Montag, 27. Juli 2015

Flucht nach Berlin (1961) Will Tremper

Claus Baade (Christian Doermer) versucht die Bauern zu überzeugen
Inhalt: Während die Insassen laut Arbeiter-Kampflieder singen, fährt ein kleiner Bus in ein verlassen wirkendes Dorf mit wenigen heruntergekommenen Bauernhäusern. Claus Baade (Christian Doermer) als Vertreter der Partei leitet die Aktion und verteilt die Aufgaben an seine Mitstreiter. Einer von ihnen fragt nach der Polizei, aber Baade will erst einmal mit den Bauern sprechen, um sie mit Argumenten davon zu überzeugen, Mitglied in einer LPG zu werden. Doch er und seine Männer treffen auf erheblichen Widerstand und benötigen die Hilfe der Staatsmacht, um die Bauern in der Dorfkneipe versammeln zu können.

Hermann Gueden (Narziß Sokatscheff) fasst mit seiner Frau den Plan zu fliehen
Erneut versucht es Baade mit Argumenten, redet gezielt auf Hermann Gueden (Narziß Sokatscheff) ein, der nach dem Verschwinden des Bürgermeisters zum Sprachführer der kleinen Gemeinschaft wurde. Als dieser zur Überraschung der anderen Bauern plötzlich nachgibt, scheint Baade am Ziel zu sein, aber Gueden wollte nur Zeit gewinnen. Seine Frau und sein kleiner Sohn hatten sich inzwischen Richtung Berlin mit dem Zug abgesetzt, er selbst flieht unmittelbar nach Ende der Zusammenkunft zu Fuß. Baade bekommt Ärger mit seinen Partei-Genossen, denen der selbstbewusste, eigenständig handelnde junge Mann ein Dorn im Auge ist. Sie nehmen ihm den Parteiausweis weg und leiten ein Verfahren ein, aber Baade will sich das nicht gefallen lassen und begibt sich gegen deren Verbot nach Berlin zum Partei-Vorsitzenden Walter Ullbricht…


Mit "Flucht nach Berlin" liegt endlich auch Will Trempers erste Regie-Arbeit auf DVD vor. Dank der spezifischen Berlin-Seite "Darling Berlin", die Trempers atemberaubendes Genre-Werk nicht nur erstmals herausbrachte, sondern mit Interviews anreicherte, die mit Hauptdarsteller Christian Doermer und Filmkomponist Peter Thomas geführt wurden. Ein interessanter Blick in die Tiefen der 50er und 60er Jahre, auch wenn ich mir ein wenig mehr Hintergrundwissen und Hartnäckigkeit beim Interviewer gewünscht hätte. 

Zu empfehlen sind in diesem Zusammenhang Trempers eigene furios geschriebene Erinnerungen in "Meine wilden Jahre" (Ullstein Verlag) und "Große Klappe - meine Filmjahre" (Ruetten & Loening, Berlin), die problemlos antiquarisch zu bekommen sind und mir nicht nur bei meiner Analyse zur Seite standen, sondern genauso viel Freunde bereiteten wie seine Filme.





"Denn "Flucht nach Berlin" wurde, trotz der sagenhaften Kritiken, ein Flop." (Will Tremper, Große Klappe - meine Filmjahre)

Durchbruch einer Polizeisperre
Hätte es noch eines Beweises bedurft, dass Genre-Filme mit zu großer Nähe zur Realität schlecht beim Publikum ankommen, "Flucht nach Berlin" hätte ihn erbracht. Dabei besaß Will Trempers erste in Eigen-Regie umgesetzte Story die besten Voraussetzungen. Wie seit "Die Halbstarken" (1956) von ihm als Drehbuchautor gewohnt, entwickelte er eine kompromisslose, klare Statements nicht scheuende Handlung, die er in hohem Tempo auf ein dramatisch zugespitztes Ende zusteuern lässt. Es ist die Geschichte zweier unterschiedlicher Männer, deren Begegnung zu Beginn des Films die Ereignisse auslöst, bis sie am Ende in einer Art Showdown wieder aufeinander treffen.

Frühe Konfrontation der beiden Protagonisten
Eine solche Konstellation steht und fällt mit der Qualität seiner Hauptcharaktere - und in dieser Hinsicht gelang Tremper eine atemberaubende Konstellation. Weder Claus Baade (Christian Doermer), noch sein Gegenspieler Hermann Gueden (Narziß Sokatscheff) sind echte Sympathen, aber ohne ihre an Rücksichtslosigkeit grenzende Durchsetzungsfähigkeit wären sie gar nicht in der Lage, in die Nähe ihres Ziels zu gelangen. Von dem glatten Gesicht des Musterschülers Baade und seiner technokratisch geschulten Ausdrucksweise sollte man sich nicht täuschen lassen – er ist kein Feigling. Nicht nur von den Bauern, auch von seinen Mitstreitern fordert er Konsequenz ein. Hermann Gueden, Sprecher der Bauern, steht ihm hinsichtlich Autorität und Selbstbewusstsein in Nichts nach. Sokatscheff verlieh dieser Figur neben ihrer Sturheit auch etwas Weltmännisches. Man nimmt ihm ab, dass er die wenig heldenhafte Schweizer Modejournalisten Doris Lange (Susanne Korda) davon überzeugen kann, ihm bei seiner Flucht zu helfen, obwohl er damit auch ihr Leben gefährdet. Aber er lässt sie auch nicht im Stich, als sie sich später als hinderlich erweist.

Gueden überzeugt die Mode-Journalistin (Susanne Korda), ihm bei der Flucht zu helfen
Diesem Duell auf Augenhöhe – praktisch begegnen sie sich nur zweimal - verdankt Trempers Film seine Komplexität und Tiefe. Dagegen ist der Hintergrund von größtmöglicher Plakativität. Die in abwechselnder Szenenfolge parallel beschriebene Flucht der beiden Protagonisten, die sie aus ganz unterschiedlichen Beweggründen ergreifen, findet vor einer gnadenlosen Diktatur statt. Überwachung, Polizeikontrollen und schwerbewaffnete Einheiten begleiten ihren Weg, Momente von Ruhe und Sicherheit erweisen sich als Illusion. Ständig zum Improvisieren gezwungen, konfrontieren sie Jeden, auf den sie bei ihrer Flucht treffen, damit, Stellung beziehen zu müssen. Es ist ein Land im Ausnahmezustand. Ob Gleiswärter, Soldat, Schaffner oder Binnenschiffer – Niemand kann sich sicher sein, schon geringes Fehlverhalten kann geahndet werden. Die Situation der beiden Männer bleibt ebenso ungewiss. Tremper drehte ständig weiter an der Spannungsschraube – Ausgang offen.

Baade muss seinen Parteiausweis abgeben
Nimmt man die stimmungsvollen Schwarz-Weiß-Bilder hinzu, die den Anfangsszenen in dem aus wenigen Bauernhöfen bestehenden Dorf einen neorealistischen Touch und der Schilf-Landschaft am Wannsee beim abschließenden Höhepunkt einen unheimlichen Labyrinth-artigen Charakter verleihen, drängt sich der Vergleich zu den parallel überaus erfolgreich im Kino laufenden Edgar-Wallace-Filmen auf. Auch an schrägem Humor ist in Trempers Film kein Mangel, wenn er die Fluchtszenen mit den dekadenten Vergnügungen der Sommerfrischler auf dem Wannsee verzahnt. Da wird aus dem pechschwarzen Polizeihund, der gerade noch Baade gefährlich im Nacken saß, im nächsten Moment ein Strandschreck für Sonnenbadende, begleitet von Peter Thomas‘ Filmmusik, die das Geschehen auf der Leinwand mal mit Easy-Listening-Musik kontrastiert, mal im Stil von Paul Dessau die Trommeln rührt. Es lässt sich nur ein Argument dafür finden, warum den Film in Deutschland Niemand sehen wollte - alles in Trempers „Road Movie“ kam der Realität zu nah.

Der junge Soldat ist nicht in der Lage, auf Baade zu schießen
Anlass für seine Story, die zuerst als Roman im „Stern“ herauskam und noch parallel zu den Dreharbeiten lief, war die LPG-Kollektivierung in der DDR. Nach dem Krieg war es in der sowjetischen Besatzungszone zu einer Bodenreform gekommen, in der enteignete landwirtschaftliche Flächen in Parzellen bis zu 10 Hektar an Kleinbauern, Pächtern und Vertriebene aufgeteilt wurden. Auf Grund dieser geringen Größe wurden ab 1952 erste Landwirtschaftliche Produktionsgenossenschaften (LPGs) gegründet, um die Flächen betriebswirtschaftlich sinnvoll bearbeiten zu können. Diese anfänglich freiwillige Maßnahme wich Ende der 50er Jahre zunehmend einer vom Staat forcierten Zwangskollektivierung und traf damit auch die Bauern, die selbstständig bleiben wollten.

Der Polizeihund gerät auf den westdeutschen Strand
Claus Baade als Vertreter der Kommunistischen Partei leitet ein Kommando, dass den widerspenstigen Bauern eines kleinen Dorfes in der Nähe von Dessau, darunter Hermann Gueden als ihr heimlicher Anführer, von den Vorteilen der nach dem Vorbild sowjetischer Kolchosen gebildeten Genossenschaften überzeugen will. Tremper lässt von Beginn an keinen Zweifel daran, dass die Bauern keine Wahl haben, auch wenn Baade sich bemüht, nicht gleich mit der großen Keule zu kommen. Er glaubt daran, dass es den Bauern in einer LPG besser geht und will sie ernsthaft davon überzeugen. Ein Idealismus, der ihm auf die Füße fällt, als sich herausstellt, dass ausgerechnet Hermann Gueden unmittelbar nach der Versammlung geflohen ist. Dort hatte er zur Überraschung der anderen Bauern den Forderungen Baades nachgegeben – ein Bluff, wie sich herausstellt, um seiner Frau und seinem Kind einen Vorsprung für ihre Flucht nach Berlin zu verschaffen.

Eine letzte Ruhepause vor der Überquerung der Grenze
Dorthin versucht sich auch Gueden durchzuschlagen, während Baade vor ein Parteigremium zitiert wird, wo ihm sein Versagen vorgeworfen wird. Empört reagiert er auf die Einziehung seines Parteiausweises und beschließt, persönlich beim Generalsekretär der SED, Walter Ullbricht, in Berlin in dieser Sache vorzusprechen. Damit stellte Tremper zwei klassische Diktatur-Prototypen in den Mittelpunkt, die trotz ihrer unterschiedlichen Haltung dasselbe Schicksal erleiden - der Bürger, der seine Heimat verlässt, weil der Staat sein Leben zu sehr bestimmt, und der Idealist, dessen eigenständiges und korrektes Handeln unbequem für seine unmittelbaren Vorgesetzten wird. Beide werden zu Geächteten. Tremper relativierte weder deren Situation, noch die DDR als Diktatur, aber er stand auch konsequent zu seinen Protagonisten. Baade, vordergründig als strammer Partei-Kader eine negativ besetzte Figur, gewinnt dank seiner konsequenten Haltung an Profil. Obwohl er unmittelbar den Mechanismen des Polizeistaates ausgesetzt wird, unterscheidet er zwischen der Realität und seinen Idealen, für die er weiter kämpfen will – eine Haltung, die ihn zunehmend in Konflikte bringt. Und Gueden, anfänglich wenig umgänglich und egoistisch wirkend, erweist sich als hilfsbereiter und geduldiger Mensch. Es ist die Not, die ihn nach Westdeutschland treibt, nicht die Verheißung eines luxuriösen Lebens.

Westdeutsches Idyll
Dieser Luxus wurde von Tremper als Signifikanz für den Westen ins Bild gerückt, womit er die BRD ähnlich plakativ zuspitzte wie die DDR. Unmittelbar an der Demarkationslinie lebend, deren Überwindung 1960, ein Jahr vor dem Mauerbau, nicht weniger lebensgefährlich war als danach, interessieren sich die Bewohner der westlichen Seite kaum noch für die Belange ihrer „Brüder und Schwestern“ im Osten. Flüchtende werden per Fernglas als Abwechslung vom Sonnenbaden betrachtet, bevor man sich wieder dem Schampus zuwendet. Die letzte Szene wurde ohne das Wissen von Will Tremper von der Produktionsgesellschaft herausgeschnitten, da dessen vermeintliches Happy-End mit dem Ruf „Es lebe die Freiheit“ aus dem Mund einer vom Champagner angeheiterten Boots-Insassin ein zu negatives Bild auf Westdeutschland warf. Nur Wenige wie Helmuth Käutner mit „Himmel ohne Sterne“ (1955) hatten sich zuvor an die innerdeutschen Befindlichkeiten gewagt, Niemand ging dabei so rigoros vor wie Will Tremper im Rahmen eines geradlinigen Genre-Films. Wie nah er damit der Realität kam, beweist sein Misserfolg.

"Flucht nach Berlin" Deutschland, Schweiz, USA 1961, Regie: Will Tremper, Drehbuch: Will Tremper, Darsteller : Christian Doermer, Narziß Sokatscheff, Susanne Korda, Gerda Blisse, Inge Drexel, Laufzeit : 100 Minuten

weitere im Blog besprochene Filme von Will Tremper:

"Playgirl" (1966)

Mittwoch, 22. Juli 2015

Schlagerparade (1953) Erik Ode

Inhalt: Walter Lorenz (Walter Giller) arbeitet gegen geringe Bezahlung als Klavierspieler und Dirigent an der Musik-Akademie von Professor Hochstätter (Alexander Engel), die ständig in Geldnöten ist. Während der Professor die klassische Ausbildung bevorzugt, ist Walter auf der Suche nach dem ultimativen Schlager, von dem er sich den Durchbruch erhofft. Dank der Sängerin Sherry Sommer (Nadia Tiller) bekommt er einen Auftrag als Arrangeur bei einem Revuetheater und nutzt die Gelegenheit, vom Orchester eine seiner Kompositionen spielen zu lassen, wird jedoch vom Direktor als missliebiger Konkurrent rausgeworfen.

Friedl Hensch und die Cyprys
Wie bei seiner Freundin Barbara Blanc (Germaine Damar), die Nichte des Professors und eine begabte Tänzerin ohne Engagement, geht ohne Protektion nichts. Verleger und Produzenten sind nicht bereit, Newcomer zu fördern. Als sich Barbara bei dem Musikverleger Otto Bonnhoff (Walter Gross) für Walters Komposition „Sei lieb zu mir“ einsetzen will, nutzt sie einen unbeobachteten Moment, um die Noten in einen Brief-Umschlag des bekannten Komponisten Fred Pauli (Karl Schönböck) zu stecken, der gerade von der Post gebracht worden war. Im Glauben „Sei lieb zu mir“ sei von Pauli, bringt Bonnhoff das Stück groß raus und macht es zu einem Erfolg…


Von der Operette zur Starparade – der „Schlagerfilm“ wird zum eigenständigen Genre

Walter (Walter Giller) mit Bob (Harald Juhnke) und Cherry Sommer (Nadja Tiller)
Während der Heimatfilm trotz aller Ressentiments einen festen Platz in der deutschen Filmgeschichte besitzt, gilt der Schlagerfilm als beiläufige Sub-Genre-Erscheinung - gut daran zu erkennen, dass die zeitliche Einordnung und Abgrenzung schwer fällt. Der Filmwissenschaftler Jürgen Trimborn erkannte im Schlagerfilm eine Ablösung des Heimatfilms Ende der 50er Jahre (siehe „Der deutsche Heimatfilm der fünfziger Jahre. Motive, Symbole und Handlungsmuster“, Köln: Teiresias-Vlg. Leppin 1998). Daraus folgernd werden die frühen 60er Jahre häufig als Hochphase des Genres angesehen, um im gleichen Atemzug große Stars wie Vico Torriani, Catarina Valente oder Peter Alexander aufzuzählen. Deren Karrieren befanden sich aber schon ab Mitte der 50er Jahre im Dauerhoch, abgesehen davon, dass sie nicht die Ersten waren, die dank des Schlagerfilms groß raus kamen.

Germaine Damar in einer Tanzszene
Mit der Luxemburgerin Germaine Damar wurde Anfang der 50er Jahre eine begabte junge Tänzerin für den Musikfilm entdeckt, die bald schon im aufkommenden Schlagerfilm reüssierte, als dessen erster Vertreter "Schlagerparade" gelten kann. Nicht nur wegen des konkreten Filmtitels, sondern dank eines sich langsam wandelnden Musikgeschmacks. Neben den bekannten Schlagern der Vorkriegszeit, Operetten- und Volksmusik sowie diversen Orchesterklängen traten zunehmend Interpreten in die Öffentlichkeit, deren Lieder textlich und musikalisch auf die Modernisierung der Gesellschaft nach dem Krieg reagierten. Zudem wurde „Schlagerparade“ die dritte Produktion der neu gegründeten „Melodie Film“, die zu den Initiatoren des Schlagerfilms gehörte und dem Metier bis 1960 („Schlager-Raketen“) treu blieb – ein weiteres Indiz für die parallel zum Heimatfilm aufkommende Popularität des Genres.

Ein Hauch von Rock'n Roll - die Mundharmonika-Solisten
Erik Ode sammelte seine ersten Musikfilm-Erfahrungen bei der Verfilmung der Franz Lehàr-Operette „Land des Lächelns“ (1952), bei der er gemeinsam mit dem Heimatfilm-Regisseur Hans Deppe („Schwarzwaldmädel“ (1950)) Regie führte. Mehr noch steht der gebürtige Italiener, Liedtexter („Ich hab‘ noch einen Koffer in Berlin“) und Drehbuchautor Aldo von Pinelli beispielhaft für die nahe Verwandtschaft der Genres. In den Nachkriegsjahren einer der aktivsten Drehbuchautoren im Heimatfilm („Die Alm an der Grenze“, 1951), wechselte er ab „Südliche Nächte“ (1953) zu einem führenden Vertreter des Schlagerfilms („Wenn die Conny mit dem Peter“, 1958). Die Handlung von „Südliche Nächte“, der zwei Monate vor „Schlagerparade“ in die Kinos kam und ebenfalls von der „Melodie Film“ produziert wurde, spielte im Umfeld eines Varieté-Theaters und zeigte frühe Anklänge an touristische Werbung, die im sogenannten „Tourismusfilm“ der späten 50er Jahre ihr Blüte erlebte. Pinellis Partner am Drehbuch von „Schlagerparade“ war Hans Fritz Köllner, mit verantwortlich für den NS-Propaganda-Film „Fronttheater“ (1942), der Kriegshandlungen und Gesangs-Auftritte zur Ablenkung der Soldaten kombinierte. Köllners Schwerpunkt blieb auf dem Musikfilm („Stern von Rio“ (1955)), er schrieb aber auch das Drehbuch zu dem Heimatfilm „So lange noch die Rosen blüh‘n“ (1956).


Eigenarten des Schlagerfilms

Johannes Heesters "Man müsste Klavier spielen können"
Angesichts dieser Gemengelage aus Operetten-, Varietè-, Heimat- und Tourismusfilm scheint die Abgrenzung zum „Schlagerfilm“ fast unmöglich. Tatsächlich lässt sich kaum ein einschlägiger Film finden, der keine stilistischen Anleihen bei den Genre-Verwandten nahm, späte Vertreter wie „Wenn die Musik spielt am Wörthersee“ (1962) sind häufig fast bis zur Unkenntlichkeit mit dem Heimatfilm verwoben (siehe „Der Weg in die Moderne - der Heimatfilm der Jahre 1958 bis 1969“). Trotzdem zeichnen schon „Schlagerparade“ eigenständige, abgrenzende Genre-Merkmale aus, auch wenn die Musikauswahl noch die Übergangsphase vom traditionellen Musikfilm widerspiegelte. Neben dem französischen Chansonnier Maurice Chevalier, den Wiener Sängerknaben und Johannes Heesters, der den Vorkriegs-Schlager „Man müsste Klavier spielen können“ intonierte, traten aktuelle Stars wie Rudi Schuricke, das Cornell-Trio oder Friedl Hensch und die Cyprys auf – offensichtlich sollten unterschiedliche Bedürfnisse befriedigt werden.

Maurice Chevalier
Im späteren Schlagerfilm nahmen die altmodischen Nummern zwar ab, aber die Vielfalt blieb signifikant für ein Genre, dessen Musikstil im Gegensatz zum Heimatfilm oder einer Operetten-Verfilmung nicht homogen war. Der Schlagerfilm verstand sich als „Große Starparade“ -  wie sich ein unter der Regie von Paul Martin im folgenden Jahr herauskommender Genre-Vertreter folgerichtig nannte – und damit als Bühne für bekannte, aber auch junge aufkommende Sänger wie Peter Alexander, Udo Jürgens oder Catarina Valente. Neben reinen Schauspielern traten die Künstler je nach Gewichtung der Handlung in fiktiven Rollen oder unter ihrem eigenen Namen auf. Zu einer Zeit, in der nur wenige Deutsche einen eigenen Fernseher besaßen, war das oft die einzige Möglichkeit, von Schallplatten her bekannte Stars in Aktion sehen zu können – nicht ohne Grund verlief der Niedergang des Schlagerfilms parallel zum endgültigen Durchbruch des aktuelleren Fernsehens.

Fred Pauli (Karl Schönböck) vor dem RIAS-Tanzorchester
Ebenso signifikant für den Schlagerfilm ist eine Story, die nur den Rahmen für die Show-Nummern abgibt. Die oft wiederholte Kritik an den vorhersehbaren Handlungsmustern erstaunt deshalb, denn die Oberflächlichkeit ist quasi genre-immanent, Originalität eine Ausnahme. Das erste Interesse galt den Interpreten, um die eine Story gestrickt wurde, die meist in Künstlerkreisen spielte und mit einem größeren Show-Block endete. Der Vorteil lag auf der Hand – dank der Möglichkeit aufwendiger Choreografien war das Programm attraktiver und die komprimierte Auftrittsform beließ noch gewisse zeitliche Freiheiten für die Handlung.


„Schlagerparade“ 1953

Barbara (Germaine Damar) und Walter (Walter Giller) mit Max Balduweit (Bully Buhlan)
Die „Schlagerparade“ wurde in dieser Hinsicht prototypisch. Komponist Walter (Walter Giller) und Tänzerin Barbara (Barbara Blanc) bilden ein junges, erfolgloses Künstlerpaar, dass auf Grund fehlender Beziehungen keine Chance erhält. Erst dank einer Verwechslung und des fairen Star-Komponisten Fred Pauli (Karl Schönböck) löst sich am Ende bei einer großen Show-Veranstaltung alles zum Guten auf. So weit, so bekannt. Und doch ist „Schlagerparade“ ein positives Beispiel dafür, wie entspannt, witzig und ohne Moralkeule eine solche Rahmenhandlung ablaufen kann.

Verleger (Walter Gross) mit Sekretärin (Ruth Stephan) und Laufbursche (Wolfgang Jansen)
Giller und Damar geben ein lässiges Paar ab, das sich auch mal küsst, ohne gleich vom Heiraten zu sprechen. Im Gegenteil. Dafür ist Sänger Bully Buhlan zuständig in der Rolle des Warenhausverkäufers Max Balduweit. Er schwärmt für Fräulein Angelika (Renate Danz), Tochter von Walters Zimmer-Vermieterin Frau Gabler (Loni Heuser). Balduweit besorgt Walter auch einen Job im Warenhaus, kann aber nicht verhindern, dass dieser noch am selben Tag wieder rausgeschmissen wird, weil er den Flügel in der Instrumenten-Abteilung nachts zum Komponieren nutzte. Wenn Balduweit gegenüber Walter von seinem Traum eines kleinen Gebrauchtwagens und späterer Heirat spricht, dann lässt der Film keinen Zweifel daran, was er davon hält – die Sympathien gehören eindeutig dem unangepassten Walter. Auch Angelika macht ihrem Verehrer klar, dass er lockerer werden muss, will er eine Chance bei ihr haben. Getragen von den gut aufgelegten Nebendarstellern Nadja Tiller, Ruth Stephan, Walter Gross, Wolfgang Jansen und Harald Juhnke blieb die Handlung jederzeit in einem leichtfüßigen, unterhaltsamen Fluss.

Aus heutiger Sicht mag das brav wirken, war im Zeitkontext aber erstaunlich modern und offen gegenüber der häufig als „brotlose Kunst“ verschrienen Tätigkeit eines Musikers. Auch die sanfte Kritik an dem nur Altbewährtes fördernden Musikverleger wurde trotz des „Happy-Ends“ nicht abgeschwächt. Ihm war der abschließende Erfolg nicht zu verdanken, sondern Fred Pauli, dessen wiederholt geäußerten Worte, er hätte auch einmal klein angefangen, wie ein Plädoyer für den Mut zu Neuem klingt – so neu wie der damals junge Schlagerfilm. Das ändert aber nichts daran, dass es wenige Genres gibt, die schneller vom Zeitgeist überholt wurden. Die Meinung über diese semi-dokumentarischen Filme basiert fast immer auf dem persönlichen Geschmack an den musikalischen Darbietungen, kombiniert mit einer Kritik an der hohlen Story. Doch Schlagerfilme – und darin liegt der entscheidende Unterschied zu den verwandten Genres – waren Filme für den Moment. Aus diesem heraus verdienen sie eine Beurteilung und da schneidet „Schlagerparade“ sehr gut ab.

"Schlagerparade" Deutschland 1953, Regie: Erik Ode, Drehbuch: Aldo von Pinelli, Hans Fritz Köllner, Darsteller : Germaine Damar, Walter Giller, Nadja Tiller, Karl Schönböck, Walter Gross, Ruth Stephan, Loni Heuser, Harald Juhnke, Renate Danz, Bully Buhlan, Wolfgang Jansen, Laufzeit : 93 Minuten

Freitag, 17. Juli 2015

Schloss Hubertus (1973) Harald Reinl

Inhalt: Schipper (Klaus Löwitsch) und Lenz Bruckner (Gerhard Riedmann) werden von dem alten Jagd-Aufseher Hornegger beim Wildern erwischt und schießen gleichzeitig auf ihn, als er sie verhaften will. Tödlich getroffen bricht er zusammen. Bruckner behauptet daneben gezielt zu haben, Schipper entgegnet ihm dasselbe. Der Mord bleibt unaufgeklärt, aber Schipper hat den vom schlechten Gewissen geplagten Bruckner jetzt in der Hand. Jahre später ist Franz Hornegger (Robert Hoffmann) an die Stelle seines Vaters gerückt. Ohne zu wissen, dass Schipper für den Tod seines Vaters verantwortlich ist, arbeitet er an dessen Seite im Dienst des Grafen Egge (Carl Lange).

Schipper, der seinen Einfluss beim Grafen geschickt geltend macht, nutzt seine Stellung nicht nur für weitere Wilderei, sondern integriert auch gegen den ihm unliebsamen Franz Hornegger. Ihm missfällt, dass dieser sich mit Bruckners Schwester Mali (Gerlinde Döberl) gut versteht, auf die er selbst ein Auge geworfen hat. Inzwischen treffen am Schloss Hubertus die Söhne des Grafen ein. Der Älteste, Tassilo (Karlheinz Böhm), kommt in der Begleitung seiner zukünftigen Frau Anna Herwegh (Evelyn Opela), einer bekannten Münchner Opernsängerin. Graf Egge erwartet sie zur Jagd und Tassilo möchte die Gelegenheit nutzen, seinem dann hoffentlich gut gelaunten Vater von der geplanten Hochzeit mit Anna zu berichten…

Ausgehend von meinem Essay "Vom Bergdrama zur Sex-Klamotte - Der Heimatfilm im Zeitkontext"  gehört mein erster Blick in die Tiefen des Genres nicht zufällig dem Ganghofer-Roman "Schloss Hubertus" und seinen drei Verfilmungen 1934, 1954 und 1973. "Schloss Hubertus", 1892 erschienen und erfolgreichster Roman des Heimatdichters Ganghofer, beinhaltete schon früh einige der wesentlichen Merkmale des Genres - Kontrast Moderne/Tradition, eine alles überragende Führungsfigur und das sehr spezifische Frauenbild von Tochter "Geislein" und ihre Liebe zum Maler Forbeck. Aber auch die Wilderer-Thematik, Armut, Kindstot, große materielle Unterschiede, Doppelmoral und die offensichtliche Abhängigkeit fast Aller vom Willen eines Einzelnen fanden Einzug in einen Roman, der aus heutiger Sicht gelesen keineswegs uneingeschränkte Sehnsüchte nach "der guten alten Zeit" weckt. 

Umso interessanter ist es, die Umsetzung der Romanvorlage mit wachsendem zeitlichen Abstand zu beobachten, auch weil die Filmrechte über mehr als ein halbes Jahrhundert in der Hand Peter Ostermayrs lagen, der sie 1918 noch von Ludwig Ganghofer selbst erwarb. Dank der Veröffentlichung aller drei Versionen auf DVD durch FILMJUWELEN, besteht endlich die Möglichkeit die Filme nicht nur mit dem Romantext zu vergleichen, sondern ihre Entwicklung genauer zu analysieren:             "Schloss Hubertus" (1934)        "Schloss Hubertus" (1954)


Die Wilderer Bruckner (Gerhard Riedmann) und Schipper (Klaus Löwitsch) 
Der Heimatfilm hatte sich in den 60er Jahren an den veränderten Publikumsgeschmack angepasst und überlebte nur noch in einer Mischung aus Schlagerfilm, Bauernkomödie und Sex-Klamotte (siehe "Der Weg in die Moderne - der Heimatfilm der Jahre 1958 bis 1969") - bis es Anfang der 70er Jahre zu einer kurzen Renaissance kam. Der während der Hochphase des Genres entstandene "Wo der Wildbach rauscht" (1956) lief überraschend erfolgreich noch einmal in den Kinos und bewies, dass die damaligen Rezepturen noch funktionierten. Auch Harald Reinl, von 1949 bis 1957 ("Almenrausch und Edelweiß") zu den meist beschäftigten Regisseuren des Heimatfilms gehörend - eine Phase, die dank seiner Karl May-, Dr.Mabuse- und Edgar Wallace-Filme ein wenig in Vergessenheit geraten war - hatte das Genre 1972 für sich wieder entdeckt. Seine Neufassung von "Grün ist die Heide" (1951) schwamm aber noch ganz auf der Schlagerfilm-Welle und hatte mit dem 51er Film von Hans Deppe kaum etwas gemeinsam.

Franz Hornegger (Robert Hoffmann) und Mali (Gerlinde Döberl) 
Ganz anders dagegen seine Herangehensweise ein Jahr später an "Schloss Hubertus" nach dem zuvor zweimal 1934 und 1954 verfilmten Ganghofer-Roman. Von 1918 bis 1970 hatten die Filmrechte an den Ganghofer-Werken allein bei Peter Ostermayr gelegen, der neben der Produktion meist auch die Drehbucharbeiten übernahm, zuletzt 1959 bei "Der Schäfer von Trutzberg". Sein Sohn Paul May hatte 1962 noch ein Remake von "Waldrausch" in die Kinos gebracht, aber seitdem hatte es keine weiteren Kinofilme auf Basis des Erfolgsautoren mehr gegeben - der längste Zeitraum seit 1918. Reinl, in den frühen 50er Jahren selbst bei zwei Ganghofer-Produktionen als Regisseur beteiligt („Der Klosterjäger“ (1953)), nahm die Angelegenheit sehr ernst und holte sich erfahrene und bewährte Heimatfilm-Veteranen ins Boot, um die erste Ganghofer-Fassung nach der Ostermayr-Ära auf die Leinwand zu bringen.

Tassilo (Karlheinz Böhm) und sein Bruder Robert (Folker Bohnet)
Wie Reinl gehörte Drehbuchautor Werner P.Zibaso zu den Aktivposten des Heimatfilms der 50er Jahre, hatte aber auch sein Händchen für die soziokulturellen Entwicklungen der 60er und frühen 70er Jahre bewiesen („Die Klosterschülerinnen“ (1972)). Sepp Rist und Gerhard Riedmann, die in ihren jüngeren Jahren als Helden-Darsteller im Heimatfilm bekannt wurden, traten in Nebenrollen auf, Karlheinz Böhm, seit "Sissi - Schicksalsjahre einer Kaiserin" (1957) dem Genre konsequent fern geblieben, übernahm mit der Figur des Tassilo, Graf Egges ältestem Sohn, eine Hauptrolle. Eine signifikante Besetzung sowohl für Zibasos Interpretation des Romans, als auch Reinls Umsetzung, denn Tassilo hatte in den beiden bisherigen Verfilmungen, entgegen Ganghofers Intention, nur eine untergeordnete Rolle gespielt.

Ankunft von Robert und Willy auf Schloss Hubertus
Im Roman vertritt der junge Graf als Rechtsanwalt, der sich auch für die verachteten Wilderer einsetzt, eine liberale Position. Unabhängig vom Geld seines Vaters lebt er in München und will die Opern-Sängerin Anna Herwegh heiraten, eine vom Adel missbilligte Verbindung. Die Auseinandersetzung zwischen ihm und seinem Vater ist nicht nur ein Generationskonflikt, sondern steht für die klassischen Gegensätze Stadt/Land sowie Moderne/Tradition. Dass Ganghofer der zwiespältigen, aber faszinierenden Figur des alten Grafen seinen sympathischen und selbstbewussten Sohn gegenüber stellte, verdeutlicht, dass es ihm nicht um einfache Antworten ging. Dagegen reduzierte Peter Ostermayr den Disput zwischen Vater und Sohn auf einfache Fakten, verortete Anna Herwegh als eine Freundin Kittys in der Nachbarschaft und nahm ihren gegensätzlichen Haltungen so die Tragweite. Besonders in der 54er Version kam die Figur des Tassilo kaum über einen Stichwortgeber für seinen souveränen Vater hinaus.

Mali mag Schipper nicht
Dass Karlheinz Böhm unter Harald Reinl erstmals wieder in einem Heimatfilm mitwirkte, zeugt von dem generell hohen Anspruch an die Neuverfilmung. Einzig die erste Szene, in der die ertappten Wilderer Schipper (Klaus Löwitsch) und Bruckner (Gerhard Riedmann) den Jagd-Aufseher Hornegger erschießen, wurde neu hinzugefügt. Der nicht aufgeklärte Mord an dem Vater von Franz Hornegger (Robert Hoffmann), der inzwischen dessen Position in Graf Egges Revier übernommen hat, geschah in der Vergangenheit, schwebt aber ständig über der Handlung. Der intrigante Schipper, Horneggers Kollege im Dienst des Grafen, hat Bruckner auf Grund dieser Schuld unter Kontrolle. Dass Bruckners Schwester Mali (Gerlinde Döberl), die in seinem Haushalt seine verstorbene Frau ersetzen muss, ausgerechnet in Franz Hornegger verliebt ist, passt weder Bruckner, noch Schipper, der selbst an Mali interessiert ist.

Graf Egge (Carl Lange)
Schon an dieser Ausgangssituation wird die Akribie sichtbar, mit der sich Werner P.Zibaso an Ganghofers Text hielt. Neben dem jüngsten Sohn Willy (Sascha Hehn), erstmals im Film von 1954 berücksichtigt, gehörte endlich auch der standesbewusst arrogante mittlere Bruder Robert (Folker Bonet) zum Ensemble, den einzig seine Spielschulden zum Vater treiben. Dass Tassilo (Karlheinz Böhm) mit seiner zukünftigen Frau, der Sängerin Anna Herwegh (Evelyn Opela), anreist, ist zwar ein kleiner Stilbruch – im Roman kommt er allein, Kitty (Ute Kittelberger) lernt Anna erst bei der Hochzeit in München kennen – widersprach aber nicht Ganghofers Intention. Zu verdanken ist das der authentischen Charakterisierung Graf Egges (Carl Lange), der gar nicht daran denkt, aus den Bergen zu seinem Schloss zurückzukehren, nur weil seine Söhne gekommen sind oder Tochter Kitty, sein „Geislein“, Sehnsucht nach ihm hat. Zibaso sparte nichts aus: Egges Adler-Käfig am Schloss, seine fanatische Vorliebe für die Jagd, seine Sturheit und seine Härte im Umgang mit seinen Mitmenschen, aber auch die Fähigkeit zur Selbstironie und emotionalen Nähe zu seiner Tochter sowie sein Verständnis für den kränklichen Sohn Willy – eine Paraderolle für Carl Lange.

Maler Forbeck (Richard Rüdiger) mit Kitty (Ute Kittelberger) und Franz Hornegger
Die bis in kleine Details des zweibändigen Romans reichende Umsetzung bei einer nur wenige Minuten längeren Laufzeit gegenüber den Vorgängern, brachte auch Nachteile mit sich. Ostermayr hatte sich nicht ohne Grund auf die zwei wesentlichen Handlungslinien um Graf Egge und Kitty beschränkt, Zibasos Einbeziehung auch der Nebenhandlungen erforderte an anderer Stelle Kürzungen. Schon an der Besetzung der Kitty mit dem damals 15jährigen Bravo-Girl Ute Kittelberger in ihrer ersten Rolle, wird die geringere Gewichtung auf ihre Liebesgeschichte mit dem Maler Hans Forbeck (Richard Rüdiger) erkennbar, die im Schnellverfahren abgehandelt wurde. Nach der in jeder Verfilmung gezeigten humorvollen Szene, in der Forbeck im Unwissen darüber, wen er vor sich hat, Graf Egge in den Bergen zeichnet, um ihn danach fürs Modellstehen zu bezahlen, verläuft die erste Begegnung mit Kitty schnell.

Graf Egge lässt sich zeichnen
Ihre ausführlichen gemeinsamen Szenen in der Waldhütte, die in den beiden ersten Verfilmungen von zentraler Bedeutung waren (so aber nicht im Roman vorkommen), existieren hier ebenso wenig, wie die spätere Italienreise Kittys mit ihrer Anstandsdame Tante Gundi (Rose Renée Roth), auf der sie Forbeck wieder begegnet - ein auch im Roman mehrere Kapitel einnehmender Handlungsbestandteil. Obwohl sie die Story wieder ins späte 19.Jahrhundert versetzten, nachdem Ostermayr die 54er Version mitten im Wirtschaftswunder-Deutschland spielen ließ, wollten Zibaso und Reinl offensichtlich das rückständige Frauenbild des Romans vermeiden, das in den beiden ersten Verfilmungen ungefiltert übernommen worden war. Die Charakterisierung der „Geislein“ genannten Kitty als „süßes Ding“ hatte dem jeweiligen Zeitgeist entsprochen und förderte die Karrieren der Kitty-Darstellerinnen Hansi Knoteck und Marianne Koch – Ute Kittelberger kam dagegen über vier Nebenrollen nicht hinaus.

Der jüngste Sohn Willy (Sascha Hehn)
Das hatte auch zur Folge, dass Zibaso die Story um Liesl (Eva Garden), die Geliebte von Egge-Sohn Willy, abschwächte. An der Doppelmoral, die dazu führt, dass Liesl noch in derselben Nacht, nachdem Willy beim „Fensterln“ tödlich abstürzte, mit einem grobschlächtigen Handwerksburschen verlobt wird, ließ er keinen Zweifel. Noch am Tag zuvor war der junge Mann von ihrer ehrgeizigen Mutter, die ihre Tochter schon als Gräfin sah, vom Hof gejagt worden. Doch als er sich bei der Hochzeit als schlagkräftiger Bursche herausstellt, verliebt sie sich in ihn. Eine geschönte Sichtweise, denn bei Ganghofer verprügelt er seine frisch angetraute, ihm zu widerspenstige Ehefrau, die ihn deshalb aus seiner Sicht „jetzt schon etwas mehr mag“. Eine vom Autor keineswegs positiv geschilderte Situation, die der Realität näher kam. Und eine für den Gesamteindruck des Films beispielhafte Szene, denn Reinl ließ zwar kaum einen Konflikt aus, wagte aber selten die letzte Konsequenz.

Liesl (Eva Garden) kommt nach Willys Tod schnell unter die Haube
Im Film nimmt sich Robert als Offizier das Leben, nachdem sein Vater nicht mehr bereit war, seine immer höheren Spielschulden zu begleichen. So tragisch das klingt, ist es doch das vereinfachende Klischee eines ehrenvollen Todes. Im Roman übernimmt Tassilo die Schulden, wofür er fast sein gesamtes Vermögen aufbringen muss – unter der Voraussetzung, dass sein Bruder in seiner Einheit ab sofort unter totale Kontrolle gestellt wird. Eine für den selbstverliebten Robert viel größere Strafe, da sie ihm seine Ehre nimmt. Auch Graf Egges Tod fehlt am Ende eine wichtige Komponente, obwohl Reinl auf das konstruierte Happy-End seiner beiden Vorgänger verzichtete. Erblindet vom Adlermist, nachdem er über eine 60 Meter lange Leiter versuchte Jungadler aus deren Nest zu rauben, nimmt Egge wütende Rache an den noch im Käfig verbliebenen Adlern. Erst diese sinnlose Tat führt zu seinem Tod und sorgte im Roman dafür, dass sein zwiespältiger Charakter bis zum Ende gewahrt blieb – trotz der Versöhnung mit seinen Kindern vom Sterbebett aus.

Versöhnung am Sterbebett
Gemessen an den beiden ersten „Schloss Hubertus“-Filmen, sogar an Literaturverfilmungen generell, wirken diese Kritikpunkte kleinlich. Auch wenn die Haarschnitte der männlichen Protagonisten sehr am 70er Jahre Schönheitsideal orientiert waren, ist Reinls Film die Ernsthaftigkeit, Ganghofers Mischung aus dramatischer Unterhaltung und realistischem Hintergrund adäquat umsetzen zu wollen, jederzeit anzumerken. Trotzdem ist eine Kritik, wie sie die „Cinema“ formulierte: 

„Winnetou- und Wallace-Regisseur Harald Reinl inszenierte seine Version als bieder-bunten Alpengruß. Fazit: Trotz hoher Berge ganz schön flach.“ 

nicht ganz von der Hand zu weisen, so sehr die Aussage von der üblichen Ignoranz gegenüber Reinls intensiver Heimatfilm-Vergangenheit zeugt. Werner P. Zibaso und Reinl wollten zu viel. Die Fülle an Protagonisten, Nebengeschichten und kleinen Anspielungen verhinderte eine Tiefe in den Charakterisierungen, auch wenn besonders Klaus Löwitsch, Gerhard Riedmann und Carl Lange ihren Figuren Profil gaben.

Der Eindruck eines Heimatfilm-Potpourris drängt sich auf, basiert aber vor allem auf Unkenntnis der Romanvorlage. Ähnlich heutiger populärer Literaturverfilmungen von „Harry Potter“ bis „Herr der Ringe“ entsteht erst durch die Kombination aus Buch und Film das Verständnis für die inneren Zusammenhänge, bekommen auch nebensächlich wirkende Sätze Gehalt. Anders als seine Vorgänger konnte Reinl nicht mehr davon ausgehen, dass die Zuschauer Ganghofers Roman kannten. Seine engagierte Verfilmung wirkte deshalb 1973 ein wenig aus der Zeit gefallen – einerseits modern im Bemühen, gesellschaftskritische Aspekte nicht zu unterschlagen, andererseits altmodisch in der Anlage. Dem Film eine gewisse Oberflächlichkeit anzulasten ist korrekt, man kann es aber auch als Chance begreifen, Ganghofers Roman zu lesen – dann entfaltet sich erst die Qualität des Films.

"Schloss Hubertus" Deutschland, Österreich 1973, Regie: Harald Reinl, Drehbuch: Werner P.Zibaso, Ludwig Ganghofer (Roman), Darsteller : Carl Lange, Karlheinz Böhm, Robert Hoffmann, Klaus Löwitsch, Gerhard Riedmann, Sepp Rist, Rose Renée Roth, Evelyn Opela, Ute Kittelberger, Richard Rüdiger, Sascha Hehn, Folker Bohnet, Gerlinde DöberlLaufzeit : 92 Minuten

weitere im Blog besprochene Filme von Harald Reinl:
"Die Bande des Schreckens" (1960)

Thematisch weiterführender Link:

- "Vom Bergdrama zur Sexklamotte - der Heimatfilm im Zeitkontext" (Grundlagen des Heimatfilm Genres)

Donnerstag, 16. Juli 2015

Schloss Hubertus (1954) Helmut Weiss


Inhalt: Graf Egge (Friedrich Ulmer) verhindert, dass sein Revier-Jäger Franz Hornegger (Paul Richter) auf einen Adler anlegt, denn er will erst wissen, wo der Raubvogel seinen Horst hat. Als Hornegger ihn darauf hinweist, dieser könnte sich im Nachbarrevier befinden, entgegnet ihm Egge, dass das auch bald sein Revier wäre. Sein Sohn Tassilo (Heinz Baumann) würde es für ihn ersteigern. Doch er täuscht sich, denn Tassilo kommt zu spät zu der Versteigerung der Jagdrechte, da er von Lieserl (Erika Remberg) aufgehalten wurde, deren Fuhrwerk im Graben landete, als sie seinem Mercedes ausweichen wollte. Sein jüngerer Bruder Willy (Raidar Müller-Elmau), der mit ihm aus München gekommen war, hatte sich nicht wohl gefühlt und war bei Lieserl geblieben.

Inzwischen war Anna Herwegh (Renate Hoy) auf Schloss Hubertus angekommen, freudig von Kitty (Marianne Koch) begrüßt, die augenzwinkernd den Verdacht äußert, dass sie immer dann erscheint, wenn sich auch ihr Bruder Tassilo angemeldet hat. Eine gerechtfertigte Bemerkung wie sich wenig später herausstellt, nachdem Tassilo endlich am Schloss angekommen war. Feierlich gibt er seine Verlobung mit Anna bekannt. Eine freudige Nachricht, wäre da nicht sein Vater, denn bei Anna handelt es sich um die Tochter des Geschäftsmanns, der statt Graf Egge die Jagdrechte ersteigert hatte…


Ausgehend von meinem Essay "Vom Bergdrama zur Sex-Klamotte - Der Heimatfilm im Zeitkontext"  gehört mein erster Blick in die Tiefen des Genres nicht zufällig dem Ganghofer-Roman "Schloss Hubertus" und seinen drei Verfilmungen 1934, 1954 und 1973. "Schloss Hubertus", 1892 erschienen und erfolgreichster Roman des Heimatdichters Ganghofer, beinhaltete schon früh einige der wesentlichen Merkmale des Genres - Kontrast Moderne/Tradition, eine alles überragende Führungsfigur und das sehr spezifische Frauenbild von Tochter "Geislein" und ihre Liebe zum Maler Forbeck. Aber auch die Wilderer-Thematik, Armut, Kindstot, große materielle Unterschiede, Doppelmoral und die offensichtliche Abhängigkeit fast Aller vom Willen eines Einzelnen fanden Einzug in einen Roman, der aus heutiger Sicht gelesen keineswegs uneingeschränkte Sehnsüchte nach "der guten alten Zeit" weckt. 

Umso interessanter ist es, die Umsetzung der Romanvorlage mit wachsendem zeitlichen Abstand zu beobachten, auch weil die Filmrechte über mehr als ein halbes Jahrhundert in der Hand Peter Ostermayrs lagen, der sie 1918 noch von Ludwig Ganghofer selbst erwarb. Dank der Veröffentlichung aller drei Versionen auf DVD durch FILMJUWELEN, besteht endlich die Möglichkeit die Filme nicht nur mit dem Romantext zu vergleichen, sondern ihre Entwicklung genauer zu analysieren:             "Schloss Hubertus" (1934), "Schloss Hubertus" (1973)


50er Jahre Idyll - Kaffeetafel vor dem Schloss
Nach dem Ende des 2.Weltkriegs dauerte es nur wenige Jahre bis Peter Ostermayr wieder Filme zu produzieren begann. Mit "Ein Mann gehört ins Haus" brachte er April 1948 einen Film in die Kinos, dessen Konzeption noch aus dem Jahr 1945 stammte, dann aber nicht mehr fertiggestellt werden konnte. 1950 stieg er wieder voll in die Ludwig Ganghofer-Verfilmungen ein. "Der Geigenmacher von Mittenwald" kam drei Monate nach "Schwarzwaldmädel" (1950) heraus, der unter der Regie seines alten Partners Hans Deppe entstanden war. Von „Schloss Hubertus“ (1934) bis „Der Ochsenkrieg“ hatten Deppe und Ostermayr bei sechs Filmen eng zusammen gearbeitet, nur sein Drehbuch zu „Waldrausch“ ließ Ostermayr von seinem Sohn Paul May (noch unter dem Namen Paul Ostermayr) umsetzen. Nach 1945 gingen sie konsequent getrennte Wege, obwohl Beide in den 50er Jahren zu den aktivsten Vertretern des Heimatfilm-Genres zählten. Auch Paul May drehte keinen Film mehr unter der Hoheit seines Vaters, der nach dem Krieg gemeinsam mit seinem Bruder Ottmar eine neue Produktionsgesellschaft gründete. Wieso es zu dieser bemerkenswerten Konsequenz kam, lässt sich leider nicht in Erfahrung bringen.

50er Jahre-Wirtschaftswunderidyll - Mercedes vor der Bergkulisse
Da Peter Ostermayr die Rechte besaß, suchte er sich neue Regisseure für seine Ganghofer-Interpretationen, wechselte die Künstler aber regelmäßig. Nur anfänglich wagte er Experimente, später wählte er seine Favoriten fast ausschließlich aus dem kleinen Kreis erfahrener Genre-Regisseure (siehe „Der innere Zirkel wächst“). Nach zwei Filmen mit Harald Reinl engagierte er für seine sechste Ganghofer-Verfilmung nach dem Krieg Helmut Weiss, bekannt geworden als Regisseur der „Feuerzangenbowle“ (1944) und zuvor schon mit „Einmal am Rhein“ (1952) im Heimatfilm erfolgreich.„Schloss Hubertus“ war nicht das erste Remake einer eigenen Ganghofer-Produktion, aber die erste Wiederholung eines Films, zu dem Ostermayr auch das Drehbuch geschrieben hatte. Aus dem Vergleich beider Versionen lässt sich detailliert auf den Wandel des Publikumsgeschmacks schließen:


1. Die Romanvorlage

Graf Egge und Sohn Willy mit den Jägern Schipper und Hornegger
An den Grundzügen seiner Romanbearbeitung änderte Ostermayr nur wenig. Weiterhin beschränkte er sich auf die beiden Handlungslinien um den fanatischen Jäger Graf Egge (Friedrich Domin) und die Liebesgeschichte seiner Tochter Kitty (Marianne Koch) mit dem Maler Forbeck (Michael Heltau). Die Nebengeschichten, die Ludwig Ganghofers Roman einen realistischen Hintergrund verliehen (ausführliche Analyse, siehe „Schloss Hubertus“ (1934)), ließ er erneut größtenteils weg. Auf Grund des fortgeschrittenen Alters von Paul Richter, der mit knapp 60 Jahren ein zweites Mal den Jäger Hornegger spielte, ist die Hochzeit mit der von ihm begehrten Mali (Elisabeth Wischert) schon vollzogen. Die im Roman beschriebenen dramatischen Umstände um ihre Verbindung – finanzielle Not, Kindstod, Versorgung des brüderlichen Haushalts – fehlten schon in der Erstfassung. Einzig Egges Sohn Willy (Raidar Müller-Elmau) fand diesmal Eingang in die Verfilmung, die negativ besetzte Figur des arroganten dritten Sohns Robert wurde wie schon 1934 nicht berücksichtigt.

Willy (Raidar Müller-Elmau) und Dorfschönheit Lieserl (Erika Remberg)
Die Umstände, die zum Tod Willys führen, und die Folgen daraus, hätte Ostermayr für einen kritischen Blick auf die vorherrschende Doppelmoral nutzen können, wie es Ganghofer in seinem Roman trefflich gelang, aber der Autor reduzierte die Szene allein auf Willys plötzlichen Herztod beim Versuch die Fassade zu erklettern, um an Lieserls (Erika Remberg) Fenster zu gelangen. Weder wurde Willys betrunkener Zustand betont, für den er zuvor im Wirtshaus gesorgt hatte, noch dessen Absicht, nur noch einmal bei Lieserl auf seine Kosten kommen zu wollen - nachdem ihm sein Bruder Robert geraten hatte, daraus bloß keine ernste Sache werden zu lassen. Im Film erhielt die Verbindung zwischen dem Grafen und der Dorfschönheit dagegen den Charakter einer ernsthaften Liebesgeschichte. Entsprechend fehlte auch die Konsequenz, dass Lieserl noch am frühen Morgen mit einem ihr unliebsamen Handwerker aus dem Dorf verlobt wurde, um ihren Ruf zu wahren.


2. Die Führungsfigur

Graf Egge (Friedrich Ulmen) und der verschlagene Jäger Schipper (Karl Hanft)
Der kränkliche, aber liebenswerte jüngste Sohn Willy hatte auch im Roman die Funktion, den despotisch-fanatischen Charakter des Grafen Egge etwas abzuschwächen, der mit ihm vergleichsweise rücksichtsvoll umgeht und ernsthaft schockiert auf dessen Tod reagiert. Da Ostermayr aber die generelle Verbitterung des Grafen im Umgang mit seinen Mitmenschen nicht einbezog, relativierte er dessen unbedingten Machtanspruch, seine streng konservative Haltung und ausschließliche Fixierung auf die Jagd im Vergleich zur 34er Fassung noch weiter. Beide Filme beginnen zwar fast identisch - Egge und Jäger Hornegger (Paul Richter) beobachten den Flug eines Adlers, dessen Horst sie finden wollen  – aber auf die folgende Sequenz, in der der Graf zu der Geburtstagsfeier seiner Tochter ins Schloss kommt, verzichtete Ostermayr in seiner Neufassung. Zurecht, ließe sich anmerken, denn diese Szene stammte nicht von Ganghofer. Aber sie vermittelte in der ersten Verfilmung noch viel von Egges Geisteshaltung, seiner harten Kritik an seinem ältesten Sohn Tassilo und seiner abschätzigen Meinung über eine Gesellschaft, die es sich auf seine Kosten gut gehen lässt.

Krach zwischen Vater und Sohn Tassilo (Heinz Baumann)
Dass damit auch die unglaubwürdige Story von dem Prozess, der angeblich das Vermögen des Grafen gefährdet, entfiel – in der weiteren Handlung kam Ostermayr auf diese anfänglich aufgebaute Dramatik nicht mehr zurück – war positiv, aber das veranlasste den Autor nicht, sich in seiner Überarbeitung wieder Ganghofers Roman anzunähern. Im Gegenteil konstruierte er eine noch unrealistischere Situation, nur um die Auseinandersetzung zwischen dem Grafen und Tassilo (Heinz Baumann) zu begründen, ohne die im Roman geschilderten Standesdünkel des Adligen gegenüber der Münchner Sängerin und zukünftigen Frau Tassilos, Anna Herwegh (Renate Hoy), anführen zu müssen. Stattdessen stammt die junge Frau erneut aus der Nachbarschaft. Diesmal ist sie nicht die Tochter eines Prozessgegners, sondern eines Geschäftsmanns, der die Jagd ersteigert, die an Egges Gebiet grenzt und für deren Erwerb der Graf seinen Sohn als Rechtsanwalt beauftragt hatte. Da Tassilo eine Viertelstunde zu spät eintraf, misslang das Vorhaben. Er hatte Lieserl geholfen, die mit ihrem Fuhrwerk vor seinem Mercedes erschreckte und in einem Graben gelandet war.

Graf Egge mit dem Ehepaar Franz und Mali Hornegger
Wahrscheinlich brachte das Tassilo beim damaligen Publikum Sympathiepunkte ein, aber die Wut seines Vaters ist ebenso verständlich wie Ostermayrs Story an den Haaren herbei gezogen. Kaum eine Gemeindeverwaltung wird sich wegen ein paar Minuten Verspätung einen potenten Bieter entgehen lassen, abgesehen davon, dass es die normale Professionalität vorschreibt, mindestens eine Stunde früher vor Ort zu sein. Erst recht, wenn es sich um einen so wichtigen Termin für den eigenen Vater handelt. Vielleicht hielt Ostermayr die Standesdünkel des Grafen gegenüber einer Sängerin auch nicht mehr für zeitgemäß, denn er hatte die Handlung in die Gegenwart, Mitte der 50er Jahre, verlegt, aber das entschuldigt nicht die fehlende innere Schlüssigkeit der von ihm erdachten Alternative. Diese geringen Abweichungen von Ganghofers Roman ließen sich vernachlässigen, beträfen sie nicht den im Gesamtkontext wichtigen Aspekt in der Charakterzeichnung des Grafen, der zum endgültigen Bruch mit seinem ältesten Sohn führt.

Graf Egge bleibt souverän als Forbeck (Michael Heltau) ihn fürs Modellstehen bezahlt
Doch von dessen sturer, ichbezogener Haltung blieb nichts übrig. Stattdessen gab Friedrich Domin den Grafen im Stil eines strengen, aber charmanten Übervaters. Im allgemeinen Umgang jovial, in der Sache genau, nur manchmal etwas über die Strenge schlagend. Wenn ihn wieder die Jagdleidenschaft packt und er spontan einen Bock erschießt, den er eigentlich seinem Sohn Willy hatte überlassen wollen, dann wirkt das verzeihlich. Auch im Roman ist Graf Egge keine einseitig negative Figur, bedingt auch durch die Normalität einer solchen Autoritätsperson Ende des 19.Jahrhunderts, aber seine Uneinsichtigkeit und Fixierung standen für eine in der Vergangenheit verbliebenen Haltung, die ausschlaggebend für den entstehenden Generationskonflikt wurde. Der Graf Egge in der 54er Filmfassung ist dagegen im besten Sinn ein Konservativer, passend zur aufstrebenden BRD der Nachkriegszeit. Seinem Streit mit Sohn Tassilo, dem Heinz Baumann nicht das selbstbewusste Profil seines Vorgängers verleihen konnte, fehlt die Tiefe des Disputs zwischen Tradition und Moderne – sie ist nur verständlicher Ausdruck persönlicher Enttäuschung des Grafen.

Auf die Schauwerte der berühmten Szene, in der Egge über eine mehr als 60 Meter lange Leiter zum Adlernest empor klettert, wollten Ostermayr und Regisseur Weiss trotzdem nicht verzichten, obwohl die Intention, sich auf diese Weise in Lebensgefahr zu bringen, in der 54er Fassung noch weniger nachvollziehbar wurde als in der Erstverfilmung. Der Adlerkäfig am Schloss fehlte ebenso wie die Sucht des Grafen, Jungadler dort gefangen zu halten. Die Wut, mit der er die eingesperrten Tiere nach seiner Erblindung erschießt, fand folgerichtig keine Erwähnung. Offensichtlich sollte dem Publikum die von Ganghofer zwiespältig entworfene Führungsfigur nicht zugemutet werden. Bezeichnend für eine zunehmende Nivellierung dramatischer Aspekte im Heimatfilm Mitte der 50er Jahre. Egges Erblindung wird so unmittelbar mit der allgemeinen Versöhnung des Vaters mit seinen Kindern kontrastiert, dass sich die Tragik dieser Situation kaum entfalten kann. Im Gegensatz zum Graf Egge der 34er Version, der am Ende fast demütig wirkt, blieb der Egge der 54er Fassung trotz seiner Behinderung jederzeit Herr der Situation. Dass Ostermayr seinen abschließenden Tod erneut wegließ, ist da nur noch eine Randnotiz.


3. Das Frauenbild

Erste Begegnung in der Wadhütte - Geislein (Marianne Koch) und Forbeck
Marianne Koch als Nachfolgerin von Hansi Knoteck in der Rolle der Kitty, genannt „Geislein“, zu besetzen, war eine gute Wahl. Sie hatte schon im Jahr zuvor als Gittli in „Der Klosterjäger“ (1953) ihre Eignung für die von Ludwig Ganghofer bevorzugten zarten und großäugigen „ jungen Dinger“ bewiesen, die sich deutlich von den Bauernmädchen mit den „armdicken Zöpfen“ unterschieden. Dieser Typus eines „entzückenden Geschöpfs“ (O-Ton Michael Heltau in der Rolle des Malers Forbeck) galt als besonders schützenswert und erweichte auch das Herz des im Roman frauenverachtenden Grafen Egge. An diesem Idealtypus männlicher Fantasie hatte sich im Gegensatz zu den Männercharakteren seit Ganghofers Zeiten wenig geändert. Tatsächlich wirkte die damals 22jährige Marianne Koch in ihrer Rolle noch mädchenhafter als Hansi Knoteck, der das Leben in der harten Bergwelt eher abzunehmen war.

Wiedersehen in Italien
Zu verdanken ist dieser Eindruck auch dem zeitlichen Hintergrund. Spielte die Erstverfilmung Ende des 19.Jahrhunderts, standen Kitty hier die Errungenschaften der 50er Jahre zu Verfügung, die das Leben im Schloss zum luxuriösen Vergnügen werden ließen. Kaum vorstellbar, dass sich die gräfliche Familie im Winter in wärmere Gefilde begeben musste, wie es Ganghofer noch in seinem Roman beschrieb. In bunten Sommerkleidern und hochhackigen Pumps wandeln die Frauen durch die Gärten und Flure des Schlosses, auch Lil Dagover als Anstandsdame Tante Gundi ist hier von deutlich gefälligerem Zuschnitt als ihre Vorgängerin in der 34er Version. Diese zeitgemäße Optik kann aber nicht darüber hinwegtäuschen, dass sich an den Geschlechterrollen wenig geändert hatte. Das neckische Kennenlernen von Kitty und dem Maler in der Waldhütte, in der sie durchnässt von einem Gewitter Unterschlupf gesucht hatte, variierte die Situation im Erstling nur wenig.


Insgesamt wirkt die gesamte Handlungslinie um Kitty und ihre Liebe zum Maler Forteck leichter und komödiantischer – nicht nur im Vergleich zum Roman, sondern auch zur ersten filmischen Umsetzung. Zu verdanken ist das Michael Heltau, dessen Besetzung als Maler von einem unverkrampfteren Verhältnis der Macher zur Beziehung Komtesse / Künstler als im 1934er Film zeugt, in dem Hans Schlenck die Rolle zackig tüchtig anlegte. Heltau kam Ganghofers Romanfigur näher und wirkte auch im Zusammenspiel mit Marianne Koch entspannter. Obwohl auch er gezwungen ist, erst einmal sein Einkommen und seinen Status zu festigen, bevor er sich dem Schlossfräulein weiter nähern darf – in dieser Hinsicht gab es keinen Unterschied zwischen 1892 und 1954 – ging darüber etwas der dramatische Aspekt verloren. Anders als Hansi Knoteck wurde Marianne Koch in ihrer Rolle nicht zu ständigen Gefühlswallungen gezwungen, sondern agierte meist fröhlich unbeschwert.


4. Entwicklung des Heimatfilms

Diener Moser (Gustav Waldau) und sein Schlossherr
Allgemein gültige Fakten zur Entwicklung des Heimatfilms Mitte der 50er Jahre lassen sich an Hand des Vergleichs zweier Filme schwerlich festlegen, aber Tendenzen werden dank des jeweils von Ostermayr verantworteten Drehbuchs erkennbar. Obwohl der Autor mit der Einbeziehung des Sohns Willy dem Romantext näher kam, ging die kritische Sichtweise Ganghofers weiter verloren. „Schloss Hubertus“ wies damit schon auf den sich verändernden Stil im Heimatfilm-Genre hin, dramatische Wendungen so mit komödiantischen oder gefühlvollen Momenten zu kombinieren, dass der Unterhaltungsfaktor gewährleistet blieb. Produzent Ostermayr und Regisseur Weiss verzichteten zwar weiterhin auf Folklore, führten aber mit dem Diener Moser (Gustav Waldau) eine humoristisch menschelnde Figur ein, die unter dem Original-Graf Egge schnell das Weite gesucht hätte. Ob Wilderer-Thematik, Willys Tod oder Egges Bruch mit seinem Sohn Tassilo – die Tragik dahinter wurde nur noch behauptet, sollte den Betrachter aber nicht mehr ernsthaft konfrontieren.

Ganghofers Romane waren zuerst Unterhaltungs-Literatur, nicht ohne Grund gehörten sie jahrzehntelang zu den Bestsellern. Das hinderte den Autor aber nicht daran, realistische Hintergründe mit einzubeziehen und dramatische Wendungen glaubhaft auszuarbeiten. In der Verfilmung von 1934 lassen sich dank der noch vorhandenen Zwiespältigkeit in der Charakterisierung des Grafen Egge Reste davon spüren, im 54er Film blieb davon nichts mehr übrig. Nachdem er Kitty und ihrem Maler die Erlaubnis zur Vermählung gegeben hatte – natürlich mit der Bitte verbunden, bei ihm im schönen Schloss Hubertus zu bleiben  – versöhnt er sich noch mit seinem Sohn und Schwiegertochter Anna. Damit ist die Welt wieder für ihn in Ordnung. In Ganghofers Roman wäre das für den fanatischen Jäger unvorstellbar gewesen, beim Publikum ist die 54er Version aber bis heute die beliebteste.

"Schloss Hubertus" Deutschland 1954, Regie: Helmut Weiss, Drehbuch: Peter Ostermayr, Ludwig Ganghofer (Roman)Darsteller : Marianne Koch, Friedrich Domin, Paul Richter, Heinz Baumann, Lil Dagover, Michael Heltau, Raidar Müller-Elmau, Erika Remberg, Karl HanftLaufzeit : 86 Minuten 

weitere im Blog besprochene Filme von Helmut Weiss:

"Die Feuerzangenbowle" (1944)
"Drei Mann in einem Boot" (1961) 
"Auf Wiedersehen am blauen Meer" (1962)


 Thematisch weiterführender Link:

- "Vom Bergdrama zur Sexklamotte - der Heimatfilm im Zeitkontext" (Grundlagen des Heimatfilm Genres)