Donnerstag, 24. September 2015

Das gewisse Etwas der Frauen (1966) Luciano Salce

Noch muss sich Roberto (Robert Hoffmann) zurechtweisen lassen...
Inhalt: Roberto (Robert Hoffmann) lebt nur geduldet in einem herrschaftlichen Gebäude, das der Direktor (Gianrico Tedeschi) einer Knabenpension von seinem hoch verschuldeten und inzwischen verstorbenen Vater erwarb. Unter der Auflage, dass Roberto bis zu seiner Volljährigkeit hier Wohnrecht genießt. Trotz der Strenge seines Vormunds genießt er das Leben an diesem Ort, denn sowohl die Frau des Direktors (Sandra Milo), als auch das Hausmädchen Agnese (Orchidea De Santis) sind ihm sehr wohlgesonnen.

...doch bald beginnt das wahre Leben
Gestärkt von den ersten Erfahrungen mit dem weiblichen Geschlecht verdingt Roberto sich bei einer kleinen Autowerkstatt, wodurch er die Rallye-Fahrerin Monica (Elsa Martinelli) kennenlernt, die Gefallen an dem jungen Mann findet. Sehr zum Ärger ihres Liebhabers Renzino (Vittorio Caprioli), der sich noch steigert, als Monica Roberto zu ihrem neuen Beifahrer macht. Auch für ihn kein reines Vergnügen, denn Monica kennt keine Grenzen, um ein Rennen zu gewinnen…


Die Liste deutsch-italienischer Co-Produktionen in den 60er und 70er Jahren ist lang, sagte aber in der Regel nur etwas über die Geldgeber aus, denn das jeweilige Kreativ-Team ließ sich meist einem Land zuordnen, von einzelnen Darstellern einmal abgesehen. Aus diesem Grund komme ich selten in die Situation, zwischen meinen Blogs wählen zu müssen, zudem ich eventuelle Verbindungen oder Einflussnahmen untereinander verlinken kann. Nur sehr wenige Filme wurden von mir - meist aus persönlichen Gründen - in beiden Blogs berücksichtigt.


"Come imparai ad amare le donne" oder auf deutsch "Das gewisse Etwas der Frauen" sollte Teil meiner Filmreihe zur "Commedia sexy all'italiana" werden, entstanden unter der Regie von Luciano Salce, einem wichtigen Wegbereiter der italienischen Erotik-Komödie. Die Einordnung des Films in meinen Italo-Filmblog "L'amore in città" stand deshalb nicht zur Disposition. Bis ich ihn mir ansah - in beiden Sprachfassungen, die glücklicherweise auf DVD vorliegen - und feststellte, dass sich hier die deutschen und italienischen Vorstellungen von erotischen Komödien begegneten. Mit dem erwartbar uneinheitlichen Ergebnis, dass mir die Gelegenheit gab, die Unterschiede genauer zu analysieren. 


Erotik im deutschen und italienischen Film nach dem Krieg

Protagonisten der Rahmenhandlung: Robert Hoffmann und Romina Power
Die Entwicklung des erotischen Films verlief in Deutschland und Italien ab den 50er Jahren parallel, spiegelte in ihrer Unterschiedlichkeit aber die jeweiligen Eigenarten beider Länder wider. Blieb in Westdeutschland das konservative Bürgertum bis weit in die 60er Jahre politisch bestimmend, entstand im Nachkriegs-Italien neben der christlichen Regierungspartei eine starke Linke, die nicht zuletzt das künstlerische Leben beeinflusste. Ein Großteil der prägenden Regisseure der 50er und 60er Jahre sympathisierte mit dem linksgerichteten Spektrum, viele von ihnen waren zumindest phasenweise Mitglied der kommunistischen Partei. Sexualität verstanden sie als antibürgerlich, als Protest gegen die von der katholischen Kirche bestimmten rigiden moralischen Gesetze im Land. Erotische Filme wie „I dolci inganni“ (Süße Begierde, 1960) mussten sich zwar optisch einschränken, propagierten aber eine aufgeklärte Moral mit gleichberechtigten Geschlechterrollen.

Zarah Leander singt im Salon "Eine Frau wird erst durch die Liebe schön"
Dank des geringeren Einflusses der Kirche setzte in der BRD trotz des konservativen Klimas eine langsame Aufweichung der moralischen Normen ein. Zudem besaß die Freikörperkultur seit Beginn des Jahrhunderts in Deutschland Tradition und erhielt in den 50er Jahren vermehrt Zulauf, wie in Nossecks „Das verbotene Paradies“ (1958) thematisiert wurde, der eingebettet in eine moralisch einwandfreie Handlung junge Frauen nackt bei Sport und Gymnastik zeigen konnte. Hatte Hildegard Knef mit der Momentaufnahme ihres entblößten Oberkörpers in "Die Sünderin" 1951 noch für einen veritablen Skandal gesorgt – auch wenn dieser mehr dem als unmoralisch geltenden Inhalt zu verdanken war - dienten Nacktaufnahmen in Filmen wie "Anders als du und ich (§175)" (1957) oder "Alle Sünden dieser Erde" (1958) der Warnung vor dem allgemeinen moralischen Verfall. Unterschwellig bedienten sie die voyeuristischen Bedürfnisse des Publikums, wollten aber den sozialen Status Quo stärken und standen damit entgegen der Intention der italienischen Filmemacher.

Agnese (Orchidea de Santis) hat keine Chance bei Roberto...
Diese unterschiedlichen Voraussetzungen führten zu einer gegensätzlichen Entwicklung des erotischen Films beider Länder in den folgenden Jahren (siehe auch „Bis die Schulmädchen kamen“, Essay). Der deutschsprachige Erotikfilm wurde ab Mitte der 60er Jahre optisch immer freizügiger, nahm aber Themen wie Ehebruch oder frei gelebte Sexualität in der Regel die Tragweite mit Komödienhandlungen („Die Liebesquelle“, 1965) oder einem kriminell anrüchigen Hintergrund („Wenn es Nacht wird auf der Reeperbahn“, 1967) – der bürgerliche Kosmos sollte gewahrt bleiben. Dagegen richteten sich die Macher im italienischen Erotik-Film radikal gegen die vorherrschende Moral. Besonders in den zahlreichen Episodenfilmen von 1962 bis 1967 wurde mit Vergnügen durchgespielt, was offiziell nicht sein durfte – entweder zum Vorteil der aus der Norm ausbrechenden Protagonisten oder als bissige Satire auf die verklemmte Realität. Nur optisch bewahrten sie weiterhin Zurückhaltung.

...und Filmstar Margaret Joyce (Anita Ekberg) keine Zeit für die Liebe
An drei prägnanten deutsch-italienischen Co-Produktionen der 60er Jahre lassen sich diese unterschiedlichen Gewichtungen anschaulich demonstrieren. Entstand der Episoden-Film „L’amore difficile“ (Erotica) 1962 noch ganz unter italienischer Hoheit - mit Beteiligung von Nadja Tiller, Lilli Palmer und Bernhard Wicki - führte Ende der 60er Jahre bei „Warum habe ich bloß 2x ja gesagt“ (Professione bigamo, 1969) Franz Antel Regie. Zwar teilte sich die deutsche und italienische Seite Handlungsort, Drehbuch und Darsteller, aber vom gesellschaftskritischen Geist ließ sich bei der turbulenten Verwechslungskomödie nur in der italienischsprachigen Fassung noch etwas erahnen. 1966 kam es mit „Das gewisse Etwas der Frauen“ (Come imparai ad amare le donne) zu einer deutsch-italienisch-französischen Zusammenarbeit, deren zwitterartiger Charakter sowohl die kommende „Commedia sexy all’italiana“ spüren ließ, als auch die Erwartungshaltung an eine deutsche Komödie mit frivolem Einschlag erfüllte.


Episodenform trifft auf Lustspiel


Was lustvoll beginnt...
Luciano Salce, dessen „La voglia matta“ (Lockende Unschuld, 1962) das erotische Komödien-Genre entscheidend beeinflusste, übernahm hier die Regie, überließ das Drehbuch aber Franco Castellano und Giuseppe Moccia (Castellano/Pipolo), mit denen er zuvor im Episodenfilm „Oggi, domani, doppodomani“ (1965) zusammengearbeitet hatte. Sowohl Salce („Le fate“ (Die Gespielinnen, 1966)), als auch seine Drehbuchpartner („Extraconiugale“ (Seitensprünge, 1964)) schätzten die damals populäre episodische Form, was sich auch in „Come imparai ad amare le donne“ (schöner als der deutsche Titel: Wie man lernt, Frauen zu lieben) nicht übersehen ließ. Zwar existiert ein grober Handlungsrahmen und stehen die Frauen, die Robertos (Robert Hoffmann) Weg zuvor begleitet hatten, am Ende bei seiner Hochzeit mit Irene (Romina Power) Spalier, aber ihre vorherigen Erlebnisse wurden in linear aneinander gereihten unabhängigen Einzelgeschichten erzählt.

...zwischendurch zu Irritationen führt...
Dass die Episodenform nicht konsequenter angewendet wurde, ist wahrscheinlich auf Willibald Eser zurückzuführen, der für den deutschen Einfluss am Drehbuch sorgte. Esers Verdienste als Autor lagen zwar ein paar Jahre zurück, aber bei Käutners „Der Traum von Lieschen Müller“ (1961) oder „Ingeborg“ (1960), eine Leinwand-Adaption des gleichnamigen Curt-Goetz-Bühnenstücks, hatte er sein Einfühlungsvermögen für unkonformistische Komödienstoffe schon bewiesen. Dem deutschen Kinobesucher traute er die italienische Kurzfilm-Variante aber offensichtlich nicht zu, denn er ließ die fünf Episoden von Robert Hoffmann ausführlich aus dem Off begleiten, um einen inhaltlichen Prozess zu vermitteln, der hier nicht existiert. Eine in der italienischen Version fehlende Geschwätzigkeit, die Überleitungen fabulierte und damit Zusammenhänge herstellte.

...endet doch ganz konventionell
Das gilt auch für die Rahmenhandlung, der ihre nachträgliche Konstruktion deutlich anzumerken ist. Die damals erst 15jährige US-Amerikanerin Romina Power wurde in ihren frühen Filmen („Femminine insaziabili“ (Mord im schwarzen Cadillac, 1969)) fast ausschließlich als verführerische Nymphe besetzt. Eine Rolle, die sie hier in der vierten Episode verkörperte, in der sie sich als minderjährige Nichte der Großindustriellen Olga (Zarah Leander) erst an Robertos Hals schmeißt, um ihn dann weinend der sexuellen Belästigung zu beschuldigen. Ein ernsthafter Vorfall, auf den im Film nicht weiter eingegangen wird. Stattdessen wurde diese Figur dazu auserkoren, um eine unglaubwürdige Liebesgeschichte um die einzelnen Episoden zu ranken. Obwohl in der Eingangssequenz und zwei hinein geschnittenen Szenen lasziv und selbstbewusst auftretend, mündet alles in Irenes kirchlicher Trauung mit Roberto, der zudem einen lukrativen Job in der Firma ihrer Tante erhält – eine Konzession an das deutschsprachige Publikum, denn eine ähnliche Legitimierung der zuvor gezeigten Frivolitäten lässt sich im italienischen Erotik-Film dieser Phase nicht finden.


Die Episoden

Roberto mit der Frau des Direktors (Sandra Milo)
Die einzelnen Episoden, in denen jeweils eine schöne, erfahrene Frau im Mittelpunkt steht, die Roberto in die Kunst der Liebe einweist, sind von sehr unterschiedlichem Zuschnitt und Qualität. Der Beginn im Knabenpensionat mit hübschem Hausmädchen (Orchidea de Santis in einer ihrer ersten Rollen) und der attraktiven Direktoren-Gattin (Sandra Milo) ist noch ganz traditionell. Das Motiv des Schülers, der von einer reifen Frau in die Liebe eingeführt wird, gehört zum Repertoire im italienischen Erotik-Film und wurde hier amüsant und atmosphärisch dicht umgesetzt. Sehr viel aktionistischer dagegen Episode zwei, die sich als Parodie auf die Emanzipation verstand, zeitweise aber in Albernheiten abrutschte. Die Rallye-Fahrerin Monica (Elsa Martinelli) nahm hier konsequent die männliche Position ein. Nachdem sie Roberto in einer Werkstatt kennenlernte, holte sie ihn zu sich nach Hause, wo sie aber noch einen Zweikampf gegen ihre Mitbewohnerin gewinnen muss, um sich das Recht auf ihn zu sichern. Der junge Mann selbst wird nicht gefragt, auch nicht, als er neben ihr auf dem Beifahrersitz bei einer Rallye Platz nehmen soll.

Im Zweikampf gewinnt Monica (Elsa Martinelli) das Recht auf Roberto
Als Kritik an männlichen Verhaltensmustern war das nicht zu verstehen, wie spätestens in der Endphase des Rennens deutlich wird. Dank eines Striptease hinter dem Steuer und der damit verbundenen Gewichtseinsparung fährt Monica als Erste über die Ziellinie. Für die Einführung in die Liebeskunst blieb da wenig Zeit, aber immer noch mehr als im dritten Teil, in dem Anita Ekberg ihre Rolle als Sex-Symbol persiflierte. Assistiert von Heinz Erhardt vertreibt sich Margaret Joyce (Anita Ekberg) die Zeit in Alltags-Klamotten beim Pokern. Bis sich plötzlich Roberto ankündigt, um seinen Job als Chauffeur anzutreten. Er wird stattdessen für den Gewinner eines Preisausschreibens gehalten, bei dem es eine Nacht mit dem bekannten Erotik-Star zu gewinnen gab, weshalb sie sich in einen Sexy-Fummel schmeißt und auf Verführerin macht. Allerdings nur für die Horde an Journalisten, denen sie eine Badeszene á la „La dolce vita“ (Das süße Leben, 1960) vorführt – die einzigen konkreten Nacktaufnahmen des Films. Doch die Erotik ist nur Fassade. Sobald die Nacht hereinbricht wendet sich Margaret Joyce wieder ihrer Lieblingsbeschäftigung zu – dem Pokerspiel.

Heinz Erhardt pokert mit Anita Ekberg
Abgesehen von den Witzchen über den stotternden Gewinner, der eine halbe Stunde zu spät kommt, eine Episode im ironischen Geist der „Commedia all’italiana“. Und damit konträr zum folgenden längsten Abschnitt, dem der Charakter einer „deutschen Episode“ anhaftet. Nadia Tiller als Mode-Designerin Baronessa Laura, die die Rolle der reifen Verführerin übernahm, war stimmig besetzt, aber darüber hinaus fehlt es der Story an Stringenz. Auch weil Zarah Leander als Großindustrielle Olga jeden anderen an Präsenz übertraf und es sich nicht nehmen ließ, am Klavier eines ihrer Lieder zum Besten zu geben, dass sie zuvor 1938 in „Heimat“ gesungen hatte: "Eine Frau wird erst durch die Liebe schön". Ob Roberto als Autoverkäufer arbeitet, er seinen Bentley-Vorführwagen einer Horde Teenager überlässt, die Modenschau der Baronessa auf Marquis De Sade anspielt oder Irene ihn der sexuellen Belästigung bezichtigt – vieles geschieht hier, aber ohne schlüssige Intention.

Die Damen lassen bitten: Nadja Tiller und Zarah Leander mit Vittorio Caprioli
Bemerkenswert ist auch ein kurzer Dialog zwischen den zwei Unternehmerinnen, indem die Baronessa gegenüber Olga anmerkt, dass diese Art von Verantwortung für sie als Frauen doch zu groß wäre. Eine angesichts ihres selbstbewussten Auftretens unglaubwürdige Kleinmachung, die nur als weitere Konzession an ein Publikum zu verstehen ist, das in „Come imparai ad amare le donne“ ausschließlich mit sexuell selbstbestimmt auftretenden Frauen konfrontiert wurde. Zuletzt noch mit „Angelique“ – Darstellerin Michéle Mercier als Wissenschaftlerin, die in einer Art atomarer Zeitreise ihr eigenes „Angelique“-Image veralberte und den armen Roberto zum sexuellen Leistungssport antrieb.

Roberto mit der Atom-Wissenschaftlerin (Michèle Mercier)
Trotz der manchmal despektierlichen männlichen Sicht auf die Geschehnisse und einiger relativierender Details, eint alle Episoden die Rolle einer starken Frau, die sich der üblichen Geschlechterrolle entzog – Mitte der 60er Jahre noch eine echte Provokation. Roberto ist hübsch und kommt gut bei den Frauen an, bestimmt aber nie selbst über sein Leben. Darüber kann auch seine angebliche Karriere, sein abschließendes Lob an die ihn in der Liebeskunst unterrichtenden Frauen und die traditionelle Hochzeit mit einer 15jährigen Jungfrau nicht hinwegtäuschen – ganz abgesehen davon, dass diese zuvor sehr fordernd und wenig brav auftrat. Diese Qualitäten lassen leider nicht die stilistische Uneinheitlichkeit und inhaltliche Inkonsequenz einer Inszenierung übersehen, die die deutsche und italienische Komödien-Auffassung zu kombinieren versuchte. Als abwechslungsreiches Stimmungsbild seiner Zeit, dass den Weg einer sich verändernden Sozialisation weiter vorzeichnete, kann „Das gewisse Etwas der Frauen“ (Come imparai ad amare le donne) aber auch heute noch bestens unterhalten.

"Das gewisse Etwas der Frauen" Italien, Deutschland, Frankreich 1966, Regie: Luciano Salce, Drehbuch: Franco Castellano, Giuseppe Moccia, Willibald Eser, Darsteller : Robert Hoffmann, Romina Power, Nadja Tiller, Zarah Leander, Anita Ekberg, Heinz Erhardt, Elsa Martinelli, Sandra Milo, Vittorio Caprioli, Michèle Mercier, Laufzeit : 105 Minuten

Montag, 14. September 2015

Engelchen - oder die Jungfrau von Bamberg (1968) Marran Gosov

Inhalt: Katja (Gila von Weitershausen) will einen dreiwöchigen Urlaub bei ihrer Freundin Doris (Gudrun Vöge) in München verbringen. So die offizielle Version für ihren Freund Dieter, den sie in Bamberg am Bahnhof verabschiedet. Stattdessen sucht sie im liberalen Schwabing nach einer Wohnung, um ihr selbst gewähltes Ziel zu erreichen – den Verlust ihrer Jungfernschaft. Doch die Situation vor Ort erweist sich als schwieriger als erwartet. Freier Wohnraum ist schwer zu bekommen, weshalb sie sich auf den Vorschlag von Gustl (Dieter Augustin) einlässt, der sie in einem Lokal anspricht und ihr ein Zimmer in seiner WG anbietet.

Dort wohnt auch Tim (Ulli Koch), der wechselnde Damenbekanntschaften zu Besuch hat, die er zum immer gleichen Platten-Song beglückt. Der Womanizer erscheint geradezu ideal, um auch Katjas Wünsche zu erfüllen, weshalb sie sich ihm unverhohlen an den Hals schmeißt. Als sich ihr Zusammensein komplizierter entwickelt als erwartet, erfährt er, dass Katja noch Jungfrau ist – für ihn ein Grund, sofort das Handtuch zu schmeißen…


Katja (Gila von Weitershausen) verabschiedet sich am Bamberger Bahnhof von ihrem Freund Dieter, um drei Wochen ihre Freundin Doris (Gudrun Vöge) in München zu besuchen. Doch die 19jährige hat ganz andere Pläne. Ihr Weg führt sie nur aus einem Grund in die Großstadt - sie will keine Jungfrau mehr sein. Oder wie sie es ausdrückt:

"Ich bin fällig"

Seitdem sind knapp 50 Jahre vergangen und Staub ist gefallen auf Marran Gosovs ersten Langfilm, der wahlweise als "Schwabing-Film", "Ausdruck des Vor-68er-Lebensgefühls" oder "frühe Sex-Komödie" betrachtet wird. Am besten alles zusammen, immer verbunden mit dem Blick in eine weit entfernte Zeit. Von einer jungen Frau, die ihre Jungfernschaft loswerden will, lässt sich heute Niemand mehr provozieren, abgesehen davon, dass eine solche Situation kaum noch vorstellbar ist. Das Erstaunen aus männlicher Sicht ist entsprechend groß, warum es der hübschen Katja nicht schneller gelingt, einen Kerl ins Bett zu bekommen, der mit ihr schläft - eine Reaktion, die sich daraus erklärt, dass die enorme Diskrepanz zwischen der damaligen bundesrepublikanischen Realität und dem hier gezeigten lässigen Schwabinger Stadtteilleben inzwischen nur noch schwer vorstellbar ist.

Dass Katja aus der Provinz in die Großstadt gekommen ist, ist eine Untertreibung. Im Vergleich zu wenigen Großstadtzentren, war 1967 ganz Deutschland Provinz, waren die Unterschiede zwischen Schwabing und einer Stadt mit 70000 Einwohnern wie Bamberg weit größer als heute zwischen Berlin und einem abgelegenen Dorf. Dass das muntere Bohème-Leben von Gustl (Dieter Augustin), Tim (Ulli Koch) und dem Grafen (Hans Clarin) in der WG, in der sich auch Katja für drei Wochen einquartiert, nicht der Norm entsprach, schimmert trotz der sehr unangestrengten Inszenierung Gosovs immer durch. Wie an den fast zeitgleich in Schwabing entstandenen "Zur Sache, Schätzchen" (1968) und "Der Griller" (1968) lässt sich auch an "Engelchen - oder die Jungfrau von Bamberg" - trotz der individuellen Handschrift des jeweiligen Regisseurs - sowohl die schon vor 1968 eintretende Modernisierung der Gesellschaft ablesen, als auch die Widerstände, der diese ausgesetzt war.

Dafür bedurfte es weder konkreter Dramen, noch unliebsamer Nachbarn, die sich über laute Musik beschweren. Schon der flappsig dahin gesagte Satz von Doris angesichts eines sehr knappen Mini-Kleids, das sich Katja in München kaufte, dafür würde sie in Bamberg gelyncht werden, genügte. Das dieses Gedankengut auch in München nicht weit entfernt lag, hatte Peter Fleischmann in seinem Anfang 1967 veröffentlichten Dokumentarfilm „Herbst der Gammler“ eindrucksvoll unter Beweis gestellt. Darin hatte er nicht nur die sich dem Arbeitsleben entziehenden jungen Männer porträtiert, die von der Gesellschaft verächtlich als „Gammler“ bezeichnet wurden, sondern auch die Repressalien, denen sie in München ausgesetzt waren, die damals als „Hauptstadt der Gammler“ galt.

Der schmale Grat zwischen konservativer Norm und beginnender Liberalisierung zeigt sich aber besonders in der Thematik des Films. Als unverheiratete Frau noch Jungfrau zu sein, war zu dieser Zeit keine Ausnahme, sondern entsprach den bürgerlichen Moralvorstellungen. Die Reaktion der Männer, vor Sex mit ihr zurückzuschrecken, nachdem sie davon erfahren hatten, lässt sich beispielhaft an der von Christoph Wackernagel gespielten Nebenrolle ablesen, der Katja gegenüber betont, er hätte noch seine gesamte Zukunft vor sich. Der erste Sex mit einer jungen Frau kam damals noch einem Heiratsversprechen gleich und damit großer Verantwortung - außer ein anderer Mann hatte die Sache zuvor schon erledigt. Das damit verbundene Vorurteil gegenüber sexuell aktiven Frauen wird in Gorovs Film nicht näher thematisiert, ist aber immer gegenwärtig, obwohl Katja trotz aller Bereitschaft wählerisch bleibt. Sie will Sex, fordert aber auch Respekt ein. 

„Engelchen oder die Jungfrau von Bamberg“ ist trotz seiner Leichtigkeit weniger eine Komödie als eine Konfrontation – sowohl im Film, als auch vor der Leinwand - mit einer Frau, die real nicht existieren durfte. Obwohl ursprünglich Sabine Sinjen für die Rolle vorgesehen war, erweist sich Gila von Weitershausen als ideale Besetzung, da sie trotz ihres scheinbar promiskuitiven Verhaltens jederzeit ihre bürgerliche Ausstrahlung behält. Nicht ohne Grund beginnt und endet der Film mit einem Blick auf den Glocken-Turm des Bamberger Doms, denn Katja ist weder Vamp, noch Klassenkämpferin, wirkt mädchenhaft, aber nicht unterwürfig. Sie will auch nicht ihre Beziehung zu ihrem Freund in Bamberg beenden und widersprach damit allen Stereotypen. Gorrov nahm der Sexualität das Anrüchige wie Provozierende und verlieh ihr einen natürlichen und selbstverständlichen Charakter – die einzigen konkreten Nacktaufnahmen gelten einem verliebten nackten Paar im Englischen Garten, dessen Duett im hochgewachsenen Gras keinen Voyeurismus bediente.

Unterstrichen von Jacques Loussiers Jazz-Musik, einem Dieter Augustin in Hochform als hyperaktivem Erfinder und Ulli Koch als Womanizer, den unerwartete Selbstzweifel befallen, schuf Gorov eine Atmosphäre unbegrenzter Freiheit, die Wunder möglich werden lässt. Schließlich erledigt der „Graf“ den Job in Katjas Sinn und erweist sich damit als einzig souveräne männliche Figur im Film.




„Vom Provinzhascherl zum Betthaserl…“

schrieb die „Abendzeitung“ im März 1968 und bewies damit, dass sie nichts verstanden hatte – nichts ist Katja weniger als ein Betthaserl. Aus diesen Worten sprachen allein die eigenen Vorurteile, die sich bis heute gehalten haben. Und die ebenso zur Klassifizierung des Films als „frühe Sex-Komödie“ führten, wie zu dem angeblichen Staub, der auf „Engelchen und die Jungfrau von Bamberg“ liegen soll. Stattdessen schuf Marran Gosovs mit seinem Film eine Utopie, die bis heute nicht eingetreten ist.

"Engelchen - oder die Jungfrau von Bamberg" Deutschland 1968, Regie: Marran Gosov, Drehbuch: Marran Gosov, Franz Geiger, Darsteller : Gila von Weitershausen, Dieter Augustin, Ulli Koch, Gudrun Vöge, Hans Clarin, Christof Wackernagel, Laufzeit : 82 Minuten