisch Hofbauers Film im Detail häufig erscheint, so richtig war der Zusatz „Was Eltern nicht für möglich halten“ im Filmtitel. Die Welt, die der „Schulmädchen-Report“ 1970 vor den Betrachtern entfaltete, hatte mit der damaligen Realität nur wenig gemeinsam, aber er besetzte Sexualität positiv und verband sie zumindest ansatzweise mit einem realistischen Umfeld. Hofbauers Film gelang so das Kunststück, große Zuschauerkreise zu erschließen, deren sexuelle Ansichten zwar nicht „revolutioniert“, aber langsam und unmerklich ausgehöhlt wurden.

"Schulmädchen-Report - Was Eltern nicht für möglich halten" Deutschland 1970, Regie: Ernst Hofbauer, Drehbuch: Günther Heller, Günther Hunold (Buchvorlage), Darsteller : Günter Kieslich, Wolf Harnisch, Helga Kruck, Friedrich von Thun, Lisa Fitz, Jutta SpeidelLaufzeit : 85 Minuten

weitere im Blog besprochene Filme von Ernst Hofbauer:

"Holiday in St.Tropez" (1964)
"Tausend Takte Übermut" (1965)
"Schwarzer Markt der Liebe" (1966)

Dienstag, 17. Dezember 2013

Deutschland im Herbst (1978) Rainer Werner Fassbinder, Alexander Kluge, Volker Schlöndorff, Edgar Reitz u.a.

Inhalt: Deutschland im Herbst 1977 - Während dokumentarische Aufnahmen das Staatsbegräbnis für den von der RAF entführten und später ermordeten Arbeitgeberpräsidenten Hanns Martin Schleyer zeigen, erklingt dessen letzter an seinen Sohn gerichteter Brief vom 8.September 1977 aus dem Off. Die Bilder fangen auch die Schaulustigen am Rande, die aufgeregten Journalisten, die schwer bewaffneten Sicherheitsleute und die von einflussreichen Politikern und Geschäftsleuten niedergelegten Kränze ein.

Einblendung einer Texttafel mit der Aufschrift: „An einem bestimmten Punkt der Grausamkeit angekommen, ist es schon gleich, wer sie begangen hat: sie soll nur aufhören.“ 8.April 1945, Frau Wilde., 5 Kinder

Rainer Werner Fassbinder kommt in seine Münchner Wohnung, wo sein Lebensgefährte Meier überrascht reagiert, da er ihn noch nicht erwartet hatte. Fassbinder ist aufgeregt und glaubt, dass die drei inhaftierten Terroristen in Stammheim keinen Selbstmord begangen haben, sondern der Staat seine Hände mit im Spiel hat. Am nächsten Tag kommt es zu einer hitzigen, kontroversen Diskussion, an der sich auch Fassbinders Mutter beteiligt…


„Und als die Hähne krähten, da ward mein Auge wach,
da war es kalt und finster, es schrie’n die Raben vom Dach!“ 



Die Geschehnisse am 18.Oktober 1977 werden aus heutiger Sicht als Höhepunkt und Ende des „Deutschen Herbstes“ betrachtet. Die Befreiung der Geiseln aus einer Lufthansa Maschine in Mogadischu, der Selbstmord der führenden RAF-Terroristen Andreas Baader, Gudrun Ensslin und Jan-Carl Raspe im Gefängnis von Stuttgart-Stammheim und die am nächsten Tag folgende Ermordung von Hanns Martin Schleyer nach wochenlanger Entführung leiteten einen Wendepunkt ein, den im Herbst 1977 noch Niemand voraussehen konnte - erst seit wenigen Jahren lässt sich der damals eingeleitete Prozess nachvollziehen. Dagegen bedeutete für die Regisseure um Rainer Werner Fassbinder, Volker Schlöndorff und Alexander Kluge die gemeinsam mit Darstellern wie Mario Adorf, Heinz Bennent, Hannelore Hoger oder Sänger Wolf Biermann unter der Mitwirkung von Heinrich Böll am Drehbuch entworfene Film-Collage „Deutschland im Herbst“ ein unmittelbarer Ausdruck ihrer Emotionen angesichts der extrem aufwühlenden Ereignisse, welche heute als einmaliges, unausgewogen subjektives Stimmungsportrait dieser Zeit gelten kann.

Das daraus entstandene Konglomerat lässt sich nicht in Einzelteile dividieren. Zwar erkennt man die unterschiedlichen kreativen Stilmittel der Künstler - Alexander Kluges Neigung zur Dokumentation, Fassbenders melodramatisches Selbstporträt oder Schlöndorffs ironisches Fernsehspiel - aber die Szenen wurden so eng miteinander verflochten, dass daraus ein Puzzle - artiges Bild entstand, das dem Betrachter die Möglichkeit belässt, sich sein eigenes Urteil zu bilden. Angesichts aktueller Filme oder Dokumentationen zu dem Thema, die mit einer Vielzahl von Fakten eine scheinbare Objektivität erreichen wollen, wird bei Betrachtung von „Deutschland im Herbst“ erst deutlich, welcher Mut darin bestand, sich seinen Gefühle hinzugeben und damit auch angreifbar zu werden.

Entsprechend ließen die kritischen Reaktionen auf „Deutschland im Herbst“ auch nicht lange auf sich warten, denn der Film, der mit dokumentarischen Aufnahmen des Staatsaktes zur Beerdigung Hanns-Martin Schleyers beginnt und mit der schmucklosen Beerdingung von Ensslin, Baader und Raspe auf einem kleinen Friedhof am Rande Stuttgarts endet, entsprach nicht der damals (und im Prinzip auch noch heute) vorherrschenden Meinung. Er beinhaltete keine klare Verurteilung der Terroristen, sondern drückte persönliche Irritationen und Zweifel an rechtsstaatlichen Methoden aus, verbunden mit der Kritik an der fehlenden Aufarbeitung der Zeit des Nationalsozialismus – eine Mitte der 70er Jahre noch sehr aktuelle Diskussion. Den Filmemachern ihre politisch links gerichtete Haltung vorzuwerfen, genügte schon, um einen Film zu diffamieren, der den Versuch unternahm, die eigenen Gedanken zu ordnen, damit aber keine festgelegten Theorien formulierte, sondern vor allem die innere Unsicherheit ausdrückte.

Niemand der am Film Beteiligten rechtfertigte die Morde und Gewalttaten, nur legitimierte sich aus ihrer Sicht damit nicht automatisch das Handeln des Staates. Intensiv drückte Rainer-Werner Fassbinder das in seinem sehr persönlichen Beitrag aus, der schon wegen des Zusammenspiels mit seinem damaligen Lebensgefährten Armin Meier, der sich nur kurz nach der Entstehung des Films und der Trennung von ihm das Leben nahm, tief berührt. Er formulierte seine Zweifel am Selbstmord der drei „RAF“- Mitglieder innerhalb einer Diskussion mit Meier, der eine radikal andere Meinung vertritt (die dazu führt, dass sie sich prügeln und er ihn kurzfristig aus der Wohnung schmeißt), und mit seiner pragmatischen Mutter Liselotte Eder, die empfiehlt, lieber die Klappe zu halten, weil sonst schnell der Einruck des Sympathisanten entstände. Innerhalb dieses Trios nahm Fassbinder die Rolle des Skeptikers ein, der sich einfach nicht vorstellen konnte, wie Jemand wie Baader in den Besitz einer Waffe gelangt sein soll, obwohl er sich im sichersten Gefängnis Deutschlands befand, in dem jeden Tag dreimal die Zelle untersucht wurde. Damit drückte er die damaligen Zweifel aus, ohne konkrete Schuldzuweisungen zu nennen.

Doch allein eine solche Annahme galt schon als ungeheuerlich, weil sie dem Staat die Möglichkeit eines unkorrekten Verhaltens unterstellte – eine kritische Haltung, die keine Mehrheit fand. Schon die 68er Studentenrevolte scheiterte letztendlich an der fehlenden Unterstützung in der Bevölkerung und auch die „RAF“ verlor nach 1977 zunehmend an Unterstützung. Obwohl es danach noch einige schwerwiegende Attentate gab, konnten diese nicht mehr die allgemeine Hysterie erzeugen, wie sie im „deutschen Herbst“ und damit zur Entstehungszeit des Films vorherrschte – der Zenit an staatlicher Verunsicherung war überschritten, auch weil neue Gesetze eingeführt wurden, die die Bürgerrechte einschränkten und damit die Strafverfolgung erleichterten.

Bei aufmerksamer Betrachtung des Films lassen sich schon Zeichen für diese kommenden Veränderungen erkennen, wie etwa in den Worten des damals noch inhaftierten Horst Mahler, der später in die NPD eintrat. Mehr aber daran, dass es sich im Film um eine Momentaufnahme handelte, die zwingend zu einem anderen Zustand führen musste. Diese Unsicherheit im Ausdruck des damaligen Lebensgefühls macht den Film aus heutiger Sicht so wertvoll, da sie dem Betrachter unabhängig von seiner politischen Haltung die Möglichkeit belässt, seine eigene Schlüsse aus der weiteren Entwicklung der Bundesrepublik ab dem „Deutschen Herbst“ zu ziehen. Optimistisch war die Haltung der Macher um Kluge und Fassbinder nicht - im Zentrum des Films spielen sie Franz Schuberts „Frühlingstraum“ aus dem Lieder-Zyklus „Winterreise“, aber sie lassen die letzten Zeilen weg, in denen der Träumer versucht, wieder in den Traum zurückzukehren, aus dem er zuvor brutal geweckt wurde :

„Doch an den Fensterscheiben, wer malte die Blätter da ? -
Ihr lacht wohl über den Träumer, der Blumen im Winter sah?“

"Deutschland im Herbst" Deutschland 1978, Regie und Drehbuch: Rainer Werner Fassbinder, Alexander Kluge, Volker Schlöndorff, Edgar Reitz, Peter Schubert, Bernhard Senkel, Hans-Peter Cloos, Katja Rupé, Drehbuch: Heinrich Böll, Darsteller : Rainer Werner Fassbinder, Heinz Bennent, Mario Adorf, Hannelore Hoger, Vadim GlownaLaufzeit : 119 Minuten

weitere im Blog besprochene Filme von Rainer Werner Fassbinder:

Donnerstag, 12. Dezember 2013

Die Wahrheit über Rosemarie (1959) Rudolf Jugert

Inhalt: Nachdem Heinz Pohlmann (Jan Hendricks), der als Hauptverdächtiger galt, aus Mangel an Beweisen entlassen werden musste, verfügt der ermittelnde Kommissar (Hans Elwenspoek) über keine neue Spur im Mord an der Edel-Prostituierten Rosemarie Nitribitt (Belinda Lee). Als der Jugend- und Kriminalpsychologe Andreas Guttberg (Wolfgang Büttner) ihn besucht und mit den Worten beginnt, dass zwei Menschen die junge Frau umgebracht hätten, horcht er auf  - von zwei Mördern war er bisher nicht ausgegangen. Doch Guttberg versteht seinen Hinweis in psychologischer Hinsicht, denn neben dem ausführenden Täter wäre Rosemarie Nitribitt selbst schuld an ihrem Tod, wahrscheinlich schon mit ihrer ersten Entscheidung nach der Entlassung aus der Erziehungsanstalt, die ihr angebotene Arbeitsstelle nicht anzutreten, sondern stattdessen auf den Strich zu gehen.

Um seinen Worten Nachdruck zu verleihen, beginnt Guttberg die Geschichte der Nitribitt detailliert nachzuerzählen. In Frankfurt/Main angekommen leiht sie sich von einer älteren Prostituierten 80 Mark, um sich ein paar passende Klamotten zu kaufen. Obwohl sie mit diesem Startgeld schnell Gewinn macht, zahlt sie es nicht zurück, als sie erfährt, dass ihre Kollegin ins Krankenhaus eingeliefert wurde, wo diese kurz darauf stirbt. Um an potente Kunden heranzukommen, begibt sie sich zur Anbahnung in Bars, was strafrechtlich verboten ist. Als sie beinahe von einer Polizeikontrolle erwischt wird, kommt ihr der ältere russische Geschäftsmann Alexander Woltikoff zu Hilfe (Walter Rilla), der sie als seine Begleiterin ausgibt. Er gesteht ihr, dass er sich in sie verliebt hat und sie für sich allein haben möchte…



Daran, um welche Wahrheit es sich in "Die Wahrheit über Rosemarie" handelt, lässt der Jugend- und Kriminalpsychologe Andreas Guttberg (Wolfgang Büttner) gegenüber dem ermittelnden Kommissar (Hans Elwenspoek) von Beginn an keinen Zweifel: zwei Personen haben seiner Meinung nach Rosemarie Nitribitt (Belinda Lee) getötet - ihr von der Polizei gesuchter (und bis heute nicht entdeckter) Mörder und sie selbst. Drehbuchautor J.J.Bartsch, der auch das Drehbuch zu Jugerts Vorgängerfilm "Die feuerrote Baronesse" (1959) schrieb und im Heimatfilm ("Die Prinzessin von St. Wolfgang", 1957) und Kriegsfilm-Genre ("Die grünen Teufel von Monte Cassino", 1958) zuvor an der Seite von Regisseur Harald Reinl tätig war, versuchte gar nicht erst, erhellende Fakten hinsichtlich des Kriminalfalls zu finden, sondern konzentrierte sich allein auf die Figur der jungen Frau aus schwierigen sozialen Verhältnissen, die - anstatt die Chancen zu nutzen, die ihr staatlicherseits geboten wurden - auf den Strich ging und damit letztlich die Hauptschuld an ihrem frühen Tod trug.

"Die Wahrheit über Rosemarie" ist in seiner moralischen Selbstgerechtigkeit, unterstützt von einfachsten psychologischen Weisheiten, die nur eindeutige kausale Zusammenhänge kennen, nahezu unerträglich und weist darin Parallelen zu Veit Harlans "Anders als du und ich (§175)" (1957) auf - nur dass es sich hier statt um Homosexualität um Prostitution handelt. Beide Filme verfolgten eine ähnliche Intention – ein gewisses Mitleid für die vom Virus der Unmoral Befallenen heuchelnd, sollte der semi-dokumentarische Stil zuerst die Gefahren des Verfalls demonstrieren, um daraufhin erzieherische, eine negative Vorbildwirkung verhindernde Maßnahmen zu propagieren. Zynisch ließe sich feststellen, der Tod der Frankfurter Edel-Prostituierten wäre den Machern entgegen gekommen, so folgerichtig wird er hier als Konsequenz ihres Lebensstils dargestellt.

Unterschiedlicher zu Rolf Thieles schon ein Jahr zuvor in die Kinos gekommener „Das Mädchen Rosemarie“ (1958) hätten Intention und Storyanlage kaum sein können. Während Thieles Film die Ereignisse um Rosemarie für einen satirischen Rundumschlag auf die verlogene Scheinmoral in der Wirtschaftswunder - BRD nutzte, in der die von Nadja Tiller gespielte Rosemarie trotz ihrer Berufswahl die sympathischste Figur abgab, spielte Belinda Lee ein Mädchen aus der Gosse, das dank ihrer Schönheit zwar auch Männer aus besseren Kreisen zu betören wusste, nie aber ihre primitive Herkunft überwinden konnte. Anstatt wohl situierte und verheiratete Freier in den Mittelpunkt zu stellen, die bei ihren Geschäftsterminen in der Großstadt Frankfurt Ablenkung von ihrem bürgerlichen Leben suchten, zauberte „Die Wahrheit über Rosemarie“ einen reichen älteren Herren russischer Herkunft (Walter Rilla) hervor, der es angeblich sehr ernst mit Rosemarie Nitribitt meint. Er verzeiht ihr Vorleben, finanziert Wohnung und Auto, verlangt aber, dass sie ihm treu ist, wenn er sich auf Geschäftsreise befindet.

Die gesamte Konstellation hat nur die Funktion, zu untermauern, dass Rosemarie ihre Chancen, ein bürgerliches Leben zu führen, nicht nutzte. Wieso ausgerechnet die junge, ihn kaum beachtende Prostituierte Gefühle, die „sich nicht kaufen lassen“, bei ihm erzeugt haben soll, bleibt das Geheimnis des älteren Herrn. Entsprechend wenig nimmt sie ihn und seine Bedingungen ernst und gerät in die Bredouille, als er sie zu sich nach Cannes einlädt und nach ihrem Verhalten während seiner Abwesenheit fragt. Nur weil sie lügt beendet er ihre Beziehung, hätte sie ihm gestanden, weiter als Prostituierte gearbeitet zu haben, hätte er ihr angeblich großzügig verziehen – eindeutiger konnte der Film die Schuld nicht zuweisen. Um zu begründen, wieso sie sich trotz dieser Zurückweisung einen luxuriösen Stil in Frankfurt samt Mercedes-Cabrio leisten konnte, ließ der Film den honorigen Russen noch in derselben Nacht an einem Herzinfarkt sterben, was die Nitribitt sofort dazu nutzt, Anspruch auf sein Erbe zu erheben, obwohl es dafür kaum eine Rechtsgrundlage gegeben haben dürfte.

Ausgehend von ihrer Vergangenheit bis zu ihrer Entlassung aus der Erziehungsanstalt – die einzigen echten Fakten, an denen sich „Die Wahrheit über Rosemarie“ orientierte – erscheint die Charakterisierung der Nitribitt als etwas einfältiges, ungebildetes Mädchen realistischer als die schnell zur eleganten Dame reifende Prostituierte in Thieles Film. Doch das egoistische und zickige Auftreten, mit dem Belinda Lee in ihrer Rolle auch die wenigen ihr wohl gesonnenen Menschen vergrault, wirkt unglaubwürdig - selbst Karl Lieffen als sich um sie bemühender Zuhälter ist dagegen ein echter Sympathieträger - denn die real unscheinbarere Rosemarie Nitribitt wäre so kaum erfolgreich gewesen. Offensichtlich wollte der Film keinen Moment den Eindruck entstehen lassen, dass es irgendeinen, auch nur minutiösen Grund gäbe, um als Prostituierte zu arbeiten. Den einzig liebenden Mann ignorierte Rosemarie, während alle anderen Freier den Eindruck hinterlassen, jederzeit auf sie verzichten zu können oder sie sogar betrügen (Karl Schönböck). Selbst der Luxus, mit dem sie sich umgibt, verliert seine Wirkung, angesichts einer ständig unzufriedenen jungen Frau, die nichts zu schätzen weiß.

So einseitig wertend ihr Niedergang generell geschildert wurde, stehen besonders zwei Szenen signifikant für die moralische Haltung des Films. Paul Dahlke, der schon in Harlans „Anders als du und ich (§175)“ den Kampf gegen die Homosexualität antrat, spielt hier den braven, unscheinbaren Ehemann Reimer, der unter der Kontrolle einer wenig liebenswürdigen Ehefrau steht. Heimlich zweigt er sich Geld ab, bis er genügend zu besitzen glaubt, um zu Rosemarie Nitribitt gehen zu können. Erstmals scheint der Film die bürgerliche Scheinmoral aufzugreifen, aber Reimer will keinen Sex, sondern für Informationen über seine verschwundene Schwägerin zahlen, von der er glaubt, dass sie in den Prostitutionssumpf gezogen wurde. Verzweifelt prügelt er auf die junge Frau ein – eine Reaktion, die der Film keineswegs kritisch betrachtete, trotz der Scham, die Reimer danach empfindet. Ebenso eindeutig sind die Ausführungen des Polizeipsychologen, der am Beispiel seines Sohnes Fred (Claus Wilcke) demonstriert, dass es nur der richtigen Erziehung bedarf, um gegenüber den Versuchungen der Prostitution resistent zu sein. Rosemarie Nitribitt verliebt sich in den gut aussehenden jungen Mann und wendet alle weiblichen Tricks an, um ihn zu verführen – bis sie sich sogar vor ihm entblößt. Doch dank seiner "geistig gesunden" Haltung empfindet er nur Ekel.

„Die Wahrheit über Rosemarie“ ließe sich ähnlich wie Harlans Abhandlung über die Homosexualität nur im historischen Kontext als moralisches Abbild der späten 50er Jahre betrachten, bediente der Film nicht gleichzeitig die Sensationsgier der Zuschauer. Produzent Wolf C.Hartwig hatte schon mit seinem ersten Film „Adolf Hitler – ein Volk, ein Reich, ein Führer: Dokumente der Zeitgeschichte“ (1953) den Weg eines semi-dokumentarischen Stils betreten, mit dem er ein umstrittenes, aber beim Publikum attraktives Thema auf die Leinwand bringen konnte. Mit seinem nachfolgenden Film „Liebe, wie die Frau sich wünscht“ (1957) begann seine Beschäftigung mit dem Sex, die auf direktem Weg zum „Schulmädchen-Report“ (1970) führen sollte. Unter der Regie von Rudolf Jugert, der im Jahr darauf erneut mit Belinda Lee „Der Satan lockt mit Liebe“ (1960) unter der Produktion Hartwigs folgen ließ, widmete sich „Die Wahrheit über Rosemarie“ nur vordergründig einem realen Thema, dass Hartwig vor allem dazu nutzte, tiefe Einblicke in das Prostitutions-Gewerbe zu wagen.

Entsprechend nehmen die Szenen einer meist leicht geschürzten Belinda Lee bei der Ausführung ihrer Arbeit einen wesentlich größeren Teil ein als in Thieles Nitribitt - Film. Damit wies „Die Wahrheit über Rosemarie“ schon auf das spätere „Schulmädchenreport“ – Rezept hin. Begleitet von dem scheinbar seriösen Kommentar eines Psychologen wurde um Verständnis geworben, gleichzeitig aber moralischer Anstand gepredigt, um den Freiraum für die Darstellung gesellschaftlich tabuisierter Themen zu erhalten. Das relativiert die Handlung aus heutiger Sicht ein wenig, ändert aber nichts daran, dass der Film im Vergleich zu Thieles - auch das spätere Bild der Rosemarie Nitribitt prägende - Gesellschafts-Satire zurecht in Vergessenheit geriet.

"Die Wahrheit über Rosemarie" Deutschland 1959, Regie: Rudolf Jugert, Drehbuch: J.Joachim Bartsch, Darsteller : Belinda Lee, Wolfgang Büttner, Claus Wilcke, Walter Rilla, Karl Lieffen, Paul Dahlke, Hans Nielsen, Karl Schönböck, Lina CarstensLaufzeit : 95 Minuten

weitere im Blog besprochene Filme von Rudolf Jugert:

Mittwoch, 4. Dezember 2013

Schloss Gripsholm (1963) Kurt Hoffmann

Inhalt: Kurt (Walter Giller) wird von seinem Verleger gefragt, ob er nicht noch einmal eine schöne Liebesgeschichte schreiben könnte. Er reagiert skeptisch, aber als der Verleger nachhakt, ob er allein in den Urlaub nach Schweden fahren will und Kurt verneint, ist die Sache für ihn beschlossen.

Lydia (Jana Brejchová), die er nur "Prinzessin" nennt - und die ihn im Gegenzug mit Peter und anderen Namen anspricht - böte tatsächlich mehr als genug Stoff für eine Liebesgeschichte, denn seit er sie vom gegenüberliegenden Bürohochhaus entdeckt hatte, war aus ihnen trotz seiner ungeschickten Balzversuche ein Paar geworden. Weshalb sie ohne das fehlendende Einverständnis von Frau Kremser (Agnes Windeck), bei der Lydia zur Untermiete wohnte und die ein Auge auf ungebetene Herrenbesuche hatte, beschlossen, gemeinsam in Urlaub zu fahren...


Nach der "Spessart" - Fortsetzung "Das Spukschloss im Spessart" (1960), erlebte Regisseur Kurt Hoffmann Anfang der 60er Jahre eine weniger erfolgreiche Phase mit dem Musical "Schneewittchen und die sieben Gaukler" (1962) sowie der Adaption eines Erich-Kästner Theaterstücks "Liebe will gelernt sein" (1963), die sein letztes Jahrzehnt als Filmschaffender einläutete, in dem er sich größtenteils Literaturverfilmungen widmete. Neben zwei Neuinterpretationen der Curt-Goetz-Theaterstücke "Dr.med. Hiob Praetorius" (1965) und "Hokuspokus" (1966) mit Heinz Rühmann in der Hauptrolle, galt sein Augenmerk dem Roman des israelisch-österreichischen Schriftstellers Moscheh Ya’akov Ben-Gavriêl "Das Haus in der Karpfengasse" über die Judenverfolgung in Prag, nachdem die Tschechei 1939 von Deutschland annektiert worden war, und den zwei während der Zeit des Nationalsozialismus verbotenen Kurt Tucholsky Novellen "Rheinsberg" und "Schloss Gripsholm".

Hoffmann hatte mit "Wir Wunderkinder" (1958) und den satirischen Spessart-Filmen schon bewiesen, dass er Unterhaltung und dezente Gesellschaftskritik geschickt kombinieren konnte, aber mit diesen drei Romanvorlagen begab er sich auf dünnes Eis, wie auch in der zeitgenössischen Kritik nachzulesen ist. Wurde dem zuerst als Dreiteiler im Fernsehen gezeigten "Das Haus in der Karpfengasse" (1965) trotz filmtechnischer Beanstandungen die historische und politische Relevanz zugestanden, galt seine erste Tucholski-Umsetzung "Schloss Gripsholm. Eine Sommergeschichte" als  "anspruchslose Kinounterhaltung" (Film-dienst) oder "zu einem betulichaufgekratzten Kinostück abgemildert" (Der Spiegel). Auch dem 1967 folgenden "Rheinsberg" wurde mit "ebenso gutherzig wie bieder" (Lexikon des internationalen Films) und "anspruchslose Unterhaltung ab 14" (Evangelischer Filmbeobachter) das gesellschaftskritische Potential der Tucholsky-Vorlage abgesprochen.

Zu beiden Filmen schrieb Herbert Reinecker das Drehbuch, doch während er die 1912 erschienene Novelle "Rheinsberg" zu ihrer Entstehungszeit spielen ließ, versetzte er den schon unter dem Eindruck des wachsenden Einflusses der Nationalsozialisten in Deutschland entstandenen "Schloss Gripsholm" von 1931 in die bundesrepublikanische Gegenwart von 1963 - ein Risiko, das Hoffmann bei seinen späteren Literaturverfilmungen nicht mehr einging, welches die Rezeption des Films aus heutiger Sicht aber besonders interessant werden lässt. Der Wegfall der kompletten Sequenz um das kleine Mädchen, das unter einer sadistischen, deutschen Internatsleiterin leidet - eine konkrete Anspielung auf die Faschisten - wurde von Hoffmann und Reinecker nicht nur mit dem zeitlichen Sprung in die 60er Jahre begründet, sondern insgesamt als unpassend empfunden. Eine solche Konstellation wäre im damaligen, wie im gegenwärtigen Schweden unrealistisch gewesen, weshalb sie von dem anfänglichen Versuch, diese Parallelstory zu integrieren, wieder abließen.

Möglicherweise übertrieb Tucholsky im Eindruck der damaligen Ereignisse bewusst die dramatischen Umstände um das Mädchen, aber durch den Verzicht darauf nahm die Verfilmung der Vorlage den kontrastierenden Schatten und betonte nur die frech-fröhliche Liebesgeschichte zwischen Kurt (Walter Giller) und Lydia (Jana Brejchová). Diese wiederum wurde von Tucholsky so modern angelegt, dass sie keine zeitliche Anpassung benötigte. Im Gegenteil war es Anfang der 60er Jahre nach wie vor ungewöhnlich, als unverheiratetes Paar gemeinsam in Urlaub zu fahren – auch die Rolle von Agnes Windeck als Tugendwächterin Frau Kessler, bei der Lydia zur Untermiete wohnt, war noch zeitgemäß. Kurts Reaktion auf den Wunsch seines Verlegers, noch einmal eine Liebesgeschichte zu verfassen, „Liebe? – Wer glaubt heute noch an die Liebe?“ konnte Reinecker wörtlich aus der Novelle übernehmen, denn die von Walter Giller in einem modernen Büro-Hochhaus mit Blick über die Stadt Hamburg gesprochenen Worte, haben bis heute nichts von ihrer Aktualität verloren. Das gilt auch für eine Vielzahl weiterer Dialoge, die Tucholsky direkt zitierten und dem Film eine intelligente - auch sentimentale Situationen souverän umschiffende - Leichtigkeit verliehen.

Während Walter Giller sehr gut Ernsthaftigkeit und Verliebtheit zusammen brachte, wirkt Jana Brejchovás Spiel angepasst an den damaligen 60er Jahre Frauengeschmack. Die junge tschechische Darstellerin war schon seit Mitte der 50er Jahre bekannt für ihr natürliches Spiel, aber ihre Verkörperung einer lebenslustigen und trotz ihrer offensiven Herangehensweise, unschuldig wirkenden jungen Frau orientierte sich mehr an Liselotte Pulvers Piroschka in Kurt Hoffmann 1955 gedrehten Film „Ich denke oft an Piroschka“ als an eine Großstädterin in der BRD der 60er Jahre. Der Spiegel vermisste das „Missingsch“ an der Figur der Lydia - ein Dialekt, der entsteht, wenn ein plattdeutsch sprechender Mensch versucht Hochdeutsch zu reden - aber diese Eigenart ließ sich kaum authentisch transportieren. Entscheidender sind die Szenen, in denen Lydia ständig mit ihrer hohen Stimme vor irgendwelchen Herren herum scharwenzelt, die selbstverständlich komplett begeistert sind von der kessen, hübschen jungen Frau – eine Kreation, die nicht von Tucholsky stammte, der die Figur der Lydia mit dunkler Stimme sprechen ließ und sie emanzipierter gestaltete.

Vielleicht war es zur Entstehungszeit des Films notwendig, den Charakter einer unverheirateten jungen Frau, die offensichtlich Sex mit einem Mann hat, für ein großes Kinopublikum auf diese Weise abzuschwächen, aber glücklicherweise beschränkte sich der Film damit auf seine erste Hälfte. In dem Moment, in dem Kurt und Lydia ihr Zimmer auf „Schloss Gripsholm“ beziehen, verlieh Jana Brejchová ihrer Rolle deutlich ernsthaftere Züge, wirkte nachdenklicher und weniger sprunghaft. Zudem bereicherten Hanns Lothar als Kurts bester Freund Karlchen sowie Nadja Tiller als ihre Freundin Billie die Szenerie, was „Schloss Gripsholm“ erheblich aufwertete. Wie konkret das damalige Publikum die „Menage a trois“ zwischen den beiden Freundinnen und Kurt empfunden haben wird, ist heute schwer zu sagen – Kurt Hoffmann nahm sie ernst, ohne ihr zuviel Bedeutung beizumessen. Für den Gesamteindruck des Films spielte diese von Tucholsky gewagte Konstellation keine wesentliche Rolle, sondern bestätigte nur dessen grundsätzlich liberalen Charakter.

Die Kritik an Hoffmanns Version von Tucholskys „Schloss Gripsholm“ ist hinsichtlich des Abschliffs einiger Ecken und Kanten gerechtfertigt, ändert aber nichts daran, dass die im Film entwickelten Geschlechterrollen und Lebensentwürfe heute noch modern wirken. Das Thema „Heiraten“ zieht sich zwar wie ein roter Faden durch die Handlung, wird aber eher spielerisch bedient und letztlich offen gelassen – angesichts aktueller Liebes-Komödien eine geradezu provokative Lässigkeit. Hoffmann agierte weniger konkret als Tucholsky, aber er gab unmissverständliche Zeichen seiner Haltung. Einmal legt Walter Giller in seiner Rolle ein Buch zur Seite, das er zuvor gelesen hatte. Einen Moment ist das Cover zu sehen und lässt den Titel „Die Kapitulation oder Der real existierende Katholizismus“ erkennen. Geschrieben wurde die ebenfalls 1963 erschienene, kontrovers diskutierte „Streitschrift“ von Carl Amery, einem „linken Nonkonformisten“ (Der Spiegel), der darin als praktizierender Katholik die Katholische Kirche in Deutschland und ihre Rolle während des Nationalsozialismus heftig kritisierte.

 „Schloss Gripsholm“ als „anspruchslose Kinounterhaltung“ abzuqualifizieren, konnte nur aus dem unmittelbaren Vergleich mit Tucholskys Novelle entstehen, lässt sich aber nicht mehr aufrecht erhalten – im Vergleich zu heutigen Liebesfilmen wirkt Hoffmanns Film intelligent, frisch und gewagt.

"Schloss Gripsholm" Deutschland 1963, Regie: Kurt Hoffmann, Drehbuch: Herbert Reinecker, Kurt Tucholsky (Novelle), Darsteller : Walter Giller, Jana Brejchová, Nadja Tiller, Hanns Lothar, Agnes Windeck, Laufzeit : 104 Minuten

weitere im Blog besprochene Filme von Kurt Hoffmann:
"Drei Männer im Schnee" (1955)
"Heute heiratet mein Mann" (1956)
"Das Wirtshaus im Spessart" (1958)
"Wir Wunderkinder" (1958)
"Das Spukschloss im Spessart" (1960)
"Herrliche Zeiten im Spessart" (1967)

Sonntag, 1. Dezember 2013

Bis dass das Geld euch scheidet (1960) Alfred Vohrer

Inhalt: Der zu Reichtum gekommene Unternehmer Jupp Grapsch (Gert Fröbe) lässt sich und seine Frau Lisbeth (Luise Ullrich) zwar unmittelbar mit seiner Mercedes Limousine vorfahren - was die Herren Politiker können, kann er auch - aber Lust hat er auf die Salzburger Festspiele nicht. Schon in der Pause beschließt er, das Festspielhaus wieder zu verlassen, und nimmt seine Frau mit in ein Restaurant. Dort sieht er zufällig eine junge Frau (Christiane Nielsen), geht zu ihr und begrüßt sie freundlich. Seine Frau beschwert sich, aber Grapsch bemüht sich gar nicht erst, die Wogen zu glätten, denn von seiner Ehefrau, die trotz ihres teuren Kleides nur einen biederen Eindruck hinterlässt, hat er nach 20 Ehejahren die Nase voll.

Von ihrer Tochter Heidi (Corny Collins) erfährt Lisbeth die sonst allgemein bekannte Tatsache, dass ihr Mann mit der jungen Frau ein Verhältnis hat und ihr eine schicke Wohnung mit entsprechender Ausstattung finanziert. Sie reagiert traurig, hofft aber, dass ihr Mann, mit dem sie nach dem Krieg die gemeinsame Firma aufgebaut hatte, wieder zur Vernunft kommt. Doch im Gegenteil - er will die Scheidung, in die sie aber nicht einstimmt. Es kommt zu einer Verhandlung vor dem Familiengericht, auf die sich Jupp Grapsch mit speziellen Methoden vorbereitet...


Man kann nicht genug betonen, mit welcher Konsequenz sich die Firma PIDAX des deutschen Films annimmt. Bis im Juni 2013 Alfred Vohrers Films "Verbrechen nach Schulschluß" (1959) von der PIDAX auf DVD heraus gebracht wurde, waren seine Arbeiten vor seinen Edgar-Wallace-Verfilmungen in Vergessenheit geraten. Mit "Bis dass das Geld euch scheidet" erschien am 06.12.2013 ein weiterer Film seiner Frühphase, der nicht nur auf seine späteren Filme hinweist, sondern signifikant für die populären "Gesellschaftsdramen" in der Folge von "Die Halbstarken" (1956) steht, die neben ihrem Unterhaltungswert sehr viel über diese Phase in der damaligen BRD verraten. (Die grünen Links führen zur Amazon-Bestellseite).










"Bis dass das Geld euch scheidet" war Alfred Vohrers letzter Film, bevor er unter der Produktion von Horst Wendlandt erstmals die Regie bei einem Edgar-Wallace-Film übernahm. "Die toten Augen von London" (1961) wurde der Beginn einer langen und erfolgreichen Zusammenarbeit, die bis heute den Ruf des Regisseurs als dem neben Harald Reinl ("Der Frosch mit der Maske", 1959) einflussreichsten Kreativen der Kriminalreihe bestimmt. Der thematische Bruch zwischen einem Gegenwarts-Drama und der Verfilmung eines englischen Kriminalromans der 20er Jahre hätte auch kaum größer sein können, weshalb Vohrers Frühphase als Regisseur in Vergessenheit geriet. Zu unrecht, denn Vohrer orientierte sich zwar an Reinls Wallace-Umsetzungen, entwickelte daraus aber einen eigenen Stil, der auch in "Bis dass das Geld euch scheidet" schon erkennbar ist. Ein Film, bei dem es nie ganz deutlich wird, ob es sich um ein Lustspiel, eine Satire oder ein ernsthaftes Drama handelt - und der jederzeit den Eindruck vermittelt, er könnte in einen Kriminalfall umkippen. Allein die Sequenz, in der Fröbes Gesicht im Schatten verschwindet, bevor Luise Ullrichs Antlitz wieder aus dem Schatten auftaucht könnte unmittelbar aus einem Wallace-Krimi stammen.

Inhaltlich befand sich Alfred Vohrer noch auf der Linie seiner erfolgreichen Jugend-Problemfilme "Schmutziger Engel" (1958) und "Verbrechen nach Schulschluß" (1959), die in Folge von "Die Halbstarken" (1956) eine Hochphase im deutschen Kino erlebten. Neben schon populären Genre-Darstellern wie Heidi Brühl, Sabine Sinjen und Christian Wolff, galt seine Vorliebe besonders Corny Collins, die er in "Bis dass das Geld euch scheidet" schon zum dritten Mal besetzte. Oberflächlich scheint das Thema Ehescheidung nichts mit den Problemen Heranwachsender zu tun zu haben, aber der Film wechselte nur die Perspektive. Galt der Fokus zuvor Jugendlichen, die dank eines unbescheidenen oder unmoralischen Lebenswandels in Gefahr gerieten, ihren Ruf zu verlieren, im Gefängnis zu landen oder gar zu Tode zu kommen, steht in "Bis dass das Geld euch scheidet" ein Ehepaar mittleren Alters im Mittelpunkt, dass während des allgemeinen Wirtschaftsaufschwungs zu Reichtum gelangte, woraus der Ehemann nun das Recht zu ziehen glaubt, seine Ehefrau gegen eine Jüngere einzutauschen.

Die Intention blieb immer die Selbe - die Warnung vor den Versuchungen einer modernen Gesellschaft. Drehbuchautor Heinz Oskar Wuttig verarbeitete wie schon für "Die Frühreifen" (1957) eine zuvor in einer Zeitschrift ("Quick") veröffentlichte Romanvorlage, die zwar den damaligen Publikumsgeschmack traf, deren Autorin Angela Ritter heute aber gänzlich unbekannt ist. In diesem Fall zu Recht, denn strukturell entwickelte die Story auf Basis veralteter Geschlechterrollen eine vorhersehbare Dramatik, deren Absichten wenig verschlüsselt wurden. Während der neureiche, grobschlächtige Mann (Gerd Fröbe) sein Vermögen genießen will, in dem er sich eine junge Geliebte (Christiane Nielsen) leistet, bewahrt die kunstinteressierte, bescheiden gebliebene Ehefrau (Luise Ullrich) den Familienfrieden. Sie ist zugunsten ihrer Kinder - die fast erwachsene Tochter Heidi (Corny Collins) und ein etwa 10jähriger Sohn, beide offensichtlich verwöhnt - bereit, den Seitensprung zu verzeihen, weshalb sie nicht in die Scheidung einwilligt, die ihr Mann fordert.

Neben den Familienmitgliedern existieren diverse Nebenfiguren, die Komplexität vorgaukeln, letztlich die angestrebte Botschaft aber nur unterstreichen. Dem jungen Adligen Poldi (Peter Parak), dem Verlobten von Tochter Heidi, wird zuerst vorgeworfen, noch nichts im Leben geleistet zu haben, weshalb er entschlossen beweist, um welch fleißigen und soliden Burschen es sich bei ihm handelt. Interessanter ist der von Wolfgang Lukschy gespielte professionelle Frauenverführer, der sein Geld damit verdient, Ehefrauen in Flagranti zu erwischen, damit sie schuldig geschieden werden - ein egoistisches, nahe der Kriminalität agierendes Subjekt, dass nur der finsteren Modernisierung der Gesellschaft entsprungen sein konnte. Und nicht zuletzt die junge Geliebte, die kein Problem damit hat, einen dicklichen, älteren Mann seiner Familie wegzunehmen, nur um ihren eigenen wirtschaftlichen Vorteil daraus zu ziehen.

Ähnlich wie bei seinem Drehbuch für "Die Frühreifen" gelang es Heinz Oskar Wuttig diese altmodische Story im Detail zu beleben, unterstützt von Alfred Vohrers Regie, der von Familienidylle á la "Ferien auf Immenhof" (1957) schlagartig zu Satire wechselte - etwa wenn Jupp Grabsch (Gert Fröbe) so gar nichts mit den Salzburger Festspielen anfangen kann - oder echte Spannung aufbaut, als es zum klassischen Show-Down vor Gericht kommt. In den Credits wird seltsamerweise nicht erwähnt, dass mehrere Szenen aus Gert Fröbes erstem Film "Berliner Ballade" (1948) in die Handlung integriert wurden. Diese sollten die Rede seiner Frau Lisbeth unterstreichen, in der sie vor Gericht ihre gemeinsame Aufbauarbeit nach dem Krieg schildert, woraus sich die moralische Verpflichtung ergeben soll, jetzt nicht einfach eigene Wege zu gehen. Da Fröbe im Vergleich zu seiner Rolle als "Otto Normalverbraucher" deutlich an Bauchumfang zugelegt hatte, wurde nur Luise Ullrich in die Szenen von 1948 eingefügt, während ein schmales Fröbe-Double ausschließlich von Hinten zu sehen ist. Die Handlung wurde deshalb von Düsseldorf (wie es in der „Illustrierten Film-Bühne“ noch geschrieben steht) nach Berlin verlegt, da nur von dort Bilder des jungen Fröbe inmitten der Ruinen existierten. Das sein Vorname "Jupp" eine rheinländische Version von Josef ist, wurde ignoriert.

Eigenständige, für ihre Zeit moderne Details – weder werden der untreue Ehemann, noch seine Geliebte einseitig negativ dargestellt, was auch dem differenzierten Spiel Fröbes und Christiane Nielsens zu verdanken ist – lassen sich aus dem Zeitkontext heraus erkennen, aber auch im Vergleich zu heutigen Beziehungsgeschichten, überrascht es, wie konsequent der Film letztlich bleibt. Ohne seinen Unterhaltungscharakter zu verlieren oder übertrieben auf die Tränendrüse zu rücken, gelang es Vohrer ein persönliches Drama wiederzugeben, dass sich auch Heute noch - entschlackt vom Ballast der 50erJahre Moral-Keule – seine Authentizität bewahrt hat.

"Bis dass das Geld euch scheidet" Deutschland 1960, Regie: Alfred Vohrer, Drehbuch: Heinz Oskar Wuttig, Angela Ritter (Roman), Darsteller : Gert Fröbe, Luise Ullrich, Corny Collins, Wolfgang Lukschy, Christiane NielsenLaufzeit : 96 Minuten

weitere im Blog besprochene Filme von Alfred Vohrer: 

"Schmutziger Engel" (1958)
"Die toten Augen von London" (1961)