Mittwoch, 31. Juli 2013

Liebe - Kälter als der Tod (1969) Rainer Werner Fassbinder



Inhalt: Franz (Rainer Werner Fassbinder), ein mehrfach vorbestrafter Krimineller, soll für das Syndikat arbeiten, weigert sich aber, obwohl er deshalb zusammen geschlagen wird. Ähnlich ergeht es Bruno (Ulrich Lommel), der ebenfalls von den Männern des Syndikats bewusstlos geschlagen wird, weshalb ihm Franz anbietet, zu ihm nach München zu kommen, wo er mit seiner Freundin Johanna (Hanna Schygulla) zusammen lebt, die für ihn als Prostituierte auf den Strich geht. 

Als Bruno an die Adresse kommt, die ihm Franz gegeben hatte, erfährt er, dass dieser längst mit Johanna weggezogen ist. Ihn zu finden ist sehr schwierig, denn Franz befindet sich auf der Flucht. Er fürchtet die Rache für einen Mord an einem Türken, dem man ihm in die Schuhe geschoben hat. Trotzdem gelingt es Bruno, dessen neue Wohnung ausfindig zu machen und zieht zu Franz und Johanna, was zu neuen Konflikten führt...


Dass sich Rainer Werner Fassbinder bei der Entwicklung seines ersten Langfilms "Liebe - Kälter als der Tod" an vielen Vorbildern orientierte, bedarf keiner Interpretation. Schon im Vorspann werden die Namen von Claude Chabrol, Jean Marie Straub und Eric Rohmer aufgeführt, dazu spielt er mit "Lino et Cuncho" auf "Quién sabe?" (Töte, Amigo!, 1967) von Damiano Damiani an, den er in einem Dialog auch leicht abgewandelt zitiert. Auch innerhalb der Handlung verklausulierte Fassbinder seine Vorbilder nicht, benennt konkret "Psycho" (1960) von Hitchcock und bekleidet Bruno (Ulli Lommel) exakt mit dem Outfit von Alain Delon in „Le samouraï" (Der eiskalte Engel, 1967) von Jean-Pierre Melville. Von diesem hat er auch die sparsame Ausstattung und die langen Kameraeinstellungen übernommen, die die Szenerie aus einer festen Perspektive betrachten, die den Agierenden nur in wenigen Momenten folgt.

Entsprechend entzündete sich die damalige Kritik auch an diesen offensichtlichen Vorbildern ("Und auch die Mittel, Melancholie zu bebildern, waren untauglich: sowohl das Zitieren von Figuren aus anderen Filmen (Lommel Alain Delon aus dem stark überschätzten „Eiskalten Engel“)..., Peter Handke in der Zeit, 1969) und werden in aktuellen Interpretationen gerne die Vielzahl an Anspielungen aufgezählt, als ob Fassbinder dafür schwere Hürden aufgestellt hätte. Was Handke und Co. zu erwähnen vergaßen, ist Fassbinders transparenter Umgang mit seinen Vorbildern, wie ihn kein anderer Regisseur jemals ähnlich direkt in seinem Erstlingswerk formulierte. Er wollte sich weder mit fremden Federn schmücken, noch ging es ihm allein um den souveränen Umgang mit vorhandenen Stilmitteln, sondern letztlich um seine individuelle, persönliche Umsetzung, die er mit dem bewussten Zitieren seiner Einflüsse erst verdeutlichen konnte.

Auch der Titel „Kälter als der Tod“ (das Wort „Liebe“ stellte er erst nach der Uraufführung davor) ließ keinen Zweifel an den Emotionen, die seinen Film bestimmen sollten. Die bewusst zu hell ausgeleuchteten Figuren (am Ende des Films verschwindet das Bild in völliger Helligkeit) lassen sie konturloser erscheinen – einen Eindruck, den das theaterartige Agieren der Darsteller (es handelte sich um die Mitglieder des von Fassbinder gegründeten „Antiteater“ in München) noch betont. Die Protagonisten Franz (Rainer Werner Fassbinder), Bruno (Ulli Lommel) und Johanna (Hanna Schygulla) sind Stereotypen des Genre-Films – der aufsässige Hitzkopf, der eiskalte Killer und die Hure. Ihre Interaktionen werden von typgerechten Verhaltensmustern bestimmt – Franz lässt sich nichts gefallen und rebelliert auch gegen das „Syndikat“ (Fassbinder begnügte sich mit diesem aussagekräftigen Begriff und verzichtete auf weitere Hintergründe), das ihn an sich binden will, hat aber kein Problem damit seine Freundin auf den Strich zu schicken. Bruno ist reserviert und beherrscht, tötet aber skrupellos und hintergeht seine Freunde. Johanna ist sexuell offensiv und selbstbewusst, akzeptiert aber Franz’ Position als Zuhälter und will ihn am Ende retten.

Fassbinder wollte, wie er selbst einmal anmerkte, Menschen in den Mittelpunkt stellen, die unbewusst gesellschaftlich vorgegebene Rollen einnehmen, obwohl sie ihnen nicht entsprechen. Emotionen haben darin keinen Platz, denn sie werden nur missbraucht, da ihr Verhalten zwanghaft ist. Damit kehrt der Regisseur seine an Genre-Konventionen orientierte Handlung ins Gegenteil, denn die Mörder, Gangster und Prostituierten agieren nicht selbst bestimmt oder gar cool berechnend. Obwohl Bruno dem Profikiller in „Der eiskalte Engel“ optisch und in seinem Verhalten ähnelt, ist er in „Liebe – Kälter als der Tod“ letztlich die Dekonstruktion dieser Figur. Beeindruckend verdeutlichte Fassbinder diese Intention mit sehr langen Kameraeinstellungen, in denen mehr geschieht als in den wenigen Action-Szenen. Es sind die kleinen Regungen, das Zucken eine Fußes, eine unmotivierte Handbewegung oder – wie in der frühen Szene im Zug, begleitet nur von den eintönigen Schienengeräuschen – das Beißen in einen Apfel, die ahnen lassen, was sich unter der nach außen gezeigten Fassade abspielt. Es lohnt sich, diese Bilder genau zu beobachten.

Zudem verzahnte er seine an der „Nouvelle vague“ und dem Gangsterfilm orientierte Handlung eng mit der Realität von Supermärkten, Häusern und Straßenräumen, die konträr zum im konventionellen Kino gepflegten Deutschlandbild stand. Trotzdem fand Fassbinders Film 1969 auch bei der studentischen Protestbewegung keine Gnade, zu sehr widersprach „Liebe - Kälter als der Tod“ allen Erwartungshaltungen – inhaltlich kritisch, aber von großem Stilbewusstsein bis zum exakten, sparsamen Einsatz einer musikalischen Untermalung, die den inneren Zustand der Protagonisten widerspiegelt. Fassbinders Film sieht man das geringe Budget zwar an, trotzdem erstaunt der souveräne Umgang mit den zur Verfügung stehenden Möglichkeiten. Den Raum klar definierende Kameraeinstellungen und ruhige, exakte Schnitte erzeugten den stimmigen Rhythmus eines Films, der weniger ein Gangsterfilm ist, als ein Film über Deutschland.

"Liebe - Kälter als der Tod" Deutschland 1969, Regie: Rainer Werner Fassbinder, Drehbuch: Rainer Werner Fassbinder, Darsteller : Rainer Werner Fassbinder, Hanna Schygulla, Ulli Lommel, Kurt Raab, Ingrid Caven, Katrin Schaake, Irm HermannLaufzeit : 85 Minuten

weitere im Blog besprochene Filme von Rainer Werner Fassbinder:

Freitag, 26. Juli 2013

Max, der Taschendieb (1962) Imo Moszkowicz



Inhalt: Schon lange verdient Max Schilling (Heinz Rühmann) seinen Unterhalt als Taschendieb. Während er nach außen hin ein bürgerliches Leben führt, damit seine zwei Kinder, Freunde und Nachbarn nichts davon erfahren, weiß seine Frau Pauline (Elfie Pertramer), mit der er seit 15 Jahren verheiratet ist, natürlich Bescheid. Und ist entsprechend besorgt, da sie jedes Mal befürchtet, dass er von der Polizei erwischt wird. Doch Max hat seine eiserne Regel, nur Portemonnaies zu stehlen, bisher immer eingehalten, um keine längere Gefängnisstrafe zu riskieren. So reagiert er auch diesmal wieder ablehnend auf ein Angebot von Joe (Harald Maresch) bei einem größeren Coup mitzumachen, obwohl er das Geld gut gebrauchen könnte.

Denn die „Geschäfte“ laufen von Jahr zu Jahr schlechter, da der bargeldlose Zahlungsverkehr zunimmt und die Menschen weniger Geld in der Tasche haben. Auch ein gelungener Fischzug bei dem Auftritt eines Zauberers in einem Varieté stellt sich als Niete heraus, da es sich bei den vielen Dollars, die Max seinem Tischnachbarn geklaut hatte, um Falschgeld handelt. Doch die Polizei erfährt nichts von ihm, denn Max verpfeift Niemanden. Noch mehr Sorgen macht ihm Fred (Hans Clarin), sein Schwager und der jüngere Bruder seiner Frau, der keinem Beruf nachgeht und immer pleite ist, obwohl seine Freundin Desiree (Ruth Stephan) schon von ihm schwanger ist. Zudem will Fred es Max zeigen, über dessen Bescheidenheit er sich lustig macht, und dabei ganz groß absahnen…


"Max, der Taschendieb" gehört nicht zu den Filmen innerhalb des Rühmannschen Gesamtwerks, die besondere Erwähnung finden - zu häufig hatte er einen anständigen und sympathischen Kerl gespielt, dem das Publikum seine kleinen Fehltritte gerne verzieh. Hier verrät schon der Filmtitel, welche Abweichung von der Norm er sich leistet, denn Max Schilling (Heinz Rühmann) verdient seinen Unterhalt als Taschendieb. Doch darüber hinaus ist er ein Muster an Zuverlässigkeit und Bescheidenheit, ein liebevoller Ehemann und treusorgender Vater zweier halbwüchsiger Kinder. Kurz, eine Kunstfigur, der nur Heinz Rühmann Leben einhauchen konnte, dem man abnimmt, dass er sich zwar an die Regeln der "Unterwelt" hält, gleichzeitig aber nie in Versuchung gerät, jemals über seine Position als kleiner Dieb hinaus zu wollen. Zudem verbreitet der Film die Mär, dass Max nur wohlhabende Leute bestiehlt, was angesichts seiner eigenen Aussage, im letzten Jahr hätte er nur durchschnittlich acht DM in den Portemonnaies gefunden, kaum möglich sein kann.

Mit dieser Bemerkung wollte er gegenüber seinem alten Freund und ständigen Partner im Taschendiebstahl-Geschäft, Arthur (Hans Hessling), der auf Grund eines Gips-Fußes gerade pausieren muss, begründen, dass die Zeiten generell schlechter werden (ein historisch interessanter Aspekt, da die Wirtschaft nach 1960 nur langsamer wuchs als zuvor, was damals offensichtlich als Verschlechterung empfunden wurde - noch mehrmals redet Max von schwierigen Zeiten). Arme Leute zu bestehlen, macht keinen Spaß, erwähnt Max noch, womit die Verzeihlichkeit gegenüber seiner Profession zunimmt. Konsequenterweise wird Max nur bei Anlässen in Aktion gezeigt, zu denen gut situierte Menschen zusammen kommen, womit der Film weiter auf der Klaviatur der Verharmlosung spielt, als ob das Ausbaldowern viel versprechender Gelegenheiten nicht zum alltäglichen Handwerk eines Diebes gehört. Gepaart mit Rühmanns häufig schuldbewusster und sorgenvoller Miene, die ihn auf die Stufe jedes kleinen Malochers stellt, der nur möchte, dass seine Frau zum Friseur gehen kann und es seine Kinder einmal besser haben werden, verliert sein Job jeden kriminellen Gestus. Betont wird das noch durch die Figur des Kommissars, der Max sehr schätzt und seine "Verfehlungen" nur leicht vorwurfsvoll rügt.

Vielleicht liegt es an dieser vollständig konstruierten Figur, dass "Max, der Taschendieb" in sämtlichen Publikationen als Komödie eingeordnet wird, obwohl der Film keinerlei komödiantische Story-Elemente aufweist, sondern im Gegenteil von zwei brutalen Morden erzählt, darunter an einem unmittelbaren Familienmitglied. Schwarzer Humor, verbunden mit einem unrealistischen Umfeld, bildete schon häufig den Hintergrund für gelungene Gauner-Komödien, in denen der Protagonist augenzwinkernd nicht nur gegen das Gesetz, sondern auch gegen gängige moralische Standards verstoßen durfte, aber "Max, der Taschendieb" ist abgesehen von seinem "Unterwelt" - Sujet, dass sich auf die Kneipe von Lizzy (Lotte Ledl) beschränkt, in dem ihr Freund Joe (Harald Maresch) die lokale Ganoven-Größe gibt, zutiefst bürgerlich und konservativ. Der einzige wirkliche Schwerverbrecher im Film, der US-Amerikaner Charlie Gibbons (Benno Sterzenbach), ist Ausländer.

"Max, der Taschendieb" ist kein Film, der mit einer leicht individuellen Lebensweise sympathisiert, wie es der Titel vermuten lassen könnte, sondern der im Gegenteil die totale Anpassung an die gesellschaftliche Norm predigt. Die Figur des Fred (Hans Clarin) wird als warnendes Beispiel für den Fall präsentiert, dass ein Mensch seine Stellung innerhalb der Gesellschaft nicht akzeptiert, wofür er hart bestraft wird. Dass ihm zudem Egon (Friethjof Vierock), Max jugendlicher Sohn, mit Sätzen Jean-Paul Sartres den Kopf verdrehte, gab Rühmann in seiner Rolle die Gelegenheit, an Hand klischeehaft aus dem Zusammenhang gerissener Zitate, die damals unter Jugendlichen populären existentialistischen Thesen zu verunglimpfen - natürlich leicht ironisch. Auch das Fred seine Freundin Desiree (Ruth Stephan) schwängerte - von Max gegenüber seiner 12jährigen Tochter Brigitte (Helga Anders) als Ausnahme von der Regel bezeichnet - passt in das Gesamtbild eines jungen Menschen, der sich nicht an die Regeln hielt. Obwohl es sich bei Fred immerhin um den jüngeren Bruder von Max' Frau Pauline (Elfie Pertramer) handelt und er eine schwangere Frau hinterlässt, vermittelt der Mord an ihm keine wirkliche Tragik - ein solcher Typus war offensichtlich verzichtbar, weshalb sein Tod auch die generelle Einordnung des Films als "Komödie" nicht weiter störte.

Neben dieser Charakterisierung eines Außenseiters, fällt auch das sehr konservative Frauenbild des Films auf. Geradezu unangenehm ist die körperliche Auseinandersetzung zwischen der schwangeren Desiree, die sich Babywäsche strickend schon als zukünftige Ehefrau sieht, mit der Barfrau Lizzy, die sie als "Schlampe" bezeichnet, weil ihr Fred in den Ausschnitt gesehen hatte. Max muss die Furien wieder trennen, was die Rolle seiner Ehefrau Pauline als Hausfrau und Mutter noch zusätzlich idealisiert. Wenn sie - nachdem Max ihr mitteilte, dass er nicht mehr weiter stehlen will und deshalb nicht weiß, wie er Geld verdienen soll - ihm antwortet, ihr sei das egal, hauptsache sie bekäme wie immer pünktlich ihr Haushaltsgeld, dann wirkt das nicht nur aus heutiger Sicht unfreiwillig komisch, sondern auch für das Entstehungsjahr des Films nicht mehr zeitgemäß.

"Max, der Taschendieb" wirkt wie ein letzter Versuch, das Rad der Zeit nochmals zurück zu drehen. Auch die zuvor von István Békeffy und Hans Jacoby gemeinsam geschriebenen Drehbücher zu den Rühmann-Filmen "Ein Mann geht durch die Wand" (1959), "Der Jugendrichter" (1960), "Das schwarze Schaf" (1960) oder "Der Lügner" (1961) vermittelten noch den Zeitgeist der 50er Jahre in der Bundesrepublik und trafen damit den damaligen Publikumsgeschmack, aber der "kriminelle" Hintergrund des Protagonisten zwang sie offensichtlich dazu, die Anstandsschraube möglichst weit hochzudrehen. Trotz dieses inhaltlichen und zeitlichen Kontextes wäre der Film aus heutiger Sicht nur noch schwer erträglich, gelänge es Heinz Rühmann dank seines schwerelosen Spiels nicht, sowohl die in der Grundanlage ernsthafte Story, als auch den reaktionären Subtext zu verschleiern, weshalb der Film seinen unterhaltenden Charakter beibehalten konnte. Diesem hat "Max, der Taschendieb" auch seine "Komödien" - Klassifizierung zu verdanken, vielleicht die einzige Möglichkeit, den Film nicht allzu ernst zu nehmen. Heinz Rühmann spielte hier das letzte Mal den "einfachen Mann aus dem Volke", womit "Max, der Taschendieb" doch eine Sonderstellung in seinem Gesamtwerk zukommt - wenn auch nicht aus qualitativen Gründen.

"Max, der Taschendieb" Deutschland 1962, Regie: Imo Moszkowicz, Drehbuch: István Békeffy, Hans Jacoby, Darsteller : Heinz Rühmann, Elfie Pertramer, Hans Clarin, Benno Sterzenbach, Frithjof Fierock, Helga Anders, Laufzeit : 91 Minuten

Dienstag, 23. Juli 2013

Heinz Rühmann (1902 - 1994) Schauspieler / Regisseur

Unabhängig von der jeweiligen persönlichen Haltung gegenüber der Person Heinz Rühmann, bleibt dessen Ausnahmestatus für den deutschen Ton-Film ein Faktum. Kein anderer Darsteller kann auf eine ähnlich lang andauernde kontinuierliche Karriere verweisen, die schon während der Stummfilmzeit begann und 1930 in „Die Drei von der Tankstelle“, einem der ersten deutschen Tonfilme, ihren Durchbruch erlebte. Andere zu diesem Zeitpunkt populäre Mimen wie Willy Fritsch oder Hans Albers, mit denen Rühmann mehrfach gemeinsam auftrat, konnten nach 1945 nicht mehr an ihre bisherigen Erfolge anknüpfen (Willy Fritsch) oder starben frühzeitig wie der gut zehn Jahre ältere Hans Albers 1960, der in den 20er Jahren schon eine intensive Stummfilm-Ära erlebt hatte. Ähnlich erfolgreiche jüngere Stars wie Götz George, der seine Film-Karriere Mitte der 50er Jahre begann, arbeiteten ab den 70er Jahren vorwiegend für das Fernsehen.

Auch Heinz Rühmann musste nach dem 2.Weltkrieg eine beinahe 10jährige Durststrecke verkraften und ging mit seiner eigenen Produktionsgesellschaft Pleite, bevor er 1953 mit „Keine Angst vor großen Tieren“ wieder in die Erfolgsspur zurückfand, die ihn daraufhin nicht mehr verlassen sollte. Ab Mitte der 60er Jahre wurde das deutsche Fernsehen auch für ihn zunehmend zum wichtigsten Arbeitgeber, aber Heinz Rühmann konnte auf ein beinahe lückenloses Filmschaffen über die vier Jahrzehnte von 1930 bis 1970 zurücksehen. Ziel des Blogs kann kein ausführliches Porträt über einen Menschen sein, über den schon eine Vielzahl an Büchern und sonstigen Dokumentationen erschienen sind, aber die genaue Analyse seiner Film im Bezug zum Zeitkontext verrät nicht nur viel über seine Person, sondern auch die Menschen, die ihn für seine Rollen liebten. Fast alle Publikationen über Heinz Rühmann haben gemein, dass sie vor allem ihre Begeisterung für diesen einmaligen Charakterdarsteller weiter tragen, nur wenige hinterfragen seine Rolle während der nationalsozialistischen Diktatur, deren Bewertung letztlich zu keinem eindeutigen Ergebnis führen kann. Die Komplexität dieser Situation lässt sich nicht allein an Hand von Fakten klären.

Für den Blog „Grün ist die Heide“ sind die Filme mit Heinz Rühmann ein wichtiger Gradmesser, quasi die Richtschnur, an der sich der deutsche bzw. der westdeutsche Film Jahrzehnte entlang schlängelte. Denn obwohl seine Filme fast ausschließlich dem Komödienfach zugeordnet werden – nicht immer zu recht – weisen sie eine große Nähe zur Realität auf, da Heinz Rühmann ein Gespür für den Durchschnittsbürger hatte. Seine Paraderolle blieb über Jahrzehnte der „einfache Mann aus dem Volk“, der sich mit den Widrigkeiten des Alltags herumschlagen musste, was er besonders in den 50er und 60er Jahren zu Kommentaren zu den gesellschaftlichen Entwicklungen nutzte, denen er mit einer gewissen Skepsis begegnete. Seine Haltung war eindeutig konservativ, womit er den meisten Kinobesuchern aus dem Herzen gesprochen haben dürfte, gleichzeitig aber auch tolerant und um einen vermittelnden Gestus bemüht – Rühmann wollte nicht bestimmen, er wollte überzeugen.

Aus heutiger Sicht wirken seine späten Film, in denen er unmittelbar auf die Jugend einwirkte, wie in „Der Pauker“ (1958), „Der Jugendrichter“ (1960) oder in seiner letzten Rolle als „kleiner Mann“ „Max, der Taschendieb“ (1962) sehr altmodisch, da sie noch ganz dem konservativen Wertesystem verpflichtet waren. Die Rollen von Männern, Frauen und dem hoffnungsvollen Nachwuchs waren klar geregelt, Verstöße dagegen galten als vorübergehende modische Erscheinung - sicherlich damals ein wichtiger Grund für den Erfolg dieser Filme. Doch auch seine Rollen veränderten sich im Lauf der 60er Jahre. 1965 wirkte er in seiner einzigen Hollywood-Produktion „Das Narrenschiff“ (Ship of fools) von Stanley Kramer mit, in der er einen Juden spielte, den 1933 das Heimweh wieder nach Deutschland zurück treibt, und mit seinem letzten Kinofilm in den 60er Jahren „Die Ente kommt um halb 8“ (1968) war er endgültig in der Gegenwart angekommen, auch wenn Heinz Rühmann sich letztlich immer treu blieb.


Heinz Rühmann - seine Kinofilme 1930 bis 1970:

1. Die frühen Jahre des Tonfilms 1930 - 1935:

Nachdem Heinz Rühmann in den zwei gemeinsam mit Lilian Harvey und Willy Fritsch gedrehten Filmen "Die Drei von der Tankstelle" und "Einbrecher" der Durchbruch gelungen war, begannen für ihn fruchtbare Jahre als Filmschauspieler. Abgesehen von "Bomben auf Monte Carlo" (1931), in dem er an der Seite von Hans Albers spielte, war er in den folgenden vier Jahren in 21 Filmen als alleiniger Hauptdarsteller besetzt. Diese nur der Unterhaltung dienenden Komödien wurden fast alle nach ähnlichem Strickmuster abgedreht und sind heute größtenteils unbekannt. Selbst die erste Verfilmung des Heinrich Spoerl Romans "Die Feuerzangenbowle" unter dem Titel "So ein Flegel" (1934) fiel nicht weiter ins Gewicht, so stark war die Romanvorlage verändert worden. Die Machtergreifung der NSDAP, Anfang 1933, wirkte sich noch nicht auf die Filminhalte aus - thematisch wurden keine Veränderungen auffällig. 

"Die Drei von der Tankstelle" (1930)
"Einbrecher" (1930)
"Der Mann, der seinen Mörder sucht" (1931)
"Bomben auf Monte Carlo" (1931)
"Meine Frau, die Hochstaplerin" (1931)
"Der brave Sünder" (1931)
"Der Stolz der dritten Kompanie" (1932)
"Man braucht kein Geld" (1932)
"Es wird schon wieder besser" (1932)
"Strich durch die Rechnung" (1932)
"Ich und die Kaiserin" (1933)
"Lachende Erben" (1933)
"Heimkehr ins Glück" (1933)
"Es gibt nur eine Liebe" (1933)
"Drei blaue Jungs, ein blondes Mädel" (1933)
"Die Finanzen des Großherzogs" (1934)
"Pipin, der Kurze" (1934)
"Ein Walzer für dich" (1934)
"Heinz im Mond" (1934)
"Frasquita" (1934)
"Der Himmel auf Erden" (1935)
"Wer wagt - gewinnt!" (1935)


2. Nationalsozialismus und Kriegsjahre 1936 - 1945:

Die folgenden Jahre wurden zunächst noch vom regelmäßigen Output leichter Filmunterhaltung geprägt, aber zunehmend nahm die Frequenz der Neuerscheinungen ab, bedingt durch eine aufwändigere Inszenierung, individuellere Drehbücher und nicht zuletzt Heinz Rühmanns wachsendem Einfluss. Nicht nur, dass er 1938 in „Lauter Lügen“ erstmals Regie führte, auch intensivierte sich die Zusammenarbeit mit dem Schriftsteller Heinrich Spoerl, der selbst das Drehbuch zu „Wenn wir alle Engel wären“ schrieb, während er an seiner Romanverfilmung „So ein Flegel“ noch kein Mitspracherecht hatte. „Der Gasmann“ (1941) wurde für Rühmann und Spoerl ein weiteres gemeinsames Projekt, bevor es 1944 zu der kongenialen Verfilmung „Die Feuerzangenbowle“ kam, die Heinz Rühmann zu einem Zeitpunkt, als der fortgeschrittene Krieg nur noch wenige Kinoproduktionen zuließ, mit einem gewachsenen Stamm an Mitarbeitern und Kollegen umsetzte. Auch Regisseur Kurt Hoffmann wurde von Rühmann 1939 erstmals in „Paradies der Junggesellen“ besetzt, der dann die Regie in „Quax, der Bruchpilot“ (1941), einer weiteren Herzensangelegenheit des passionierten Piloten Heinz Rühmann, übernehmen durfte. 

Trotz Rühmanns zunehmender Eigenständigkeit, die einige seiner bekanntesten und besten Filme ermöglichte, konnte er sich den Forderungen des Innen-Ministeriums nicht verweigern, auch wenn seine unmittelbare Beteiligung an Propaganda-Filmen auf eine Nebenrolle in "Wunschkonzert" (1940) und einen sehr kurzen Gastauftritt in „Fronttheater“ (1942) beschränkt blieb. Nicht nur in „Der Gasmann“ und „Quax, der Bruchpilot“, sogar in einem thematisch völlig unabhängigen Sujet wie „Die Feuerzangenbowle“  lassen sich die Einflüsse der nationalsozialistischen Propaganda feststellen.


"Ungeküsst soll man nicht schlafen geh'n" (1936)
"Allotria" (1936)
"Wenn wir alle Engel wären" (1936)
"Lumpacivagabundus" (1936)
"Der Mann, von dem man spricht" (1937)
"Der Mann, der Sherlock Holmes war" (1937)
"Der Mustergatte" (1937)
"Die Umwege des schönen Karl" (1937)
"Fünf Millionen suchen einen Erben" (1938)
"13 Stühle" (1938)
"Nanu, Sie kennen Korff noch nicht?" (1938)
"Der Florentiner Hut" (1939)
"Paradies der Junggesellen" (1939)
"Hurra, ich bin Papa!" (1939)
"Kleider machen Leute" (1940)
"Wunschkonzert" (1940 - Nebenrolle)
"Der Gasmann" (1940)
"Hauptsache glücklich!" (1941)
"Quax, der Bruchpilot" (1941)
"Fronttheater" (1942 - nur eine kurze Gastrolle)
"Ich vertrau dir meine Frau an" (1943)
"Die Feuerzangenbowle" (1944)
"Quax in Afrika" (1945 - erst nach dem Krieg aufgeführt)
"Sag die Wahrheit" (1945 - nicht fertiggestellt) 



3. Die Nachkriegsjahre 1946 - 1953:

Obwohl Heinz Rühmann sofort nach dem Krieg wieder als Schauspieler arbeiten durfte, erhielt er keine Möglichkeit dazu, da die Filmindustrie in den westlichen Besatzungszonen komplett zusammen gebrochen war. In Konsequenz daraus, gründete er seine eigene Produktionsgesellschaft, die zwischen 1948 und 1950 zehn Filme herausbrachte, in denen er einmal Regie führte („Die kupferne Hochzeit“,1948) und dreimal in der Hauptrolle auftrat. Auch einen der ersten Kriegsheimkehrer-Filme, „Berliner Ballade“ (1948) mit Gert Fröbe als „Otto Normalverbraucher“, produzierte seine Firma. Die teilweise satirisch angelegten Filme („Der Herr vom andern Stern“ 1948) hatten keinen Erfolg, weshalb Rühmanns Firma 1950 Pleite ging und er mehrere Jahre auf sein erstes Engagement als Schauspieler warten musste. Mit „Keine Angst vor großen Tieren“ kehrte 1953 der Erfolg zurück, den er mit „Briefträger Müller“, seiner letzten und zudem einzigen Regiearbeit, in der er selbst mitspielte, im selben Jahr festigte.


"Der Herr vom anderen Stern" (1948)
"Das Geheimnis der roten Katze" (1948)
"Ich mach dich glücklich" (1949)
"Das kann Jedem passieren" (1952)
"Schäm dich, Brigitte!" (1953)
"Keine Angst vor großen Tieren" (1953)
"Briefträger Müller" (1953)



4. Die zweite Hochphase 1954 - 1962:

In den 50er Jahren konnte Heinz Rühmann seine nach dem Krieg verloren gegangene Reputation als Schauspieler wieder zurückgewinnen, besonders mit seinen Rollen in der Verfilmung von Zuckmayers Theaterstück „Der Hauptmann von Köpenick“ (1958), der ihm große Anerkennung als Charakterdarsteller einbrachte, und als Kommissar Matthäi in dem Drama „Es geschah am helllichten Tag“ (1958) nach dem Drehbuch von Friedrich Dürrenmatt. Auch die souveräne Verkörperung des Pater Brown in zwei Verfilmungen der Kriminalromane („Das schwarze Schaf“ (1960) und „Er kann’s nicht lassen“ (1962)) steigerte seine Popularität. Parallel spielte er einige Rollen, die ihm die Möglichkeit gaben, auf die gesellschaftspolitischen Veränderungen in der Bundesrepublik zu reagieren (unter anderen „Ein Mann geht durch die Wand“ 1959) und 1962 trat er in „Max, der Taschendieb“ ein letztes Mal als „kleiner Mann aus dem Volke“ auf, der weiß, wo er hin gehört. 

"Auf der Reeperbahn nachts um halb eins" (1954)
"Zwischenlandung in Paris" (Escale à Orly, 1954 - Nebenrolle)
"Wenn der Vater mit dem Sohne" (1955)
"Charlies Tante" (1956)
"Der Hauptmannn von Köpenick" (1956)
"Das Sonntagskind" (1956)
"Vater sein dagegen sehr" (1957)
"Es geschah am hellichten Tage" (1958)
"Der Mann, der nicht nein sagen konnte" (1958)
"Der Pauker" (1958)
"Der eiserne Gustav" (1958)
"Menschen im Hotel" (1959)
"Ein Mann geht durch die Wand" (1959)
"Der Jugendrichter" (1960)
"Der Schulfreund" (1960)
"Der brave Soldat Schwejk" (1960)
"Das schwarze Schaf" (1960)
"Der Lügner" (1961)
"Er kann's nicht lassen" (1962)
"Max, der Taschendieb" (1962)

5. Die 60er Jahre 1963 - 1970:

Nach 1970 sollte Heinz Rühmann nur noch in fünf Kinofilmen mitwirken, weshalb die 60er Jahre schon als Übergangsphase zu seinem verstärkten Engagement beim deutschen Fernsehen anzusehen sind. Zudem verkörperte er keine typischen Rühmann-Rollen mehr, sondern übernahm in drei Remakes der Curt Goetz-Filme „Das Haus in Montevideo“ (1963), „Dr.med. Prätorius“ (1965) und „Hokuspokus“ (1966) die Rolle des inzwischen verstorbenen Curt Götz, und spielte in mehreren internationalen Produktionen mit. Sein letzter Film des Jahrzehnts „Die Ente kommt um halb 8“ reagierte mit seinem absurd, surrealen Charakter zwar auf die Gegenwart, aber Heinz Rühmann wurde nicht mehr Teil des aufkommenden „Neuen deutschen Films“. Erst 1993 drehte er seine letzte Rolle in Wim Wenders „In weiter Ferne so nah“.

"Meine Tochter und ich" (1963)
"Das Haus in Montevideo" (1963)
"Vorsicht, Mr.Dodd!" (1964)
"Dr. med. Hiob Prätorius" (1965)
"Das Liebeskarussell" (1965)
"Das Narrenschiff" (Ship of fools, USA1965 - Nebenrolle)
"Geld oder Leben" (Le bourse et la vie, 1966 - mit Fernandel)
"Grieche sucht Griechin" (1966)
"Hokuspokus" (1966)
"Maigret und sein größter Fall" (1966)
"Die Abenteuer des Kardinal Brown" (Operazione San Pietro, 1968)
"Die Ente kommt um halb 8" (1968)

Montag, 22. Juli 2013

Wir Kellerkinder (1960) Hans-Joachim Wiedermann

Inhalt: Der Innenminister benötigt für die Eröffnung der Filmfestspiele in Berlin dringend einen Film, in dem Hakenkreuz-Schmierer auf frischer Tat ertappt wurden, aber es gibt keinen solchen Film im Archiv der "neuen deutschen Schau". Deshalb werden Reporter Kemskorn (Eckard Lux) und Kameramann Kenschke (Ralf Wolter) beauftragt, einen solchen Film in Berlins Straßen zu drehen. Doch auch gegen Geld will Niemand ein Hakenkreuz auf eine Wand malen - wenn auch aus unterschiedlichen Gründen - bis sie spät abends auf drei Musiker in Begleitung einer jungen Frau treffen, die sich dazu bereit erklären.

Während die Frau (Karin Baal) Schmiere steht, lässt sich Macke (Wolfgang Neuss) dabei filmen, wie er ein großes Hakenkreuz auf eine Glasscheibe malt - wie sich herausstellt, gehört das Fenster zum Luxus-Restaurant seines Vaters. Doch sie werden von der Polizei gestört, können aber in einen Keller fliehen, wo Macke den Männern vor deren Kamera die Vorgeschichte zu seiner Handlungsweise erzählt, die im Jahr 1938 in diesem Keller begann...


1960 wurde "Wir Kellerkinder" der kommerziell erfolgreichste Film in der Bundesrepublik Deutschland. Einerseits wegen der günstigen Produktionsbedingungen - die Handlung des Films, die Wolfgang Neuss mit den Kabarettisten der "Berliner Stachelschweine" und Gastauftritten bekannter Darsteller (Erik Schumann, Eric Ode) und Regisseure (Helmut Käutner) einspielte, benötigte nur wenige Lokalitäten - andererseits wegen seiner Idee, zuerst den Film in der ARD zu zeigen, bevor er in die Kinos kam. Für die Kinobetreiber bedeutete das eine große Respektlosigkeit, weshalb sie "Wir Kellerkinder" zuerst boykottierten - mit dem Ergebnis, dass die Zuschauer Schlange standen, als die ersten Kinos den Film doch vorführten.

Für Wolfgang Neuss, der es frühzeitig verstanden hatte, die Medien für seine Aktionen zu nutzen (so verriet er 1962 vor der Ausstrahlung der letzten Folge den Täter in der TV-Verfilmung des Durbridge Krimis "Das Halstuch", einem damaligen "Straßenfeger") bedeutete sein erster führend geschriebener Langfilm "Wir Kellerkinder" einen entscheidenden Schritt zu seiner großen Popularität als Kabarettist in den 60er Jahren. Bis ihm in den 70er Jahren ein ähnliches Schicksal widerfuhr wie zuvor schon dem Film - er geriet in Vergessenheit. Betrachtet man den inzwischen zementierten Konsens, welche Filme frühzeitig einen kritischen Blick auf die Zeit des Nationalsozialismus und die folgenden „Wirtschaftswunder“ - Jahre wagten, wird neben Wickis „Die Brücke“ (1959) und Staudtes „Rosen für den Staatsanwalt“ (1959) in der Regel noch „Wir Wunderkinder“ (1958) von Kurt Hoffmann genannt, „Wir Kellerkinder“ findet dagegen keine Erwähnung.

Wie die Ähnlichkeit der Filmtitel schon vermuten lässt, reagierte Neuss mit „Wir Kellerkinder“ unmittelbar auf Hoffmanns Film, an dem er gemeinsam mit seinem Partner Wolfgang Müller („Die zwei Wolfgangs“) maßgeblich beteiligt war. Seine Reaktion erhielt eine tragische Komponente, als Wolfgang Müller parallel zu den Dreharbeiten für „Das Spukschloss im Spessart“ (1960) - dem Nachfolgefilm des sehr erfolgreichen „Wirtshaus im Spessart“ (1958), an dem die beiden „Wolfgangs“ erstmals mit Kurt Hoffmann zusammen gearbeitet hatten - tödlich verunglückte. Mit dem Satz „Jetzt brauchen wir Sie auch nicht mehr“ wurde Wolfgang Neuss aus der Produktion komplimentiert - ein Zitat, dem nie widersprochen wurde, aber selbst wenn es genauso gelautet hätte, spricht Neuss’ fehlende Beteiligung an dem Film (und an allen weiteren Filmen Kurt Hoffmanns) schon genug für sich. Trotz dieses Schicksalsschlags führte Neuss das mit Müller begonnene Filmprojekt zu Ende – mit Wolfgang Gruner als Ersatz für seinen verstorbenen Partner.

In „Wir Wunderkinder“ war es erst seinen und Wolfgang Müllers satirischen Bemerkungen zu verdanken, dass Hoffmanns Film über die typische Wohlfühl-Betrachtung der jüngeren deutschen Geschichte hinaus kam, in „Wir Kellerkinder“ wurde Neuss noch deutlich konkreter und bissiger. Die Anlage der Story orientierte sich bewusst an Hoffmanns Film, indem Neuss nach einer Eingangssequenz wieder einen Rückblick auf die zurückliegenden Jahre gibt, hier beginnend im Jahr 1938, als der Erzähler Macke Prinz (Wolfgang Neuss) gerade 11 Jahre alt wurde. Mit seiner Geschichte will Macke Prinz gegenüber dem Reporter Kemskorn (Eckard Lux) und dessen Kameramann Kenschke (Ralf Wolter) von der "neuen deutschen Schau" begründen, warum er bereit war, ein Hakenkreuz auf die Fensterscheibe des Restaurants seines Vaters zu malen. Darum hatten ihn die beiden Männer gebeten, die für den Innenminister einen Film drehen sollten, bei dem ein Hakenkreuz-Schmierer auf frischer Tat ertappt wird, aber Niemand hatte den Job gegen Geld übernehmen wollen, wenn auch aus ganz unterschiedlichen Gründen. Nur Macke Prinz und seine beiden Freunde Arthur (Wolfgang Gruner) und Adalbert (Jo Herbst) hatten nicht gezögert.

Im Gegensatz zu „Wir Wunderkinder“, der einen historisch authentischen Rückblick auf die Jahre 1913 – 1957 warf, versuchte Neuss erst gar nicht, mit dessen kostenintensiver Ausstattung zu konkurrieren, sondern konzentrierte sich auf die inhaltlichen Konsequenzen. Dass er erst sieben Jahre den Kommunisten Knösel (Achim Striezel) vor den Nationalsozialisten im Keller versteckte – teilweise unter erschwerten Bedingungen, wenn der Keller bei Bombenangriffen stark frequentiert wurde - um danach seinen Vater (Willi Rose) vier Jahre lang vor der Entnazifizierung im Gefängnis zu bewahren, sollte keine äußerliche Realität widerspiegeln, sondern anschaulich verdeutlichen, wie schnell und wendig die Menschen auf die wechselnden ideologischen Anforderungen reagierten. Einzig Macke, Arthur und Adalbert fallen angesichts der Beweglichkeit ihrer Umgebung mit Übersprungshandlungen auf, was sie unmittelbar in die Heilanstalt bringt, wo sie zu Therapiezwecken die Wohnung des Doktors sauber halten dürfen. Die drei Insassen bekommen alle drei Jahre die Möglichkeit an den Orten, an denen ihr Krankheitsbild zu Tage trat – die Herrentoilette im Münchner Hofbräuhaus, das Theater in Cottbus und der Keller in Berlin – zu beweisen, dass sie inzwischen geheilt sind, indem sie dem dortigen Treiben der Menschen eine Stunde lang regungslos zusehen - eine fast unmöglich zu erfüllende Voraussetzung.

„Wir Kellerkinder“ bezog - anders als Hoffmanns „Wir Wunderkinder“ - nicht nur die Entwicklung der DDR mit ein, sondern teilte in sämtliche Richtungen aus. Weder gibt es hier einen besonders bösen Nationalsozialisten, noch irgendeinen Feingeist, sondern nur Durchschnittsbürger, die auch Ende der 50er Jahre noch die alten Parolen parat haben. Selbst der Alt-Kommunist Knösel geht am Ende in den Westen, um mit Büchern über seine Zeit in der DDR Kohle zu machen, und die Mär, in der DDR gäbe es keine Nazis, wird von Neuss wunderbar ad absurdum geführt – ausgerechnet der strammste Nazi seines Wohnblocks wird dort zum sozialistisch genormten Theaterleiter, verheiratet mit Mackes Schwester Almuth (Ingrid van Bergen), die früher als Jung-Mädel in der Partei engagiert war – selten gelang es besser, die Komplexität der Entwicklung Deutschlands nach dem Krieg auf den Punkt zu bringen.

Ob es an dieser treffenden, Niemanden schonenden Analyse lag, dass „Wir Kellerkinder“ inzwischen nahezu unbekannt ist, an der einfachen Inszenierung, die keine Chance gegen einen gut ausgestatteten Film wie „Wir Wunderkinder“ hatte - heute selbst nur noch Insidern bekannt - oder am generellen Niedergang von Wolfgang Neuss, der erst in den letzten Jahren vor seinem Tod 1989 von der links-alternativen Szene wieder entdeckt wurde, lässt sich schwer beurteilen, befreit aber nicht die Filmwissenschaft vor Kritik daran, an dem bis heute bestehenden Konsens, nur die Filme anzuerkennen, die schon zu ihrer Entstehungszeit akzeptiert wurden, festzuhalten. Wesentlich tiefer gehende, kompromisslosere Werke wie Staudtes „Kirmes“ (1960), Käutners „Der Rest ist Schweigen“ (1959) oder den hier besprochenen „Wir Kellerkinder“, um nur wenige Beispiele zu nennen, wurden bis heute weder wieder entdeckt, noch rehabilitiert - ein andauerndes Armutszeugnis.

"Wir Kellerkinder" Deutschland 1960, Regie: Hans-Joachim Wiedermann, Drehbuch: Wolfgang Neuss, Herbert Kundler, Thomas Keck, Darsteller : Wolfgang Neuss, Wolfgang Gruner, Jo Herbst, Karin Baal, Ralf Wolter, Hilde Sessak, Ingrid van Bergen, Achim Strietzel, Eckart Dux, Willi Rose, Laufzeit : 87 Minuten

Freitag, 19. Juli 2013

Wir Wunderkinder (1958) Kurt Hoffmann

Inhalt: 1913 – in Neustadt, einem kleinen Ort in der Provinz, steht ein großes Ereignis bevor. Zur Einweihung des Völkerschlachtdenkmals soll ein Ballonfahrer nach Leipzig fliegen, um Kaiser Wilhelm II. die Ehre zu erweisen. Alle Bürger und Honoratioren der Stadt sind auf dem Feld angetreten, um dem Ballonfahrer die Ehre zu erweisen, nur die ledige Mutter von fünf Kindern, Mary Meisenfeld (Elisabeth Flickenschild), die am Rand des Felds in ihrem Wagen lebt, stört und wird von der Polizei entfernt. Allerdings haben auch die beiden Jungs Hans Boeckler und Bruno Tiches Unsinn im Kopf, doch während Hans erwischt und bestraft wird, gelingt es Bruno ungesehen in den Korb des Ballons zu klettern. Als dieser nur wenige hundert Meter entfernt wieder notlanden muss, ist die Angelegenheit so peinlich, dass Bruno ungestraft in der Schulklasse von seinen Erlebnissen mit Kaiser Wilhelm berichten darf.

Dieses Ereignis ist signifikant für den weiteren Lebensweg von Hans Boeckler (Hansjörg Felmy) und Bruno Tiches (Robert Graf), denn während Boeckler in den 20er Jahren unter schwierigen wirtschaftlichen Bedingungen Philosophie in München studiert, macht Tiches Karriere bei der NSDAP…


Nach seinem großen Erfolg mit "Das Wirtshaus im Spessart", der Anfang 1958 in die Kinos gekommen war und Kurt Hoffmann die Gelegenheit gegeben hatte, hinter dem neckischen Treiben der Räuber satirische Spitzen auf Land und Leute loszulassen, nahm er sich mit der Romanvorlage "Wir Wunderkinder" von Hugo Harting einen deutlich kritischeren Stoff vor. Harting, dessen Roman "Ich denke of an Piroschka" Hoffmann 1955 ebenfalls verfilmt hatte, erzählt darin parallel zwei deutsche Lebensläufe, beginnend 1913 kurz vor dem Beginn der 1.Weltkriegs, noch zur Zeit Kaiser Wilhelms II., bis Mitte der 50er Jahre in der jungen Bundesrepublik Deutschland, die gerade die "Wirtschaftswunderjahre" erlebte.

Schon die erste Szene ist symptomatisch für die zukünftige Entwicklung der beiden Protagonisten - während der Knabe Hans Boeckel beim Start einer Ballonfahrt zur 100-Jahr-Feier der Völkerschlacht bei Leipzig wegen ungebührlichen Benehmens zu Strafarbeiten verdonnert wird, wird sein Klassenkamerad Bruno Tiches zum gefeierten Helden, weil der Ballon, in dessen Korb er verbotenerweise geklettert war, schon nach wenigen hundert Metern notlanden musste. Eine peinliche Angelegenheit für den Ballonfahrer und die Honoratioren der Stadt, weshalb Brunos schöne Geschichten von seinem persönlichen Empfang bei Kaiser Wilhelm II. erfolgreich die Runde machen dürfen. Dieses Geschick beweist Bruno Tiches (Robert Graf) auch in seiner weiteren Karriere - ist er nach dem Ende des 1.Weltkriegs noch beflissener Angestellter des örtlichen Bankhauses, dem potentesten Arbeitgeber der Kleinstadt, will er Mitte der 20er Jahre nichts mehr mit seinen jüdischen Arbeitgebern zu tun haben und geht nach München, um sich der NSDAP anzuschließen.

Dort trifft er auch wieder auf Hans Boeckel (Hansjörg Felmy), der in München Philosophie studiert. Doch damit enden die Parallelen, denn während Boeckel nach der Machtergreifung der NSDAP 1933 seinen Job als Feuilletonist bei der Zeitung verliert, macht Tiches Partei-Karriere. Boeckel bittet ihn erstmals um Hilfe, aber als dieser von ihm verlangt, Parteimitglied zu werden, bekennt er Farbe und lehnt ab  - mit der Konsequenz, dass er nur noch im Lager arbeiten darf. Nach dem 2. Weltkrieg begegnen sie sich zufällig wieder, um festzustellen, dass sich an ihren Rollen nichts geändert hat. Boeckel versucht noch mit Tauschhandel Nahrung für seine Familie aufzutreiben, während Tichel unter geändertem Namen schon zum erfolgreichen Geschäftsmann mutiert ist, der vom Schwarzmarkt profitiert - die Basis für seinen kommenden Reichtum und damit Einfluss und hohes Ansehen in der Bundesrepublik Deutschland wird gelegt.

Mit Bruno Tiches verkörperte Robert Graf überzeugend einen Typus, der der Realität sehr nahe kam. Er benötigte dafür nur wenige satirische Spitzen, denn Tiches ist kein Fanatiker, sondern ein Opportunist, der ein Gespür für den eigenen Vorteil hat. Sein Charakter lässt deutlich werden, dass Anpassungsfähigkeit und positive Selbstdarstellung die wichtigsten Voraussetzungen für Erfolg sind. Eine bis heute gültige Regel, die nach dem 2.Weltkrieg besonders eklatant verdeutlichte, dass es zu keinem Bruch gekommen war, sondern das Diejenigen, die zuvor schon das Sagen hatten, auch danach über den größten Einfluss verfügten - notfalls indem sie ihren Namen und ihre Historie änderten. Der Dialog zwischen Tiches und Boeckel nach dem Krieg ist in dieser Hinsicht aufschlussreich. Wieder stilisiert sich Tiches zu einem Mann hoch, der erneut den Karren für Deutschland "aus dem Dreck zieht", wie er es auch schon in den 30er Jahren formulierte, und Boeckels damalige Ablehnung der Nationalsozialisten ist für ihn nur ein Anzeichen für dessen Unfähigkeit, sich klar zu positionieren  - wie üblich solche Argumentationen in der Nachkriegszeit gewesen sind, lässt sich leicht vorstellen.

Die Figur des Hans Boeckel ist dagegen idealisierter angelegt, auch wenn sich Felmy Mühe gab, eine gewisse Tatenlosigkeit auszustrahlen. Selbst das Schicksal geliebter und befreundeter Menschen - seine erste Freundin Vera (Wera von Frydtberg), auf die er jahrelang gewartet hatte, da sie ihre Lungenkrankheit in der Schweiz auskurieren musste, geht zu ihrem Vater nach Paris, und auch seinem früheren Klassenkameraden Siegfried Stein (Pinkas Braun), Sohn des jüdischen Bankiers seiner Heimatstadt, gelingt gerade noch rechtzeitig die Flucht - lässt ihn lange Zeit nicht erkennen, welche Gefahren von den Nationalsozialisten ausgehen. Er, der Ende der 20er Jahre seinen Doktor in Philosophie machte, hielt sie für eine vorübergehende Erscheinung und seine abschließende Aussage, mit "Tinte kann man kein brennendes Haus löschen" gab ihm Absolution. Denn abgesehen von dieser Passivität, ist Boeckel ein hehrer Charakter, der sich nicht einmal von der süßen Dänin Kirsten (Johanna von Koczian) an Silvester in Versuchung bringen lässt, da er noch mit Vera verlobt ist, die er schon seit Jahren nicht mehr gesehen hatte. Erst als diese Beziehung geklärt ist, läuten die Hochzeitsglocken für ihn und Kirsten in Dänemark, auch wenn sie sich dafür gegen ihre Familie durchsetzen muss, die dem deutschen Bräutigam skeptisch gegenüber steht.

Die Konfrontation zwischen dem armen Schlucker Hans Boeckel und dem erfolgreichen Bruno Tiches konnte so abgeschwächt werden, denn während Boeckel über eine glückliche Familie mit zwei kleinen Kindern verfügt, lebt Tiches in unmoralischen Verhältnissen. Geschieden von seiner ersten Frau Evelyne Meisegeier (Ingrid van Bergen) hat er sich längst eine Jüngere zugelegt. Die gesamte Konstellation um die ledige Mutter von fünf Kindern, Mary Meisegeier (Elisabeth Flickenschild), die zu Zeiten Wilhelm II. noch als "Zigeunerin" abgelehnt wurde, dann als Schwiegermutter zu Tiches Entourage gehörte, um nach dem Krieg nach Argentinien "auszuwandern", atmet noch den Zeitgeist der 50er Jahre - zwar ironisierte der Film damit die Verlogenheit der Nationalsozialisten hinsichtlich deren Standards von Moral und Rassenideologie, bediente damit aber gleichzeitig bestehende Vorurteile. Autor Hugo Hartung sah in Familie Meisegeier, die sich vom Außenseiter zum glühenden Nazi wandelte (der Sohn der Familie lässt von Beginn an keinen Zweifel an seinem Antisemitismus), noch Potential, erkennbar an seinem letzten 1971 erschienenen Roman mit dem Titel "Wir Meisegeiers - der Wunderkinder 2.Teil".

Wie gewohnt von Kurt Hoffmann schwungvoll und unterhaltsam inszeniert, käme "Wir Wunderkinder" über einen nur latent kritischen Film nicht hinaus, gäbe es nicht die beiden Kabarettisten Wolfgang Neuss und Wolfgang Müller, mit denen er erstmals in "Das Wirtshaus im Spessart" zusammen gearbeitet hatte. Sie zeigen "Wir Wunderkinder" als "Film im Film", den sie von einer Bühne aus mit Kommentaren und Klaviermusik begleiten. Die Konzessionen, zu denen der Film in den 50ern noch gezwungen war, werden von ihnen deftig und unmissverständlich unterlaufen - wenn Bruno Tiches am Ende in einen Fahrstuhlschacht fällt und stirbt, dann enthebt Wolfgang Müller dieses scheinbare "Happy-End" gleich wieder. Während der Film die Bilder einer Beerdigung zeigt, zu der alle einflussreichen Persönlichkeiten aufmarschiert sind, um dem „verdienten Deutschen“ Tiches die letzte Ehre zu erweisen, erwähnt er, dass es so viele kaputte Fahrstühle nicht gibt, die angesichts der anderen "Tiches" repariert werden müssten - Kurt Hoffmann war nie kritischer als in „Wir Wunderkinder“, aber trotz des Gewinns eines "Golden Globes" als bester fremdsprachiger Film gehört er bis heute zu seinen weniger bekannten Werken.

"Wir Wunderkinder" Deutschland 1958, Regie: Kurt Hoffmann, Drehbuch: Eberhard Keindorff, Johanna Sibelius, Annemarie Selinko (Roman), Darsteller : Hansjörg Felmy, Johanna von Koczian, Robert Graf, Wera Frydtberg, Elisabeth Flickenschildt, Lina Carstens, Ingrid van Bergen, Ralf Wolter, Laufzeit : 103 Minuten

weitere im Blog besprochene Filme von Kurt Hoffmann:
"Drei Männer im Schnee" (1955)
"Heute heiratet mein Mann" (1956)
"Das Wirtshaus im Spessart" (1958)
"Das Spukschloss im Spessart" (1960)
"Schloss Gripsholm" (1963)
"Herrliche Zeiten im Spessart" (1967)

Montag, 15. Juli 2013

Haie und kleine Fische (1957) Frank Wisbar

Inhalt: 1940 – der 18jährige Hans Teichmann (Hansjörg Felmy) und seine Kameraden Gerd Heyne (Horst Frank), Emil Stollenberg (Thomas Braut) und Vögele (Ernst Reinhold) treten ihren ersten Dienst als angehende Offiziere auf dem Minensuchboot „Albatros“ an, und lassen sich ihre gute Laune auch nicht von dem unfreundlichen Empfang durch Leutnant Pauli (Siegfried Lowitz) vermiesen. Im Gegenteil – schon bald überqueren Teichmann und ein Freund den nahe gelegenen See mit ihrer Jolle, bis sie fast mit einem Motorboot zusammen stoßen, dem Teichmann unfreundliche Worte hinterher ruft.

Zurecht wie er findet, auch als er erfährt, dass die Frau seines Flotillen-Chefs Erich Wegener (Heinz Engelmann) am Steuer saß. Zur Strafe muss er ihr beim Einkauf und der Einrichtung der Wohnung helfen, aber die Nähe zu der jungen und hübschen Frau Engelmann (Sabine Bethmann) empfindet Teichmann zunehmend als Vergnügen. Als er sie küsst, wehrt sie sich einen Moment nicht, weist ihn dann aber von sich, womit sein Job bei ihr beendet ist. Kurz darauf sticht er mit dem Minensuchboot in See, wo es zu dramatischen Ereignissen kommt, in die auch sein Flotillen-Chef verwickelt wird…


Obwohl der Kriegsfilm seit der "08/15" - Trilogie (1954/55) erfolgreich in den deutschen Kinos lief, hielten sich die Produzenten mit der Darstellung von Kampfhandlungen merklich zurück. Das änderte sich mit "Der Stern von Afrika" und "Haie und kleine Fische", die kurz nacheinander im Herbst 1957 in die deutschen Lichtspielhäuser kamen. Basierte "Der Stern von Afrika" noch auf der Biografie eines bekannten Kampffliegers und stand in der Tradition zuvor entstandener Kriegsfilme, die der Thematik auf diese Weise einen seriösen Anstrich geben sollte ("Canaris" 1954), verarbeitete der sonst unbekannt gebliebene Schriftsteller Wolfgang Ott in "Haie und kleine Fische" seine persönlichen Erfahrungen als Soldat der Marine und wirkte auch am Drehbuch der Verfilmung mit.

Sein überraschender Erfolg als Autor stand signifikant für die damalige Sehnsucht nach Stoffen, die das Erleben eines durchschnittlichen Soldaten im Krieg wiedergaben, weshalb "Haie und kleine Fische" stilbildend für die zukünftigen Kriegsfilme werden sollte. Im Mittelpunkt steht der angehende Marine-Offizier Hans Teichmann (Hansjörg Felmy), der als gerade 18jähriger kurz nach Kriegsbeginn auf einem Minensuchboot dient, bevor er 1941 an Bord eines U-Bootes versetzt wird. Das gab Regisseur Frank Wisbar die Gelegenheit, zuerst Gefechte auf See zu zeigen, bevor er die intensiven Erlebnisse der Männer unter Wasser mit der Enge an Bord, Luftknappheit und Torpedoangriffen wiedergab, die vom Gegner mit Echolot-Suche und Wasserbomben beantwortet wurden. Geschickt verband Wisbar dazu originale Aufnahmen mit gespielten Szenen, was einen authentischen Eindruck hinterlässt, auch wenn einzelnen davon die Studio-Atmosphäre anzumerken ist.

Regisseur Frank Wisbar hatte zum Zeitpunkt seines ersten deutschen Films nach dem Krieg schon eine bewegte Vergangenheit hinter sich. Mit "Anna und Elisabeth" war er 1933 erstmals bei den Nationalsozialisten angeeckt, die seinen Film als Verstoß "gegen das gesunde Volksempfinden" betrachteten, bevor er mit "Fährmann Maria" (1936) zwar wenig Begeisterung bei Joseph Göbbels auslöste, aber einen exemplarischen Fantasy-Film mit Sybille Schmitz in der Hauptrolle ablieferte. 1946 drehte er mit "Strangler of the swamp" ein Remake des Films in Hollywood, nachdem er 1938 in die USA emigriert war, da seine halbjüdische Frau unter die Rassegesetze fiel. Erfolg hatte er dort erst, als er begann, für das Fernsehen zu arbeiten und daraufhin eine eigene Produktionsgesellschaft aufbaute. Seine Rückkehr nach Deutschland wurde von der Intention begleitet, die jüngere Vergangenheit aufzuarbeiten, weshalb er nach "Haie und kleine Fische" mit "Hunde, wollt ihr ewig leben" (1958), "Nacht fiel über Gotenhafen" (1959) und "Fabrik der Offiziere" (1960) drei weitere während des 2.Weltkriegs spielende Filme herausbrachte, die trotz ihres offensichtlichen Unterhaltungscharakters eine kritische Betrachtungsweise versuchten.

Die bemerkenswerteste Szene in "Haie und kleine Fische" erinnert direkt an Wisbars Schicksal. Horst Frank, der Teichmanns Freund und Kameraden Gerd Heyne spielt, der gerade zum Oberleutnant befördert wurde, sinniert angesichts des Todes seines Vaters im KZ Bergen-Belsen darüber, was denn wäre, wenn er eine Frau heiratet, die nicht jüdisch wäre wie seine Großeltern. Dann wären seine Kinder Achtel-Juden und hätten eine Überlebenschance - nur kurz danach erschießt er sich selbst. Abgesehen von dieser kurzen, spät im Film angeordneten Sequenz, die verdeutlicht, dass die nationalsozialistische Ideologie in jeden Lebensbereich eindrang, taucht sie im übrigen Film nicht mehr auf. Stattdessen verkörperte Hansjörg Felmy den Typus des unangepassten Burschen, der zwar freiwillig zur Marine geht und auch für sein Vaterland kämpfen will, darüber hinaus aber jede soldatische Disziplin vermissen lässt und auch einen Vorgesetzten schlägt, wenn es der moralischen Gerechtigkeit dient  - eine idealisierte Mischung aus Kriegsheld und antiautoritärem Geist, die mehr die Coolness der 50er Jahre, als das Soldatenleben in der Wehrmacht abbildete.

Der Beginn des Films erinnert entsprechend an eine Sommerfrische. Während ihr Vorgesetzter Leutnant Pauli (Siegfried Lowitz) nur Wert auf korrekte Kleidung und respektvolles Grüßen legt, darüber hinaus aber nichts vom soldatischen Handwerk versteht, vergnügt sich Teichmann mit Freunden beim Segeln und hilft der Frau seines Flottillenchefs Erich Wegener (Heinz Engelmann) "zur Strafe" für freche Bemerkungen beim Einkaufen und Einrichten der Wohnung. Da es sich bei Frau Engelmann (Sabine Bethmann) zudem um eine hübsche und junge Frau handelt, kann Charmeur Teichmann einfach nicht dagegen an, mit ihr anzubändeln - zwar wird er von ihr zurückgewiesen, aber nur weil es Sitte und Anstand so verlangen. Die "Tragik" dieser verhinderten Liebesgeschichte, die sich durch die gesamte Handlung zieht, kann ihren konstruierten und unrealistischen Charakter zwar nicht ablegen, förderte aber Hansjörg Felmys Reputation als ganzer Kerl und Womanizer.

Felmy, der auch in "Der Stern von Afrika" mitspielte (ebenso wie Horst Frank), gab die wichtige Identifikationsfigur, die die linear erzählte und sich vorhersehbar entwickelnde Story unbedingt benötigte. Seine Kriegserlebnisse - Lebensgefahr, Erfolg, Mannschaftsfeiern, aber auch großes Leid und der Verlust enger Freunde - deckten sich mit den Erfahrungen vieler Betrachter, ohne das schwierige Themen wie Kriegsverbrechen oder ideologische Verflechtungen berührt wurden. Selbst der Feind wird auch in den gefährlichsten Momenten kaum einmal sprachlich verdammt, so dass der Film keinen Moment vermitteln kann, warum es überhaupt zum Krieg gekommen war und welche Ziele damit verfolgt wurden. Schuld daran sind abstrakt die "Haie" - also die Nationalsozialisten - die die "kleinen Fische" - die Soldaten  - einem gefährlichen und sinnlosen Abenteuer aussetzten. Diesen Abenteuer-Charakter vermittelt zumindest der Film, der Teichmann die Gelegenheit gibt, zu zeigen, dass er ein mutiger Kämpfer ist, der sich damit letztlich auch den Respekt seines U-Boot-Kommandanten Jochen Lüttke verdient, den Wolfgang Preiss als autoritären Offizier gibt, der für den ängstlichen Berichterstatter - kein Soldat und der Partei nahe stehend - nur Verachtung übrig hat. Seine Bemerkungen wirken aus heutiger Sicht kleinlich und unsouverän, sprachen den ehemaligen Soldaten aber aus dem Herzen.

"Haie und kleine Fische" galt zum Zeitpunkt seiner Entstehung als "Anti-Kriegsfilm" und an Frank Wisbars Intention lässt sich auch nicht zweifeln, aber gleichzeitig wird deutlich, welche Kompromisse notwendig waren, um mit einem Kriegsfilm an der Kinokasse Erfolg zu haben. Aus heutiger Sicht wirkt der Film nicht nur verharmlosend, sondern regelrecht naiv in der völligen Abwesenheit einer alles beherrschenden Diktatur. Zudem spielte Felmy den Soldaten in einer Mischung aus kernigem Held und Freigeist, wie er in der Realität nicht hätte überleben können, mit der die Identifikation 1957 aber leicht fiel. Dass der Film Kampfhandlungen konkret zeigte und Teichmann am Ende als Einer von Wenigen überlebte, genügte schon als Kritik an einem Krieg, der noch nicht lange genug vorbei war, um ihn in auch nur annähernd ermessen zu können.

"Haie und kleine Fische" Deutschland 1957, Regie: Frank Wisbar, Drehbuch: Alf Teichs, Wolfgang Ott (Roman), Darsteller : Hansjörg Felmy, Horst Frank, Wolfgang Preiss, Sabine Bethmann, Mady Rahl, Siegfried LowitzLaufzeit : 98 Minuten

weitere im Blog besprochene Filme von Frank Wisbar: