Freitag, 26. September 2014

...und noch nicht sechzehn (1968) Peter Baumgartner

Inhalt: Während Helen Sheira (Helen Vita) ihr Lied „Sexy und noch nicht 16“ in einem Nachtclub zum Besten gibt, benimmt sich ein Gast daneben. Kein Problem für Johnny (Peter Capra), der persönlich den Störenfried hinauswirft und sich auch sonst um alle Belange der eigenwilligen Diva kümmert. Die 15jährige Rosy (Rosemarie Heinikel) ist aus dem Fürsorgeheim abgehauen und irrt durch die nächtlichen Straßen bis sie zufällig auf Helen und ihre Begleiter trifft, als diese den Abend noch ausklingen lassen wollen. Rolf, ein Bewunderer Helens, nimmt sich des jungen Mädchens gleich an und sorgt für ihre Unterkunft in seiner Studentenwohnung.

Doch es gibt nicht nur liebevolle Interessenten an dem hübschen Mädchen. Besonders Johnny, der sich als künstlerischer Direktor nicht genügend anerkannt fühlt, plant ein großes Ding mit ihr. Er gibt sich Rosy gegenüber großzügig und nett, so dass sie ihn ganz begeistert zum 6-Tage-Rennen begleitet, nicht ahnend, dass er sie an einen der Radrennfahrer als Prostituierte verschachern will…



Mit "...und noch nicht 16" setzte die PIDAX am 23.09.2014 ein Ausrufezeichen. Der zwischen "Unruhige Töchter" und "Die Nichten der Frau Oberst" von Erwin C.Dietrich produzierte Film fällt in seiner ungewöhnlichen Kombination aus Kabarett-Gesang, Dokumentation und Thriller aus dem Rahmen üblicher Erotik-Filme und wirkt wie eine Zusammenfassung der zuvor in Dietrich-Produktionen verwendeten Stile von der Komödie bis zum Bénazéraf-Einfluss aus "St.Pauli zwischen Nacht und Morgen".  Zudem waren mit Helen Vita und Rosy-Rosy (bürgerlich Rosemarie Heinikel) zwei ungewöhnliche weibliche Stars mit an Bord, die dem Film ein unverwechselbares Zeitkolorit verliehen. (Die grünen Links führen zur Amazon-Bestellseite).











In einem Interview erläuterte Peter Baumgartner, wie es zu den Pünktchen kam, obwohl der zu Beginn eingeblendete Filmtitel "Sex und noch nicht sechzehn" lautet. Produzent Erwin C.Dietrich durfte den Film nur mit diesen Pünktchen vermarkten, so die deutschen Tugendwächter - eine Entscheidung, die direkt ins Filmgeschehen überleitet. Helen Vita, die sich hier selbst als Nachtclub-Sängerin Helen Sheira spielte und insgesamt drei wunderbar frivole Lieder zum Besten gab - der Film startet mit ihrem Lied "Sexy und noch nicht 16" - hatte in den Jahren zuvor reichlich Erfahrung mit der deutschen Justiz gesammelt, die ihre insgesamt vier Schallplatten mit "Frechen Chansons aus dem alten Frankreich" aus dem Verkehr gezogen hatte, so dass diese nur noch unter dem Ladentisch gehandelt werden durften. Erst 1969 wurden ihre Interpretationen per Gerichtsbescheid als "künstlerisch wertvoll" wieder freigegeben, deutlich nach dem Entstehungszeitpunkt des Films, der Helen Vita offensichtlich eine Bühne für ihre Songs geben sollte.

Ein naheliegender Gedanke, denn Helen Vita war die Ehefrau des Komponisten Walter Baumgartner, dessen Neffe Peter Baumgartner, sonst bei Dietrichs Filmen ausschließlich hinter der Kamera anzutreffen, hier einmalig auf den Regie-Stuhl wechselte, um die Inszenierung Vitas persönlich zu übernehmen. Walter Baumgartner komponierte dazu nicht nur wie gewohnt die Filmmusik, sondern schrieb seiner Frau die Lieder auf den Leib - eine künstlerisch kongeniale Familienzusammenführung. Doch damit nicht genug. Mit der damals 20jährigen Rosemarie Heinikel, hier unter ihrem Künstlernamen Rosy-Rosy, besetzte Dietrich erstmals eine junge Schauspielerin in der Rolle der titelgebenden „unter 16jährigen“, die wenig später neben Uschi Obermaier zu den bekanntesten weiblichen „Kommunarden“ der 68er Generation gehören sollte. Obwohl das aus einem Heim geflüchtete Mädchen im Film mehrfach Opfer von Vergewaltigern wird, strahlte Rosemarie Heinikel jederzeit Coolness und Stärke aus und spielte auch ihre Nacktszenen mit größter Natürlichkeit. Entsprechend absurd wirkt die Betonung ihrer Oberweite aus Marketing-Gründen, so sehr fehlt diesen Szenen die künstliche Perfektion heutiger Inszenierungen.

Im Vergleich zu Helen Vita und Rosemarie Heinikel hinterlassen die männlichen Protagonisten im Film einen jämmerlichen Eindruck, abgesehen von Rolf, dem fleißigen Studenten, der sich zum Ritter für die kleine Rosy aufschwingt – sehr schön die Szene im Schnee vor einer Burg, wo er mit einem Ast als Schwert gegen sich selbst um das begehrte Fräulein kämpft. Wieder in der Realität angekommen, ist er ganz der vernünftige junge Mann, der sich intensiv um sein Studium kümmern muss, weshalb er Rosy hin und wieder aus den Augen verliert, um ihr mehrfach in letzter Minute zu Hilfe zu kommen. Sein dabei geäußerter Vorwurf an diverse Herren, sie wäre noch keine Sechzehn, hindert ihn aber nicht daran, selbst mit ihr zu schlafen – natürlich im gegenseitigen Einvernehmen.

Peter Baumgartner, der auch das Drehbuch schrieb, kümmerte sich um keine Konstante im Film. Mal liegt der Schwerpunkt auf Helen Vitas Präsenz, mal auf Rosis Erlebnissen als Herumtreiberin, um beide Story-Lines nach Gelegenheit spielerisch zu verzahnen. Straighter wurde die Handlung erst in der zweiten Hälfte, als sich zunehmend der Bènazeraf-Einfluss aus „St.Pauli zwischen Nacht und Morgen“ (1967) durchsetzte, der aus dem Nachtleben-Lokalkolorit, samt künstlerischer Erotik-Einlage, eine Crime-Story um Prostitution und Erpressung werden ließ. Peter Capra, der in „Unruhige Töchter“ (1968) schon als fieser Mitschüler und Vergewaltiger auftrat, gibt hier erneut den schmierigen Bösewicht, der erst Rosy an Freier vermittelt, um diese dann wegen ihrer Minderjährigkeit zu erpressen.

Dass er in der ersten Hälfte des Films noch den künstlerischen Direktor des Nacht-Clubs gab und mit Helen Vita deren Abendprogramm einstudierte, passt zu einem Film, der die unterschiedlichsten Sujets – kabarettistischer Gesang, dokumentarische Aufnahmen des Zürcher Nachtlebens mit dem 6-Tage-Rennen, komödiantische Elemente, Erotikszenen und eine brutale Kriminalgeschichte – zu einem knapp 70minütigen Konglomerat zusammenfasste, dass nicht nur jeden Moment unterhalten kann, sondern aus seiner stilistischen Vielfalt von spontan wirkenden Aufnahmen bis zu ästhetisch komponierten Schwarz-Weiß-Bildern eine nächtlich-flirrende Einheit entwickelte.

"...und noch nicht sechzehn" Deutschland / Frankreich 1968, Regie: Peter Baumgartner, Drehbuch: Peter Baumgartner, Darsteller : Helen Vita, Rosemarie Heinikel, Peter Capra, Andy Burton, Alfred FreiLaufzeit : 70 Minuten 



weitere im Blog besprochene Filme von Erwin C.Dietrich:

Samstag, 20. September 2014

Alle Sünden dieser Erde (1958) Fritz Umgelter

Inhalt: Dr.Regine Lenz (Barbara Rütting) arbeitet als Assistenzärztin in einem städtischen Krankenhaus, argwöhnisch beobachtet von ihrem Chefarzt, der sich nicht an Frauen in dieser Position gewöhnen will. Auch ihr Vater (Herbert Kroll), ein pensionierter Witwer, in dessen Haus sie noch lebt, verlangt von ihr trotz ihres anstrengenden Jobs ihre hausfraulichen Pflichten zu erfüllen, während ihr jüngerer Bruder (Peter Vogel) alle Freiheiten genießt, obwohl er die Schule und Ausbildung geschmissen hatte. Dass er auf seinen mager bezahlten Job keine Lust mehr hat hat, weiß sein Vater nicht.

Die größte Freude ist es deshalb für Regine, dass ihr Verlobter sie mit seinem Auto abholt, das er sich dank seiner neuen, gut bezahlten Festanstellung als Arzt leisten kann. Endlich könnten sie heiraten, aber stattdessen gesteht er ihr, die Tochter seines Chefs ehelichen zu wollen. Das müsste sie verstehen, denn sonst hätte er den Job nicht bekommen. Es tröstet sie auch nicht, dass er ihr schwört, nur sie zu lieben. Sie will aussteigen und greift ihm dabei ins Lenkrad, was zu einem für ihn tödlichen Unfall führt. Leicht verletzt flieht sie vom Unfallort, aber ein drogensüchtiger Patient hatte sie gesehen, als sie bei ihm eingestiegen war und erpresst sie. Er braucht Morphium, das sie ihm aus dem Krankenhaus besorgen soll…


Die 50er Jahre gelten nach wie vor als letzte Bastion moralischen Anstands, bevor die 60er mit ihrer "sexuellen Revolution" die Wende zur heutigen freizügigen Gesellschaft einläuteten. Die Klischees von klaren Geschlechterrollen und intakten Familienverhältnissen verdanken ihre Langlebigkeit auch dem Kino, dessen immenser Output an Heimatfilmen, musikalischen und sonstigen Komödien dieses Bild bis heute prägen. Dabei lässt die Beschwörung dieser vermeintlichen Idylle auch die Notwendigkeit erkennen, einer Realität nachhelfen zu müssen, die diesem Ideal nicht entsprach - letztlich auch der Anlass für die in der zweiten Hälfte des Jahrzehnts aufkommenden moralisch motivierten Dramen ("Die Halbstarken", 1956), die mit unverhohlen formulierten Warnungen eine Entwicklung aufhalten wollten, die schon unmittelbar nach dem Krieg einsetzte.

Auch Produzent Wolf C.Hartwig wird heute vor allem als Initiator des semi-dokumentarischen Sex-Films der frühen 70er Jahre angesehen, der mit dem "Schulmädchen-Report" (1970) eine Popularitäts-Welle lostrat, ohne das es noch bekannt ist, dass die Wurzeln seiner Erotik-Filme schon in den 50er Jahren zu finden sind. Nach seinem frühen Dokumentarfilm "Bis fünf nach zwölf - Adolf Hitler und das 3. Reich" (1953) dauerte es noch vier Jahre, bis er mit "Liebe, wie die Frau sie wünscht" (1957) seinen ersten Spielfilm produzierte, der eine Reihe ähnlich gelagerter Filme nach sich zog, die als "Schmuddel-Filme" betrachtet wurden, weil sie der propagierten Außendarstellung der Gesellschaft widersprachen. Sein zweiter Spielfilm "Alle Sünden dieser Erde" kann in dieser Hinsicht als prototypisch gelten, da Hartwig darin in dichter Folge Aspekte behandelte - Drogenmissbrauch, Abtreibung, Frauenknast, Promiskuität, Sex und Prostitution - die selten mit den 50er Jahren assoziiert werden.

Die gesamte Story um Unfallflucht und verratene Liebe bettete er in eine kaputte Familienkonstellation mit rückständigem Vater (Herbert Kroll), fleißiger, aber nicht anerkannter Tochter (Barbara Rütting) und einem Hallodri als Sohn, dem der junge Peter Vogel so ziemlich alle negativen Charaktereigenschaften verlieh, die faulen und verwöhnten Jugendlichen nachgesagt wurden. Besonders schön perfide die Szene, in der Willi (Peter Vogel) seinen alten, kränklichen Vater erneut bestiehlt und als Alibi einen Einbruch vortäuscht, ohne zu bemerken, dass dieser auf Grund der Geräusche gerade einem Herzinfarkt erlegen ist. Die ganze Mühe hätte er sich sparen können. Auch hinsichtlich der Nacktdarstellungen ließ sich Wolf C.Hartwig nicht lumpen, weshalb es nicht erstaunt, dass "Alle Sünden dieser Erde" wenig Reputation erfuhr, obwohl der Produzent bewährtes Personal an Bord hatte.

Drehbuchautor Johannes Kai hatte bei seiner intensiven Zusammenarbeit mit Regisseur Hans H.König schon bewiesen, dass auch das Heimatfilm-Genre über einen erotischen Subtext verfügen kann ("Heiße Ernte", 1956) und blieb noch über Jahre hinweg Hartwigs Begleiter ("Der schwarze Panther von Ratana", 1963). Der viel beschäftige Fernseh-Regisseur Fritz Umgelter unterbrach kurz seine TV-Karriere und mit Albert Lieven, Paul Dahlke und Ivan Desny gehörten weitere renommierte Darsteller zum Ensemble. Auch Wolfgang Büttner glänzte erstmals in einer Hartwig-Produktion als Moralapostel - eine damals noch unumgängliche Figur, um einen solchen Film in die Kinos bringen zu können. Hier gab er einen toleranten Priester, der auch für die tief gefallenen Schäfchen noch ein offenes Ohr und natürlich einen guten Ratschlag parat hat. In "Die Wahrheit über Rosemarie" (1959) spielte er später einen Psychologen, der über die Prostitution als "heilbare Krankheit" sinniert.

Trotz dieser erst ganz am Ende auftretenden relativierenden Figur - nur Ivan Desny bewahrt in seiner Rolle als engagierter Anwalt noch den Glauben an das Gute im Menschen - hielt sich der Film mit dem erhobenen Zeigefinger wohltuend zurück. Zu verdanken ist das dem Spiel Barbara Rüttings, die ohne zu lamentieren ihren Weg von der studierten Ärztin zur Prostituierten geht. Dr. Regine Lenz hatte ihrem Verlobten bei einem gemeinsamen Ausflug mit dessen neuen Auto ins Lenkrad gegriffen, nachdem dieser ihr offenbart hatte, die Tochter seines Chefs zu heiraten. Natürlich nur aus Karriere-Gründen, Sex wollte er weiter mit ihr haben. Damit verursachte sie einen für ihn tödlich ausgehenden Unfall, flieht aber vom Unfallort, ohne sich der Polizei zu stellen. Ein drogenabhängiger Patient, der zufällig gesehen hatte, dass sie in dessen Auto eingestiegen war, erpresst sie, ihm Medikamente auszuhändigen – und bringt damit ihren Niedergang ins Rollen.

Die herbe Schönheit Rütting - zuvor schon Hauptdarstellerin in "Liebe, wie die Frau sie wünscht" – entsprach nicht dem braven, unschuldig wirkenden Typus, was sie für diese Rolle prädestinierte, deren Schicksal sie mit einer solch stoischen Gelassenheit ertrug, dass sie trotz ihrer menschlichen Verfehlungen inmitten ihrer selbstsüchtigen Zeitgenossen zur Identifikationsfigur wird. Paul Dahlke als schmieriger Unternehmer, ihre frühere Kommilitonin Hannelore (Marion Blanc-Evert), die gemeinsam mit ihrem Mann eine geheime Abtreibungs-Klinik trotz ihres abgebrochenen Medizin-Studiums führt, und eine Vielzahl weiterer selbstzufriedener Zeitgenossen geben hier Parade-Beispiele rücksichtsloser Kapitalisten in der „Wirtschaftswunder-BRD“ ab, die das Abrutschen Regines in die Kriminalität als lässliche Sünde ansehen lassen.

„Alle Sünden dieser Erde“ entfaltete um seine sympathische Protagonistin das wunderbar polemische Kaleidoskop einer egoistischen Sozialisation. Leider blieb dem Film die Anerkennung als Gesellschaftskritik wegen seines so unterhaltenden, wie kalkulierten Charakters versagt, zeigte aber schon früh Wolf C. Hartwigs Gespür für tabuisierte Realitäten.








"Alle Sünden dieser Erde" Deutschland 1958, Regie: Fritz Umgelter, Drehbuch: Johannes Kai, Darsteller : Barbara Rütting, Peter Vogel, Ivan Desny, Paul Dahlke, Albert Lieven, Wolfgang Büttner, Laufzeit : 96 Minuten

Sonntag, 14. September 2014

Die feuerrote Baronesse (1959) Rudolf Jugert

In Erinnerung an Joachim Fuchsberger, mit 87 Jahren gestorben am 11.09.2014 

Inhalt: Frühjahr 1944 - Bei einem Fliegerangriff auf Deutschland springt der englische Agent Tailor (Joachim Fuchsberger), dank seiner deutschen Mutter die Sprache perfekt beherrschend, heimlich in der Nähe Berlins ab, verletzt sich aber bei der Landung leicht an den Zähnen. Erwartet wird er von einem Mitglied einer Fronttheater-Gruppe, bei der er unerkannt unterkommen kann, um unauffällig in der Hauptstadt herauszufinden, wie weit die Entwicklung der Atombombe schon fortgeschritten ist.

Als Kontaktperson wurde ihm die Spionin Szaga de Bor (Dawn Addams) genannt, bekannt als Nachclub-Sängerin „Die feuerrote Baronesse“, die er in Berlin aufsucht. Obwohl sie ihm einen wichtigen Hinweis gibt, traut Tailor der frivolen Dame nicht, da zuletzt ein Agent enttarnt wurde. Um näheres über einen wenig überzeugenden Archäologen zu erfahren, der höchstwahrscheinlich zu dem Atomwaffen-Forscherteam gehört, begibt er sich in die Zahnarztpraxis von Professor Reimer (Hans Nielsen), seine Zahn-Verletzung nutzend. Dabei begegnet er der hübschen Zahnarzthelferin Juliane (Wera Frydtberg), mit der er anbandelt, obwohl er weiß, dass es sich um die Tochter des Oberst der Gestapo Urbaneck (Paul Dahlke) handelt, ahnt aber nicht, wie nah dieser ihm schon auf den Fersen ist…


Der Trench steht ihm schon gut
"Der Frosch mit der Maske" (1959) unter der Regie Harald Reinls startete nicht nur die Edgar-Wallace-Reihe, sondern gilt auch für seinen Hauptdarsteller Joachim Fuchsberger als Sprungbrett weg von den Musikkomödien und Heimatfilmen der 50er Jahre ("Mein Schatz ist aus Tirol", 1958), hin zu einem der führenden deutschen Kriminalfilm-Darsteller der 60er Jahre. Dass er gemeinsam mit Harald Reinl zuvor schon zwei Kriegsfilme drehte ("Die grünen Teufel von Monte Cassino" und "U47 - Kapitänleutnant Prien", 1958), die seinen kommenden Status als Action-Helden förderten, ist noch bekannt, vergessen hingegen ist die kurze Phase seiner Zusammenarbeit mit Regisseur Rudolf Jugert, mit dem er zwischen 1958 und 1960 drei Filme drehte.

Gehört "Eva küsst nur Direktoren" (1958) noch in die Kategorie leichter Komödien, leitete ihr Anfang 1959 und damit vor "Der Frosch mit der Maske" herausgekommener zweiter Film "Die feuerrote Baronesse" schon einen Imagewandel für Fuchsberger ein. Seine Rolle als englischer Agent Tailor, der in Nazi-Deutschland herauszufinden versucht, wie weit die Entwicklung einer Atom-Bombe fortgeschritten ist, bot Fuchsberger die Möglichkeit, sich sowohl als smarter Frauen-Typ, als auch als souveräner Held in den Vordergrund zu spielen – selbst die Gelegenheit, in Ruhe seine Pfeife zu rauchen, ließ er sich von den Nazi-Schergen nicht verderben, obwohl diese ihm besonders in der Person eines mit allen Klischees gewaschenen SS-Obersturmbannführer (von Werner Peters mit gewohnter Perfidität gespielt) zunehmend auf den Leib rücken.

Trotz der von Jugert eingefügten dokumentarischen Aufnahmen, beanspruchte der Film keine historische Authentizität, sondern ist reine Fantasie in der Schilderung eines Katz-und Maus-Spiels zwischen dem nach seinem Fallschirm-Absprung bei einer Fronttheater-Gruppe untergetauchten Tailor und Oberst Urbaneck (Paul Dahlke) von der Gestapo, der ihm schnell auf der Spur ist. Zwar ließ „Die feuerrote Baronesse“ in Tailors Liebesgeschichte mit Juliane Urbaneck (Wera Frydtberg), Tochter des Gestapo-Obersts, auch bitter-süße Momente zu, und spielte der angebliche Heldentod ihres gefallenen Bruders auf die Propaganda-Lüge um den Flieger-General Ernst Udet an – die am Ende entdeckte Wahrheit über den Tod seines Sohnes zerstört das Weltbild Urbanecks – aber eine kritische Haltung gegenüber der jüngeren Vergangenheit entfaltete der Film darüber hinaus nicht, sondern ordnete alles einer Spannungs-Schraube unter, deren stark kontrastierenden Schwarz-Weiß-Bilder und leicht verruchten Anspielungen nicht zufällig auf die Edgar-Wallace-Reihe hinwiesen.

Autor J.Joachim Bartsch, der die Agenten-Story erdachte, schrieb nicht nur die Drehbücher zu den zwei Reinl-Kriegsfilmen, sondern war auch an zwei frühen Wallace-Verfilmungen der Rialto-Film-Produktionsgesellschaft beteiligt (nach „Der Frosch mit der Maske“ noch "Die Bande des Schreckens", 1960), so dass von einer stilistischen Linie in Fuchsbergers Schaffen gesprochen werden kann, in der "Die feuerrote Baronesse" zwischen Kriegs- und Kriminal-Genre einen zentralen Platz einnahm. Zudem schrieb Bartsch auch das Drehbuch zu Jugerts kommender Kolportage über den Mord an der Edel-Prostituierten Rosemarie Nitribitt „Die Wahrheit über Rosemarie“ (1959), deren libertäres Sexualverhalten hier die Nachtclub-Sängerin Szaga de Bor (Dawn Addams) übernahm, deren rotes Haar für den Filmtitel verantwortlich war.

Ihre Gesangs-Nummer mit erotisch anzüglichem Inhalt erinnert schon an spätere Wallace-Gepflogenheiten, ebenso ihre zwielichtige Rolle als Kontaktperson für Tailor, der ihr nicht traut und sie für eine Doppelagentin hält. Zwar verdankt er ihr einen wichtigen Hinweis, der ihn zu dem Zahnarzt Professor Reimer (Hans Nielsen) führt, aber lieber fängt er etwas mit dessen hübscher Zahnarzthelferin an als mit der frivolen Szaga de Bor, die sich ihm unverhohlen anbietet (auch wenn Dawn Addams dafür etwas zu brav wirkt). Zudem treibt sie ihre Spielchen mit dem Obersturmbannführer, der ihr in verklemmter sexueller Abhängigkeit zu Willen ist. So bekannt diese Voraussetzungen klingen, gelang es Jugert, daraus eine klar strukturierte, schlüssige Handlung in atmosphärischen Bildern zu entwickeln, die mit überraschenden Pointen aufwarten kann. Zwar wies der von Joachim Fuchsberger verkörperte Typus schon deutliche Charakteristika seiner zukünftigen Rollen auf, aber in ihrer moralischen Sichtweise war „Die feuerrote Baronesse“ im Vergleich zu den Wallace-Filmen weniger konservativ.

"Die feuerrote Baronesse" Deutschland 1959, Regie: Rudolf Jugert, Drehbuch: J.Joachim Bartsch, Darsteller : Joachim Fuchsberger, Dawn Addams, Wera Frydtberg, Paul Dahlke, Hans Nielsen, Werner PetersLaufzeit : 96 Minuten

weitere im Blog besprochene Filme von Rudolf Jugert:

Mittwoch, 10. September 2014

Der Griller (1968) George Moorse

Inhalt: Franz Kaffer (Rolf Zacher) arbeitet in einer Münchner Grill-Stube für ein Einkommen, das keine großen Sprünge zulässt. Doch Franz träumt von einem bequemen Leben mit Frauen und besseren finanziellen Möglichkeiten, weshalb er für einen Kumpel einen gut bezahlten Kurier-Job übernehmen will, ohne dass er sich des Risikos bewusst ist.







Mit Gisela (Franziska Oehme) teilt er zwar gerne die Matratze in seiner spärlich eingerichteten Ein-Zimmer-Wohnung, aber dass die junge Frau mit einem Anderen verheiratet ist, der von ihrem Verhältnis weiß, stört ihn nicht. Denn festlegen will er sich nicht, weshalb ihn auch der Anruf von Jutta (Angelika Bender) wenig begeistert, die ihr kurzfristiges Kommen ankündigt. Er hatte sie nach einem Konzert in Hamburg kennengelernt und eine Nacht mit ihr verbracht, was keine besonders prägende Erinnerung bei ihm hinterließ, aber als die 18jährige in seiner Wohnung steht, ist es auch okay für ihn…


Der in New York geborene Regisseur George Moorse kam schon mit Anfang 20 nach Europa und drehte seine Filme ab Mitte der 60er Jahre ausschließlich in Deutschland, später nur noch für das hiesige Fernsehen, dass ihm aus seiner Sicht eine größere künstlerische Freiheit zubilligte. Ein entscheidender Aspekt für Moorse, der schon 1967 über Francis Ford Coppola urteilte "Er hat sich wirklich eingegliedert und will nur noch einen Swimming Pool und schöne kommerzielle Filme machen" und auch seine deutschen Kollegen mit dem Satz: "Die deutschen Jungfilmer sind alle korrumpiert -- von der Sucht, verstanden zu werden." verspottete. Moorse wollte sich nicht unterordnen und bevorzugte einen improvisativen Stil ohne Sendungsbewusstsein, der auch seine frühen Filme "Kuckucksjahre" (1967) und "Der Griller" auszeichnet, die zu den "Schwabing-Filmen" gezählt werden (wie beispielsweise auch "Zur Sache Schätzchen" (1968)), die den Zeitgeist der späten 60er Jahre authentisch widerspiegelten.

Eine Kategorisierung, die zwar die Modernität des Münchner Stadtteils mit seinen (Lebens)Künstlern und Studenten betonte, gleichzeitig aber die hier geschilderten Lebensvorstellungen junger Deutscher von der restlichen Bevölkerung abgrenzte. Rolf Zacher, der nicht zufällig auch in "Kuckucksjahre" und Moorse' Nachfolgefilm "Liebe und so weiter"(1968) überzeugend einen Freigeist verkörperte, spielt hier Franz Kaffer, der gleich zu Beginn das ungünstige Verhältnis zwischen seinem mageren Einkommen als Mitarbeiter einer Grill-Braterei und seiner Wohnungsmiete beschreibt, das ihm nicht viel Geld zum Leben übrig lässt. Eine Sichtweise, die sowohl Widerstandsgeist, als auch Pragmatismus beweist. Franz hat keine Lust, sich für ein paar Kröten jeden Tag krummzulegen, aber er verfolgt damit keine ideologischen Ziele. Zwar beinhaltet „Der Griller“ alles, wofür „die 68er“ noch heute stehen – freie Liebe, Beat- und Rock-Musik, lange Haare, Drogen und die Ablehnung der bürgerlichen Tretmühle – spielt aber nicht unter Künstlern, Intellektuellen oder Studenten, mit der diese soziologische Entwicklung in der Regel verbunden wird.

Signifikant für Moorse‘ Intention ist die Beziehung zwischen Franz und Gisela (Franziska Oehme), die nur äußerlich gegen die damalige Moralvorstellung verstieß. Gisela ist verheiratet, hatte aber etwas mit Franz angefangen, als ihr Mann Freddy (Nikolaus Dutsch) ein paar Jahre im Ausland war. Wieder zurückgekehrt akzeptiert dieser das Arrangement, so lange die Angelegenheit unter seiner Kontrolle bleibt. Mit „freier Liebe“ oder einer Anti-Establishment-Haltung, wie sie Ende der 60er Jahre häufig propagiert wurde, hat das nichts zu tun. Franz hat gerne Sex, ohne deshalb etwas vortäuschen zu müssen – als Gisela ihn fragt, ob er sie liebt, antwortet er ehrlich, dass er sie mag – und sie hat auch gar nicht vor, sich von ihrem Mann zu trennen. Wunderbar wird ihre gemeinsame Sichtweise in einem langen Dialog deutlich, als sie unter anderem darüber nachdenken, wieviel die Studenten bei ihren Protesten verdienen – umsonst würde sich doch Niemand diese Mühe machen.

Auch Jutta (Angelika Bender), die mit dem Zug von Hamburg nach München kommt, ist gleichzeitig nonkonformistisch und von gutbürgerlichem Pragmatismus. Offen spricht die 18jährige mit einer anderen jungen Frau im Zug über Sex und Verhütung. Mit Franz, zu dem sie gerade spontan nach München fährt, hatte sie nach einem Konzert nur eine Nacht verbracht, was ihr als Anlass für einen Umzug genügt. Die Gesangsszene im Gang vor dem Zugabteil – mehrfach ließ Moorse seine Darsteller in Musiknummern auftreten – könnte aus der Gegenwart stammen, so modern wirken die beiden jungen Frauen in ihrer Optik und ihren Bewegungen. Juttas Verhalten musste damals ausgeflippt bis ungewöhnlich unabhängig gewirkt haben, aber feministische Tendenzen sucht man bei ihr vergebens. Im Hinterkopf hat sie schon einen Alternativ-Plan, falls es mit Franz nicht klappen sollte, und als dieser sie nicht am Bahnhof abholt, begibt sie sich zuerst auf Shopping-Tour. Als Franz seinen holländischen Kollegen fragt, ob sie bei ihm übernachten könnte, fragt dieser zurück: "Ist sie lesbisch oder links?" - "Nein, ganz normal" antwortet Franz.

„Der Griller“ ist besonders in der von Zacher gespielten Rolle des Franz unnachahmlich entspannt und optimistisch, auch die beiden Protagonistinnen Jutta und Gisela sprühen vor Leben, aber die Grenze zwischen Freiheit und bürgerlicher Ordnung blieb auch in Moorse‘ Film sehr schmal. Zwar wird die von Willy Semmelrogge verkörperte Figur eines verklemmten Polizei-Fahnders, der nicht zu Unrecht glaubt, einem Drogen-Delikt auf der Spur zu sein, am Ende geopfert, aber das täuscht nicht darüber hinweg, dass Franz‘ Traum von einem so bequemen, wie angenehmen Leben wenig Chancen auf eine längerfristige Realisierung hat. Nur machte Moorse keine große Sache daraus und verzichtete in der unterschwelligen Erkenntnis, dass die Veränderung der Gesellschaft auch jenseits klassenkämpferischer Parolen nicht mehr aufzuhalten war, auf jede Tragik – eine generelle, voraussehende Haltung, die die einengende Klassifizierung als „Schwabing-Film“ nicht verdiente.

"Der Griller" Deutschland 1968, Regie: George Moorse, Drehbuch: George Moorse, Klaus Lea, Darsteller : Rolf Zacher, Franziska Oehme, Angelika Bender, Nikolaus Dutsch, Willy SemmelroggeLaufzeit : 82 Minuten

Dienstag, 2. September 2014

Der Stoff, aus dem die Träume sind (1972) Alfred Vohrer

Inhalt: 1968 - Während in Prag die russischen Panzer auffahren, um die kurze Phase einer Liberalisierung, genannt der „Prager Frühling“, zu beenden, hat der Journalist Walter Roland (Paul Neuhaus) andere Probleme. Sein Chefredakteur will den Erfolgsautoren in seine neue Kampagne einbauen, mit der er die Verkaufszahlen der Illustrierten „Blitz“ weiter nach vorne bringen will. „Sex“ lautet das Mittel zum Zweck und Roland soll dazu die Serie „Mann total“ schreiben, bebildert von „Bertie“ Engelhardt (Herbert Fleischmann), der schon die Nackten in seinem Studio antreten lässt.

Doch Roland wehrt sich gegen den Willen seines Chefredakteurs, obwohl dieser ihn wegen seiner Schulden unter Druck setzen kann, und erreicht als Gegenleistung, auch eine Reportage über einen geflüchteten tschechischen 11jährigen Jungen schreiben zu können. Gemeinsam mit Bertie fährt er zu dem Flüchtlingsauffanglager, um den Jungen zu interviewen. Dabei begegnen sie nicht nur der schönen Irina (Hannelore Elsner), die über die Grenze gekommen war, um ihren zuvor geflohenen Freund Jan Bilka wiederzufinden, sondern werden Zeuge, wie der Junge im Kugelhagel stirbt...


Für seine zweite Simmel-Verfilmung "Liebe ist nur ein Wort" (1971) hatte Alfred Vohrer auf den 1963 erschienenen gleichnamigen Roman zurückgegriffen, bevor er sich - wie gewohnt gemeinsam mit Drehbuchautor Manfred Purzer - nach "Und Jimmy ging zum Regenbogen" (1971) erneut an einen aktuellen Bestseller des österreichischen Schriftstellers heranwagte. Ein riskantes Unterfangen. Weniger, weil das Buch damals auf unzähligen deutschen Nachttischen lag, sondern weil Simmel in "Der Stoff, aus dem die Träume sind" die Verzahnung mehrerer Erzählebenen auf die Spitze trieb.

Politische Ereignisse wie die Niederschlagung des "Prager Frühling" 1968 und die daraus entstehende Flüchtlingswelle aus der Tschechoslowakei, kombinierte Simmel nicht nur mit einer Thriller-Story über die skrupellos vorgehenden Geheimdienste während des "Kalten Krieges" – eines seiner Lieblings-Themen -  sondern legte noch einen kritischen Disput zum Journalismus darüber, mit dem er zwischen engagierter Recherche und Anpassung an populistische Themen polarisieren wollte. Simmel griff dabei seine eigenen Erfahrungen bei der Illustrierten "Quick" auf (im Buch und Film "Blitz"), für die er in den 50er Jahren gearbeitet hatte und die Ende der 60er zunehmend auf Sex und Nuditäten setzte.

Die beiden Protagonisten Walter Roland (Paul Neuhaus) und „Bertie“ Engelhardt (Herbert Fleischmann) stehen entsprechend für die Spezies des zynischen Schreiberlings (Roland) und des nach Sensationen gierenden Fotoreporters (Engelhardt), die gemeinsam für die "Blitz" eine Serie über den "Mann total" kreieren sollen, die hemmungslos auf der Sexwelle reitet. Fleischmann, der in fast allen Simmel-Verfilmungen Vohrers zum Cast gehörte, überzeugt in seiner zwiespältigen Rolle, gibt zuerst den gewissenlosen Fotografen, der ohne zu Zögern die Tötung eines Kindes mit dem Objektiv festhält, bevor er sich zum Sympathieträger mausert.

Die Figur des Roland war in Vohrers Film dagegen von Beginn an als Identifikationsfigur angelegt. Dessen schlechter Ruf, über seinen Verhältnissen zu leben und kaum einen Weiberrock auszulassen, wird nur dezent angedeutet. Stattdessen offenbart er sich sofort als Mann mit Zivil-Courage, der von seinem Chefredakteur (Arno Assmann) zum Schreiben von "Mann total" gedrängt werden muss, sich als Gegenleistung aber eine Reportage über einen aus der Tschechoslowakei geflüchteten 11jährigen Jungen erstreitet. Harald Leipniz‘ lässige Stimme, mit der Paul Neuhaus interessanterweise nachsynchronisiert wurde, dessen optisch coole Ausstattung und nicht zuletzt sein Buddy „Bertie“ verliehen der eher eindimensional charakterisierten Figur des Journalisten das notwendige Charisma, um die Liebesgeschichte mit der schönen jungen Tschechin Irina (Hannelore Elsner) nachvollziehbar werden zu lassen – ein weiterer Baustein in Simmels komplexem Buch-Universum.

Doch damit nicht genug. Mit der etwa 60jährigen Louise (Edith Heerdegen) schuf der Autor noch eine Figur, die Vergangenheit und Gegenwart in ihrer von zunehmender Schizophrenie beeinflussten Geisteshaltung verband. Sie arbeitet in dem Auffanglager für Flüchtlinge, wo Roland und „Bertie“ ihre Reportage über den tschechischen Jungen beginnen, der in einem Kugelhagel stirbt. Dort lernen sie auch Irina kennen, der sie erst aus den Fängen eines Zuhälters helfen, bevor sie sie aus dem Heim befreien, um sie zu ihrem Freund Jan Bilka nach Hamburg zu bringen, der sie am Telefon verleugnet hatte. Die ältliche Louise folgt ihnen, läuft verwirrt über die Reeperbahn und halluziniert zunehmend zwischen Vergangenheit (schon die Nationalsozialisten hatten das Auffanglager für ihre Zwecke genutzt) und Gegenwart, wo sie von Todesahnungen geschüttelt immer mehr die Kontrolle über ihren Verstand verliert.

Damit orientierte sich Vohrer an Simmels Vorlage, in der die ältere Frau zum imaginären Zentrum der vielen Handlungsstränge wird, aber in der filmischen Umsetzung funktionierte das nicht. Schon die ersten Minuten, wenn „Der Stoff, aus dem die Träume sind“ (nach einem Shakespeare-Zitat aus „Der Sturm“, den Louise immer bei sich trägt) zwischen dokumentarischen Aufnahmen aus Prag und der Redaktionskonferenz zum Thema Sex hin und herspringt, lassen den Film nur langsam in Gang kommen. Zudem verzögerte Vohrers Vorliebe für einfrierende Bilder, um zu einem parallelen Handlungsort zu wechseln, das Tempo, verlieh dem Film aber die notwendige Struktur. Dagegen fügte sich das Auftreten von Louise mitsamt ihrer Fantasien nur selten in die Story ein, sondern unterbrach den Erzählfluss noch zusätzlich.

Vohrer und Purzer mussten an dem Versuch scheitern, möglichst viele Aspekte der Buchvorlage einzubeziehen. Die frühen Bilder von der Niederschlagung des „Prager Frühlings“ haben nur die Funktion des Zeitkolorits, der getötete Junge spielt eine ebenso schnell vergessene Rolle in der Einführung wie die gesamte Flüchtlingsthematik, und selbst die Liebesgeschichte zwischen Roland und Irina bleibt angesichts der fehlenden Entwicklungszeit emotional klischeehaft. Viele interessante Episoden wie der Mord an einem eigenmächtig handelnden Taxifahrer, der ein Verbrechen beobachtet hatte, werden im Schnelldurchgang abgehandelt – nicht erstaunlich angesichts einer großen Nebendarstellerriege um Charles Regnier, Klaus Schwarzkopf, Paul Edwin Roth oder Hans Peter Hallwachs, die alle ihre Szenen bekamen.

Einzig auf der zunehmend gefährlicheren Recherche der beiden Journalisten und der Versuch, ihre Enthüllungsstory zu verhindern, lag das Gewicht der Handlung. Der daraus folgernde damalige Vorwurf gegenüber Simmel, er bediene gleichzeitig die Mechanismen, die er zu kritisieren vorgebe, ließe sich auch auf Vohrers Verfilmung übertragen, dessen Nacktszenen manchem Sexstreifen zur Ehre gereicht hätten. Doch diese Kritikpunkte fallen hinter dem zurück, was stattdessen sowohl in Simmels Buch, als auch Vohrers Film entstand: ein Kaleidoskop der frühen 70er Jahre. Der Story mag es an Stringenz mangeln, aber die ständigen Perspektiv- und Ortswechsel lassen aus vielen Puzzleteilen einen faszinierenden, höchst spannenden und für die Entstehungszeit erstaunlich objektiven Blick auf eine Welt entstehen, an deren von allen Seiten - West wie Ost - ausgeübten zerstörerischen Methoden der Film keinen Zweifel lässt.

"Der Stoff, aus dem die Träume sind" Deutschland 1972, Regie: Alfred Vohrer, Drehbuch: Manfred Purzer, Johannes Mario Simmel (Roman), Darsteller : Paul Neuhaus, Herbert Fleischmann, Hannelore Elsner, Edith Heerdegen, Arno Assmann, Paul Edwin Roth, Klaus Schwarzkopf, Hans-Peter Hallwachs, Charles RegnierLaufzeit : 133 Minuten

weitere im Blog besprochene Filme von Alfred Vohrer:

"Bis dass das Geld euch scheidet" (1960)